S 44 AL 322/18 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
44
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 44 AL 322/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Der zulässige Antrag, mit dem die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine Förderung der beruflichen Weiterbildung zur staatlich anerkannten Kosmetikerin zu bewilligen, bleibt ohne Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Nach der maßgeblichen Vorschrift des § 81 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und 3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind. Gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 SGB III wird dem Arbeitnehmer das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung bescheinigt (Bildungsgutschein).

Ein Anspruch auf eine Förderung der beruflichen Weiterbildung ist unabhängig vom Vorliegen der weiteren Voraussetzungen bereits deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil die Bewilligung dieser Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht. In diesem Bereich ist eine einstweilige Anordnung nur möglich, wenn allein eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht sein kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rz. 30a m.w.N.; s.a. Landessozialgericht [LSG] Hamburg, Beschluss vom 14.12.2010 – L 5 AL 830/10 B ER –), es sich bei der angestrebten Weiterbildung also um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - L 14 AL 174/11 B ER, juris). Dies ist der Fall, wenn jede andere Entscheidung sich zwingend als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig darstellen würde (LSG Hamburg, Urteil vom 21. Januar 2015 – L 2 AL 37/12 –, Rz. 31, juris unter Hinweis auf Hessisches LSG, Beschluss vom 5. April 2012 - L 7 AS 46/12 B ER, L 7 AS 47/12 B, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2010 - L 6 AS 842/10 B, juris; allgemein etwa Just in: Hauck/Noftz, SGB I, § 39 Rz. 18).

Für selbstbeschaffte Ermessensleistungen ist im Rahmen des Anspruches auf Kostenerstattung zu verlangen, dass eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 21. Januar 2015 a.a.O.). Dies ist sachgerecht, da anderenfalls der Leistungsberechtigte durch die Selbstbeschaffung das der Behörde gesetzlich eingeräumte Ermessen beschränken und die Behörde vor vollendete Tatsachen stellen könnte (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2016 – L 2 AL 54/10 –, Rn. 39 - 40, juris).

Das Vorliegen eines derartigen Falles der "Ermessensreduzierung auf Null" ist jedoch nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht glaubhaft gemacht worden. Eine solche Ermessensreduzierung wäre dann gegeben, wenn es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zuließen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2016, a.a.O, unter Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 04. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 -, SozR 1300 § 45 Nr 34, BSGE 63, 37-43). Die begehrte Umschulung zur staatlich anerkannten Kosmetikerin müsste also die einzig rechtlich mögliche Entscheidung gewesen sein. Da der Behörde erkennbar ein Auswahlermessen (§ 7 Satz 1 SGB III) unter verschiedenen geeigneten Weiterbildungsmaßnahmen zur Verfügung steht, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen nur hätte dahingehend ausüben können, der Antragstellerin die begehrte Umschulung zu finanzieren und jede andere Entscheidung rechtsfehlerhaft gewesen wäre. Aus den Darlegungen im hiesigen Eil- und Hauptsacheverfahren ist nicht zu schließen, dass allein die Förderung einer beruflichen Bildungsmaßnahme als Kosmetikerin die berufliche Wiedereingliederung der Antragstellerin ermöglichen würde.

Ebenso wenig sind Ermessensfehler erkennbar. Bei der Bewirtschaftung ihrer Mittel zur Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen steht der Antragsgegnerin ein weiter Ermessensspielraum zu, der der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 54 Abs. 2 SGG nur eingeschränkt unterliegt (vgl. SG Hamburg, Beschluss vom 2.9.2005 – Az. S 52 AS 859/05 ER). Anhaltspunkte für eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens durch die Antragsgegnerin sind nicht erkennbar. Auch hat die Antragsgegnerin von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung in § 81 SGB III entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und dabei die ermessensleitenden Vorschriften in § 7 SGB III beachtet. Es liegt nicht außerhalb des Rahmens und des Zwecks der Ermächtigung, wenn sich die Antragsgegnerin bei dem Einsatz ihrer Mittel zur Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen davon leiten lässt, mit welchem erworbenen Berufsabschluss eine möglichst hohe und langfristige, möglichst dauerhafte Integrationschance verbunden ist. Ob in der Person der Antragstellerin Gründe liegen, welche die Förderung der Umschulung ausschließlich als Kosmetikerin erforderlich machen, hat die Beklagte erwogen, aber nicht gesehen. Diese Erwägungen orientieren sich an dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, Arbeitslosigkeit zu verhindern bzw. zu beseitigen und die berufliche Eingliederung zu fördern.

Andere Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragstellerin, insbesondere nicht daraus, dass ein eigener durchgeführter Stellensuchlauf für Stellen über den Raum Hamburg hinaus noch insgesamt 1506 freie Stellen im Bereich Kosmetiker, 271 freie Stellen im Bereich Kosmetikverkäufer und 459 freie Stellen im Bereich der Fußpflege ergeben hat. Unabhängig von der Frage, ob in diesem Stellensuchlauf tatsächlich Stellen vorhanden sind, die der Antragstellerin zumutbar zugewiesen werden könnten, berücksichtigt dies nicht den Umstand, dass es bei der Frage der Ermessensreduzierung auf Null darum geht, dass die Förderung zur staatlich anerkannten Kosmetikerin die einzig rechtlich mögliche Entscheidung gewesen sein muss. Dies ist aus den zuvor dargelegten Gründen nicht der Fall. Der Vortrag der Antragstellerin schließt weder aus, dass es andere geeignete Maßnahmen zu ihrer Wiedereingliederung gibt, noch hat sie glaubhaft gemacht, dass sie ohne diese Weiterbildungsmaßnahme nicht in anderer Form auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen kann. Die Antragsgegnerin ist aus den dargelegten Gründen nicht verpflichtet, jede zielführende Wunschausbildung zu finanzieren. Vielmehr ist ihr im Hinblick auf die Interessen der Versichertengemeinschaft ein erhebliches Mitspracherecht bei der Auswahl der zu fördernden Maßnahmen zuzugestehen, welches sie nach der Entscheidung der Antragstellerin die Umschulung in Eigenregie durchzuführen nicht mehr ausüben konnte.

Andere Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem behaupteten Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sich in der Klasse der Antragstellerin andere Schülerinnen befinden, die entweder von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter gefördert werden. Eine Ungleichbehandlung liegt nicht vor. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidungsgründe des LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2016, a.a.O., Rz. 43, 44, juris), denen es sich nach eigener Prüfung anschließt:

"Art. 3 Abs. 1 GG würde es übertragen auf den vorliegenden Fall allenfalls gebieten, dass die Beklagte eine Umschulung der Klägerin zumindest in Betracht zieht und der Klägerin nicht aus willkürlichen Gründen eine solche vorenthält. Dies wäre ausschließlich dann der Fall, wenn sich die Behandlung der Klägerin durch die Beklagte als willkürlich darstellen würde. Eine willkürliche Entscheidung zeichnet sich indessen dadurch aus, dass sie aufgrund sachfremder Erwägungen getroffen wird. Dies war hier gerade nicht der Fall. Vielmehr hat sich die Beklagte mit dem Einzelfall auseinandergesetzt und ist dabei zu der nicht zu beanstandenden Entscheidung gelangt, dass eine Weiterbildung der Klägerin zur Call Center Agentin (hier: Kauffrau Groß- und Außenhandel, Einzelhandel, Verkehr, Lagerei und Gastgewerbe, Erzieher) aus Sicht der Versichertengemeinschaft - aufgrund des wesentlich geringeren zeitlichen und finanziellen Aufwandes - vorzugswürdig ist. Diese Entscheidung entspricht den in § 7 SGB III aF festgeschriebenen Gesetzeszwecken und ist erkennbar nicht willkürlich. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass andere Personen im Gegensatz zu ihr gefördert wurden, begründet allein diese Tatsache keinen Anspruch der Klägerin ebenfalls gefördert zu werden. Sollten insoweit andere Personen zu Unrecht gefördert worden sein, bedeutet dies nicht, dass die Klägerin aus Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls eine an sich nicht zustehende Leistung beanspruchen könnte. Gleiches gilt selbst dann, wenn ein Fall existierte, in welchem derselbe Sachverhalt zu Grunde - persönliche Voraussetzungen und die sonstigen Umstände sind identisch mit den bei der Klägerin vorliegenden - liegt. Schließlich kann ein Anspruch im Rahmen der Leistungsverwaltung schon deshalb nicht unbeschränkt bestehen, da der Beklagten keine unerschöpflichen Mittel zur Verfügung stehen."

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) war abzulehnen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf PKH gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Insoweit wird auf die soeben erfolgten Ausführungen verwiesen.
Rechtskraft
Aus
Saved