Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 SB 435/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 4/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" (Gehörlosigkeit).
Bei dem am xxxxx 1964 geborenen Kläger wurde mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Juli 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festgestellt. Hierbei berücksichtigte die Beklagte eine Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche mit einem Teil-GdB von 70 sowie eine psychische Störung mit einem Teil-GdB von 30.
Mit Schreiben vom 13 Juli.2017 beantragte der Kläger außerdem die Feststellung des Merkzeichens "Gl". Zur Begründung führte er aus, dass er durch seinen beidseitigen Hörverlust im Alltag sehr eingeschränkt sei, so dass eine Teilhabe am sozialen Miteinander nicht mehr möglich sei. Trotz beidseitiger Versorgung mit Hörgeräten sei sein Sprach-verstehen so schlecht, dass er, wenn Hintergrundgeräusche die Akustik störten, normale Kommunikation nicht verstehe, sondern nur noch als Geräusche wahrnehme.
Die Beklagte lehnte die Feststellung des Merkzeichens "Gl" mit Bescheid vom 18. Juli 2017 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Bescheid vom 5. Juli 2017 weder nach § 44 SGB X abzuändern sei noch eine Neufeststellung gem. § 48 SGB X zu treffen sei.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25. Juli 2017 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er nicht die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung, sondern nur die Feststellung des Merkzeichens "Gl" begehre. Hierzu vertrat er die Ansicht, dass auch schwerbehinderte Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wie er einen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Dies begründete sie damit, dass weder ein höherer GdB nachgewiesen sei noch die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" vorlägen. Gehörlos im Sinne des § 145 Abs. 1 SGB IX seien nach § 2 VersMedV nur Hörbehinderte, bei denen eine beidseitige Taubheit vorliege oder Hörbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits, bei denen außerdem noch schwere Sprachstörungen vorlägen. Beim Kläger sei zwar eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit nachgewiesen, aber keine schwere Sprachstörung.
Der Kläger hat am 21. August 2017 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Er hat argumentiert, dass die angefochtene Entscheidung diskriminierend sei und ihn benachteilige, da auch hörbeeinträchtigte Menschen mit einem an Taubheit grenzenden Hörverlust in ihrer Mobilität und Kommunikation erheblich eingeschränkt seien. So leide er aufgrund der vielen Einschränkungen und der dadurch bedingten sozialen Isolierung unter massiven Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken. Der Verlust an Lebensqualität bei Menschen, die spät an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit erkrankt seien, sei daher unabhängig vom Vorliegen einer Sprachstörung ebenso schwer zu bewerten wie eine seit der Geburt vorliegende oder frühkindliche Taubheit.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018 abgewiesen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" seien nicht gegeben. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Schwerbehinderten- Ausweisverordnung (SchwbAwV) sei das Merkzeichen "Gl" in dem Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch gehörlos im Sinne des § 228 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) sei. Die weiteren Voraussetzungen folgen aus der gemäß § 241 Abs. 5 SGB IX anwendbaren Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersmedV). Nach Teil B Nr. 4 VersmedV gelten als gehörlos nicht nur Schwerbehinderte, bei denen eine Taubheit beiderseits vorliegt, sondern auch diejenigen, bei denen eine an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit vorliegt, wenn daneben schwere Sprachstörungen vorliegen. Das seien in der Regel Hörbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angeboren, oder in der Kindheit erworben wurde.
Diese Voraussetzungen würden beim Kläger unstreitig nicht vorliegen. Soweit er hierzu vortrage, dass eine aus seiner Sicht ebenso gravierende Beeinträchtigung gegeben sei, führe dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die Gleichstellung von Hörbehinderten mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit denjenigen, die bereits taub sind, hänge nicht davon ab, ob die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit früh oder spät erworben worden sei. Voraussetzung für die Gleichstellung sei vielmehr das Vorliegen schwerer Sprachstörungen, die im Regelfall – aber nicht zwangsläufig – vorliegen dürften, wenn die an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden sei. Deshalb komme eine Gleichstellung von Personen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit den Gehörlosen nach der eindeutigen Regelung der VersmedV nicht in Betracht. Es sei auch nicht von einer Diskriminierung oder Ungleichbehandlung von Personen mit früh oder spät erworben oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ersichtlich, da das Unterscheidungskriterium nicht die Frage sei, wann die Behinderung eingetreten sei, sondern ob eine die Kommunikation zusätzlich zu der Behinderung beeinträchtigende schwere Sprachstörungen vorliege, die eine Gleichstellung rechtfertige, oder nicht.
Der Kläger hat am 13. Februar 2018 gegen den am 7. Februar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg Berufung eingelegt und kritisiert, dass die schwereren Folgeerkrankungen einer spät an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit keine Beachtung gefunden hätten. Schwere Sprachstörungen seien bei ihm tatsächlich nicht gegeben, allerdings seien die gravierenden Folgen seiner an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die im Gerichtsbescheid angeführten Sprachstörungen würden seiner Ansicht nach überbewertet und es ergebe sich auch eine schwere Benachteiligung derer, die später an Taubheit/Schwerhörigkeit erkrankt seien. Eine Hörbehinderung mit schweren Sprachstörungen werde zu Unrecht höher bewertet als eine spät eingetretene Hörbehinderung. Denn in diesem Fall verliere der behinderte Mensch einen Großteil seiner bisherigen Lebensqualität. Das gelte für lieb gewonnenen Gewohnheiten, Hobbys, Freundeskreis und das frühere soziale Umfeld. Beide Beeinträchtigungen sollten gleichermaßen Berücksichtigung finden.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen des Sozialgerichts Hamburg im Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2018 ist die Berufung gegen den Gerichtsbescheid dem Berichterstatter übertragen wurden, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt.
Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 124 Abs. 2 SGG)
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg.
Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat es rechtmäßig mit Bescheid vom 18. Juli 2017 und Widerspruchsbescheid vom 16. August 2017 abgelehnt, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen. Hierauf besteht kein Anspruch, weil die unter Teil D Nr. 4 VersmedV aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Denn der Kläger ist nicht gehörlos und leidet unstreitig nicht an Sprachstörungen. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf das Urteil vom 31. Januar 2018 (§ 153 Abs. 3 SGG). Das Sozialgericht hat sich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt und mit zutreffenden Erwägungen dargelegt, dass ein Anspruch nicht besteht. Ergänzend ist anzumerken, dass Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung nunmehr § 228 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit § 152 Abs. 1, 3, 4 und 5 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BGBl I 2016,3234) ist. Die Neuregelung entspricht ihrem Inhalt der in der erstinstanzlichen Entscheidungen dargestellten Vorgängerregelung.
Die Einwände im Berufungsverfahren führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Situation behinderter Menschen, die erst spät unter an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit leiden, nicht ausreichend Beachtung gefunden habe. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass nach den Vorgaben der VersmedV, die über § 241 Abs. 5 SGB IX Anwendung finden und bindend sind, das in Rede stehende Merkzeichen nur für Gehörlose vorgesehen ist und nur unter der weiteren Voraussetzung zusätzlicher Sprachstörungen – egal zu welchem Zeitpunkt diese eingetreten sind – auch bei behinderten Menschen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit festgestellt werden kann. Nach den zu beachtenden Vorgaben kommt es im Zusammenhang mit dem Merkzeichen "Gl" nicht darauf an, wie intensiv sich die Beeinträchtigung durch die schwere Hörbehinderung darstellt.
Soweit der Kläger hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung oder Ungleichbehandlung erblickt, kann dem nicht gefolgt werden. Das Merkzeichen "Gl" soll grundsätzlich bei Taubheit/Gehörlosigkeit festgestellt werden. Nur ausnahmsweise besteht beim Vorliegen einer zusätzlichen Voraussetzung, nämlich einer schweren Sprachstörung, die hier unstreitig nicht gegeben ist, ein Anspruch. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass eine mit vollständiger Gehörlosigkeit vergleichbare Einschränkung erst dann gegeben ist, wenn Hörbehinderte, bei denen eine an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit vorliegt, unter gravierenden Sprachstörungen leiden, ist gerechtfertigt. Die vollständige Taubheit geht im Regelfall mit derartigen Sprachstörungen einher und führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation und sozialen Interaktion. Auch wenn dies in einem bestimmten Ausmaß bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit der Fall ist – die vom Kläger geschilderten Schwierigkeiten werden nicht in Abrede gestellt – ist die Möglichkeit der Kommunikation nicht gänzlich und in allen Situationen eingeschränkt. Das gilt insbesondere unter der Nutzung von Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich (Hörgeräten). Aufgrund des Resthörvermögens ist in bestimmten Situationen eine Verständigung durchaus möglich. Dies ist auch beim Kläger der Fall. Zwar bestehen im Außenbereich bzw. auf öffentlichen Plätzen sowie in Räumen mit schlechter Akustik erhebliche Schwierigkeiten, jedoch ist im Einzelgespräch wie sich gerade auch aus dem Entlassungsbericht vom 26. April 2017 der Dr. Becker Burg-Klinik ergibt, in welcher der Kläger in der Zeit vom 4. April 2017 des 13. April 2017 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme absolvierte, durchaus eine Verständigung möglich gewesen. Zwar hat der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme aufgrund der Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu verständigen, abgebrochen jedoch war im Einzelgespräch eine Verständigung mit den Ärzten und Therapeuten möglich. Bei zusätzlichen erheblichen Sprachstörungen wäre auch eine solche Kommunikation im geschützten Rahmen nicht mehr möglich. Erst dann besteht eine mit vollständig Gehörlosen vergleichbare Situation. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt deshalb nicht vor. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber das Merkzeichen Gehörlosigkeit ("Gl") auf vollständige Taubheit beschränkt und nur unter engen Voraussetzungen vorsieht. Soweit der Kläger auf die gravierenden und erheblichen Einschränkungen seiner Hörbehinderung und hieraus folgenden psychiatrischen Erkrankungen verweist, wird dies bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 80 und mit der Feststellung des Merkzeichens RF berücksichtigt. Der vom Kläger geforderte Nachteilsausgleich ist nach den Vorgaben der VersmedV in zutreffender Weise von der Beklagten vorgenommen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" (Gehörlosigkeit).
Bei dem am xxxxx 1964 geborenen Kläger wurde mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Juli 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festgestellt. Hierbei berücksichtigte die Beklagte eine Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche mit einem Teil-GdB von 70 sowie eine psychische Störung mit einem Teil-GdB von 30.
Mit Schreiben vom 13 Juli.2017 beantragte der Kläger außerdem die Feststellung des Merkzeichens "Gl". Zur Begründung führte er aus, dass er durch seinen beidseitigen Hörverlust im Alltag sehr eingeschränkt sei, so dass eine Teilhabe am sozialen Miteinander nicht mehr möglich sei. Trotz beidseitiger Versorgung mit Hörgeräten sei sein Sprach-verstehen so schlecht, dass er, wenn Hintergrundgeräusche die Akustik störten, normale Kommunikation nicht verstehe, sondern nur noch als Geräusche wahrnehme.
Die Beklagte lehnte die Feststellung des Merkzeichens "Gl" mit Bescheid vom 18. Juli 2017 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Bescheid vom 5. Juli 2017 weder nach § 44 SGB X abzuändern sei noch eine Neufeststellung gem. § 48 SGB X zu treffen sei.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25. Juli 2017 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er nicht die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung, sondern nur die Feststellung des Merkzeichens "Gl" begehre. Hierzu vertrat er die Ansicht, dass auch schwerbehinderte Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wie er einen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Dies begründete sie damit, dass weder ein höherer GdB nachgewiesen sei noch die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" vorlägen. Gehörlos im Sinne des § 145 Abs. 1 SGB IX seien nach § 2 VersMedV nur Hörbehinderte, bei denen eine beidseitige Taubheit vorliege oder Hörbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits, bei denen außerdem noch schwere Sprachstörungen vorlägen. Beim Kläger sei zwar eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit nachgewiesen, aber keine schwere Sprachstörung.
Der Kläger hat am 21. August 2017 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Er hat argumentiert, dass die angefochtene Entscheidung diskriminierend sei und ihn benachteilige, da auch hörbeeinträchtigte Menschen mit einem an Taubheit grenzenden Hörverlust in ihrer Mobilität und Kommunikation erheblich eingeschränkt seien. So leide er aufgrund der vielen Einschränkungen und der dadurch bedingten sozialen Isolierung unter massiven Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken. Der Verlust an Lebensqualität bei Menschen, die spät an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit erkrankt seien, sei daher unabhängig vom Vorliegen einer Sprachstörung ebenso schwer zu bewerten wie eine seit der Geburt vorliegende oder frühkindliche Taubheit.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018 abgewiesen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" seien nicht gegeben. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Schwerbehinderten- Ausweisverordnung (SchwbAwV) sei das Merkzeichen "Gl" in dem Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch gehörlos im Sinne des § 228 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) sei. Die weiteren Voraussetzungen folgen aus der gemäß § 241 Abs. 5 SGB IX anwendbaren Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersmedV). Nach Teil B Nr. 4 VersmedV gelten als gehörlos nicht nur Schwerbehinderte, bei denen eine Taubheit beiderseits vorliegt, sondern auch diejenigen, bei denen eine an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit vorliegt, wenn daneben schwere Sprachstörungen vorliegen. Das seien in der Regel Hörbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angeboren, oder in der Kindheit erworben wurde.
Diese Voraussetzungen würden beim Kläger unstreitig nicht vorliegen. Soweit er hierzu vortrage, dass eine aus seiner Sicht ebenso gravierende Beeinträchtigung gegeben sei, führe dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die Gleichstellung von Hörbehinderten mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit denjenigen, die bereits taub sind, hänge nicht davon ab, ob die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit früh oder spät erworben worden sei. Voraussetzung für die Gleichstellung sei vielmehr das Vorliegen schwerer Sprachstörungen, die im Regelfall – aber nicht zwangsläufig – vorliegen dürften, wenn die an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden sei. Deshalb komme eine Gleichstellung von Personen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit den Gehörlosen nach der eindeutigen Regelung der VersmedV nicht in Betracht. Es sei auch nicht von einer Diskriminierung oder Ungleichbehandlung von Personen mit früh oder spät erworben oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ersichtlich, da das Unterscheidungskriterium nicht die Frage sei, wann die Behinderung eingetreten sei, sondern ob eine die Kommunikation zusätzlich zu der Behinderung beeinträchtigende schwere Sprachstörungen vorliege, die eine Gleichstellung rechtfertige, oder nicht.
Der Kläger hat am 13. Februar 2018 gegen den am 7. Februar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg Berufung eingelegt und kritisiert, dass die schwereren Folgeerkrankungen einer spät an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit keine Beachtung gefunden hätten. Schwere Sprachstörungen seien bei ihm tatsächlich nicht gegeben, allerdings seien die gravierenden Folgen seiner an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die im Gerichtsbescheid angeführten Sprachstörungen würden seiner Ansicht nach überbewertet und es ergebe sich auch eine schwere Benachteiligung derer, die später an Taubheit/Schwerhörigkeit erkrankt seien. Eine Hörbehinderung mit schweren Sprachstörungen werde zu Unrecht höher bewertet als eine spät eingetretene Hörbehinderung. Denn in diesem Fall verliere der behinderte Mensch einen Großteil seiner bisherigen Lebensqualität. Das gelte für lieb gewonnenen Gewohnheiten, Hobbys, Freundeskreis und das frühere soziale Umfeld. Beide Beeinträchtigungen sollten gleichermaßen Berücksichtigung finden.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen des Sozialgerichts Hamburg im Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2018 ist die Berufung gegen den Gerichtsbescheid dem Berichterstatter übertragen wurden, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt.
Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 124 Abs. 2 SGG)
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg.
Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat es rechtmäßig mit Bescheid vom 18. Juli 2017 und Widerspruchsbescheid vom 16. August 2017 abgelehnt, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen. Hierauf besteht kein Anspruch, weil die unter Teil D Nr. 4 VersmedV aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Denn der Kläger ist nicht gehörlos und leidet unstreitig nicht an Sprachstörungen. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf das Urteil vom 31. Januar 2018 (§ 153 Abs. 3 SGG). Das Sozialgericht hat sich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt und mit zutreffenden Erwägungen dargelegt, dass ein Anspruch nicht besteht. Ergänzend ist anzumerken, dass Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung nunmehr § 228 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit § 152 Abs. 1, 3, 4 und 5 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BGBl I 2016,3234) ist. Die Neuregelung entspricht ihrem Inhalt der in der erstinstanzlichen Entscheidungen dargestellten Vorgängerregelung.
Die Einwände im Berufungsverfahren führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Situation behinderter Menschen, die erst spät unter an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit leiden, nicht ausreichend Beachtung gefunden habe. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass nach den Vorgaben der VersmedV, die über § 241 Abs. 5 SGB IX Anwendung finden und bindend sind, das in Rede stehende Merkzeichen nur für Gehörlose vorgesehen ist und nur unter der weiteren Voraussetzung zusätzlicher Sprachstörungen – egal zu welchem Zeitpunkt diese eingetreten sind – auch bei behinderten Menschen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit festgestellt werden kann. Nach den zu beachtenden Vorgaben kommt es im Zusammenhang mit dem Merkzeichen "Gl" nicht darauf an, wie intensiv sich die Beeinträchtigung durch die schwere Hörbehinderung darstellt.
Soweit der Kläger hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung oder Ungleichbehandlung erblickt, kann dem nicht gefolgt werden. Das Merkzeichen "Gl" soll grundsätzlich bei Taubheit/Gehörlosigkeit festgestellt werden. Nur ausnahmsweise besteht beim Vorliegen einer zusätzlichen Voraussetzung, nämlich einer schweren Sprachstörung, die hier unstreitig nicht gegeben ist, ein Anspruch. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass eine mit vollständiger Gehörlosigkeit vergleichbare Einschränkung erst dann gegeben ist, wenn Hörbehinderte, bei denen eine an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit vorliegt, unter gravierenden Sprachstörungen leiden, ist gerechtfertigt. Die vollständige Taubheit geht im Regelfall mit derartigen Sprachstörungen einher und führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation und sozialen Interaktion. Auch wenn dies in einem bestimmten Ausmaß bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit der Fall ist – die vom Kläger geschilderten Schwierigkeiten werden nicht in Abrede gestellt – ist die Möglichkeit der Kommunikation nicht gänzlich und in allen Situationen eingeschränkt. Das gilt insbesondere unter der Nutzung von Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich (Hörgeräten). Aufgrund des Resthörvermögens ist in bestimmten Situationen eine Verständigung durchaus möglich. Dies ist auch beim Kläger der Fall. Zwar bestehen im Außenbereich bzw. auf öffentlichen Plätzen sowie in Räumen mit schlechter Akustik erhebliche Schwierigkeiten, jedoch ist im Einzelgespräch wie sich gerade auch aus dem Entlassungsbericht vom 26. April 2017 der Dr. Becker Burg-Klinik ergibt, in welcher der Kläger in der Zeit vom 4. April 2017 des 13. April 2017 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme absolvierte, durchaus eine Verständigung möglich gewesen. Zwar hat der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme aufgrund der Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu verständigen, abgebrochen jedoch war im Einzelgespräch eine Verständigung mit den Ärzten und Therapeuten möglich. Bei zusätzlichen erheblichen Sprachstörungen wäre auch eine solche Kommunikation im geschützten Rahmen nicht mehr möglich. Erst dann besteht eine mit vollständig Gehörlosen vergleichbare Situation. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt deshalb nicht vor. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber das Merkzeichen Gehörlosigkeit ("Gl") auf vollständige Taubheit beschränkt und nur unter engen Voraussetzungen vorsieht. Soweit der Kläger auf die gravierenden und erheblichen Einschränkungen seiner Hörbehinderung und hieraus folgenden psychiatrischen Erkrankungen verweist, wird dies bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 80 und mit der Feststellung des Merkzeichens RF berücksichtigt. Der vom Kläger geforderte Nachteilsausgleich ist nach den Vorgaben der VersmedV in zutreffender Weise von der Beklagten vorgenommen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 SGG nicht vorliegen.
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