S 54 P 171/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
54
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 54 P 171/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die dem Beklagten entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Klägerin sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zahlung von rückständigen Beiträgen zur privaten Pflegepflichtversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 30.04.2012 in Höhe von insgesamt 642,88 EUR zuzüglich Zinsen. Des Weiteren verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Erstattung der von ihr zu zahlenden Rechtsanwaltsvergütung für deren vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 120,67 EUR.

Der Beklagte unterzeichnete am 17.08.2001 einen Antrag auf Abschluss einer privaten Pflegepflichtversicherung mit Wirkung zum 01.09.2001. Nach Antragstellung wurde durch die Klägerin ein Versicherungsschein vom 20.08.2001 erstellt und an den Beklagten übersandt.

Ausweislich einer Bescheinigung des Jobcenters des F-Kreises vom 26.09.2014 bezog der Beklagte ab 03.12.2009 Leistungen nach dem Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II). Ab dem 03.12.2009 bis zum 14.08.2010 bestand für den Beklagten eine gesetzliche Familienversicherung und ab dem 15.07.2010 eine Pflichtversicherung bei der BKK.

Über das Vermögen des Beklagten wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom X.X.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Ablauf von sechs Jahren wurde dem Beklagten durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom X.X.2016 Restschuldbefreiung erteilt.

Hinsichtlich der rückständigen Versicherungsbeiträge zur privaten Krankenversicherung für den Zeitraum ab Mai 2010 bis April 2012 war ein Rechtsstreit zwischen den Beteiligten beim Landgericht Hagen anhängig, der durch Urteil vom 14.04.2016 (Az.: 4 O 412/13) beendet wurde. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin leistete der Beklagte auf die ab dem 01.04.2010 bis zum 30.04.2012 fällig gewordenen Beiträge in Höhe von zunächst 25,84 EUR monatlich (ab dem 01.04.2010) und sodann 25,06 EUR monatlich (ab dem 01.01.2012) keine Zahlungen mehr.

Der Versicherungsvertrag wurde aufgrund einer Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 1.04.2012 mit Wirkung zum 30.04.2012 beendet.

Gegen den Beklagten ist am 11.06.2013 ein Mahnbescheid bezüglich der rückständigen Beitragsforderung in Höhe von 642,88 EUR nebst Zinsen, der vorgerichtlichen Mahnkosten in Höhe von 15,00 EUR sowie der Anwaltsvergütung für deren vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 120,67 EUR erlassen worden. Der Beklagte hat gegen den ihm am 18.06.2013 zugestellten Mahnbescheid Widerspruch erhoben.

Nach Abgabe des Verfahrens an das Sozialgericht Dortmund hat die Klägerin die Klage hinsichtlich der vorgerichtlichen Mahnkosten in Höhe von 15,00 EUR sowie der geltend gemachten Zinsen ab dem 01.04.2011 bis 01.04.2012 zurückgenommen.

Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor: Sie habe erstmals vom Kündigungswunsch des Beklagten mit dessen Schreiben vom 01.04.2012 Kenntnis erlangt. Diesem Schreiben sei ein Nachweis des Nachversicherers beigefügt worden, wonach der Beklagte seit dem 01.01.2010 in einer Familienversicherung und ab dem 15.07.2010 in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert sei. Anschließend sei die Beendigung des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages von ihr – der Klägerin – zum 30.04.2012 bestätigt worden. Bei der im Klageverfahren geltend gemachten Forderung handele es sich um eine sogenannte Neuforderung, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten fällig geworden sei und daher nicht in die Insolvenzmasse falle. Bei rückständigen Versicherungsprämien handele es sich insbesondere dann nicht um Insolvenzforderungen, wenn diese als Entgelt für die Gefahrtragung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet seien. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle habe mithin hinsichtlich der streitigen Prämienrückstände nicht erfolgen können.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 642,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.04.2012 sowie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 EUR zu zahlen. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte wendet ein, dass er den Versicherungsvertrag bereits mit einem Schreiben von September 2009 gekündigt habe. Er sei finanziell nicht dazu in der Lage gewesen, die Portokosten für das Kündigungsschreiben an die Klägerin und ein weiteres Kündigungsschreiben betreffend seine B-Mitgliedschaft aufzubringen, so dass er die von ihm benannte Zeugin D habe bitten müssen, die Portokosten zu zahlen. Voraussetzung für die Aufnahme in die Familienversicherung sei gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, dass der Angehörige nicht selbst gemäß § 5 SGB V versichert und nicht freiwillig versichert sei. Dementsprechend sei er von der BKK aufgefordert worden, den Nachweis zu führen, dass seine Mitgliedschaft in der "Vorkasse" zum 31.12.2009 beendet worden sei. Die Klägerin habe das Ende des Krankenversicherungsvertrages zum 31.12.2009 – als eine Voraussetzung für die Familienversicherung – bestätigt. In Kenntnis seiner wirtschaftlichen Notsituation sei die Klägerin im Rahmen der ihr für die gesamte Versicherungsdauer nach § 6 Abs. 4 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) obliegenden Beratungspflicht dazu verpflichtet gewesen, ihn über ein außerordentliches Kündigungsrecht zu informieren. Die Nachträge zum Versicherungsschein vom 05.11.2009 und vom 09.11.2011 seien ihm nicht zugegangen.

Die Klägerin hält den Einwendungen des Beklagten entgegen, dass ihr ein Kündigungsschreiben von September 2009 zu keinem Zeitpunkt zugegangen sei. Es bestehe auch keine Hinweispflicht der Klägerin auf ein außerordentliches Kündigungsrecht, da sich dieses bereits aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (§ 13 MB-PPV) ergebe. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führe auch nicht per se zu einem Eintritt in die gesetzliche Krankenkasse.

Das Gericht hat eine Auskunft der C Krankenkasse als Rechtsnachfolgerin der vormaligen BKK vom 10.07.2017 eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin kann die Zahlung der streitigen Versicherungsprämien für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 30.04.2012 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten sowie der dem Beklagten erteilten Restschuldbefreiung nicht verlangen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht einem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht bereits die von dem Beklagten behauptete Kündigung des Versicherungsvertrages mit einem Schreiben vom September 2009 entgegen, da sich ein Zugang des behaupteten Kündigungsschreibens mangels Vorlage eines Nachweises durch den Beklagten nicht feststellen lässt. Soweit sich der Beklagte zum Beweis für eine Absendung des Kündigungsschreibens auf das Zeugnis der Frau D beruft, sieht die Kammer keinen Anlass zur Vernehmung der Zeugin. Da kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht, wäre die Aussage der Frau D zum Beweis dafür, dass das Kündigungsschreiben der Klägerin zugegangen ist, untauglich.

Des Weiteren ist auch nicht erwiesen, dass die Klägerin vor Begründung einer Familienversicherung bei der BKK eine Beendigung der privaten Krankenversicherung bzw. Pflegeversicherung gegenüber der BKK seinerzeit bestätigt hat. Das von dem Beklagten zur Begründung seines Vorbringens vorgelegte undatierte Schreiben der BKK, wonach von dieser Krankenkasse eine Mitgliedsbescheinigung der Vorkasse, aus der das Ende der Mitgliedschaft zum 31.12.2009 hervorgeht, angefordert wurde, bietet keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die von der BKK angeforderte Bescheinigung der "Vorkasse" auch tatsächlich von der Klägerin ausgestellt und an die BKK übersandt wurde. Hiergegen spricht auch das an den Beklagten adressierte weitere Schreiben der BKK vom 28.03.2012, mit dem die Krankenkasse (offenbar vor der zwischen den Beteiligten unstreitigen Kündigung des Versicherungsvertrages bei der Klägerin mit Schreiben vom 01.04.2012) den Beklagten zur Vermeidung einer Doppelversicherung auf die Möglichkeit der Kündigung der privaten Krankenversicherung hingewiesen hat. Die Formulierung dieses Schreibens vom 28.03.2012 lässt darauf schließen, dass die BKK entgegen der Angaben des Beklagten nicht schon bereits zum 31.12.2009 über eine Beendigung des Versicherungsvertrages zwischen dem Beklagten und der Klägerin informiert war. Gegen die von dem Beklagten behauptete Bestätigung einer Kündigung durch die Klägerin spricht zudem, dass die C Krankenkasse als Rechtsnachfolgerin der vormaligen BKK auf die ausdrückliche Anfrage des Gerichts mit Schreiben vom 10.07.2017 mitgeteilt hat, dass eine Bestätigung des privaten Versicherungsunternehmens über das Ende der Mitgliedschaft zum 31.12.2009 nicht eingegangen ist.

Entgegen der Auffassung des Beklagten kann dem Anspruch der Klägerin auf die rückständigen Versicherungsprämien auch nicht entgegen gehalten werden, dass diese bei Kenntniserlangung von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine ihr nach § 6 Abs. 4 S. 1 VVG obliegende Beratungspflicht verletzt hat, indem sie ihn nicht auf ein ihm zustehendes Kündigungsrecht hingewiesen habe. Gemäß § 6 Abs. 4 S. 1 VVG muss der Versicherungsgeber, sofern er Anlass hierfür sieht, den Versicherungsnehmer auch nach Vertragsschluss umfassend im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 VVG beraten. Voraussetzung ist, dass für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist. Nach Auffassung der Kammer bestand für die Klägerin kein erkennbarer Anlass, den Beklagten auf ein ihm zustehendes Kündigungsrecht nach § 205 Abs. 2 VVG sowie § 13 Abs. 1 MB-PPV hinzuweisen. Nach diesen Vorschriften kann der Versicherungsnehmer bei Eintritt einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung den privaten Pflegeversicherungsvertrag binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht rückwirkend zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Versicherungspflicht kündigen. Es bestand hier kein erkennbarer Anlass für eine Beratungs- oder Hinweispflicht der Klägerin, weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht automatisch zum Eintritt einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und damit auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung führt. Bezieht nämlich der Versicherungsnehmer – wie im Streitfall – nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Leistungen nach dem SGB II, besteht die Möglichkeit eines Wechsels in den Basistarif der privaten Krankenversicherung und Stellung eines Antrages auf Übernahme der hälftigen Beiträge bei dem zuständigen Sozialversicherungsträger (vgl. hierzu das Urteil des Landgerichts Hagen vom 14.04.2016, Az.: 4 O 412/13 hinsichtlich der von dem Beklagten geschuldeten Krankenversicherungsbeiträge für den streitigen Zeitraum). Ein solcher Wechsel in den Basistarif der Krankenversicherung bei gleichzeitiger Übernahme der hälftigen Beiträge durch den Sozialversicherungsträger führt nach § 110 Abs. 2 S. 3 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) zu einer Reduzierung der Beiträge in der privaten Pflegepflichtversicherung dahingehend, dass der zu entrichtende Beitrag 50 vom Hundert des Höchstbeitrages der sozialen Pflegeversicherung nicht übersteigen darf. Nach § 110 Abs. 2 S. 4 SGB XI zahlt dann der zuständige Sozialversicherungsträger den Beitrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen ist. Die genannten Vorschriften des SGB XI machen deutlich, dass bei Eintritt einer wirtschaftlichen Notlage und Leistungsbezug nach dem SGB II nicht zwingend eine Kündigung des privaten Versicherungsvertrages geboten ist, sondern auch eine Fortführung des privaten Krankenversicherungsvertrages im Basistarif und damit auch des Pflegepflichtversicherungsvertrages in Betracht kommt. Vor diesem Hintergrund war die Klägerin unter Zugrundelegung der Feststellungen des Landgerichts Hagen im Urteil vom 14.04.2016 allenfalls dazu verpflichtet, den Beklagten auf eine Umstellung des Krankenversicherungsvertrages in den Basistarif hinzuweisen. Hinsichtlich des privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages kann der Klägerin die Verletzung einer Beratungspflicht dagegen nicht vorgeworfen werden, da die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.12.2016 zutreffend dargelegt hat, dass die von ihr geforderten streitigen Prämien weniger als 50 % des Höchstbeitrages zur sozialen Pflegeversicherung betragen. Dass für den Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 19.02.2010 eine Familienversicherung bestand, konnte die Klägerin nach Auffassung der Kammer ohne diesbezüglichen konkreten Hinweis des Beklagten nicht erkennen, so dass auch aufgrund dieses Umstands kein Anlass zu einer weitergehenden Beratung bzw. zu einem Hinweis auf ein Kündigungsrecht bestanden hat. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen wäre nach Auffassung der Kammer eine etwaige Verletzung einer Beratungspflicht durch die Klägerin auch nicht ursächlich für den Verbleib des Beklagten in der klägerischen Versicherung, da dem Beklagten nach dessen eigenem Vorbringen bereits durch das Jobcenter zu einer Kündigung geraten worden war und der Beklagte seinen Angaben zufolge die Kündigung bereits im September 2009 erklärt hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich aber bei den streitigen Beiträgen in Höhe von insgesamt 642,88 EUR ungeachtet des Umstandes, dass diese erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden sind, um Forderungen, die dem Insolvenzbeschlag unterliegen und gem. § 87 der Insolvenzordnung (InsO) nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden können.

Grundsätzlich unterliegen zwar Leistungsansprüche aus einer privaten Krankenversicherung nach herrschender Meinung der Pfändungsschutzvorschrift des § 850 b Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO), die über § 36 Abs. 1 InsO im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2014, Az.: IX ZR 163/13; LG Dortmund, Urteil vom 19.01.2012, Az.: 2 O 449/10). Sie sind damit insolvenzfrei und außerhalb der Masse zu befriedigen. Wenn der Erstattungsanspruch des Versicherungsnehmers als eine Hauptleistung aus dem Krankenversicherungsvertrag insolvenzfrei ist, können umgekehrt die vom Versicherungsnehmer geschuldeten Beiträge der Insolvenzmasse nicht als Verbindlichkeiten zur Last fallen, da die Beitragszahlungen die wesentliche Voraussetzung dafür sind, dass der Versicherungsnehmer den nach § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO pfändungsfreien Anspruch gegen den Krankenversicherer erwirbt (vgl. hierzu Rauscher, die Insolvenz des Versicherungsnehmers in der privaten Krankenversicherung, VersR 2014, 297). Folglich verliert der Anspruch eines privaten Krankenversicherers auf Zahlung der Versicherungsbeiträge mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers nicht seine Durchsetzbarkeit und der Anspruch ist vom Schuldner als Neuverbindlichkeit persönlich zu erfüllen. Gleiches muss grundsätzlich auch für Ansprüche aus der privaten Pflegeversicherung gelten (vgl. Rauscher, aaO, Seite 298). Wäre ein Leistungsanspruch aus der privaten Pflegeversicherung zur Masse zu erfüllen, würde das in gleicher Weise wie bei einer Pfändung den Vertragszweck der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit gefährden. Alternativ lässt sich die Unpfändbarkeit von Ansprüchen aus der Pflegeversicherung nach § 850 e Nr. 1 b) ZPO begründen (Rauscher, aaO, Seite 298). Diese Vorschrift ist in § 36 InsO ausdrücklich genannt. Nach ihr sind Beiträge, die der Schuldner an ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung leistet, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens nicht mit zu rechnen, soweit sie den Rahmen des üblichen nicht übersteigen. Nach Auffassung des Gerichts ist als "Unternehmen der privaten Krankenversicherung" im Sinne der vorgenannten Vorschriften auch ein Unternehmen, das neben der privaten Krankenversicherung eine private Pflegeversicherung anbietet. Bei dem Anbieter einer privaten Krankheitskostenversicherung und einer privaten Pflegepflichtversicherung handelt es sich – wie auch bei der Klägerin – um ein und dasselbe Versicherungsunternehmen.

Die vorstehenden Grundsätze sind auf den von der Kammer zu entscheidenden Streitfall jedoch nicht anwendbar, da es zur Überzeugung der Kammer an Billigkeitsgesichtspunkten fehlt, die von der Rechtsprechung zur Herausnahme von Prämienforderungen aus der Insolvenzmasse herangezogen werden. Ein Schutzbedürfnis des Beklagten für einen insolvenzfreien Leistungsanspruch gegen die Klägerin bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit ist nämlich nicht ersichtlich, weil für den Beklagten während des gesamten streitigen Zeitraumes eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Pflegeversicherung zunächst aufgrund einer für den Beklagten bestehenden Familienversicherung und ab 15.07.2010 aufgrund einer Versicherungspflicht als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden hat. Es hat somit für den streitigen Zeitraum eine Doppelversicherung vorgelegen.

Aus § 193 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 VVG ist ein Vorrang der gesetzlichen Krankenversicherung vor der privaten Krankenversicherung abzuleiten und damit auch ein Vorrang der sozialen Pflegeversicherung vor der privaten Pflegeversicherung. Nach § 23 Abs. 1 SGB XI entfällt dann auch die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer privaten Pflegeversicherung bei dem privaten Krankenversicherungsunternehmen. Der vorrangige Anspruch des Beklagten aus der gesetzlichen Pflegeversicherung führt dazu, dass eine Schutzbedürftigkeit des Beklagten im Insolvenzverfahren nicht besteht und eine Zuordnung der von der Klägerin mit der Klage geltend gemachten Beitragsansprüche zum insolvenzfreien Vermögen des Beklagten nicht zu rechtfertigen ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.05.2013, Az.: 12 W 68/12 zu der vergleichbaren Konstellation einer gleichzeitigen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Bestehen einer privaten Krankenversicherung).

Entgegen der Auffassung der Klägerin steht die Entscheidung des BSG vom 19.02.2014 (Az.: IV ZR 163/13) hier nicht entgegen. Nach dieser Entscheidung wird ein privater Krankheitskostenversicherungsvertrag auch dann nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst und unterliegt nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO, wenn zugunsten des Versicherten ein weiterer Krankenversicherungsvertrag existiert. Dies wird damit begründet, dass der Versicherte keinen ausreichenden Schutz hätte, wenn der Insolvenzverwalter nach § 103 InsO Erfüllung verlangen und einen Erstattungsanspruch zur Masse ziehen könnte: Da die Versicherer im Falle der Mehrfachversicherung nach dem auch in der Krankenversicherung gemäß § 194 Abs. 1 S. 1 VVG anwendbaren § 78 Abs. 1 VVG als Gesamtschuldner haften, kann der Versicherungsnehmer oder der Versicherte die Leistung nur einmal verlangen und hätte somit auch gegen den anderen Versicherer keinen Anspruch mehr, wenn der Insolvenzverwalter den Erstattungsbetrag beim ersten Versicherer liquidiert hat. Diese Argumentation ist nach Auffassung der Kammer auf den zu entscheidenden Streitfall nicht zu übertragen, da – anders als in dem durch das BSG entschiedenen Fall – kein Nebeneinander von zwei privaten Versicherungsverträgen besteht, sondern neben einem vertraglichen Anspruch gegen die Klägerin ein weiterer Leistungsanspruch aus der gesetzlichen Pflegeversicherung besteht. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Leistungsfreiheit der gesetzlichen Pflegekasse eintreten könnte, weil der Insolvenzverwalter zuvor schon die vertraglich geschuldete Leistung nach § 103 InsO zur Masse gezogen hat.

Nach allem hat der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis zum 30.04.2012 mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten seine Durchsetzbarkeit verloren. Die aus dem Pflegepflichtversicherungsvertrag resultierenden Verbindlichkeiten gehören zur Insolvenzmasse, da ein insolvenzfreies Schuldverhältnis – wie vorstehend ausgeführt – nicht besteht. Es fehlte danach für die Dauer des Insolvenzverfahrens bereits an einer Passivlegitimation des Beklagten. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist die Klage gegen den Beklagten zwar zulässig, aber nicht begründet, weil dem Beklagten Restschuldbefreiung gewährt wurde. Die durch Beschluss vom 04.04.2016 erteilte Restschuldbefreiung wirkt gem. § 301 Abs.1, Sätze 1 und 2 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger, auch solche, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. Damit sind die streitigen, nicht angemeldeten Prämienforderungen nicht mehr durchsetzbar.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 EUR ist unter Beachtung der Grundentscheidung des Gesetzgebers, wonach die Aufwendungen der Unternehmen der privaten Pflegeversicherung nach § 193 Abs. 4 SGG nicht erstattungsfähig sind, bereits grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.11.2015, Az.: L 6 P 49/14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Aufgrund des Obsiegens des Beklagten hat die Klägerin die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die von der Klägerin bereits gezahlten Gerichtskosten des vorausgegangenen Mahnverfahrens sind von ihr endgültig zu tragen, ohne dass eine Erstattungspflicht des Beklagten besteht.
Rechtskraft
Aus
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