Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 179 AS 5664/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1372/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2018 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Stromschulden des Antragstellers in Höhe von 10.079,86 EUR als Darlehen zu übernehmen und den Forderungsbetrag unmittelbar an das von der Vattenfall Europe Sales GmbH beauftragte Inkassounternehmen zu zahlen. Die einstweilige Anordnung wird davon abhängig gemacht, dass der Antragsteller unverzüglich gegenüber dem Antragsgegner unwiderruflich und schriftlich für die Zeit ab Wiederaufnahme der Stromlieferung für die im Rubrum bezeichnete Unterkunft einer direkten Überweisung von Abschlagszahlungen in Höhe von 75,- EUR monatlich an die Vattenfall Europe Sales GmbH durch den Antragsgegner aus den bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustimmt und sich zugleich schriftlich verpflichtet, dem Antragsgegner seinen monatlichen Stromverbrauch in kWh anhand des neu installierten Zählers jeweils zum Monatsersten des Folgemonats mitzuteilen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Ihm steht ein durch eine gerichtliche Regelungsanordnung iSV § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Übernahme der bei der Vattenfall Europe Sales GmbH aufgelaufenen Gasschulden iHv 10.079,86 EUR (vgl Stromrechnung bis zur Lieferunterbrechung am 15. März 2018 vom 10. April 2018 und Inkassorechnung vom 2. Mai 2018) als Darlehen zu.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig. Der Gesetzgeber hat auf eine beispielhafte Aufzählung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verzichtet, denn das Gericht soll ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eine Einzelfallentscheidung treffen (vgl BTDrucks 14/5943, S 25). Damit begrenzt der Gesetzgeber den einstweiligen Rechtsschutz nicht auf die Beeinträchtigung bestimmter formaler Rechtspositionen, sondern verlangt eine wertende Betrachtung im konkreten Einzelfall. Entsprechend haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des Eilrechtsschutzes zur Übernahme von Energiekostenschulden auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des insoweit einschlägigen § 22 Abs. 8 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Daher ist bei der Prüfung, ob neben einem Anordnungsanspruch ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art eine Unterbrechung der Energieversorgung gerade für den oder die Betroffenen hätte.
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers kommt nur § 22 Abs. 8 SGB II in Betracht. Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Es ist allgemein anerkannt, dass vom Regelungsgehalt dieser Vorschrift nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine Übernahme von sonstigen Schulden – insbesondere auch der hier streitigen Stromkostenrückstände – erfasst werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Trägers. Dieses Ermessen verdichtet sich zu einem sogenannten gebundenen Ermessen, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II vorliegen. Danach sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. In diesem Fall sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II).
Ausgangspunkt dieser Regelung ist der Grundsatz, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Deckung eines gegenwärtigen Bedarfes dient. Grundsätzlich werden also im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II – ebenso wenig wie im Sozialhilferecht – keine Schulden übernommen. § 22 Abs. 8 SGB II stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Übernahme von Miet- bzw Energiekostenschulden erfolgt aber nicht allgemein zur finanziellen Entlastung des Berechtigten, sondern ausschließlich wegen einer gegenwärtigen drohenden Notlage, nämlich weil sonst der Verlust der Wohnung bzw eine dem Verlust der Wohnung gleichzustellende Sperrung der Energieversorgung eintreten würde. Die Schuldenübernahme muss dementsprechend zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt und notwendig sein. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt, wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung des SGB II-Trägers zur – regelmäßig - darlehensweisen Übernahme der Schulden nur dann erfolgen können, wenn die zu treffende Ermessensentscheidung für den Antragsteller voraussichtlich positiv ausfallen wird. Bei der gebotenen Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden Würdigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der betroffene Personenkreis, die Frage der Betroffenheit von kleinen Kindern oder kranken und behinderten Menschen, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe. In dieser Gesamtschau kann es von Bedeutung sein, ob ausnahmsweise der Leistungsberechtigte ein missbräuchliches Verhalten an den Tag gelegt hat. Dieser Umstand könnte uU anzunehmen sein, wenn der Hilfesuchende seine Mieten oder Energiekostenabschläge bewusst im Vertrauen darauf nicht zahlt, dass diese später doch vom Leistungsträger darlehensweise übernommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) tritt bei der Gesamtabwägung nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II indes auch ein wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit mitverursacht haben mag, regelmäßig zurück (vgl BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 68/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 41 – Rn 31). Denn Miet- oder Energiekostenschulden werden in aller Regel durch ein (ggf nicht nachvollziehbares) Fehlverhalten des Leistungsberechtigten entstanden sein und die Regelung zur Schuldenübernahme würde ansonsten leerlaufen. Etwas anderes kann jedoch gelten in Missbrauchsfällen bei gezielter Herbeiführung von Miet- bzw Energierückständen, wenn es trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit wiederholt zu Rückständen gekommen und kein Selbsthilfewille erkennbar ist. Von einem derartigen sozialwidrigen und verantwortungslosen Verhalten des Antragstellers geht der Senat im vorliegenden Fall indes nicht aus, wobei hierzu im Hauptsacheverfahren ergänzende Sachermittlungen anzustellen sein werden.
Der Antragsteller hat die in Rede stehende Unterkunft im Oktober 2014 bezogen und augenscheinlich anfangs auch die Stromkosten beglichen, da vorliegend der Versorger Rückstände seit 30. Dezember 2015 geltend macht. Die am 7. März 2018 erfolgte Stromsperre steht einem Verlust der Wohnung gleich (vgl Berlit in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 Rn 255). Zwar ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend aufzuklären, weshalb keine Abschlagszahlungen mehr erfolgten und wo der immense, mit Vergleichshaushalten nicht annähernd vergleichbare Stromverbrauch des Antragstellers im Umfang von jährlich zuletzt mehr als 13.000 kWh (!) bei festgesetzten Abschlagszahlungen iHv mtl 647.- EUR (!) herrührt, für den der Antragsteller den am 15. März 2018 ausgewechselten alten Stromzähler verantwortlich macht. Ebenso bedarf weiterer Aufklärung, ob der Antragsteller – wie er in der Beschwerdeschrift behauptet - in den hier in Rede stehenden Jahren 2015 bis 2017 aus Krankheitsgründen möglicherweise nicht in der Lage war, seine persönlichen Dinge zu regeln. Zumindest ein missbräuchliches gezieltes Herbeiführen der Stromschulden kann dem Antragsteller derzeit indes nicht ohne weiteres vorgeworfen werden, zumal nicht ersichtlich ist, dass es in der Vergangenheit schon zur Übernahme von Energieschulden gekommen war. Es dürfte auch nicht von verwertbaren Vermögensgegenständen auszugehen sein, die eine Schuldentilgung ermöglichen würden.
Der Senat hat bei der im Ergebnis vorzunehmenden Folgenabwägung berücksichtigt, dass der Sicherung der Stromversorgung und damit der Sicherung einer zu Wohnzwecken dienenden Unterkunft aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz ein überragender Stellenwert zukommt. Bei einer Ablehnung des Antrags bestünde zudem die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigungen und eines nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit des Antragstellers, die unter dem besonderen Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung steht (vgl Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz). Der Anordnungsgrund ergibt sich dabei ohne weiteres aus der bereits erfolgten Stromsperre, die vom Versorger erst nach einer vollständigen Begleichung der Schulden wieder aufgehoben wird. Eine realistische Annahme, durch einen Strombelieferungsvertrag mit einem anderen Versorger die Stromversorgung wieder zu gewährleisten, besteht nicht, da die Aufnahme der Versorgung die Einwilligung des Grundversorgers voraussetzt.
Die Übernahme der Stromschulden hat entsprechend § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II als Darlehen zu erfolgen. In Anwendung von § 22 Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 Nr. 2 SGB II war der Antragsgegner zur Zahlung an den Versorger bzw hier an das beauftragte Inkassounternehmen zu verpflichten, weil Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die zweckentsprechende Verwendung durch den Antragsteller nicht gesichert ist.
Die Übernahme der Energiekostenrückständen kann von flankierenden Maßnahmen abhängig gemacht werden, die dem Auflaufen weiterer Rückständen entgegenwirken, zB der Einwilligung in die Direktüberweisung von Vorauszahlungen an das Energieversorgungsunternehmen. Das Gericht macht vorliegend von der in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 938 Zivilprozessordnung (ZPO) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, zum Erreichen des Zwecks der Regelungsanordnung diese von Mitwirkungshandlungen des Antragstellers abhängig zu machen. Die dauerhafte Versorgung mit Strom und damit der Erhalt der Wohnung, der Zweck der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II sein muss, kann nur erreicht werden, wenn der Antragsteller bereit ist, einer direkten Überweisung der Abschlagszahlungen an den Stromversorger zuzustimmen und so ein weiteres Verfahren darüber, ob der zuständige Träger dazu auch ohne seine Zustimmung berechtigt wäre, zu vermeiden. Zudem ist der Antragsteller zu einem wirtschaftlichen Verbrauchsverhalten anzuhalten, umso mehr, nachdem nun durch Installation eines neuen Zählers der von ihm angeschuldigte Grund für den nicht annähernd nachvollziehbaren Stromverbrauch entfallen sein dürfte. Für die abzuzweigende Abschlagshöhe hat sich der Senat am durchschnittlichen Verbrauchsverhalten eines Ein-Personen-Haushaltes iHv jährlich 2050 kWh orientiert (vgl Vergleichstabelle in der Stromrechnung vom 10. April 2018), was monatlich etwa 171 kWh entspricht. Zzgl des Jahresgrundpreises und der zu entrichtenden Steuern erscheinen insoweit Abschläge iHv mtl 75,- EUR angemessen. Zudem wird dem Antragsteller aufgegeben, dem Antragsgegner seinen mtl Zählerstand mitzuteilen, um diesem bei Fortsetzung eines ggfs unwirtschaftlichen Verbrauchsverhaltens des Antragstellers die Möglichkeit zu geben, ggfs eine erneute Schuldenübernahme abzuwenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war abzulehnen, weil der Antragsteller auf den ausgeworfenen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner verwiesen werden kann. Gleiches gilt für das erstinstanzliche Verfahren, so dass die PKH-Beschwerde zurückzuweisen war.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Ihm steht ein durch eine gerichtliche Regelungsanordnung iSV § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anordnungsanspruch auf Übernahme der bei der Vattenfall Europe Sales GmbH aufgelaufenen Gasschulden iHv 10.079,86 EUR (vgl Stromrechnung bis zur Lieferunterbrechung am 15. März 2018 vom 10. April 2018 und Inkassorechnung vom 2. Mai 2018) als Darlehen zu.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig. Der Gesetzgeber hat auf eine beispielhafte Aufzählung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verzichtet, denn das Gericht soll ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eine Einzelfallentscheidung treffen (vgl BTDrucks 14/5943, S 25). Damit begrenzt der Gesetzgeber den einstweiligen Rechtsschutz nicht auf die Beeinträchtigung bestimmter formaler Rechtspositionen, sondern verlangt eine wertende Betrachtung im konkreten Einzelfall. Entsprechend haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des Eilrechtsschutzes zur Übernahme von Energiekostenschulden auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des insoweit einschlägigen § 22 Abs. 8 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Daher ist bei der Prüfung, ob neben einem Anordnungsanspruch ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art eine Unterbrechung der Energieversorgung gerade für den oder die Betroffenen hätte.
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers kommt nur § 22 Abs. 8 SGB II in Betracht. Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Es ist allgemein anerkannt, dass vom Regelungsgehalt dieser Vorschrift nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine Übernahme von sonstigen Schulden – insbesondere auch der hier streitigen Stromkostenrückstände – erfasst werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Trägers. Dieses Ermessen verdichtet sich zu einem sogenannten gebundenen Ermessen, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II vorliegen. Danach sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. In diesem Fall sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II).
Ausgangspunkt dieser Regelung ist der Grundsatz, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Deckung eines gegenwärtigen Bedarfes dient. Grundsätzlich werden also im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II – ebenso wenig wie im Sozialhilferecht – keine Schulden übernommen. § 22 Abs. 8 SGB II stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Übernahme von Miet- bzw Energiekostenschulden erfolgt aber nicht allgemein zur finanziellen Entlastung des Berechtigten, sondern ausschließlich wegen einer gegenwärtigen drohenden Notlage, nämlich weil sonst der Verlust der Wohnung bzw eine dem Verlust der Wohnung gleichzustellende Sperrung der Energieversorgung eintreten würde. Die Schuldenübernahme muss dementsprechend zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt und notwendig sein. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 22 Abs. 8 SGB II erfüllt, wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung des SGB II-Trägers zur – regelmäßig - darlehensweisen Übernahme der Schulden nur dann erfolgen können, wenn die zu treffende Ermessensentscheidung für den Antragsteller voraussichtlich positiv ausfallen wird. Bei der gebotenen Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden Würdigung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der betroffene Personenkreis, die Frage der Betroffenheit von kleinen Kindern oder kranken und behinderten Menschen, das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe. In dieser Gesamtschau kann es von Bedeutung sein, ob ausnahmsweise der Leistungsberechtigte ein missbräuchliches Verhalten an den Tag gelegt hat. Dieser Umstand könnte uU anzunehmen sein, wenn der Hilfesuchende seine Mieten oder Energiekostenabschläge bewusst im Vertrauen darauf nicht zahlt, dass diese später doch vom Leistungsträger darlehensweise übernommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) tritt bei der Gesamtabwägung nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II indes auch ein wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit mitverursacht haben mag, regelmäßig zurück (vgl BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 68/09 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 41 – Rn 31). Denn Miet- oder Energiekostenschulden werden in aller Regel durch ein (ggf nicht nachvollziehbares) Fehlverhalten des Leistungsberechtigten entstanden sein und die Regelung zur Schuldenübernahme würde ansonsten leerlaufen. Etwas anderes kann jedoch gelten in Missbrauchsfällen bei gezielter Herbeiführung von Miet- bzw Energierückständen, wenn es trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit wiederholt zu Rückständen gekommen und kein Selbsthilfewille erkennbar ist. Von einem derartigen sozialwidrigen und verantwortungslosen Verhalten des Antragstellers geht der Senat im vorliegenden Fall indes nicht aus, wobei hierzu im Hauptsacheverfahren ergänzende Sachermittlungen anzustellen sein werden.
Der Antragsteller hat die in Rede stehende Unterkunft im Oktober 2014 bezogen und augenscheinlich anfangs auch die Stromkosten beglichen, da vorliegend der Versorger Rückstände seit 30. Dezember 2015 geltend macht. Die am 7. März 2018 erfolgte Stromsperre steht einem Verlust der Wohnung gleich (vgl Berlit in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 Rn 255). Zwar ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend aufzuklären, weshalb keine Abschlagszahlungen mehr erfolgten und wo der immense, mit Vergleichshaushalten nicht annähernd vergleichbare Stromverbrauch des Antragstellers im Umfang von jährlich zuletzt mehr als 13.000 kWh (!) bei festgesetzten Abschlagszahlungen iHv mtl 647.- EUR (!) herrührt, für den der Antragsteller den am 15. März 2018 ausgewechselten alten Stromzähler verantwortlich macht. Ebenso bedarf weiterer Aufklärung, ob der Antragsteller – wie er in der Beschwerdeschrift behauptet - in den hier in Rede stehenden Jahren 2015 bis 2017 aus Krankheitsgründen möglicherweise nicht in der Lage war, seine persönlichen Dinge zu regeln. Zumindest ein missbräuchliches gezieltes Herbeiführen der Stromschulden kann dem Antragsteller derzeit indes nicht ohne weiteres vorgeworfen werden, zumal nicht ersichtlich ist, dass es in der Vergangenheit schon zur Übernahme von Energieschulden gekommen war. Es dürfte auch nicht von verwertbaren Vermögensgegenständen auszugehen sein, die eine Schuldentilgung ermöglichen würden.
Der Senat hat bei der im Ergebnis vorzunehmenden Folgenabwägung berücksichtigt, dass der Sicherung der Stromversorgung und damit der Sicherung einer zu Wohnzwecken dienenden Unterkunft aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz ein überragender Stellenwert zukommt. Bei einer Ablehnung des Antrags bestünde zudem die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigungen und eines nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit des Antragstellers, die unter dem besonderen Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung steht (vgl Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz). Der Anordnungsgrund ergibt sich dabei ohne weiteres aus der bereits erfolgten Stromsperre, die vom Versorger erst nach einer vollständigen Begleichung der Schulden wieder aufgehoben wird. Eine realistische Annahme, durch einen Strombelieferungsvertrag mit einem anderen Versorger die Stromversorgung wieder zu gewährleisten, besteht nicht, da die Aufnahme der Versorgung die Einwilligung des Grundversorgers voraussetzt.
Die Übernahme der Stromschulden hat entsprechend § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II als Darlehen zu erfolgen. In Anwendung von § 22 Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 Nr. 2 SGB II war der Antragsgegner zur Zahlung an den Versorger bzw hier an das beauftragte Inkassounternehmen zu verpflichten, weil Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die zweckentsprechende Verwendung durch den Antragsteller nicht gesichert ist.
Die Übernahme der Energiekostenrückständen kann von flankierenden Maßnahmen abhängig gemacht werden, die dem Auflaufen weiterer Rückständen entgegenwirken, zB der Einwilligung in die Direktüberweisung von Vorauszahlungen an das Energieversorgungsunternehmen. Das Gericht macht vorliegend von der in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 938 Zivilprozessordnung (ZPO) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, zum Erreichen des Zwecks der Regelungsanordnung diese von Mitwirkungshandlungen des Antragstellers abhängig zu machen. Die dauerhafte Versorgung mit Strom und damit der Erhalt der Wohnung, der Zweck der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II sein muss, kann nur erreicht werden, wenn der Antragsteller bereit ist, einer direkten Überweisung der Abschlagszahlungen an den Stromversorger zuzustimmen und so ein weiteres Verfahren darüber, ob der zuständige Träger dazu auch ohne seine Zustimmung berechtigt wäre, zu vermeiden. Zudem ist der Antragsteller zu einem wirtschaftlichen Verbrauchsverhalten anzuhalten, umso mehr, nachdem nun durch Installation eines neuen Zählers der von ihm angeschuldigte Grund für den nicht annähernd nachvollziehbaren Stromverbrauch entfallen sein dürfte. Für die abzuzweigende Abschlagshöhe hat sich der Senat am durchschnittlichen Verbrauchsverhalten eines Ein-Personen-Haushaltes iHv jährlich 2050 kWh orientiert (vgl Vergleichstabelle in der Stromrechnung vom 10. April 2018), was monatlich etwa 171 kWh entspricht. Zzgl des Jahresgrundpreises und der zu entrichtenden Steuern erscheinen insoweit Abschläge iHv mtl 75,- EUR angemessen. Zudem wird dem Antragsteller aufgegeben, dem Antragsgegner seinen mtl Zählerstand mitzuteilen, um diesem bei Fortsetzung eines ggfs unwirtschaftlichen Verbrauchsverhaltens des Antragstellers die Möglichkeit zu geben, ggfs eine erneute Schuldenübernahme abzuwenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war abzulehnen, weil der Antragsteller auf den ausgeworfenen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner verwiesen werden kann. Gleiches gilt für das erstinstanzliche Verfahren, so dass die PKH-Beschwerde zurückzuweisen war.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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