L 9 U 4034/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 U 2606/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4034/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Tinnitus als Unfallfolge streitig.

Der 1978 geborene Kläger, der als IT-Controller bei der B. in S. versicherungspflichtig beschäftigt war und ist, erlitt am 25.02.2014 auf dem Weg zur Arbeit einen Verkehrsunfall. Ein von hinten kommendes Auto fuhr auf seinen PKW (Audi A 4) mit solcher Geschwindigkeit auf, dass die Druckpatronen der Gurtstraffer an beiden Vordersitzen (oben links am Fahrersitz und oben rechts am nicht besetzten Beifahrersitz) explodierten. Die Airbags lösten indes nicht aus.

Der Kläger wurde noch am Unfalltag bei dem D-Arzt Dr. S. vorstellig, der als Erstdiagnosen eine Thoraxprellung und eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) stellte und bei der röntgenologischen Untersuchung von Thorax und HWS keine frischen knöchernen Verletzungen, keine Subloxations- oder Luxationsstellung, keinen Pneumothorax und keinen Pleuraerguss feststellen konnte (vgl. D-Arztbericht vom 26.02.2014).

Am 03.03.2014 erfolgte eine Nachuntersuchung durch Dr. S., nachdem der Kläger über zunehmende Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie "auch über weiter anhaltendes und jetzt vermehrtes Ohrgeräusch links" klagte. Es sei eine HNO-ärztliche Untersuchung veranlasst worden (vgl. ärztlicher Nachschaubericht vom 04.03.2014).

Am 04.03.2014 wurde der Kläger bei dem HNO-Arzt Dr. N. vorstellig, der den Verdacht auf ein akutes Knalltrauma der Ohren äußerte und eine Cortisontherapie veranlasste (vgl. Arztbericht vom 11.03.2014). Im Arztbericht ist zum Unfallhergang eingetragen "Auffahrunfall mit HWS-Trauma und Explosion eines Gurtstraffers, seither Tinnitus links mehr als rechts". Die Untersuchung der Trommelfelle war ohne Befund, das Tonaudiogramm zeigte im Seitenvergleich einen normalen Hörkurvenverlauf beidseits. Auf die von Dr. N. angefertigten Ton- und Sprachaudiogramme vom 04.03.2014 auf Bl. 36/37 der Verwaltungsakte wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 24.04.2014 teilte Dr. S. der Beklagten folgende Diagnosen mit: Thoraxprellung rechts, HWS-Distorsion, Myogelose der Schulter-Nacken-Muskulatur beidseits. Zudem teilte er mit, dass der Kläger bei der letztmaligen Untersuchung am 03.04.2014 weiterhin ein Rauschen in beiden Ohren angegeben habe und bezüglich der HWS-Symptomatik noch mäßige Myogelosen bestünden. Die Beweglichkeit der HWS sei ganz gut. Der Kläger berichte weiterhin über ein anhaltendes Ohrgeräusch in beiden Ohren.

Bei der Nachuntersuchung am 25.04.2014 berichtete der Kläger gegenüber Dr. S. über weiterhin bestehende Ohrgeräusche, die ihn auch beim Schlafen beeinflussen würden. Die Beschwerden im Bereich des Nackens seien unter laufender Krankengymnastik gebessert. Dr. S. stellte einen noch klinisch bestehenden Hartspann im Bereich des Musculus trapezius beidseits, keinen wesentlichen Klopf- oder Druckschmerz der HWS und eine intakte Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) peripher an beiden Armen fest.

Bei der Untersuchung des Klägers am 20.05.2014 im Klinikum S., Klinik für HNO, wurde ein intaktes reizloses Trommelfell beidseits festgestellt. Das durchgeführte Tonaudiogramm zeigte eine beidseits beginnende Pressbyakusis sowie einen Tinnitus beidseits - bei ungefähr 6 kHz lokalisierbar - (vgl. Arztbericht Prof. Dr. S. vom 11.06.2014). Der Weberversuch zeigte sich normal. Es wurde der Verdacht auf ein Schleudertrauma geäußert und eine einwöchige Cortisontherapie verordnet. Prof. Dr. S. führte in dem Arztbericht aus, dass der beidseitige Tinnitus vom Unfall unabhängig sei.

Bei der Untersuchung durch den Facharzt für Neurologie S. am 27.05.2014 gab der Kläger an, seit dem Unfall über fast täglich auftretende holozephale Kopfschmerzen und einen Tinnitus beidseits links mehr als rechts, den er als Dauerton wahrnehme, zu leiden (vgl. Arztbericht vom 27.05.2014). Die neurologische Untersuchung blieb ohne Befund. Herr S. führte aus, dass es sich zusammenfassend um sekundäre Spannungskopfschmerzen bei HWS-Distorsion und einen Tinnitus nach Knalltrauma unter Stressbelastung handle. Für eine Dissektion als Ursache der Nacken- und Kopfschmerzen und des Tinnitus habe sich doppler- und dublexsonographisch kein Anhalt ergeben. Bei unauffälligem EEG und normalem klinisch-neurologischem Befund zeige sich auch kein Hinweis für eine intrakranielle Schädigung. Auch gebe es keinen Hinweis für eine Schädigung von Nervenwurzeln oder Rückenmark im Bereich der HWS.

Bei der Nachuntersuchung durch Dr. S. am 14.07.2014 berichtete der Kläger über eine Besserung der Beschwerden seitens der HWS. Die Kopfschmerzen würden in unterschiedlichen Abständen auftreten. Der Tinnitus bestehe weiterhin (vgl. ärztlicher Zwischenbericht vom 15.07.2014).

Bei der Untersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) T. am 28.07.2014 wurde eine in alle Richtungen frei bewegliche HWS ohne wesentlichen Muskalhartspann paravertebral und eine klopfschmerzfreie BWS und LWS festgestellt (vgl. Zwischenbericht vom 22.08.2014). Bei Zustand nach HWS-Distorsion seien die muskuloskelettalen Beschwerden im Bereich der HWS weitgehend abgeheilt. Problematisch seien noch ein Tinnitus und ein Spannungskopfschmerz. Inwiefern hier ein Unfallzusammenhang hergestellt werden könne, könne ohne Vorlage der Facharztbefunde nicht hinreichend beurteilt werden. Vor allem der Spannungskopfschmerz könne natürlich bei sitzender Tätigkeit/Bürotätigkeit auch ohne Unfallereignis auftreten.

Im ärztlichen Bericht vom 07.08.2014 teilte Dr. S. mit, dass der Kläger über weiterhin bestehenden Tinnitus berichte und im Bereich der HWS und der Schulter-Nacken-Region noch ein mäßiger Hartspann bei freier Beweglichkeit der HWS bestehe.

Eine am 12.08.2014 durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) der HWS zeigte keine posttraumatischen Veränderungen und einen im Wesentlichen unauffälligen Befund (vgl. Zwischenbericht der vom 22.08.2014).

Bei der Untersuchung am 18.08.2014 in der BGU wurden die Diagnosen Tinnitus beidseits und rezidivierende Verspannungskopfschmerzen nach HWS-Distorsion vom 25.02.2014 gestellt (vgl. ärztlicher Zwischenbericht vom 22.08.2014). Das Hauptproblem sei – so die Ärzte – nach wie vor der Tinnitus beidseits. Diesen empfinde der Kläger als störend. Gemäß den Berichten des Neurologen S. und des K. in S. sei der Tinnitus als posttraumatisch anzusehen. Es werde keine spezifische erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit gesehen. Der Kläger wolle jedoch nichts unversucht lassen.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 10.09.2014 mit, dass sich die Ohrgeräusche in Form von Piepsen und teilweisem Rauschen zeigen würden. Diese Ohrgeräusche seien zum ersten Mal direkt nach dem Unfall aufgetreten. Seitdem seien die Ohrgeräusche unverändert, sie beträfen beide Ohren, links stärker als rechts. Er empfinde die Ohrgeräusche bei Ruhe störend, ebenso bei Stress auch mit Nebengeräuschen. Die Ohrgeräusche würden immer als Dauerton auftreten und sie würden mit lauter werdenden Nebengeräuschen leiser werden. Er fühle sich durch die Ohrgeräusche beim Einschlafen und bei Ruhe und Entspannung beeinträchtigt, ebenso im Büro bei Stress, da die Geräusche dann stärker würden. Auf die Frage, was für ihn belastender sei, die Schwerhörigkeit oder die Ohrgeräusche, antwortete der Kläger, die Ohrgeräusche, Schwerhörigkeit sei ihm nicht bewusst/bekannt.

Bei der Untersuchung am 04.09.2014 im K. in S. wurde die Diagnose Tinnitus beidseits gestellt und als Therapieempfehlung ein Tinnitus-Counseling, gegebenenfalls die Vorstellung in einer Tinnitusambulanz sowie bei Bedarf eine hyperbare Sauerstofftherapie ausgesprochen (vgl. Arztbericht vom 04.09.2014). In der Untersuchung habe sich in der Ohrmikroskopie ein regelrechter Befund gezeigt. In einem durchgeführten Tonaudiogramm zeigte sich ein nahezu normales Hörvermögen beidseits. Lediglich in den hohen Frequenzen wurde ein leichter Abfall der Hörkurve bis 35 dB festgestellt. Der Tinnitus ließ sich bei 6 kHz und 30 bis 40 dB beidseits feststellen.

Nach einer vom Kläger übersandten Versichertenauskunft der Krankenkasse wurde der Kläger am 07.08.2008 von dem HNO-Arzt Dr. M. wegen Tinnitus aurium, Hörverlust, sonstiger akuter Sinusitis und sonstiger allergischer Rhinopathie und am 17.02.2010 von dem Nervenarzt R. wegen Spannungskopfschmerz behandelt.

Auf Anfrage der Beklagten übersandte Dr. M. mit Schreiben vom 18.09.2014 einen Befundbericht mit der Dauerdiagnose "H93.1G Tinnitus" nach Autounfall vor fünf Monaten mit seitdem anhaltenden Kopfschmerzen und Tinnitus und seit zwei Wochen Erkältung mit Stirnkopfschmerzen rechts. Zudem übersandte er den Auszug aus der Behandlungsakte. Darin ist unter anderem am 21.06.2005 vermerkt: Seit gestern Stirnkopfschmerzen beim Bücken, Nase verstopft, Ohrendruck, seit Monaten Stechen im rechten Ohr, wenn er bei der Kasse im Supermarkt stehe; Gehörgang, Trommelfell und Pauke beidseits ohne Befund. Eine am 06.07.2005 durchgeführte Audiometrie zeigte beidseits eine altersentsprechend verlaufende Tonschwelle. Am 07.08.2008 wurde vermerkt: H93.1G Ausschluss Tinnitus, H91.9A Ausschluss Hörstörung, vor 5 Tagen Raftingunfall, jetzt Piepsen im linken Ohr, Konzentrationsstörung. Die audiometrische Untersuchung an diesem Tag zeigte danach eine Tonschwelle beidseits bei 10 dB, perfektes Hörvermögen und keine Tinnitusfrequenz. Für den 19.09.2013 ist als Diagnose eine Sinusitis vermerkt mit Erkältung vor vier Wochen, jetzt immer noch starke Stirnkopfschmerzen, Ohrgeräusch beidseits am Abend in Ruhe. Am 30.07.2014 ist vermerkt: DD H93.1G Tinnitus, vor zwei Wochen Erkältung, jetzt Stirnkopfschmerzen rechts.

Der Beratungsarzt Dr. J. teilte in seiner Stellungnahme vom 07.10.2014 auf Anfrage der Beklagten mit, dass ihm unbekannt sei, dass ein Explosionstrauma durch das Bersten eines Gurtstraffers auftreten könne. Es sei davon auszugehen, dass tatsächlich ein Explosionstrauma nicht erlitten sein könne, da dieses definitionsgemäß mit Trommelfellperforationen einhergehe. Das akustische Lärmtrauma entstehe dagegen durch die Einwirkung auch hoher Schallstärken über die Dauer einiger Minuten, wobei der Schallpegel zwischen 130 und 160 dB liege. Die Hörstörung sei immer sofort nach Beendigung der Lärmbelastung vorhanden, meist hochtonig mit bestehender Besserungstendenz. Der Befund entspreche dann aber am traumatisierten Ohr dem einer fortgeschrittenen Lärmschwerhörigkeit bei positivem Rekruitment. Eine hochtonige Beeinträchtigung des Hörvermögens im Sinne einer C5-Senke liege nicht vor. Therapeutische Maßnahmen bestünden dennoch. Die hyperbare Sauerstofftherapie sei ein halbes Jahr nach dem Unfall nicht mehr erfolgsversprechend, so dass man ein Kurverfahren in einer Tinnitus-Klinik/psychosomatischen Klinik vornehmen könne. Diese Maßnahme könne Erfolg haben, sofern der beidseitige Tinnitus vielleicht doch in der Gesamtheit am ehesten auf Stresssituationen zurückzuführen sei. So wäre weniger ein akustisches Trauma Ursache für den Tinnitus als eher eine psychogene Reaktion.

Mit Bescheid vom 22.10.2014 über die "Ablehnung von Leistungen über den 04.04.2014 hinaus" entschied die Beklagte, dass 1.) ein Anspruch auf Heilbehandlung wegen des Unfalls vom 25.02.2014 bis 04.04.2014 besteht und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 14.03.2014 bestanden habe, die darüberhinausgehenden Beschwerden aber nicht mehr unfallbedingt seien und 2.) kein Anspruch auf Rente besteht. Als Folgen des Versicherungsfalls erkannte die Beklagte an: folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion und Brustkorbprellung. Als Folgen des Versicherungsfalls erkannte sie nicht an: Tinnitus beidseitig, anhaltend wiederkehrende Kopfschmerzen, anhaltende muskuläre Verspannung im Hals-Nackenbereich. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sowohl ein Knalltrauma als auch ein Explosionstrauma zu einem unmittelbar messbaren Schaden des Hörvermögens führe, ein solcher beim Kläger ärztlicherseits nicht festgestellt wurde. Bei den Ohrgeräuschen handele es sich nur um Symptome, nicht um eine Krankheit. Ein Tinnitus als Folge eines Traumas könne nur wahrscheinlich sein, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufträten, wie z.B. eine messbare Hörstörung, neurologische Ausfälle oder knöcherne Schädelverletzungen. Die HNO-Untersuchung am 04.03.2014 habe ein normales Hörvermögen gezeigt. Der Unfallhergang ohne Auslösen des Airbags stelle kein akustisches Trauma im Sinne der medizinischen Definitionen dar. Eine unfallbedingte Ursache für den Tinnitus bestehe nicht. Er sei bereits wenige Monate vor dem Unfall vom Kläger angegeben worden, bereits hier, wie auch nach dem Unfall, verstärkend im Zusammenhang mit Stressbelastung. Auch traumatisch bedingte Schäden im Bereich der HWS hätten sich nicht finden lassen. Die anhaltenden Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich seien unspezifisch und könnten länger anhaltend nicht auf ein Distorsionstrauma zurückgeführt werden.

Seinen am 07.11.2014 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass der Tinnitus von mehreren Seiten bestätigt worden sei und er sich deswegen noch weiter behandeln lassen müsse. Der Neurologe S. und das K. hätten den Tinnitus als posttraumatisch diagnostiziert. Dies ergebe sich auch aus dem Zwischenbericht der BGU vom 22.08.2014. Die mit anhaltenden Stirnkopfschmerzen verbundene Erkältung sei nicht relevant, da diese Ohrgeräusche nach dem Abklingen der Nasennebenhöhlenentzündung nicht mehr vorhanden gewesen seien. Die Behauptung, dass die Ohrgeräusche verstärkend in Zusammenhang mit Stressbelastung bestünden, stimme nicht und stehe auch nicht so in seiner Akte. Der Raftingunfall im Jahr 2008 habe keinen Tinnitus ergeben. Dies sei lediglich eine Verdachtsdiagnose gewesen, weitere Untersuchungen hätten diesen Verdacht widerlegt. Eine messbare Hörstörung, die als Voraussetzung für ein Knalltrauma angegeben werde, sei durch das K. am 20.05.2014 (beginnende Pressbyakusis) festgestellt worden. Sechs Jahre zuvor, nach dem Raftingunfall, sei bei ihm von Dr. M. noch ein perfektes Hörvermögen festgestellt worden. Zur weiteren Begründung legte der Kläger ein Sicherheitsdatenblatt zum Gurtstraffer von Opel, eine Anweisung der Gewerbeaufsicht Baden-Württemberg zur Lagerung von Gurtstraffern und Airbags, eine Anweisung des Arbeitsschutzes Hamburg für das Kfz-Gewerbe für den Umgang mit Airbags und Gurtstraffern vor. Insoweit wird auf Bl. 286 bis Bl. 344 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Auf Anfrage der Sachbearbeiterin beim Präventionsdienst der Beklagten vom 12.03.2015 wurde von dort mitgeteilt, dass sich die vom Kläger übersandten Unterlagen vorrangig auf die Gefährdung beim Airbag beziehen würden. Ein Sicherheitsdatenblatt zum Gurtstraffer beziehe sich nicht auf den verbauten Zustand mit gezielter Auslösung. Zum Thema Gurtstraffer gebe es keinerlei neue Erkenntnisse. Ein Anruf beim Institut für Arbeitsschutz St. A. ergab, dass auch dort bisher keine derartigen Messungen erfolgt sind.

Auf Anfrage des Präventionsdienstes beim Institut für Arbeitsschutz zu Messwerten bezüglich der Lärmexpositionen durch Auslösung von Gurtstraffern teilte Letzteres im Jahr 2015 mit, dass entsprechende Recherchen in der Meta-Datenbank und in der Literatur nicht erfolgreich gewesen seien und auch keine ausreichend gesicherte Abschätzung der Impulsbelastung möglich sei. Auch bei der Schweizerischen Unfallversicherung (SUWA), die bereits mehrfach die Knalle von Airbags untersucht habe, gebe es keine Erfahrungswerte zu der beim Auslösen von Gurtstraffern anzunehmenden Lärmexposition. Man könne die Durchführung entsprechender Impulslärmmessungen anbieten, falls sich die zu beurteilende Situation nachstellen lasse, z.B. durch einen Automobilhersteller. Hierauf teilte der Präventionsdienst dem Institut mit, dass der Aufwand für eine Nachstellung der Situation unverhältnismäßig sei; wenn die Gurtstraffer ein echtes Problem wären, hätte man sicher schon längst entsprechende Erfahrungen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es bestehe weiterhin kein Anspruch auf Feststellung des bestehenden Tinnitus als Unfallfolge. Hinsichtlich der mit Vollbeweis erforderlichen geeigneten äußeren Einwirkung hätten umfangreiche Nachfragen ergeben, dass eine gefährdende Auswirkung der in den Gurtstraffern teilweise verbauten Patronen nicht als möglicherweise gefährdend für die Fahrzeuginsassen im Falle einer Auslösung bekannt sei. Trotz der Vielzahl von Verkehrsunfällen, bei denen der Gurtstraffer insbesondere ohne Airbag auslöse, seien derartige gefährdende Auswirkungen nicht bekannt. Eine starke Druckwelle zwischen 160 bis 180 dB im Falle eines Knalltraumas sei weder für den Tatbestand einer nennenswerten Druckwelle noch für die Lautstärke erfüllt. Zudem fehle es an der für ein Knalltrauma erforderlichen Innenohrschwerhörigkeit. Diese habe nachweislich der vorliegenden Tonaudiogramme beim Kläger nicht vorgelegen. Ein Hörverlust, der eine unfallbedingte Entstehung des Tinnitus untermauern könnte, habe ebenfalls nicht diagnostiziert werden können. Letztmalig sei bei ihm am 11.03.2014 durch Dr. N. eine Normalhörigkeit belegt worden. Ohrgeräusche seien lediglich Symptome und keine eigenständige Krankheit. Der Tinnitus als Oberbegriff für Ohrgeräusche könne vielfältige Ursachen haben oder sei in vielen Fällen idiopathisch (ohne klärbare Ursache). Sei eine HWS-Distorsion eingetreten, so handle es sich hierbei auch zunächst nur um eine Schädigung ohne Verletzung von Knochen- oder Weich- teilstrukturen, die nach wenigen Tagen bis Wochen zwangsläufig folgenlos ausgeheilt sei. Eine derartige Verletzung könne nur dann als Ursache für Ohrgeräusche in Frage kommen, wenn weitere pathologische Befunde am Hör- oder Gleichgewichtsorgan (insbesondere Hörstörung, neurologische Ausfälle, Schädelbasisfraktur) nachzuweisen seien. Morbiditäten könnten einen Tinnitus verstärken oder einen kompensierten Tinnitus dekompensieren. Hierzu gehörten insbesondere psychische Störungen, organische Störungen (Muskelverspannungen im Kiefergelenk- und HWS-Bereich, Broxismus), Durchblutungsstörungen sowie Beeinträchtigung der Hörverarbeitung oder Wahrnehmung (Schwindel, Benommenheit, Hörminderung). Da keine begleitenden krankhaften Befunde wie Hörminderung, neurologische Ausfallerscheinungen u.Ä. vorhanden seien, könne die isolierte HWS-Distorsion nach den geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen isolierten Tinnitus verursachen oder verschlimmert haben. Als Gesundheitserstschäden seien eine HWS-Distorsion sowie eine Brustkorbprellung eingetreten. Diese sei nicht geeignet, einen anhaltenden beidseitigen Tinnitus zu begründen.

Der Kläger hat am 06.05.2015 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben mit dem Begehren, den Tinnitus als Unfallfolge festzustellen.

Dr. M. hat auf Frage des SG im Juni 2015 mitgeteilt, dass es keine Aufzeichnungen des Tonaudiogramms gebe, sondern lediglich nur die bereits bekannten und dokumentierten audiometrischen Einträge vom 06.07.2005 und 07.08.2008.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen das Gutachten des Facharztes für HNO Dr. S. vom 07.07.2015 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers am selben Tag erstattet hat. Dort hat der Kläger angegeben, dass er noch am Unfalltag zum Unfallarzt gegangen sei, eigentliche Beschwerden an der Wirbelsäule und vor allem Ohrprobleme habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gehabt. Erst gegen 18.00 Uhr abends habe er dann Beschwerden in der Wirbelsäule, vor allem in der HWS bemerkt und ein Pfeifen und Rauschen in beiden Ohren wahrgenommen, wobei die Geräusche auf der linken Seite stärker ausgeprägt gewesen seien und auch heute noch sind, als auf der rechten Seite. Eine eigentliche Hörminderung habe er praktisch nie bemerkt, weder unmittelbar nach dem Unfallereignis (zu diesem Zeitpunkt habe auch kein Ohrgeräusch bestanden), aber auch nicht im weiteren Verlauf abends, als die Ohrproblematik mit Ohrgeräuschen begonnen habe. Ein Druckgefühl oder ein "zufallendes Ohr" habe er nicht bemerkt, auch kein Wattegefühl im Ohr rechts oder links. Wegen der Wirbelsäulenbeschwerden habe er eine Physiotherapie durchgeführt. Weitere Behandlungen, vor allem weitere Behandlungen der Ohrgeräusche seien nicht durchgeführt worden. Aktuell zur gutachterlichen Untersuchung hat er über keine Wirbelsäulenbeschwerden mehr geklagt. Zudem hat er angegeben, dass die nach dem Raftingunfall im Jahr 2008 aufgetretenen Ohrgeräusche sowie die im Jahr 2014 im Rahmen der Sinusitis aufgetretenen Ohrgeräusche nach zwei Wochen weg gewesen seien. Im Rahmen der gutachterlich durchgeführten tonaudiometrischen Untersuchung zeigte das rechte Ohr bei der Prüfung der Knochenleitung eine Hörschwelle von 10 dB bei 250, 500, 1000, 2000, 3000, 4000 und bei 6000 Hz (für beide Ohren). Die sprachaudiometrische Untersuchung zeigte keinen Hörverlust für Zahlen (beidseits 0 dB), das Gesamtwortverstehen WS betrug beidseits 300. Im Rahmen des Tympanogramms zeigte sich eine seitengleiche Trommelfellbeweglichkeit mit normalen Druckverhältnissen in beiden Augenhöhlen. Die Stapediusreflexe waren beidseits bei normaler Schwelle auslösbar. Ohrgeräusche beidseits wurden im Bereich von 6000 Hz wahrgenommen, die beidseits mit 5 bis 10 dB über der individuellen Schwelle vertäubt werden konnten. Dr. S. gelangte in seinem Gutachten zusammenfassend zu der Einschätzung, dass beim Kläger im Ton- und Sprachaudiogramm eine absolute Normalhörigkeit beidseits mit einem subjektiven Tinnitus beidseits, lokalisiert im Hochfrequenzbereich, vorliege. In der Literatur sei auch nach ausführlicher Recherche bislang kein Fall bekannt, bei welchem durch die Detonation von Gurtstraffern eine Innenohrschädigung beschrieben werde. Nichtsdestotrotz scheine die Detonation einer Sprengkapsel bei dem Gurtstraffer durchaus geeignet, eine Innenohrschädigung in vergleichbarem Ausmaße wie bei einer Detonation eines Airbags zu verursachen. Anhand des vom Kläger mitgebrachten Merkblatts "Der Airbag- und Gurtstraffercheck für das Kraftfahrzeughandwerk – eine Handlungshilfe für Werkstätten und Instandhaltungsbetriebe" sei zunächst davon auszugehen, dass für die Detonation von Airbags und von Gurtstraffern gleiche oder zumindest vergleichbare Druckpatronen verwendet würden. In Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland scheinbar immer beide Patronen, d.h. am Fahrer- und am Beifahrersitz gleichzeitig ausgelöst würden, könne insbesondere beim Fahrer auf der linken Seite durch die unmittelbare Nähe des Gurtes am linken Ohr eine Lärmschädigung ausgelöst werden. Er – Dr. S. – habe eine solche Schädigung bislang nicht zu Gesicht bekommen. Messwerte darüber, wie hoch de facto die Lärmbelastung bei der Detonation von Gurtstrafferdruckpatronen sei, gebe es nicht. Deshalb müsse im Einzelfall genau der klinische Verlauf und die Dokumentation der Erkrankung geprüft werden für die Frage, ob in diesem Einzelfall tatsächlich von einer lärmtraumatischen Schädigung ausgegangen werden könne. Ein Knalltrauma entstehe durch einmalige und wiederholte Einwirkung einer sehr starken Schalldruckwelle, deren Druckspitze zwischen 160 und 190 dB liege. Wenn die Dauer der Druckwelle sehr kurz sei (1 bis 3 ms), bleibe das Trommelfell intakt und es trete lediglich eine Schädigung am Innenohr ein. Die ausschließliche Schädigung des Innenohrs sei das Kennzeichen des Knalltraumas (Literatur: Das Gutachten des HNO-Arztes von H. F. und T. B. – 7. Auflage). Subjektiv empfinde der Geschädigte sofort eine Vertäubung der Ohren, verbunden mit Tinnitus, oft auch einen stechenden Schmerz. Die Schädigung betreffe in der Regel die hohen Frequenzen in Form einer mehr oder weniger breiten Senke mit dem Maximum bei 4000 bis 6000 Hz. Das Rekruitment sei immer positiv. Als stärkeren Grad der Schädigung finde man aber auch einen Schrägabfall, der sich erst im Laufe der Restitution in die Hochtonsenke umbilde. Eine vollständige Ertaubung oder eine vestibuläre Beteiligung komme praktisch nicht vor. Ausweislich der Dokumentation in den vorliegenden Akten habe der Kläger wohl erst nach mehreren Tagen über einen Tinnitus geklagt. Dies würde einem Knalltrauma absolut widersprechen, da charakteristisch die sofortige Vertäubung sei. Man könne nun dem Verletzten zugutehalten, dass er möglicherweise durch den Unfall unter Schock gestanden habe und seine Gedanken gar nicht habe so richtig sortieren können und erst nach gewisser Zeit der Erholung sich gesundheitlicher Schäden bewusst geworden sei. Selbst wenn jedoch der Tinnitus bereits unmittelbar nach dem Unfallereignis aufgetreten sei, wie dies nun im Rahmen der Anamneseerhebung vom Kläger angegeben werde, sei dennoch nicht von einem Knalltrauma auszugehen, da dieses eine sofortige Innenohrschädigung mit Hörminderung im Hochfrequenzbereich erfordere. Im weiteren Verlauf könne sich dann die Innenohrschwerhörigkeit wieder bessern. Auch eine vollständige Erholung des Innenohrs sei mit oder ohne Therapie durchaus möglich. Im aktuellen Ton- und Sprachaudiogramm des Klägers könne keine traumatische Hochtonschädigung nachgewiesen werden. Es bestehe eine absolute Normalhörigkeit. Selbst wenn man davon ausginge, dass möglicherweise doch anfänglich eine lärmtypische Hochtonsenke vorgelegen haben könnte und dies dem Kläger durch die Schocksituation gar nicht so bewusst gewesen sei, habe sich diese möglicherweise vorübergehende Innenohrschädigung jedoch wieder spontan und vollständig bis zur ersten HNO-ärztlichen Untersuchung mehrere Tage nach dem Unfallereignis im März 2014 erholt. Eine vorübergehende Vertäubung durch ein Unfallereignis könne eventuell auch zu einem vorübergehenden, aber niemals zu einem permanenten Tinnitus führen. Aufgrund dieser Erkenntnisse sei demnach der vorliegende Tinnitus ohne nachweisbare lärmtypische Hochtonsenke auf gar keinen Fall als traumatische Innenohrschädigung zu werten. Dies ergebe sich auch aus dem Königsteiner Merkblatt aus dem Jahr 2012, wonach es einen lärmbedingten Tinnitus ohne lärmbedingten Hörverlust nicht gebe. Hier liege lediglich ein Tinnitus vor. Eine Schwellenabwanderung im Tonaudiogramm liege nicht oder nicht mehr vor. Demnach sei auch der vorliegende Tinnitus ohne nachweisbare Schwellenabwanderung im Tonaudiogramm keinesfalls als lärmbedingt zu sehen. Eine weitere Überlegung sei, dass der Tinnitus tatsächlich erst mit Beginn der HWS-Beschwerden aufgetreten sei und möglicherweise hierzwischen ein kausaler Zusammenhang bestehe (HWS-Beschwerden beispielsweise Muskelverspannungen oder Bewegungsblockierung). Da die HWS-Beschwerden jedoch nicht mehr bestünden, könne auch hier kein kausaler Zusammenhang zwischen Tinnitus und diesen bejaht werden. Ein Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Tinnitus bestehe nach alledem nicht.

Der Kläger hat im Klageverfahren ein ärztliches Attest von Dr. S. vom 22.07.2015 vorgelegt, wonach er bei einer Untersuchung am 27.02.2014 nächtliche Ohrgeräusche beidseits sowie ein Rauschen und auch Kopfschmerzen angegeben habe.

Der Kläger befand sich vom 03.11. bis 27.11.2015 in der M. in St. W. in der Abteilung Tinnitus in stationärer Rehabilitationsmaßnahme. Kostenträger war der Rentenversicherungsträger. Dort wurden chronischer Tinnitus aurium bei Zustand nach Knalltrauma, Hyperakusis, HWS-Syndrom und Erschöpfungssyndrom diagnostiziert (vgl. Entlassbericht vom 17.12.2015). Im Rahmen der sozialmedizinischen Epikrise führten die behandelnden Ärzte aus, dass unregelmäßige Arbeitszeiten, überdurchschnittlicher Termin- und Zeitdruck bei Tinnitus unzumutbar seien. Im Rahmen der Abschlussbefundung führten die Ärzte aus, dass sich gegenüber dem Eingangsbefund eine Besserung der Hyperakusis gezeigt habe. Das dort durchgeführte Tonaudiogramm zeige einen geringgradigen Hörverlust im Hochtonbereich bis zu 25 dB. Der Rest der Hörkurve liege zwischen 5 und 10 dB. Dies könne ein Hinweis auf eine Innenohrschädigung sein bzw. die Entstehung von Tinnitus. Hierzu hat der Kläger die Audiogramme vom 03.11.2015 vorgelegt (Bl. 159 der LSG-Akte).

Das SG hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten bei dem HNO-Arzt Dr. N. vom 10.12.2015 eingeholt, der unter Verweis auf die Behandlung des Klägers seit 04.03.2014 ausgeführt hat, dass der Kläger bereits bei der ersten Konsultation am 04.03.2014 angegeben habe, dass er unmittelbar nach dem Unfall ein linksbetontes Ohrgeräusch verspürt, eine subjektive Hörminderung zum Untersuchungszeitpunkt aber nicht vorgelegen habe. Im Rahmen der gutachterlichen Anamneseerhebung hat der Kläger gegenüber Dr. N. angegeben, dass er nach der Untersuchung durch Dr. S. am Unfalltag nach Hause gegangen sei und dort bemerkt habe, dass irgendetwas mit seinen Ohren nicht stimme, er ein linksbetontes, aber auch rechts wahrnehmbares Piepsen vernommen und ein Druckgefühl im Ohr verspürt habe. Dieses habe er zunächst nicht als vordergründig gesehen, da er überwiegend wohl noch geschockt und zunächst einmal erleichtert gewesen sei, dass er keine schweren Verletzungen gehabt habe. Zwei Tage später sei er dann letztlich doch stutzig geworden und habe nochmals den Kollegen S. aufgesucht. Trotz des am 04.03.2014 festgestellten seitengleich normalen Hörkurvenverlaufs sei unter der Verdachtsdiagnose des statt gehabten Knalltraumas und des persistierenden Tinnitus eine Cortisontherapie vorgenommen worden. Zu den aktuellen Beschwerden hat der Kläger angegeben, dass nach der Cortisionbehandlung zwar das Druckgefühl im Ohr verschwunden sei, er aber weiterhin an linksbetonten Ohrgeräuschen leide. Bei Stress würde er dieses verstärkt wahrnehmen, teilweise habe er dadurch Probleme, sich auf bestimmte Dinge zu konzentrieren. Die HWS-Beschwerden seien mit einer Physiotherapie erfolgreich behandelt worden und letztlich vollständig ausgeheilt. Auch er – Dr. N. – gehe davon aus, dass die Detonation beider Druckpatronen in den Gurtstraffern einen Innenohrschaden verursachen könne. Er könne der Einschätzung des Gutachters Schutz nicht folgen, der auf das Königsteiner Merkblatt Bezug nehme. Die dortigen Ausführungen würden sich auf einen Begleit-Tinnitus im Rahmen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit beziehen. Im Königsteiner Merkblatt werde die Schädigung des Gehörs durch ein einmaliges Lärmereignis, z.B. Knalltrauma eindeutig davon abgegrenzt. Die aktuelle S3-Leitlinie (chronischer Tinnitus) vom Februar 2015 weise darauf hin, dass ein Innenohrschaden als Ursache eines Ohrgeräusches nicht zwangsläufig im Tonschwellenaudiogramm offensichtlich werden müsse. Nach einer weiteren Arbeit von Weihäuser-Franke werde darauf hingewiesen, dass es zeitnah zum Tinnitusbeginn zu einer Verschlechterung des Hörvermögens komme, auch wenn dieses von dem Betroffenen nicht bemerkt werde und im Nachhinein audiometrisch nicht mehr verifiziert werden könne. Hörverlust und Tinnitus könnten auch jeweils isoliert auftreten. Selbst ein isolierter Tinnitus könne eine Vorstufe eines später folgenden Hörverlustes sein. Bei dem Kläger liege ein normales Hörvermögen beidseits vor. Das bestehende chronische Ohrgeräusch, welches zum Zeitpunkt des Gutachtens als gerade noch kompensiert einzuschätzen sei, sei Folge eines Knalltraumas, dies insbesondere auch unter dem Aspekt, als andere ursächliche Gründe sowohl anamnestisch als auch klinisch nicht aufzudecken seien. Funktionell bestünden bereits jetzt Störungen im Sinne von zeitweiligen Konzentrations- und Einschlafstörungen. Sofern Dr. S. davon ausgehe, dass das Ohrgeräusch erst Tage nach dem Unfall aufgetreten sei, könne er dem nicht folgen. Eine Begutachtung auf einem anderen Gebiet erscheine nicht erforderlich, da anamnestisch oder klinisch keine in der Persönlichkeit des Versicherten begründete Reaktionsweise (z.B. im Sinne einer Neurose oder anders gearteten psychischen Störung) als wesentlicher Faktor für die Entstehung und den Verlauf des Beschwerdebildes ausgemacht werden könnten. Es könnten sich allerdings durch die im Rahmen der jetzt erfolgten Tinnitus-Retrainingstherapie noch Änderungen in der Tinnitusverarbeitung durch den Kläger ergeben, sodass hierzu abschließende Bewertung noch einer neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung notwendig werden würde.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.02.2016 hat Dr. S. ausgeführt, dass die widersprüchlichen Aussagen des Klägers zum erstmaligen Auftreten des Tinnitus im Ergebnis irrelevant seien, da ein Knalltrauma nur gegeben sei, wenn eine Schädigung auch am Innenohr im Sinne von objektivierbaren pathologischen Befunden nachgewiesen sei. Alle Argumente würden gegen den Tinnitus als Unfallfolge sprechen.

Mit Urteil vom 12.10.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der beidseitige Tinnitus bei normalem Hörvermögen nicht wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 25.02.2014 zurückzuführen sei. Den Vollbeweis eines Knalltraumas könne der Kläger nicht führen. Voraussetzung sei, wie sich aus dem Gutachten von Dr. S. ergebe, dass eine Hörstörung aufgetreten sei. Diese lasse sich nicht nachweisen. Mangels Erstschaden könne daher der Tinnitus nicht Folge des Unfalls sein. Überdies würden keine belastbaren wissenschaftlichen Daten zu Detonationsgeräuschen beim Auslösen von Gurtstraffern vorliegen. Selbst wenn man jedoch – wie die Gutachter – von einer Vergleichbarkeit von Detonationsgeräuschen von Airbags und Gurtstraffern ausgehe und ein solches Knalltrauma unterstelle, lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang nicht begründen. Dagegen spreche bereits die zeitliche Komponente bezüglich des Auftretens des Tinnitus. Dr. N. ziehe allein aus der nunmehr gemachten Darstellung des Klägers bzw. ausgehend vom bestehenden Schädigungsbild und der Annahme, dass ein Knalltrauma wahrscheinlich sei, den Rückschluss, dass es unwahrscheinlich sei, dass der Tinnitus erst Tage später aufgetreten sei. Dieser Rückschluss sei aber nicht zulässig. Zudem habe der gerichtliche Sachverständige Dr. S. zutreffend darauf hingewiesen, dass die von Dr. N. in Bezug auf die Innenohrschädigung als Voraussetzung zitierte S3-Leitlinie sich auf den idiopathischen, nicht aber knalltraumatischen Tinnitus beziehe. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche weiterhin, dass die Tinnitusproblematik bei dem Kläger nicht erstmalig im Zusammenhang mit dem Unfall aufgetreten sei, sondern bereits vorher entsprechende Probleme dokumentiert seien. Es komme daher nicht darauf an, ob sich mit Rückbildung der Hörstörung auch der Tinnitus wieder zurückgebildet habe.

Der Kläger hat am 03.11.2016 gegen das ihm am 31.10.2016 zugestellte Urteil Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr. N. bezogen. Das SG hätte zunächst Beweis erheben müssen zu der Frage, ob die Explosion des Gurtstraffers ein entsprechendes Knalltrauma bewirke, wie dieses bei Airbagexplosionen der Fall sei, wenn es sich überraschend auf die Auffassung stütze, ein Knalltrauma sei im Vollbeweis nicht nachgewiesen. Insoweit liege, da dieses erstmalig im Verhandlungstermin durch das SG angeführt worden sei, ein Überraschungsurteil vor. Zu den technischen Voraussetzungen des geschilderten Knalltraumas hätte es eines Sachverständigengutachtens durch einen Techniker bedurft. Zudem habe das SG nicht ausreichend berücksichtigt, dass Dr. Schutz in seinem Gutachten maßgeblich auf das Königsteiner Merkblatt abgestellt habe, das aber für die Beurteilung eines Knalltraumas völlig untauglich sei. Zudem sei im Hinblick auf die Aufklärungspflicht des SG zu rügen, dass es sich nicht damit auseinandersetze, dass der Kläger den Tinnitus, soweit man ein Knalltrauma für nicht nachgewiesen halte, auch durch das Aufprallgeräusch (Verformen des Metalls, Glas) erlitten haben könne.

Der Senat hat am 26.09.2017 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt, in dem der Kläger auf nochmalige Nachfrage erklärt hat, dass er nachmittags bemerkt habe, dass mit seinen Ohren etwas nicht stimme und er ein Rauschen und Piepsen vernommen habe. Das habe er erst zu Hause in Ruhe gemerkt. Er habe dieses komische Gefühl vorher nicht gekannt und dann diese Probleme mit den Ohren erstmals am Folgetermin zwei Tage nach dem Unfall beim Arzt geschildert. Eine Behandlung auf psychosomatischem Fachgebiet werde nicht durchgeführt.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG das psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatische Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. phil. B. vom 25.02.2018 eingeholt. Dieser hat nach Untersuchung des Klägers am 15.12.2017 keinen psychopathologischen Befund erhoben und auch keine Diagnose nach ICD 10 auf psychiatrischem Fachgebiet gestellt. Dr. B. ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass aus psychosomatischer Sicht beim Kläger, ohne dass von Gesundheitsstörung gesprochen werden könnte, ansonsten belanglose, für die Bearbeitung des Unfallgeschehens aber relevante psychische Persönlichkeitseigenarten festzustellen seien und der auf HNO-ärztlichem Fachgebiet festgestellte Tinnitus aurium als Folge eines unbewussten Zusammenspiels zwischen einer Stresssituation bei Persönlichkeitseigenarten nach pyrotechnischer Auslösung der Gurtstraffer bei Auffahrunfall zu sehen sei. Es bestehe eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für einen Kausalzusammenhang zwischen dem Tinnitus und dem Unfallgeschehen, da eindeutig mehr für als gegen diesen spreche. Bei der Entstehung eines Tinnitus sei nach derzeitigem Wissensstand nicht nur von bio-physikalischen, sondern zwingend auch psychischen Zusammenhängen und Ursachen auszugehen. Zwingend erforderliche psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatische Methoden der Untersuchung und Bewertung, die in den bisherigen Beurteilungen des Klägers keinerlei Rolle gespielt hätten, seien zu berücksichtigen und würden die Abweichung von den bisherigen Gutachten begründen. Der Kläger hatte gegenüber Dr. B. angegeben, dass er zeitnah zu seinem Unfall das Rauschen im Ohr verspürt habe, das seither teilweise stressabhängig und mit Schwankungen, aber ohne Unterbrechungen andauere. Dr. B. hat ausgeführt, dass in der Zusammenschau in den Beurteilungen von Lebensgeschichte, Aktengeschichte, beruflicher Geschichte, psychischem Befund und der zeitlichen Situation aus psychotherapeutisch-psychosomatischer Sicht das Unfallereignis im psychischen Erleben und Umgang des Klägers wesentlich aus seiner bisherigen Erfahrung herausrage und zwar als nahezu einzigartig und schreckhaft-ängstlich belastend erlebtes Ereignis. Hinzu komme seine Persönlichkeitsstruktur, die aggressive Komponenten eher gegen sich selber, denn gegen andere zu richten tendiert. Bei dem Unfallereignis handele es sich um eine kurzfristige, aber sehr extreme psychische Belastung, die der Kläger mit den ihm zur Verfügung stehenden Persönlichkeitsstrukturen nicht mehr adäquat im Griff halten könne. Die Psyche habe überreagiert und auf die einzig ihm bislang begegnete Extremsituation – die 14 Tage dauernde Tinnitusreaktion nach dem Raftingunfall – zurückgegriffen. Eine Tendenz des Klägers, mit seinen Emotionen "nach außen zu gehen" sei nicht feststellbar, eher die Tendenz, die Dinge für sich alleine zu verarbeiten. Der Versuch, langfristige Sorgen durch Klärung von Fakten einzudämmen, habe durch die persönlichkeitsbedingte Ausgrenzung der eigenen Emotionen zu Entstehungsbedingungen der Beschwerden geführt. Im Zusammenspiel der einzelnen Persönlichkeitsaspekte in Verbindung mit den anzunehmenden gebahnten zirkulären Erregungszuständen (Raftingunfall) sei aus psychosomatischer Sicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Entstehung des Tinnitus als Unfallfolge zu erklären. Gegen einen Zusammenhang sprechende Gesichtspunkte seien aus psychischer Sicht nicht zu erkennen.

Der Kläger hat im weiteren Verlauf ein Protokoll über die öffentliche Sitzung des Landgerichts S. vom 13.02.2018 betreffend den von ihm geführten Rechtsstreit gegen die W. AG wegen Schadensersatz vorgelegt, in dem der Kfz-Sachverständige Rössle ausgeführt hat, dass nachvollziehbar sei, dass die im klägerischen Fahrzeug verbauten Gurtstraffer bei der von ihm ermittelten Anstoßgeschwindigkeit auslösen könnten. Die Geräuschentwicklung durch die Gurtstraffer sei unabhängig von der Geschwindigkeit. Die Auslösung erfolge mit Pyrotechnik und erzeuge immer das gleiche Geräusch, je nachdem, wie die Gurtstraffer verbaut seien. Ob dieses Geräusch des Gurtstraffers im allgemeinen Unfallgeräusch aufgehe oder darüber eine extra Lautstärke entwickle, sei im individuellen Versuch nachzuforschen.

Mit Schriftsatz vom 12.03.2018 hat der Kläger vorgetragen, der Sachverständige Rössle habe außerhalb des Protokolls noch erläutert, dass eine HWS-Schädigung bereits bei G-Kräften zwischen 2,5 und 3 als belegt gelten könne. Auch insoweit sei aufgrund der vom Kläger durch den Unfall erlittenen HWS-Schädigung der leider verbliebene Tinnitus auch als orthopädische Folge des Unfalls anzusehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2015 zu verpflichten, den beidseitigen Tinnitus als Folge des Arbeitsunfalls vom 25. Februar 2014 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus, dass es einen lärmbedingten Tinnitus ohne lärmbedingten Hörverlust nicht gebe. Weshalb hier, bei fehlendem Gesundheitserstschaden in der Beweiserhebung ein psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatisches Gutachten eingeholt worden sei, erscheine nicht nachvollziehbar. Letztlich werte der Sachverständige B. einzig und allein die Persönlichkeitsstruktur und die Ausgestaltung der bisherigen Lebensgeschichte als ein Argument für einen wesentlichen Ursachenzusammenhang. Diese Argumentation könne bei fehlendem Gesundheitserstschaden nur ins Leere gehen. Hieran änderten auch die durchgeführten Feststellungen im Rahmen des Verfahrens vor dem Landgericht nichts. Biomechanische Erwägungen würden sich im Übrigen bei fehlendem Vollbeweis des Gesundheitserstschadens erübrigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten (drei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung (§ 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 sind im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung hat, dass der Tinnitus beidseits eine Folge des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 25.02.2014 ist.

Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig (zum Wahlrecht zwischen der Feststellungs- und der Verpflichtungsklage Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R -, vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R - und vom 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R -, juris), aber unbegründet, da der Tinnitus keine Unfallfolge ist.

Rechtsgrundlagen sind §§ 7, 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Danach sind Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung u.a. Arbeitsunfälle. Dies sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, sog. Wegeunfall).

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 30.04.1985 - 2 RU 43/84 - Juris). Dagegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (sog. haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen der Einwirkung und der Erkrankung (sog. haftungsausfüllende Kausalität), eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R - Juris). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011, a.a.O.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte ableitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen somit zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - Juris).

Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden und weiteren (andauernden) Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - Juris Rdnr. 12), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 17.02.2009, a.a.O.) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - Juris Rdnr. 17). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rdnr. 16).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheits(erst)schadens bzw. eines Gesundheitsfolgeschadens (Unfallfolgen) im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserst- bzw. -folgeschaden die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R - Juris Rdnr. 16). Ist der Gesundheitserstschaden also eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-)verursacht hat. Wesentlich ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt der Senat zunächst fest, dass die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid den Wegeunfall des Klägers vom 25.02.2014 mit einem hierdurch erlittenen Gesundheitserstschaden in Form einer – zwischenzeitlich ausgeheilten - HWS-Distorsion und Brustkorbprellung als Arbeitsunfall anerkannt hat. Streitgegenständlich ist allein die Nichtfeststellung des Tinnitus als Unfallfolge, da sich sowohl Widerspruch als auch Klage allein auf die Geltendmachung dieser Erkrankung als Unfallfolge beschränkt haben.

Der Senat stellt zudem fest, dass bei dem Auffahrunfall des Klägers die Druckpatronen beider Gurtstraffer, also auf Fahrer- und Beifahrerseite, explodiert sind. Dies ergibt sich aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Kfz-Sachverständigen W. vom 30.04.2014, der nach Besichtigung des Unfallfahrzeugs des Klägers bestätigt hatte, dass beide – und nicht nur ein – Gurtstraffer explodiert waren.

Der Senat stellt weiter fest, dass bei dem Kläger beidseits ein Tinnitus besteht. Dessen Diagnose wurde übereinstimmend von allen, den Kläger nach dem Unfall behandelnden und begutachtenden HNO-Ärzten gestellt und ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Dieser Tinnitus ist indes zur Überzeugung des Senats weder ein durch den Wegeunfall verursachter Gesundheitserstschaden noch ein Gesundheitsfolgeschaden im Sinne der zuvor dargestellten Grundsätze.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers und auch der Annahme des auf Antrag des Klägers beauftragten und ihn im Übrigen behandelnden gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. ist der Tinnitus nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein durch den Wegeunfall und den hierbei durch die Explosion beider Gurtstraffer verursachten Lärm erlittener Gesundheitserstschaden, da wie der gerichtliche Sachverständige Dr. S. zutreffend und unter Bezugnahme auf die Begutachtungsliteratur von F./B. dargelegt hat, dass der Tinnitus bei einem akuten Lärmtrauma nur in Verbindung mit einem Hörverlust auftritt, niemals aber isoliert ohne letzteren. Dies ist für den Senat unter Berücksichtigung dieser Begutachtungsliteratur wie auch unter Berücksichtigung der fachmedizinischen Literatur von Hesse (Innenohrschwerhörigkeit, 2015; Tinnitus, 2016) schlüssig und daher überzeugend. Bei akuten Lärmschäden ist zwischen Knalltraumata einerseits und Explosionstraumata andererseits zu unterscheiden. Rein technisch gesehen sind akute Knalltraumata mit Schallimpulsen von bis zu 2 ms Dauer und einer Schalldruckspitze über ca. 150 dB verbunden und Explosionstraumata demgegenüber mit Schallimpulsen von länger als 2 bis 3 ms Dauer und Schalldruckspitzen von mehr als 150 dB (vgl. Hesse, Innenohrschwerhörigkeit, 2015, S.112 ff.). Medizinisch führt das akute Knalltrauma zu einer mikromechanischen Traumatisierung und zu einer Wanderwelle, initial tritt ein stechender Ohrschmerz auf, begleitet von Vertäubung und Tinnitus bei einer im Audiogramm sich als typischer Hochtonhörverlust darstellenden c5-Senke bei 4 kHz (vgl. Hesse, a.a.O.). Neben dem typischen Verlauf im Tonschwellenaudiogramm finden sich auf der/den betroffenen Seite(n) deutliche Einschränkungen im Hochtonbereich von 3 bis 6 kHz oder höher (Hesse, a.a.O.). Beim akuten Explosionstrauma kommt es hingegen medizinisch durch die Druckwelle zu einer direkten Verletzung des Mittel- und Innenohrs in Form einer Zerreißung des Trommelfells, einer Luxation oder Frakturen der Ossikelkette, evtl. auch zu einer Ruptur des runden oder ovalen Fensters (vgl. Hesse, a.a.O., S. 114). Auch hier sind Schmerzen, sofortige Vertäubung und Tinnitus sofortige Symptome. Im Audiogramm finden sich breite Hochtonverluste, manchmal auch patonale Höreinbußen. Anders als beim Knalltrauma kann beim Explosionstrauma auch von einer Progredienz ausgegangen werden (Hesse, a.a.O.). Beiden akuten Lärmtraumata ist also gleich, dass neben dem Tinnitus initial eine Vertäubung auftritt und messbar ist. Wesentlich ist gerade die Koinzidenz von Ohrgeräusch und begleitendem Hörverlust (vgl. Hesse, Tinnitus, 2. Aufl. 2016, S. 27).

Der Senat unterstellt ungeachtet tatsächlich fehlender Erkenntnisse (vgl. hierzu die Äußerung des technischen Sachverständigen Rössle im vorgelegten Protokoll der Sitzung des Landgerichts und der Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten) zu Gunsten des Klägers, dass der durch die Explosion beider Gurtstraffer verursachte Lärm grundsätzlich geeignet ist, einen Hörschaden zu verursachen, weshalb es der vom Kläger begehrten Anhörung des technischen Sachverständigen nicht bedurfte.

Bei dem Kläger liegen indes ungeachtet der technischen Voraussetzungen bezüglich Einwirkungszeit und Einwirkungsdauer durch den Explosionslärm die medizinischen Voraussetzungen eines Knall- oder Explosionstraumas nicht vor. Denn es wurden zeitnah zum Unfall eine gute Woche nach diesem Anfang März 2014 – und damit noch mit diesem im Zusammenhang stehend – durch die HNO-ärztliche Untersuchung durch Dr. N. weder ein Hoch- oder Höchsttonhörverlust noch eine Schädigung des Trommelfells, knöcherne Verletzungen der Ossikelkette oder eine Sehnenverletzung des runden/ovalen Fensters nachgewiesen. Dies mag auch der Grund dafür sein, weshalb Dr. N. zu diesem Zeitpunkt in seinem Bericht lediglich den "Verdacht" auf ein akutes Knalltrauma der Ohren geäußert hatte und gerade nicht von einer gesicherten Diagnose ausgegangen war. Sofern erstmals gut drei Monate nach dem Unfallereignis im Mai 2014 in der HNO-Klinik im Klinikum S. eine beidseits beginnende Pressbyakusis diagnostiziert wurde, weist der Senat darauf hin, dass bereits der Zeitablauf gegen einen Kausalzusammenhang zwischen dieser diagnostizierten Schwerhörigkeit und dem Unfallereignis spricht. Überdies lässt sich anhand des in diesem ärztlichen Bericht mitgeteilten Befundes der Nachweis einer Hoch- oder Höchsttonschwerhörigkeit ebenso wenig erbringen wie der Nachweis direkter Verletzungen von Mittel- oder Innenohr. Auf welchen audiologischen Befund die Ärzte der HNO-Klinik ihre Diagnose stützen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Überdies spricht die Diagnose selbst (Pressbyakusis = Altersschwerhörigkeit, vgl. www.pschyrembel.de) für eine degenerative, jedenfalls nicht unfallbedingte Ursache der etwaigen Schwerhörigkeit. Sofern die Ärzte der BGU in ihrem Bericht vom 22.08.2014 ausführen, die HNO-Klinik gehe von einer posttraumatischen Ursache des Tinnitus aus und sich der Kläger hierauf bezieht, ist auch dies für den Senat nicht nachvollziehbar, da sich eine solche Beurteilung gerade nicht im ärztlichen Bericht des Klinikums S. wiederfindet. Überdies ist die von den Ärzten des Klinikums S. gestellte Diagnose einer Schwerhörigkeit für den Senat angesichts des vom gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. und mit diesem übereinstimmend vom gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. erhobenen audiologischen Befundes nicht plausibel. Denn bei beiden gutachterlichen Untersuchungen zeigte sich ein normales Hörvermögen. Überdies zeigten sich auch dort keine Verletzungen des Mittel- oder Innenohrs.

Selbst wenn der Senat, wie Dr. S., zu Gunsten des Klägers davon ausginge, dass er unmittelbar nach dem Unfallereignis eine Vertäubung und damit einen Hörverlust erlitten hat, war dieser jedoch bereits Anfang März 2014 nicht mehr nachweisbar, weshalb auch dieser unterstellt initial erlittene Hörverlust mit nachgehender Regenerierung keine Ursache für den dauerhaft fortbestehenden Tinnitus sein kann. Auch hierauf weist der Sachverständige Schutz für den Senat nachvollziehbar hin. Insofern kommt es auf die vom Kläger teilweise widersprüchlichen Angaben zum Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens der Tinnitusbeschwerden nicht entscheidungserheblich an.

Sofern Dr. N. zur Begründung seiner von Dr. S. abweichenden Einschätzung ausführt, dass dessen Bezugnahme auf das Königsteiner Merkblatt fehlerhaft sei, da dieses nur für die Berufskrankheit der Lärmschwerhörigkeit heranzuziehen sei, weist der Senat darauf hin, dass letzteres zwar zutreffend sein mag. Jedoch lässt Dr. N. völlig außer Acht, dass sich Dr. S. lediglich zur Untermauerung seiner zuvor geäußerten Einschätzung auf dieses Merkblatt bezieht, er seine Einschätzung selbst jedoch unter Berücksichtigung von Begutachtungsliteratur von F./B. für akute Lärmschäden/Traumata getroffen hat und diese durch die weitere Begutachtungsliteratur von Hesse gestützt wird. Die von Dr. N. für seine Einschätzung herangezogenen S3-Leitlinie gilt indes – worauf Dr. S. zutreffend verwiesen hat – lediglich für den chronischen idiopathischen Tinnitus, also einem Tinnitus, dessen Ursache nicht festgestellt werden kann. Im vorliegenden Sachverhalt soll jedoch gerade der Explosionslärm als Tinnitusursache geklärt werden. Letzten Endes stützt sich seine Kausalitätsbeurteilung zwischen Tinnitus und Unfallereignis allein auf dem Umstand, dass "andere ursächliche Gründe anamnestisch und klinisch nicht aufzudecken" sind. Selbst wenn dies zuträfe, wovon der Senat nicht ausgeht, wäre dies jedoch im Unfallversicherungsrecht eine unzulässige Schlussfolgerung von fehlenden Alternativursachen auf die allein mögliche Unfallverursachung. Denkbare Alternativursachen zeigen sich aus dem, dem Unfallereignis vorhergehenden Behandlungsverlauf des Klägers, wonach vor dem Unfall bereits mehrfach auf Grund von Erkältungen/Nasennebenhöhlenerkrankungen und auch des Raftingunfalls Tinnitusbeschwerden ebenso aktenkundig sind wie die Tinnitusverstärkung unter Stresssituationen.

Auch die von den Ärzten der B. im November 2015 und damit mehr als eineinhalb Jahre nach dem Unfallereignis diagnostizierte Hyperakusis ist keine Unfallfolge, die überdies den Tinnitus erklären würde. Denn zum einen handelt es sich hierbei um eine gesteigerte Hörwahrnehmung (vgl. www.pschyrembel.de) und gerade nicht um einen für ein Knalltrauma erforderlichen Hörverlust. Sofern die Ärzte einen geringgradigen Hörtonverlust im Hochtonbereich bis zu 25 dB bescheinigten und insofern von einer geringgradigen Hochtonschwerhörigkeit auszugehen ist, spricht auch hier der Zeitablauf von eineinhalb Jahren zwischen dieser Feststellung und dem Unfall gegen einen Kausalzusammenhang.

Überdies lässt sich dem Bericht des Neurologen S. vom 27.05.2014 keine traumatische Ursache des Tinnitus entnehmen. Dort hatte der Kläger lediglich angegeben, dass der Tinnitus seit dem Unfall auftrete. Eine substantiierte Beurteilung des Kausalzusammenhangs hat der Neurologe indes selbst nicht vorgenommen. Sofern er ausgeführt hat, dass es sich um einen "Tinnitus nach Knalltrauma" handele und hierin bereits auf Grund des zeitlichen Ablaufs ein Ursachenzusammenhang angenommen wird, ist diese Einschätzung für den Senat nicht schlüssig, da die medizinischen Voraussetzungen für ein Knalltrauma – wie zuvor dargelegt – nicht vorliegen, auch der Neurologe selbst auf seinem Fachgebiet keinen Befund erhoben hat, der eine Diagnose auf neurologischem Fachgebiet rechtfertigen würde und welche wiederum als unfallbedingter Erstschaden für einen Tinnitus als etwaigen Folgeschaden in Betracht käme.

Das SG hat entgegen dem Vortrag des Klägers auch nicht seine Sachverhaltsaufklärungspflicht im Zusammenhang mit der Geräuscheinwirkung durch das Aufprallgeräusch beim Unfall verletzt. Zum einen hatte sich bis dato diese Frage nie gestellt. Zum anderen lägen selbst bei dessen Geeignetheit zur Verursachung eines akuten Knalltraumas dessen medizinische Voraussetzungen nicht vor.

Darüber hinaus ist der Tinnitus auch nicht Folge der unfallbedingt erlittenen HWS-Distorsion. Sofern Erkrankungen der HWS überhaupt als Ursache für die Entstehung und – häufiger – die Verstärkung von Ohrgeräuschen in Betracht kommen (vgl. dazu Hesse, Tinnitus, a.a.O., S. 35, 239 ff.), stellt der Senat fest, dass die unfallbedingt erlittene HWS-Distorsion und die damit verbundenen Beschwerden bereits bei der Untersuchung in der BGU im August 2014 weitgehend abgeheilt waren und der Kläger auch im weiteren Verlauf der ärztlichen und gutachterlichen Untersuchungen davon berichtet hatte, dass er keine Wirbelsäulenbeschwerden mehr habe. Auch durch die MRT im August 2014 ließen sich keine strukturellen Verletzungen der HWS nachweisen, so dass nach alledem eine HWS-Erkrankung als mögliche Ursache für einen Tinnitus überhaupt nicht mehr nachweisbar ist. Sofern der Kläger nun erstmals im fortgeschrittenen Berufungsverfahren im März 2018 auf eine unfallbedingte HWS-Erkrankung als Ursache für den Tinnitus verweist, verwundert dies. Dies lässt sich aus den ärztlichen Befundberichten gerade nicht ableiten.

Überdies ist der Tinnitus auch nicht Folge eines Gesundheitserstschadens auf psychiatrischem Fachgebiet, da schon letzterer nicht diagnostiziert wurde. Sofern der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige Dr. phil. B. in seinem Gutachten zu einer anderen Einschätzung gelangt, ist diese für den Senat in keinster Weise unter Berücksichtigung der unfallversicherungsrechtlichen Grundsätze nachzuvollziehen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet keine Diagnose nach dem ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) gestellt. Insofern lässt sich gerade schon kein Gesundheitserstschaden auf diesem Fachgebiet nachweisen. Der Tinnitus ist schon deshalb nicht als Gesundheitsfolgeschaden einer unfallbedingten psychiatrischen Erkrankung anzuerkennen. Der Sachverständige führt den Tinnitus allein auf die – nicht unfallbedingten – klägerischen Persönlichkeitseigenarten zurück, die er wiederum selbst nicht einmal für krankhaft und daher für codierungsfähig hält.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostentscheidung beruht hierauf und auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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