L 4 KR 2059/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 3867/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2059/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2015 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch der Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 2014 verstorbenen Ehemanns (Versicherter) Kostenerstattung für ambulante Behandlungen mit alternativer Krebstherapie in Form einer in der Universitätsklinik F. bei Prof. Dr. V. durchgeführten transarteriellen Chemoembolisation (TACE-Behandlung, lokale Chemotherapie), einer Immuntherapie bei Prof. Dr. G. sowie einer Ganzkörperhyperthermie und zusätzlicher lokaler Hyperthermie bei Dr. H. in der F.-klinik in S ...

Der Versicherte war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Juli 2009 wurde bei ihm ein in die Leber metastasierendes Rektumkarzinom festgestellt. Nach einem operativen Eingriff erfolgten mehrere palliative Chemotherapien bis August 2011. Im Mai 2011 zeigte sich eine Zunahme der Größe der Lebermetastasen, eine weitere Metastase im 5./6. Lebersegment.

I.

Der Versicherte stellte sich am 13. Oktober 2011 bei Prof. Dr. V. in der Universitätsklinik in F. vor. Vom 25. Oktober 2011 bis 5. Dezember 2012 wurde dort ambulant eine mehrfache Chemoembolisation (TACE) der hepatischen und pulmonalen Metastasen mit anschließender Thermoablation durchgeführt.

Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin Dr. T. (vom 20. Oktober 2011) beantragte der Versicherte am 24. Oktober 2011 die Kostenübernahme für eine lokale Chemotherapie der Leber und Lunge bei Prof. Dr. V ... Im beigefügten Schreiben des Prof. Dr. V. (vom 19. Oktober 2011) führte dieser aus, es sei eine TACE geplant. Im Moment seien mindestens drei bis vier Therapiesitzungen im Abstand von vier Wochen geplant, wobei jeweils Kosten in Höhe von ca. EUR 4.000,00 bis 5.000,00 anfielen. Durch die lokale Chemotherapie solle eine Größenreduktion hepatischer Filiae erzielt werden. Bei der Alternative einer systemischen Chemotherapie sei aufgrund der Vorerkrankungen eine Reduzierung des Allgemeinzustandes des Versicherten zu erwarten. Im Übrigen sei eine systemische Chemotherapie um ein Vielfaches teurer und mit einer höheren Komplikationsrate verbunden.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Erstattung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Dr. Sc. führte in seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 18. November 2011 aus, bei der beantragten Methode handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Anerkannter Therapiestandard sei TACE lediglich bei Patienten mit primären Leberzellkarzinomen. Sie werde angewendet bei Patienten, die ausschließlich in der Leber Tumore aufwiesen, die nicht operativ entfernt werden könnten oder bei denen ein zu hohes Risiko für eine Operation bestehe. Patienten mit metastasierten Tumoren, bei denen mehrere Organe betroffen seien, würden grundsätzlich mit systemischer Chemotherapie behandelt. Nur so könnten alle Tumorherde erreicht werden. Ein lokalisiertes Behandlungskonzept sei beim Versicherten schon vom Ansatz her fragwürdig. Es bestehe eine lebensbedrohliche Erkrankung. In Frage käme bei dem weit fortgeschrittenen Krankheitsbild gegebenenfalls noch eine systemische Therapie im Rahmen einer Studie an einem Universitätsklinikum, wo die TACE unter geeigneten Bedingungen stationär erfolgen könne. Da beim Versicherten zusätzlich noch Lungenmetastasen vorlägen, die von der beantragten Methode unbeeinflusst blieben, könne von einer spürbar positiven Entwicklung auf den Krankheitsverlauf oder gar von einer Heilung nicht ausgegangen werden.

Mit Bescheid vom 24. November 2011 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte den Antrag des Versicherten auf die Kostenübernahme für eine lokale Chemotherapie der Leber und Lunge bei Prof. Dr. V. unter Berufung auf das Gutachten des MDK ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2012 zurück. Anerkannter Therapiestandard sei die TACE lediglich bei Patienten mit primären Leberzellkarzinomen. Sie sei eine therapeutische Methode, die stationär in Vertragskliniken auch in Baden-Württemberg durchgeführt werden könne. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) werde sie nicht als Methode im Krankenhaus ausgeschlossen. Ausweislich des beigezogenen Grundsatzgutachtens des Prof. Dr. He. des Kompetenzzentrums Onkologie beim MDK Nordrhein vom 22. Mai 2007 könne die beantragte Leistung ambulant über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) abgerechnet werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die Leistung durch einen zugelassenen oder ermächtigten behandelnden Arzt erbracht werde. Zudem seien die Kriterien der Kostenübernahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG; Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris) insoweit nicht erfüllt, als für die Behandlung des Rektumkarzinoms eine dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Therapie vorhanden sei. Es handle sich nicht um eine seltene Erkrankung, die nicht systematisch erforscht war sei.

Der Versicherte erhob am 22. Juni 2012 gegen den die Kostenübernahme für eine lokale Chemotherapie der Leber und Lunge bei Prof. Dr. V. ablehnenden Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht Reutlingen (S 1 KR 1728/12), welches sich mit Beschluss vom 10. Juli 2012 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwies. Dort wurde der Rechtsstreit zunächst unter dem Aktenzeichen S 26 KR 3867/12, später S 10 KR 3867/12 geführt. Mit seiner Klage machte der Versicherte zunächst die Erstattung der Kosten für bereits durchgeführte ambulante TACE-Behandlungen geltend; zudem begehrte er, zukünftige weitere TACE-Behandlungen als Sachleistung zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung des SG wurde begehrt, die angefallenen Kosten (ohne Angabe eines bezifferten Betrags) der ambulanten TACE-Behandlung zu erstatten. Zur Begründung machte der Versicherte geltend, die bisherigen konservativen Chemotherapien hätten zu keinem Erfolg geführt. Ihm stehe ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ambulante TACE-Behandlung zu. Prof. Dr. V. habe bestätigt, dass die streitgegenständliche Methode minimalinvasiv sei, und damit den allgemeinen Zustand des Patienten nicht erheblich beeinträchtige und sein (des Versicherten) Leben deutlich verlängern könne. Ein Verweis auf Versuchsprogramme oder mögliche Studien sei ihm nicht zumutbar. Zudem bestätigten Dr. T. und Onkologe Just, dass sich sein (des Versicherten) Allgemeinzustand durch die TACE-Behandlung deutlich gebessert habe und er austherapiert gewesen sei. Die entstandenen Behandlungskosten von EUR 30.751,49 (bis September 2012) seien ebenso zu erstatten wie die ärztlicherseits durch Prof. Dr. V. für erforderlich gehaltenen Übernachtungen nach durchgeführter Behandlung, die Kosten für die Anwesenheit einer Begleitperson und Fahrtkosten i.H.v. EUR 1.890,00 (450 km × 14 Behandlungen x EUR 0,30). Das Gutachten des Onkologen Prof. Dr. D. (dazu später) sei nicht geeignet, eine Klageabweisung zu begründen. Vielmehr werde das Klagebegehren aus den tatsächlichen Umständen getragen. Bei ihm als tödlich erkrankten Versicherten zeigten schulmedizinische Behandlungsmethoden keinen Erfolg, ein solcher sei dagegen nach den angewendeten alternativen Behandlungen deutlich erkennbar gewesen.

Der Versicherte legte Rechnungen für Behandlungen und Lieferungen der Krankenhausapotheke für ambulante Patienten sowie Belege für Übernachtungen in einem Hotel für die Zeit vom 25. Oktober 2011 bis 19. Oktober 2012 vor. Diesbezüglich wird auf Blatt 53 bis 73 der Akte des SG Stuttgart (S 10 KR 3867/12) verwiesen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG befragte Prof. Dr. V. als sachverständigen Zeugen. Dieser führte unter dem 6. Februar 2013 aus, durch die regionale Chemoperfusion habe ein Downsizing und eine Devaskularisation erreicht werden können. Zur Behandlung des Versicherten hätten 2011 als Therapieoption eine erneute regionale systemische Chemotherapie auch mit Einsatz modifizierter Medikamente zur Verfügung gestanden. Bei Nichtansprechen auf die systemische Chemotherapie sei eine TACE indiziert gewesen. Die Zielsetzung sei primär palliativ gewesen, bei gutem lokalen Ansprechen jedoch potentiell auch kurativ betreffend die Leber. Seiner Auskunft fügte er die von ihm erstellten Arztbriefe bei.

II.

Der Versicherte stellte sich am 16. Dezember 2010 erstmals bei Prof. Dr. G., der eine "Privatpraxis" mit dem Schwerpunkt immunologische Krebstherapien betreibt, vor. Dort erfolgten unter anderem Immun-(Thymus-)therapie, Sauerstofftherapie mit 95 % Sauerstoff, Neuraltherapie und Akkupunktur. Zur Anwendung kamen auch Thymuspeptide.

Der Versicherte beantragte unter dem 23. Januar 2013 Erstattung der Kosten für die "seit Dezember 2010" bei Prof. Dr. G. durchgeführte "Immuntherapie". Die durchgeführte und für die Zukunft begehrte Therapie wirke sich spürbar positiv auf seine Gesundheit aus und sei im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98– juris) von der Beklagten zu tragen. Auf Anfrage der Beklagten (Schreiben vom 30. Januar 2013) legte der Versicherte am 1. März 2013 ein ärztliches Gutachten des Prof. Dr. G. vom 24. Februar 2013 vor. Darin machte dieser Angaben zu den erfolgten Behandlungen und führte aus, die Schwere der Erkrankung und die rasante Progression in 2010 zeigten ausdrucksvoll, in welcher Lebenskrise der Versicherte stecke und wie dringlich die aufgeführten Therapien nötig gewesen und weiterhin seien.

Die Beklagte beauftrage den MDK mit der Erstattung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Dr. Sc. führte unter dem 12. März 2013 aus, zwar liege beim Versicherten eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Allerdings stünden leitliniengerechte vertragliche qualitative Therapien zur Verfügung. Bei den durchgeführten Therapien ("Sauerstoffüberflutungstherapie", Neuraltherapie, Gabe von Thymuspeptiden und Akupunktur) sei ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht worden bzw. die Akupunktur als Therapie vom GBA vertraglich von der Versorgung explizit ausgenommen worden.

Mit Bescheid vom 19. März 2013 lehnte die Beklagte die begehrte Kostenübernahme für die Thymustherapie, Sauerstoffüberflutungstherapie und Neuraltherapie sowie Akupunktur ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss unter Berufung auf das Gutachten des Dr. Sc. vom 12. März 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2013 zurück. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Immuntherapie. Die Kriterien der Kostenübernahme im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG seien nicht erfüllt, da mit der Chemotherapie für die Behandlung eine dem allgemein medizinischen Standard entsprechende Therapie vorhanden sei. Im Übrigen scheitere die Kostenübernahme für die Zeit von 2010 bis 2012 bereits am fehlenden Antrag vor Inanspruchnahme der Leistung. Für die Zeit nach Antragstellung komme eine Kostenübernahme nicht in Betracht, da eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie zur Verfügung stehe.

Der Versicherte erhob am 9. September 2013 hiergegen Klage beim SG (S 10 KR 5153/13). In der mündlichen Verhandlung des SG wurde begehrt, die Kosten (ohne Angabe eines bezifferten Betrags) für die durchgeführte ambulante Immuntherapie zu erstatten. Mit derselben Begründung wie im Klageverfahren S 10 KR 3867/12 wurde geltend gemacht, dass Sachverständigengutachten des Prof. Dr. D. bestätige auch das auf Kostenerstattung der Immuntherapien gestützte Klagebegehren.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

III.

Der Versicherte beantragte am 17. Mai 2013 Kostenübernahme für eine Hyperthermie-Behandlung. Die TACE-Behandlung habe aus Kostengründen beendet werden müssen. Aus dem beigefügten (zu diesem Zeitpunkt noch unvollständigen) Arztbrief des Internisten Dr. H., F.-klinik, vom 3. Mai 2013 geht hervor, dass er dem Versicherten anlässlich der Vorstellung am 2. Mai 2013 eine Therapie mit 5FU, Avastin und Hyperthermie vorschlug. Die Hyperthermie könne in Form einer Ganzkörperhyperthermie alle vier bis sechs Wochen durchgeführt werden. Hier sollten ca. sechs bis acht Applikationen erfolgen. Ergänzt werden solle diese durch eine lokale Hyperthermie im Bereich des rechten Oberbauchs. Hier sei eine zweimal pro Woche stattfindende Applikation für ca. 25 Gaben sinnvoll.

Nach Eingang des vollständigen Arztbriefs beauftrage die Beklagte den MDK mit der Erstattung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Dr. Sc. führte unter dem 31. Mai 2013 aus, therapeutischer Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit einer alleinigen oder begleitenden Hyperthermie-Behandlung beim Rektumkarzinom seien nicht belegt. Es gelte daher weiterhin das vom GBA 2005 festgestellte Fazit. Die Behandlung könne bei dem weit fortgeschrittenen Befund nur noch palliativ und nicht mehr kurativ erfolgen. Es stehe als vertragliche Behandlungsmaßnahme eine systemisch wirkende Chemotherapie zur Verfügung. Eine solche sei auch von der F.-klinik empfohlen worden.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die begehrte Hyperthermie-Behandlung ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2013 zurück. Zur Begründung führte er aus, der GBA habe in seinem Beschluss vom 18. Januar 2005 die Hyperthermie in Anlage II Nr. 42 seiner Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinien Methoden vertragsärztliche Versorgung) eingestellt. Es handele sich um eine Methode, die nicht als vertragsärztliche Leistung zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürfe. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg habe entschieden (Urteil vom 27. April 2012 – L 4 KR 5054/10 – juris), dass die Kosten für Hyperthermie von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu tragen seien.

Der Versicherte erhob hiergegen am 2. September 2013 Klage beim SG (S 10 KR 5021/13). In der mündlichen Verhandlung des SG wurde begehrt, die für die Hyperthermie-Behandlung angefallenen Kosten (ohne Angabe eines bezifferten Betrags) zu erstatten. Mit derselben Begründung wie im Klageverfahren S 10 KR 3867/12 wurde geltend gemacht, das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. D. bestätige auch das auf Kostenerstattung der Hyperthermie-Behandlungen gestützte Klagebegehren.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

IV.

Das SG beauftragte von Amts wegen Prof. Dr. D. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens in allen drei anhängigen Klageverfahren. In seinem Gutachten vom 30. Januar 2014 führte er aus, sowohl für die medikamentöse operative Therapie stünden beim Rektumkarzinom (im Einzelnen dargelegte) etablierte Standards zur Verfügung. Auftretende Nebenwirkungen könnten in den meisten Fällen durch Anwendung entsprechender unterstützender Maßnahmen gut kontrolliert werden. Aus den Unterlagen gehe nicht hervor inwieweit solche unterstützende Maßnahmen beim Versicherten zur Anwendung gekommen seien. Die TACE sei für die Behandlung primärer Leberzellkarzinome etabliert. Für die Behandlung von Patienten mit hepatisch und pulmonal metastasiertem Rektumkarzinom gebe es weder eine Zulassung noch entsprechende Studien, die eine Wirksamkeit bestätigten. Aus den Unterlagen sei zu entnehmen, dass es bereits unter laufender Therapie zu einem Anstieg der Tumormarker sowie einem Progress der Erkrankung in der Bildgebung gekommen sei (Verlauf der Tumormarker ab dem März 2012, PET-CT vom 10. September 2012). Bei Vorliegen von Lungenmetastasen und bei prinzipiell vorhandenen Behandlungsalternativen, wie bei dem Versicherten der Fall, sei das Verfahren nicht zu rechtfertigen. Das hepatisch und pulmonal metastasierte Rektumkarzinom gehöre nicht zu den Erkrankungen, bei denen Aussicht auf Therapieerfolge durch Hypertermie bestehe. Die Therapie erfolge außerhalb einer Studie und nicht an einem Zentrum für Hyperthermie-Behandlung. Für die Wirksamkeit der geschilderten Immuntherapie mit Thymuspeptiden lägen keinerlei klinische Studien vor. Für außerhalb von Studien eingesetzte Verfahren der Hyperthermie könnten die Risiken nicht abgeschätzt werden.

V.

Nach dem Tode des Versicherten führten die Klägerin und der Sohn die Klageverfahren "als Erben" fort.

Mit Urteil vom 20. Februar 2015 wies das SG die Klage im Verfahren S 10 KR 3867/12 ab. Die von den Erben des verstorbenen Versicherten fortgeführte Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Es bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung der durchgeführten TACE. Die durchgeführte lokale Chemotherapie sei nicht notwendig gewesen. Bei der begehrten Behandlung handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die der GBA noch keine Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen abgegeben habe. Auch liege ein sogenanntes Systemversagen wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode nicht vor. Für den Versicherten habe im maßgeblichen Zeitraum mit der systemischen Chemotherapie eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung gestanden. Dies ergebe sich aus dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. D ... Nach dessen Ausführungen biete die TACE-Behandlung keine hinreichende Heilungschance und auch keine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Insbesondere sei die TACE-Behandlung für die Behandlung primärer Leberzellkarzinome etabliert, für eine Behandlung von Patienten – wie dem Versicherten – mit hepatisch und pulmonal metastasiertem Rektumkarzinom gebe es weder eine Zulassung noch entsprechende Studien, die eine Wirksamkeit der TACE-Behandlung bestätigten.

Auch im Verfahren S 10 KR 5153/13 wies das SG die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2015 ab. Die von den Erben des Versicherten fortgeführte Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Es bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung der durchgeführten ambulanten Immuntherapie. Die vom Versicherten durchgeführte Therapie sei bereits nicht notwendig gewesen. Bei den durchgeführten Therapien handele es sich um eine neue Untersuchung-und Behandlungsmethode. Hierfür habe der GBA keine positive Empfehlung ausgesprochen. Auch liege kein so genanntes Systemversagen vor, da für den Versicherten im maßgeblichen Zeitraum mit der systemischen Chemotherapie eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung gestanden habe. Dies sei dem Gutachten des Prof. Dr. D. zu entnehmen. Hiernach lägen keinerlei klinische Studien für die in Anspruch genommene Immuntherapie vor. Bei der ambulanten Immuntherapie handele sich weder um eine leitliniengerechte noch um eine für die gegebene Situation zugelassene Methode.

Das SG wies mit Urteil vom 20. Februar 2015 auch die Klage im Verfahren S 10 KR 5021/13 ab. Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf eine Hyperthermie-Behandlung. Hierbei handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die der GBA keine positive Empfehlung ausgesprochen habe. Ein Ausnahmefall, in dem es keiner besonderen Empfehlung des GBA bedürfe, sei nicht gegeben. Ein Systemversagen liege nicht vor. Mit der systemischen Chemotherapie habe im maßgeblichen Zeitraum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung gestanden. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. D ... Nach dessen Ausführungen biete die Hyperthermie-Behandlung keine hinreichenden Heilungschancen und keine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 1 KR 217/13 –). Zwar sei in diesem Verfahren die beklagte Krankenkasse verurteilt worden, dem dortigen Kläger, dessen Primärtumor unbekannt gewesen sei, die ihm für die durchgeführte Hyperthermie-Behandlung angefallenen Kosten zu erstatten. Das LSG Niedersachsen-Bremen habe sein Urteil auf den Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 und die weitere Entscheidung vom 6. Februar 2007 (1 BvR 3101/06 – juris) sowie die in der Folge dieser Entscheidungen ergangenen Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) gestützt. Im Unterschied zu dem vom LSG Niedersachsen-Bremen zu beurteilenden Sachverhalt habe der Versicherte hier eine seiner Erkrankung dem allgemein anerkannten Standard entsprechende Behandlung noch zur Verfügung. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. D ... Bei dem Rektumkarzinom bestehe auch – im Gegensatz zu dem Sachverhalt, den das LSG Niedersachsen-Bremen zu beurteilen gehabt habe – keine auf Indizien gestützte spürbare positive Einwirkung der Hyperthermie auf den Krankheitsverlauf. Auch dies ergebe sich zweifelsfrei aus dem Gutachten des Prof. Dr. D ...

VI.

Gegen die am 22. April 2015 zugestellten Urteil hat die Klägerin am 13. Mai 2015 (S 10 KR 3867/12) sowie am 19. Mai 2005 (S 10 KR 5153/13 und S 10 KR 5021713) jeweils Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Der Senat hat die unter den Az. L 4 KR 2059/15, L 4 KR 2121/15 und L 4 KR 2122/15 geführten Berufungsverfahren mit Beschluss vom 14. Oktober 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Unter Erweiterung des bisherigen Vortrags führt die im Berufungsverfahren alleine als Klägerin geführte Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten aus, das SG gehe zu Unrecht davon aus, dem Versicherten habe im streitigen Zeitraum mit der systemischen Therapie eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Stand dort entsprechende Behandlung zur Verfügung gestanden. Es stütze sich zu Unrecht auf das Gutachten des Prof. Dr. D ... Dieser gehe nicht auf die Voraussetzungen ein, die das BVerfG und das BSG gestellt hätten. Das SG habe außer Acht gelassen und den Sachverständigen nicht befragt, dass eine alternative Behandlungsmethode immer dann geboten und tatsächlich durchzuführen sei, wenn die Behandlung mittels der Standardtherapie nur noch palliativ erfolgen könne. Das SG verkenne des Weiteren, dass der Sachverständige die Unterscheidung zwischen der Verhinderung von Verschlechterungen und Linderung von Symptomen außer Acht lasse und angesichts der Erkenntnis, dass nur noch palliativ Behandlung möglich gewesen sei, sorgfältig und umfassend zu prüfen sei. Darauf, dass es in diesem Zusammenhang keine wissenschaftlichen Studien gebe, komme es nicht an. Außerdem habe das SG nicht berücksichtigt, dass der Versicherte unter der schulmedizinischen Behandlung unter schwersten Durchfällen, einhergehend mit massivem Gewichtsverlust und Hautablösungen an Händen und Füßen gelitten habe. Eine konservativ schulmedizinische Behandlung sei unter diesen Umständen ausgeschlossen und nicht zumutbar gewesen. Damit sei die Annahme des Sachverständigen, den meisten Fällen könnten die Nebenwirkungen bei schulmedizinischen Behandlungen durch entsprechende unterstützende Maßnahmen kontrolliert werden, widerlegt. Auf die Frage, inwieweit der voraussichtliche Nutzen der TACE-Behandlung, der Immuntherapie und der Hyperthermie-Behandlung die möglichen Risiken, die mit solchen Behandlungen verbunden seien, überwiege, habe sich der Sachverständige mit dem Hinweis, dass die Frage nach Nutzen- und Risikoabwägungen schwer zu beantworten sei, geäußert. Prof. Dr. D. diskutiere Risiken im Zusammenhang mit dieser Behandlung, die sich allerdings nachweislich im Fall des Versicherten zu keinem Zeitpunkt verwirklicht hätten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2015 (S 10 KR 3867/12) aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2012 zu verurteilen, die entstandenen Kosten für die ambulante TACE-Behandlung des Versicherten zu erstatten,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2015 (S 10 KR 5153/13) aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. August 2013 zu verurteilen, die entstandenen Kosten für die ambulanten Immuntherapien des Versicherten zu erstatten,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2015 (S 10 KR 5021/13) aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. August 2013 zu verurteilen, die entstandenen Kosten für die Hyperthermie-Behandlung des Versicherten zu erstatten,

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie führt aus, nicht nachvollziehbar sei, dass Berufung eingelegt worden sei. Schließlich habe der Prozessbevollmächtigte des Versicherten im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG mitgeteilt, dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Haftpflichtversicherung eines behandelnden Arztes bestehe. Eine doppelte Erstattung der aufgewendeten Kosten dürfte ausgeschlossen sein.

Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand am 30. September 2015 mit den Beteiligten erörtert und darauf hingewiesen, dass der Berufungsantrag bislang noch immer nicht beziffert worden sei. Es lägen weitestgehend keine Rechnungen für die durchgeführten Behandlungen vor. Ferner sei nicht klar, wann die einzelnen Behandlungen erfolgt seien und welche Behandlung zu welchem Zeitpunkt stattgefunden habe. Insoweit werde die Klägerin aufgefordert, weitere Unterlagen vorzulegen. Eine Vorlage weiterer Unterlagen ist bis heute nicht erfolgt.

Zu weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge auch in den verbundenen Verfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Aktivlegitimiert ist allein die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) des verstorbenen Versicherten.

2. Die Berufungen der Klägerin sind zulässig. Die Klägerin hat die Berufungen form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufungen bedurften nicht der Zulassung nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn mit den Berufungen, die die Behandlungen des Versicherten bei Prof. Dr. V. und bei Prof. Dr. G. betreffen, begehrt die Klägerin die (nicht bezifferte) Erstattung von Kosten für Behandlungen des Versicherten für einen Zeitraum von über einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz SGG). Hinsichtlich der Berufung, die die Hyperthermie-Behandlung betrifft, geht der Senat – obgleich weder die Höhe der Kosten noch die Dauer der Behandlung bekannt ist – zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass Kosten von mehr als EUR 750,00 entstanden sind und damit der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten ist. Ausgehend vom geringsten Gebührenansatz in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) für eine Hyperthermie-Behandlung nach Gebührennummer 5852 GOÄ (Oberflächen-Hyperthermie, je Fraktion) EUR 114,00 wäre der Beschwerdewert bei sieben Behandlungen überschritten. Nach dem Arztbrief des Dr. H. vom 3. Mai 2015 sollten sechs bis acht Applikationen sowie ergänzend eine lokale Hyperthermie im Bereich des rechten Oberbauches erfolgen.

3. Die Berufungen sind nicht begründet. Das SG hat die Klagen im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die Klagen in allen drei ursprünglich geführten Verfahren sind unzulässig.

a) Die Klägerin macht die Erstattung von Kosten für Behandlungen geltend, die sich der Versicherte selbst beschaffte. Den geltend gemachten Erstattungsbetrag bezifferten weder die Klägerin, auch nicht nach Aufforderung durch die Berichterstatterin des Senats im Erörterungstermin und im gerichtlichen Schreiben vom 22. April 2016 sowie auch nicht in der mündlichen Verhandlung des Senats, noch zuvor der Versicherte. Betrifft ein Zahlungsanspruch einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit, ist er zur Vermeidung eines ansonsten im Raum stehenden zusätzlichen Streits über die Höhe des Anspruchs konkret zu beziffern. Es muss also grundsätzlich ein bestimmter (bezifferter) Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Januar 1999 – B 3 KR 4/98 R – juris, Rn. 27; BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R – juris, Rn. 11).

aa) Der Anspruch ist hinsichtlich der ambulanten Behandlungen durch Prof. Dr. V. auch nicht ohne weiteres bezifferbar, was zur Konkretisierung des Klagebegehrens reichen würde (BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 KR 18/03 R – juris, Rn. 12). Der Versicherte legte dem SG zwar Rechnungen des Prof. Dr. V. vor und nannte einen Betrag von EUR 30.751,49, der wohl die bis September 2012 entstandenen Kosten umfassen soll. Aus den vorgelegten Rechnungen ist jedoch nicht ersichtlich, welche der in diesen Rechnungen abgerechneten Leistungen auf die vom Versicherten beantragte TACE-Behandlung entfallen. Der gesamte Betrag kann dies nicht sein. Denn Prof. Dr. V. führte – wie sich aus seinen Arztbriefen, die er seiner sachverständigen Zeugenauskunft gegenüber dem SG beilegte, ergibt – auch andere Behandlungen durch, nämlich eine Chemoperfusion und eine computertomographisch gesteuerte Mikrowellenablation der Leber. Die Rechnungen des Prof. Dr. V. und das Universitätsklinikums F. enthalten zudem keine Diagnosen.

bb) Der Anspruch ist hinsichtlich der ambulanten Behandlungen durch Prof. Dr. G. ebenfalls nicht ohne weiteres bezifferbar. Hinsichtlich dieser Behandlungen lässt sich schon nicht feststellen, dass dem Versicherten Kosten entstanden sind. Denn die Klägerin wies nicht nach, dass der Versicherte deswegen von den behandelnden Ärzten in Anspruch genommen wurde. Auch nach Hinweis des Senats, der Anspruch sei nicht beziffert worden (siehe oben unter a)), legte sie keine Rechnungen vor. Ferner ist bereits nicht klar, wann die einzelnen Behandlungen erfolgt sind.

cc) In Bezug auf die ambulante Hyperthermie-Behandlung gilt das Gleiche. Es ist ebenfalls nicht feststellbar, dass dem Versicherten Kosten entstanden sind. Insoweit wird auf die Ausführungen unter bb) verwiesen.

b) Da die Klagen bereits unzulässig sind, muss der Senat nicht entscheiden, ob die Klagen begründet gewesen wären.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

5. Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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