L 16 R 45/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 6 R 449/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 45/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Dezember 2017 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen teilweiser Erwerbsminderung (EM) bei Berufsunfähigkeit (BU) für die Zeit ab 1. August 2014.

Die am 1959 geborene Klägerin hatte in der früheren DDR in der Zeit von September 1974 bis Februar 1977 bei der Deutschen Post der DDR eine Ausbildung zum "Facharbeiter für Betrieb und Verkehr des Post- und Zeitungswesens - Spezialisierung Postbeförderungsdienst" absolviert (Facharbeiterzeugnis vom 15. Februar 1977). Sie war zunächst in der Auslandspaketbearbeitung und (vgl Änderungsvertrag vom 7. August 1980) ab 14. Juli 1980 als Briefzustellerin beschäftigt, und zwar zuletzt bis 31. Juli 2012 bei der Deutschen Post AG (DPAG; Arbeitgeberauskunft vom 20. Mai 2016); das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld bis 4. Dezember 2013 erhält die Klägerin seit 1. Januar 2014 Grundsicherungsleistungen.

Nach einer unfallbedingten distalen Femurfraktur links vom 11. Dezember 2013 unterzog sich die Klägerin einer Anschlussheilbehandlung in der Brandenburg-Klinik B (23. Januar bis 20. Februar 2014), aus der sie ausweislich der Einschätzung der Klinik mit einem "nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit" vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten entlassen worden war (Bericht vom 20. Februar 2014). Den EM-Rentenantrag vom August 2014 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2015 nach Einholung von Berichten der behandelnden Ärzte und eines Gutachtens des Chirurgen M vom 24. Juli 2015, der keine quantitative Leistungsminderung für körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Einschränkungen sah, ab. Volle bzw teilweise EM lägen nicht vor. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden tgl unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in körperlich leichten Arbeiten tätig sein.

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat im anschließenden Klageverfahren Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und den Arzt M als Sachverständigen eingesetzt. Auf dessen, nach Untersuchung der Klägerin am 16. Dezember 2016 erstattetes Gutachten vom 16. Januar 2017, mit dem er für körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und leichte geistige Arbeiten bei der Klägerin keine quantitative Leistungsminderung gesehen hat, wird wegen des Inhalts verwiesen. Das SG hat ferner den berufskundlichen Sachverständigen L mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, der die Klägerin der Ebene einer ausgebildeten Fachangestellten zugeordnet und keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten gesehen hat; auf das Gutachten vom 6. März 2017 wird verwiesen. Mit Urteil vom 15. Dezember 2017 hat das SG die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin "nach einem Leistungsfall vom 15. August 2014" ab 1. August 2014 Rente wegen teilweiser EM bei BU zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei im tenorierten Umfang begründet. BU gemäß § 240 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) liege bei der Klägerin vor. Sie könne aus gesundheitlichen bzw fachlichen Gründen weder in ihrem Ausbildungsberuf noch in der von der Beklagten zuletzt benannten Verweisungstätigkeit einer Bürohelferin in einer Poststelle für die Briefannahme oder Registratur tätig sein. Bisheriger Beruf der Klägerin sei der der Briefzustellerin, mit dem sie – wie der Sachverständige L bestätigt habe - aufgrund der erworbenen Qualifikation der Facharbeiterebene entsprechend einer dreijährigen Ausbildung als Dienstleistungsfachkraft in der (alten) Bundesrepublik zuzuordnen sei. Auf eine Tätigkeit als Bürohelferin könne sie daher nicht verwiesen werden.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei die Klägerin im maßgeblichen Beruf allenfalls der oberen Anlernebene zuzuordnen. Nach Auskunft der DPAG vom 4. Januar 2017 (S 1 R 185/16) entspräche ihre Ausbildung der heutigen zweijährigen Ausbildung zur "Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen". In die Entgeltgruppe 3 des maßgebenden Entgeltgruppenverzeichnisses der DPAG würden aber auch Zusteller ohne abgeschlossene Ausbildung nach einer Anlernzeit von zwei Wochen aufgenommen. Danach stehe sogar eine Einstufung als ungelernte Tätigkeit in Rede. Das SG habe zudem den Rentenbeginn ausgehend von dem angenommenen Leistungsfall am 15. August 2014 unzutreffend auf den 1. August 2014 festgesetzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Dezember 2017 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Gerichtsakten (2 Bände) und die Verwaltungsakten der Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten, der eingeholten Befundberichte und sonstigen ärztlichen Unterlagen Bezug genommen wird, sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet. BU lag und liegt bei der Klägerin nicht vor, so dass ein entsprechender Rentenanspruch nach Maßgabe von § 240 SGB VI nicht besteht. Soweit das SG die zunächst (auch) auf die Gewährung von Rente wegen voller bzw teilweiser EM gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI Klage abgewiesen hat, ist das angefochtene Urteil mangels Rechtsmitteleinlegung durch die Klägerin rechtskräftig.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser EM (bei BU) bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (Absatz 1). Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4).

Ausgangspunkt der Beurteilung ist danach der bisherige Beruf. Darunter ist im Allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, dh mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (vgl etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr 158; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 55, 61 mwN). Nach diesen Grundsätzen ist als bisheriger Beruf der Klägerin deren seit Juli 1980 bis zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Briefzustellerin zugrunde zu legen. Diesen Beruf kann die Klägerin – was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – nicht mehr ausüben, da ihr aus gesundheitlichen Gründen nach der plausiblen und auch das Berufungsgericht überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen M nur noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen unter Witterungsschutz zumutbar sind. Hiermit ist die Klägerin aber noch nicht berufsunfähig. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn es auch keine andere Tätigkeit gibt, die ihr sozial zumutbar und für die sie sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die ständige Rspr des Bundessozialgerichts (BSG) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Arbeiterberufe durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (zB BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 27, 33).

Die Zuordnung zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters erfolgt im Wesentlichen nach folgenden - vier - Merkmalen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 12): (1) Der Gruppe ist zunächst zuzurechnen, wer einen anerkannten Ausbildungsberuf iS von § 25 Berufsbildungsgesetz (BBiG) mit mehr als zweijähriger Ausbildung bzw einen vergleichbaren Ausbildungsberuf in der DDR erlernt und bisher ausgeübt hat (vgl BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr 107; BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 109, 138, 140; BSGE 68, 277 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13; BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – B 13 RJ 34/03 R = SozR 4-2600 § 43 Nr 1). (2) Einem solchen Facharbeiter gleichgestellt ist derjenige Versicherte, der in einem nach dem BBiG anerkannten Ausbildungsberuf arbeitet, ohne die hierfür erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben, wenn neben der tariflichen Einstufung als Facharbeiter die Kenntnisse und Fertigkeiten in voller Breite denjenigen eines vergleichbaren Facharbeiters mit abgelegter Prüfung entsprechen (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 53, 68; BSGE 58, 239 = SozR 2200 § 1246 Nr 129; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 150; BSGE 65, 169 = SozR 2200 § 1246 Nr 168; BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 13 RJ 89/98 R - juris). Verlangt wird, dass der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Arbeitsleistung erbringt, sondern auch über die für diesen Beruf erforderlichen praktischen Fähigkeiten und theoretischen Kenntnisse in dem Umfang verfügt, dass er mit ausgebildeten Arbeitnehmern gleichen Alters auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig ist. Die bloße Ausübung von Facharbeitertätigkeiten in einem Teilbereich reicht grundsätzlich nur für eine Einstufung als angelernter Arbeiter aus, auch wenn die Entlohnung im Einzelfall derjenigen eines Facharbeiters entsprochen haben sollte (vgl BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 - B 5 RJ 28/99 R - juris). Es kommt auf das Gesamtbild an. (3) Der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters sind ferner Versicherte zuzuordnen, die in Ausbildungsberufen ohne anerkannten Ausbildungsgang tätig waren, wenn deren Tätigkeiten den anerkannten Ausbildungsberufen tarifvertraglich gleichgestellt sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 3, 46, 99, 116, 122, 123, 164; BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr 16; BSGE 56, 72 = SozR 2200 § 1246 Nr 111; BSGE 58, 239 = SozR 2200 § 1246 Nr 129; BSG, Urteil vom 3. Juli 2002 - B 5 RJ 18/01 R), weil die tarifliche Einstufung eines Berufs in der Regel ein zuverlässiges Indiz für die Wertigkeit einer Tätigkeit in der Arbeitswelt ist (BSGE 68, 277 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13). (4) Schließlich sind Berufstätigkeiten, für die kein Ausbildungsgang iS des BBiG besteht und die nicht als solche in einem Tarifvertrag einer Lohngruppe zugeordnet sind, als Facharbeitertätigkeiten einzustufen, wenn der Umfang der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten und/oder die sonstigen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeiten den Anforderungen an einen Facharbeiter gleich zu achten sind; auch für diese Einordnung ist die tarifliche Einstufung ein wichtiger Anhaltspunkt, der im Zweifel ausschlaggebend, aber nicht ohne weiteres maßgeblich ist (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 12).

Die Klägerin hatte in der DDR eine mehr als zweijährige Ausbildung zur Facharbeiterin für Betrieb und Verkehr des Post- und Zeitungswesens abgeschlossen. Sie hat diesen Beruf, der der Ausbildung zur Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb nach Maßgabe der Verordnung vom 28. Februar 1979 (BGBl I 242) gleichzusetzen war (vgl berufskundliches Gutachten L vom 6. März 2017) indes nicht vollwertig bis zuletzt ausgeübt, sondern war (vgl Änderungsvertrag vom 7. August 1980: "Arbeitsplatzwechsel wegen fehlender Unterbringungsmöglichkeit für das Kind") bereits seit 14. Juli 1980 aus familiären, dh nicht gesundheitlichen Gründen (nur) noch als Briefzustellerin beschäftigt, und zwar bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung durch die DPAG zum 31. Juli 2012. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich nach Auskunft der DPAG vom 20. Mai 2016 und der von der Beklagten vorgelegten Auskunft der DPAG vom 4. Januar 2017 aus dem Verfahren – S 1 R 185/16 – (SG Frankfurt/Oder) um eine Tätigkeit, die bereits nach einer Anlernzeit von zwei Wochen vollwertig verrichtet werden kann und sich damit als ungelernte Tätigkeit darstellt. Letztmalig hatte die Klägerin in vollem Umfang als Facharbeiterin bis 13. Juli 1980 gearbeitet. Ihr Lehrberuf war daher für das versicherte Arbeitsleben nicht allein oder überwiegend bestimmend und charakteristisch, so dass ihr Erwerbsleben nicht dem einer ausgebildeten Facharbeiterin entsprach. Sie kann dem Leitberuf des Facharbeiters mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung daher nicht zugeordnet werden (vgl BSG, Urteil vom 27. April 1989 – 5 RJ 8/88 = SozR 2200 § 1246 Nr 165).

Die tarifliche Einstufung in die Entgeltgruppe 3 des zum maßgebenden Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (vgl BSG, Urteil vom 19. Juni 1997 – 13 RJ 73/96 – juris; BSG, Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 79/99 R = SozR 3-2600 § 43 Nr 23 – Rn 25) anwendbaren Entgelttarifvertrages für Arbeitnehmer der DPAG vom 18. Juni 2003 (ET-DPAG) ändert hieran nichts. Diese Entgeltgruppe umfasst Tätigkeiten, die in der Regel eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung bzw entsprechende anderweitige berufliche Erfahrung voraussetzen (Richtbeispiele: ua Briefzusteller).

Nach der Rspr des BSG, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, ist die Eingruppierung einer Tätigkeit in dem einschlägigen Tarifvertrag zwar geeignet, den Stand der Anschauungen der maßgebenden Kreise über die Wertigkeit eines Berufs zu vermitteln (vgl BSGE 68, 277 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 14). Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Lohngruppenverzeichnis aufführen und einer bestimmten Tätigkeitsgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht (vgl BSGE 70, 56 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21). Der Tarifvertrag ist dann daraufhin zu untersuchen, ob die Lohngruppen allgemein nach Qualitätsstufen geordnet sind (vgl zB BSG, Urteil vom 26. August 1994 - 13 RJ 3/94 - juris) und ob darin der zu prüfende Beruf als solcher eingestuft ist oder ob der Tarifvertrag insoweit lediglich allgemeine Merkmale enthält, anhand deren der jeweilige Arbeitgeber eine Eingruppierung der betreffenden Tätigkeit vorzunehmen hat (zu diesem Unterschied vgl insbesondere BSGE 70, 56 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21).

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Aufnahme der Berufsart "Briefzusteller" als "Richtbeispiel" in die Entgeltgruppe 3 nicht den Schluss zulässt, dass dieser Tätigkeit die Qualität einer Facharbeitertätigkeit beigemessen werden kann. Dies folgt bereits daraus, dass eine entsprechende Tätigkeit bereits nach zwei Wochen Anlernzeit eine entsprechende Eingruppierung zur Folge hat (vgl Auskunft der DPAG vom 4. Januar 2017 aus dem Verfahren – S 1 R 185/16 – SG Frankfurt/Oder). Auch Höhergruppierungen der Klägerin, die allein auf einer bestimmten Dienstzeit beruhten, zuletzt in die Stufe 8, sind qualitätsfremd und daher unbeachtlich (vgl BSG, Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 79/99 R – Rn 31). Hinzu kommt, dass aufgrund der auf die Klägerin anwendbaren Besitzstandsregelungen (vgl § 30 Abs. 1 ETV-DPAG) des Anhangs 1 Anlage 3 zum ETV-DPAG für den "fiktiven Eingruppierungsverlauf" der Klägerin bei ständigem Einsatz auf einem beamtenbewerteten Arbeitsposten am 31. Dezember 2000 (hier nach der Besoldungsgruppe A 5) eine Eingruppierung in die Lohngruppe 8 nach vierjähriger Dienstzeit erfolgte (vgl den von der Klägerin hergereichten entsprechenden "Vermerk zur Feststellung des Besitzstandes Lohn" vom 29. Juli 2000). Auch diese auf der Ausübung der Tätigkeit auf einem Beamtendienstposten beruhende Einstufung kennzeichnet indes keine höhere Qualität der von der Klägerin verrichteten Tätigkeit als Briefzustellerin (vgl zum Ganzen BSG aaO).

Der Klägerin kommt daher kein Berufsschutz als Facharbeiterin zu. Sie ist der Gruppe der Ungelernten bzw allenfalls der Gruppe der Angelernten des unteren Bereichs zuzuordnen. Ihr sind somit alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sozial zumutbar, die sie mit ihrem verbliebenen, mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen noch ausüben kann, ohne dass ihr eine konkrete Verweisungstätigkeit zu bezeichnen ist. In Betracht kommen insoweit Tätigkeiten aus dem Arbeitsfeld der leichten Bürohilfsarbeiten bzw der leichten Montier- und Sortierarbeiten, die die Klägerin in einer Zeit der Einarbeitung von bis zu drei Monaten vollwertig verrichten könnte (vgl BSG SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25).

Darauf, ob die Klägerin einen ihrem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich erhalten konnte bzw kann, kommt es nicht an. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage, die für leistungsgeminderte Arbeitnehmer – wie die Klägerin – kaum entsprechende Arbeitsplatzangebote zur Verfügung stellte bzw stellt, ist für die Feststellung von BU– wie der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt hat – unerheblich (vgl § 240 Abs. 2 Satz 4 Halbs 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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