L 9 VE 16/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 VE 27/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 VE 16/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen der Posttraumatischen Belastungsstörung bei sexuellem Missbrauch im Kindesalter für den Anspruch nach § 1 OEG
1. Bei sexuellem Missbrauch in der Kindheit kann ausnahmsweise der Nachweis eines Primärschadens für die Anerkennung als Posttraumatische Belastungsstörung entbehrlich sein.
2. Das zeitliche Auseinanderfallen von sexuellem Missbrauch und Auftreten der speziellen Symptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach einer längeren Latenzzeit ist speziell bei Missbrauch in der Kindheit typisch.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 14.04.2015 aufgehoben und der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2013 verurteilt, die Posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und der Klägerin Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz aufgrund eines Grades der Schädigungsfolgen von 30 ab Antragstellung zu zahlen.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die 1982 geborene Klägerin stellte am 20.12.2011 beim Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG, den sie mit den Folgen eines sexuellen Missbrauchs im Alter von 11 bis 12 Jahren durch einen deswegen im Jahr 1994 rechtskräftig verurteilten Täters begründete. Sie leide in der Folge unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit Symptomen in Form von Schlafstörungen, Panikattacken, Angstzuständen, Schweißausbrüchen, depressiven Verstimmungen, Ruhelosigkeit, einer chronischen Tonsilitis und Nierenentzündung.

Aus der vom Beklagten beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Q ..., Az.:., ergab sich eine rechtskräftige Verurteilung des Täters am 10.08.1994 durch das Amtsgericht Q ... wegen acht Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei wurde durch das Gericht zugrunde gelegt, dass der Täter Fototermine mit verschiedenen Kindern durchgeführt und im Falle der Klägerin diese an zwei Terminen am Geschlechtsteil und an der unbedeckten Brust berührt hat.

Aus den vom Beklagten beigezogenen medizinischen Unterlagen ergaben sich mehrfach psychotherapeutische Therapien der Klägerin ab 2005. Ausweislich eines Berichtes des Bundeswehrkrankenhauses E ... vom 09.06.2009 wurde die Klägerin dort wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen bei Partnerschaftskonflikt (Trennungssituation der Ehe) behandelt. Therapiethemen seien ein Missbrauch durch einen Fotografen, eine Vergewaltigung im Ferienlager in Tschechien mit 14 Jahren sowie eine Vernachlässigung durch die Mutter gewesen. Sie sei oft bereits im Vorschulalter alleine gelassen worden. Daraus habe sich eine Verlorenheits- und Angstproblematik entwickelt (Dunkelheitsängste, nächtliche Ängste).

In einem Befundbericht von Dipl.-Psych. Dr. D ... vom 21.05.2012 dieser berichtete, dass die Vergewaltigung in Tschechien von der Polizei nicht weiterverfolgt worden sei, da die Täterermittlung aussichtslos gewesen sei. Die Klägerin erklärte hierzu, dass sie bei der Tat stark betrunken gewesen sei und keine genaue Erinnerung mehr an den Sachverhalt gehabt habe.

Von 2001 bis 2009 war die Klägerin bei der Bundeswehr beschäftigt. Sie absolvierte bei der Marine eine Ausbildung zur Fernmelde-Unteroffizierin. Im Jahr 2003 heiratete sie. Aus der Krankenkartei ergeben sich ab 2002 psychische Auffälligkeiten. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Krankenkartei verwiesen. Im Jahr 2006 ließ sich die Klägerin scheiden. Seit 2007 ist sie mit ihrem aktuellen Partner zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat und den sie im Jahr 2012 heiratete. Die Tätigkeit bei der Bundeswehr beendete die Klägerin im Jahr 2009, da sie keine Nachtschichten mehr machen wollte. Im Anschluss absolvierte sie eine 3-jährige Ausbildung zur Erzieherin bis ins Jahr 2012.

In einer vom Beklagten eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.11.2012 kam Dr. Z zu dem Ergebnis, dass die Ereignisse 1992/1993 keine geeigneten Traumata für die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung gewesen seien. Zwischen diesen Ereignissen und den psychischen Beeinträchtigungen bestehe kein wesentlicher Zusammenhang.

Mit Bescheid vom 08.11.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen und der versorgungsärztlichen Stellungnahme sei der sexuelle Missbrauch 1993 nicht geeignet gewesen, eine dauerhafte psychische Beeinträchtigung hervorzurufen.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Y ein, die sich der Einschätzung von Dr. Z anschloss. Im Übrigen habe die Mutter der Klägerin angegeben, dass die Klägerin die sexuellen Übergriffe gut verkraftet habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2013 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück, da ihre psychischen Probleme erstmalig im Zusammenhang mit ihren Eheproblemen aufgetreten seien. Ein Zusammenhang mit den sexuellen Missbräuchen im Kindesalter sei nicht wahrscheinlich.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.09.2013 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben. In den angefochtenen Bescheiden seien die medizinischen Befunde aus dem Bundeswehrkrankenhaus E ... nicht gewürdigt worden. Sie habe entgegen der Auffassung des Beklagten keine unauffällige Entwicklung durchlaufen, sondern schon als Jugendliche Probleme gehabt. Sie sei jedoch von ihren Eltern angehalten worden, die Ereignisse zu verdrängen, so dass sie keine Gelegenheit bekommen habe, das Geschehene zu verarbeiten.

Das Gericht hat nach Beiziehung der medizinischen Unterlagen ein psychiatrisches Gutachten bei Frau X eingeholt. Frau X hat ihr Gutachten am 05.09.2014 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstattet. Bezüglich des streitgegenständlichen Sachverhalts hat die Gutachterin auf das Strafurteil zu Lasten des Täters Bezug genommen. Zudem hat sie die Klägerin wie folgt zitiert: "Wenn ich angefasst werde, erstarre ich, dann kann ich mich nicht mehr bewegen und warte, bis das vorbei ist, fühle mich auch nicht wohl." "Der war ja auch mit seinem Finger drin" (in der Vagina). Das war dann auch im ganzen Dorf bekannt. Bin dann abgehauen, polizeilich gesucht worden." Ab 2005 habe sich bei der Klägerin eine Posttraumatische Belastungsstörung manifestiert. Die Klägerin weise die hierfür typische Symptomatik mit erhöhtem Arousal, auftretenden Flashbacks, d.h. szenenhaften Wiedererinnerungen an Tatereignisse, teilweise dem Gefühl innerer Erstarrung und eingeschränkter Reagibilität sowie einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten tatassoziierter Situationen auf. Zusätzlich habe sie Ängste geschildert, die teilweise den Charakter von Panikattacken annähmen sowie eine rezidivierend auftretende depressive Symptomatik. Die lange Latenzzeit zwischen dem sexuellen Missbrauch und den aufgetretenen Beschwerden sei typisch für eine Posttraumatische Belastungsstörung. Die anderen psychischen Beeinträchtigungen seien eher reaktiv im Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen aufgetreten. Der sexuelle Missbrauch sei mit großer Wahrscheinlichkeit die alleinige Ursache für die Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung. Der Übergriff sei durch den Täter nicht mittels körperlicher Gewalt erfolgt, aber mit massiven Drohungen bezüglich der finanziellen Sicherheit der Familie, so dass die Klägerin nicht gewagt habe, sich gegenüber den Übergriffen zur Wehr zu setzen. Sie habe stattdessen diese Übergriffe ausgeprägt schamhaft verarbeitet. Dies lasse sich aktuell insbesondere im Vermeidungsverhalten sexueller Kontakte, Vermeiden von Fotoaufnahmen, eingeschränkter Körperpflege etc. sehr deutlich darstellen. Hinweise auf einen Vorschaden gebe es nicht. Schädigungsunabhängige Entwicklungen seien jedoch reaktiv, z. B. im Zusammenhang mit Partnerschaftskonflikten, beruflichen Beeinträchtigungen etc, aufgetreten und hätten zu kurzfristigen depressiven Dekompensationen im Sinne einer sogenannten Anpassungsstörung geführt. Als Schädigungsfolge sei die Posttraumatische Belastungsstörung zu bezeichnen. Die damit verbundene Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit sei mit einem GdS von 30 zu bewerten.

Dr. Y hat am vom 24.10.2014 für den versorgungsmedizinischen Dienst des Beklagten das Gutachten von Frau X als nicht den Standards entsprechend bewertet. Es fehle eine Diskussion der Zusammenhangsfrage. Es sei keine Abgrenzung der Folgen des streitgegenständlichen sexuellen Missbrauchs zu den Folgen der Vergewaltigung mit 14 Jahren erfolgt. Es sei unklar geblieben, was für die aktuellen Beeinträchtigungen wesentliche Ursache sei.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11.12.2014 hat die Gutachterin eingeschätzt, dass nach der Schilderung der Klägerin in der Untersuchungssituation ein für eine Posttraumatische Belastungsstörung ausreichendes Trauma vorgelegen habe. Zudem weise die Klägerin die hierfür typischen Symptome auf. Bei Konfrontation mit dem Sachverhalt komme es zu einer intensiven psychischen Belastung. Die Klägerin vermeide Reize. Außerdem hat die Gutachterin X die Anpassungsstörung und die Depressionen von der Posttraumatischen Belastungsstörung abgegrenzt und diese als Schädigungsfolgen ausgeschlossen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung der ersten Instanz hat die Klägerin nochmals zum Sachverhalt ausgesagt. Es sei nicht nur zweimal zu Übergriffen gekommen. Das Geschehen habe sich über längere Zeit hingezogen, jedenfalls über die Dauer von zwei Jahreszeiten. So könne sie sich erinnern, dass ein Teil der Übergriffe im Sommer im Wald stattgefunden hätte und im Winter in der Wohnung des Täters. Es habe zunächst ganz harmlos angefangen und sich immer weiter verschlimmert. Sie habe den Täter auch anfassen müssen und er habe ihr Zungenküsse gegeben und seinen Finger in ihre Scheide eingeführt. Die ersten Fototermine habe sie wahrgenommen, weil sie sich gern habe fotografieren lassen und die Fotos schön gewesen seien. Im weiteren Verlauf sei die Äußerung des Täters ausschlaggebend gewesen, dass er dafür sorgen werde, dass ihre Eltern arbeitslos würden, sollte sie sich ihm verweigern. Bezüglich der aktuellen Beschwerden schilderte die Klägerin, dass sie Probleme mit ihrer Sexualität habe. Daran sei auch ihre Ehe gescheitert. Ihr damaliger Mann habe sich deswegen einer neuen Frau zugewendet. Auch in ihrer aktuellen Beziehung vermeide sie sexuelle Kontakte und erstarre, wenn es doch dazu komme. Sie habe jedoch eine Familie haben wollen und Kinder. Sie vermeide auch Küsse, auch in Bezug auf ihre Kinder. Es falle ihr auch schwer, die Kinder etwa einzucremen. Sie sei in Bezug auf die Kinder übervorsichtig und lasse sie z. B. nicht fotografieren, auch nicht in ihrem Beisein. Sie fürchte sich außerdem schrecklich vor Dunkelheit. Sie habe sich jedoch damit arrangiert. Im Alltag versuche sie Situationen zu vermeiden, die sie an den Missbrauch erinnerten. So fahre sie z. B. zum Einkauf in den Bioladen in den Nachbarort, da die Frau des Täters im Bioladen im Wohnort arbeite. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Mit Urteil vom 14.04.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. In Anwendung dieser Grundsätze begründeten die Schädigungsfolgen bei der Klägerin keinen höheren GdS als 20. Zwar gehe das Gericht davon aus, dass es über einen längeren Zeitraum hinweg zu einem wiederholten Missbrauch gekommen sei, insbesondere zu Zungenküssen und einer vaginalen Penetration mit dem Finger. Die Angaben der Klägerin seien für das Gericht glaubhaft. Mit diesem Sachverhalt liege ein für die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung ausreichendes Trauma vor. Neben dem Einstiegskriterium eines ausreichend intensiven Traumas seien auch die übrigen Kriterien erfüllt. Das zeitliche Auseinanderfallen zwischen dem sexuellen Missbrauch und dem Auftreten der entsprechenden Symptomatik spreche nicht gegen das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Vielmehr sei eine längere Latenzzeit nicht untypisch, da es einem Teil der Opfer gelinge, die Taten auch über einen längeren Zeitraum hinweg zu verdrängen. Andere Traumata hätten für die Entwicklung der Posttraumatischen Belastungsstörung keine wesentliche Rolle gespielt. Die bei der Klägerin im Zusammenhang mit der Posttraumatischen Belastungsstörung bestehenden Symptome erreichten allerdings nicht den Schweregrad, der für einen Grad der Schädigung (GdS) von 30 erforderlich sei. Bei der Bewertung des GdS sei der Anteil der Beeinträchtigungen in Bezug auf alle Lebensbereiche zu beziffern. Die bei der Klägerin bestehenden Traumafolgen beträfen im Wesentlichen das Intimleben, während das Berufsleben und das Sozialverhalten (soziale Kontakte, Alltagsbewältigung, Freizeit) hierdurch nicht ersichtlich gestört seien. Nach Auffassung des Gerichts werde daher ein GdS von 30 nicht erreicht.

Gegen das der Klägerin am 29.04.2015 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 22.05.2015 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die bei ihr vorliegende Posttraumatische Belastungsstörung sei mit einem GdS von 30 zu bewerten. Dies sei auch bei Anwendung der VersMedV angezeigt. Die Klägerin sei in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeit stark eingeschränkt. Die Einschränkungen bezögen sich nicht lediglich auf das Intimleben der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 14.04.2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz aufgrund eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 vom Hundert ab Antragstellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Begründung des Urteils vom 14.04.2015 sowie seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Allgemeinärztin C ... sowie von Dipl.-Psych. Dr. D ... sowie vom Bundeswehrkrankenhaus E ... angefordert. Es wurde unter anderem ein Gutachten nach Aktenlage der Bundesagentur für Arbeit vom 26.11.2015 zu den Akten gereicht, genauso ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung vom 24.03.2015 im Zusammenhang mit einem Rentenantrag der Klägerin.

Auf Veranlassung des Senats hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie F ... am 20.12.2017 für den Senat ein Gutachten erstellt. Als Diagnose stellt die Gutachterin das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sexueller Missbrauch beziehungsweise sexuelle Übergriffe würden als ausreichende Taten in das sogenannte A-Kriterium einbezogen. Das Alter der Klägerin im Zeitpunkt des Missbrauchs und fehlende Widerstandsmöglichkeiten spielten auch eine zu berücksichtigende maßgebliche Rolle. Nach der Definition im ICD 10 und DSM IV, DSM 5 seien auch sexuelle körperliche Berührungen eine deutliche Grenzüberschreitung, die die körperliche, seelische Unversehrtheit einer Person beeinträchtigten. Auch wenn es nach der Definition im ICD 10 bzw. DSM-IV und DSM 5 heiße, dass die Person einer Bedrohung von einem tatsächlichen oder drohenden Tod ausgesetzt sein müsse, bzw. einer schweren Verletzung oder auch Bedrohung der körperlichen Integrität, seien als Ankerbeispiele auch sexuelle Übergriffe genannt, die nicht nur den Geschlechtsverkehr beträfen, sondern gerade auch das Ausnutzen der kindlichen Naivität mit sexuellen Handlungen. Sämtliche andere Kriterien (B-F) der Posttraumatischen Belastungsstörung seien auch erfüllt. Die Klägerin habe bereits nach den sexuellen Missbrauchserlebnissen 1992/93 an einigen Symptomen einer PTBS gelitten, insbesondere auch in ihrer sexuellen Entwicklung. Es habe lange Zeit weiter Täterkontakt bestanden und sie sei durch das soziale Umfeld an ihrem Wohnort diesbezüglich noch zusätzlich gemobbt und belastet worden. Die Symptomatik sei als mittelschwer einzustufen. Es lägen insbesondere Beeinträchtigungen in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, den sozialen Aktivitäten, der Kontaktfähigkeit, der Genussfähigkeit in der Sexualität, in der Beziehungsfähigkeit auch den Kinder gegenüber vor. Sie leide im Rahmen der PTBS an erheblichen, überdauernden Gefühlen und veränderten Einstellungen. Das weitere mögliche traumatische Ereignis aus dem Jahr 1997, als die Klägerin in einem Ferienlager in der Tschechei –selbst stark alkoholisiert- vergewaltigt worden sei, stelle ein einmaliges, akutes Ereignis dar, welches keine bis heute anhaltenden psychischen Symptome hinterlassen habe. Der GdS sei mit 30 zu bewerten. Die ausgeprägte Störung der sexuellen Genussfähigkeit, die Möglichkeit, Körperkontakte zu ertragen, das erhebliche Schamgefühl und das damit verbundene Rückzugsverhalten und die Einschränkung im sozialen Leben, seien ausreichend, um einen GdS von 30 zu gewähren. Derzeit handele es sich um eine stärker behindernde Störung, die mindestens mit einem GdS von 30 zu bewerten sei.

Am 05.03.2018 hat der Beklagte zum Gutachten der Frau F ... unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. Y , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie/Sozialmedizin erwidert. Die sexuellen Handlungen seien gewaltfrei und außerhalb der Familie erfolgt. Abgesehen davon sei kein Primärschaden für eine Posttraumatische Belastungsstörung nachgewiesen. Die Mutter der Klägerin oder die Schule hätten ein krankhaft verändertes Verhalten der Klägerin nicht etwa übersehen, es sei nicht vorhanden gewesen. Das Gutachten F ... verlasse sich zu sehr auf subjektive Angaben der Klägerin. Es sei keine befundmäßige Sicherung einer PTBS erfolgt. Ein GdS von 30 stehe für eine stärker behindernde Störung mit ausgeprägter Psychopathologie und einer erheblichen Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit im Alltag. Dies könne hier ausgeschlossen werden. Die Klägerin lebe in einer stabilen Partnerschaft, habe zwei Kinder, einen gut strukturierten Tagesablauf. Sie arbeite inzwischen halbtags als Betreuerin, sei in Mehrfachbelastungen leistungsfähig. Die Symptomatik habe keinesfalls die Organisation der Lebensführung übernommen und schränke diese auch nicht erheblich ein. Es sei befremdlich, dass die Gutachterin die Gewalttat im Jahr 1997 –Vergewaltigung durch einen Fremden- nicht belastend erlebt haben soll, hier eine gute Verarbeitung und Distanz bestanden haben soll, wohingegen die außerfamiliären sexuell getönten Handlungen als schweres Trauma dargestellt würden. Eine Schadensfolge im Zusammenhang mit den Missbrauchshandlungen außerfamiliär in der Kindheit sei nicht wahrscheinlich zu machen.

Auf Nachfragen der Vorsitzenden, die Voraussetzungen des Vorliegens des GdS von 30 bei der Klägerin näher zu begründen, sowie dies zeitlich einzuordnen, hat die Gutachterin am 18.07.2018 ausgeführt, das Vollbild einer PTBS habe zwischen 2005 und 2009 vorgelegen. In dieser Zeit sei im Rahmen der Behandlung im Bundeswehr Krankenhaus die PTBS in den Vordergrund im Zusammenhang mit dem Missbrauch in den Jahren 1992/1993 gerückt. Es sei ausreichend wahrscheinlich anzunehmen, dass die Diagnose einer PTBS im Vollbild ab 2006 datiert werden könne, sicher jedenfalls ab 2009. Nach einer vorübergehenden Verbesserung der Symptomatik im Zusammenhang mit der Therapie sei es durch die Rückkehr in die Heimat und der dann einsetzenden erneuten Konfrontation mit dem Erlebten zu einer erneuten Reaktivierung bzw. Verschlechterung gekommen. Im Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin im Jahr 2011 habe jedenfalls das Vollbild der PTBS schädigungsbedingt im Umfang von 30 bestanden.

Die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen lagen vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch die Vorsitzende als Einzelrichterin entscheiden, da das hierfür erforderliche Einverständnis der Beteiligten vorlag (§ 155 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG Chemnitz mit Urteil vom 14.04.2015 die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 08.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Bei ihr besteht eine Posttraumatische Belastungsstörung infolge der sexuellen Missbrauchsereignisse der Jahre 1992/1993, die nach einem GdS von 30 zu entschädigen ist.

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält Entschädigung, wer im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.

Nach der Rechtsprechung des BSG (stRspr. seit 1995 BSG Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst. Je nach Fallkonstellation werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs wird danach aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist in der bisherigen Rechtsprechung des BSG davon ausgegangen worden, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl. nur BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, RdNr. 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff i.S. des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, RdNr. 36 mwN). In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern i.S. von § 176 StGB wird der Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist in diesen Fällen allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 S 1 OEG sein (BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind. Der schädigende Vorgang, die Schädigungsfolgen müssen dabei vollbeweislich nachgewiesen sein. Für die Kausalität, d. h. den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigungsfolgen und dem schädigenden Ereignis gemäß § 1 Abs. 3 BVG, genügt die Wahrscheinlichkeit.

Gemessen hieran geht die Einzelrichterin des Senats davon aus, dass der von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht und gegenüber der Gutachterin F ... geschilderte Sachverhalt zutreffend ist und es nicht nur zu den im Urteil des Amtsgerichts Q ... vom 10.08.1994 zugrunde gelegten zwei Handlungen gekommen ist. Genauso wie das Gericht der ersten Instanz ist der Senat davon überzeugt, dass es über einen Zeitraum von etwa einem Jahr zu wiederholtem sexuellen Missbrauch gekommen ist, insbesondere auch zu Zungenküssen und einer vaginalen Penetration mit dem Finger. Der Senat hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ausführungen der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht der ersten Instanz sowie gegenüber der Gutachterin. Die Tatsache, dass der Täter lediglich wegen des Berührens am Geschlechtsteil und an der unbedeckten Brust in zwei Fällen rechtskräftig verurteilt wurde, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Klägerin. So heißt es im Strafurteil ausdrücklich, dass das Gericht von den gestandenen Handlungen des Klägers ausgegangen ist, soweit sich diese mit den Angaben der vernommenen Opfer deckten. Man hat aber ausdrücklich von weiteren Vernehmungen der Kinder damals abgesehen. Zum Zeitpunkt der Verurteilung war die Klägerin gerade einmal 12 Jahre alt. Die Darstellung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 14.04.2015, dass sie sich als Kind bei der Befragung durch die Polizeibeamtin geschämt habe und auf die gestellten Fragen nur mit "ja" oder "nein" geantwortet habe, erscheint glaubhaft und nachvollziehbar. Beispielsweise das Wort "Muschi" ist ihr danach einfach nicht über die Lippen gekommen. Die Angaben der Klägerin sind für den Senat vor allem vor dem Hintergrund glaubhaft, dass sowohl der Täter selbst in Bezug auf seine Tochter intensivere sexuelle Handlungen eingeräumt hat als das bloße Berühren des Geschlechtsteils. Zudem hat im damaligen Ermittlungsverfahren eine weitere, ebenfalls vom Täter fotografierte Zeugin ausgesagt, dass er versucht habe, sie mit der Zunge zu küssen und "mit dem Finger in der Scheide gefummelt" habe (Bl. 7 der Beiakte "Kopien aus den Staatsanwaltschaftsakten"). Der Tatbestand eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist damit vollbeweislich gesichert. In Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind die Ausführungen der Versorgungsmedizinerin Y , wonach es am Merkmal der "Gewalt" gefehlt habe, da die Klägerin ja jederzeit hätte weglaufen können, bzw. der Täter aufgehört hätte, wenn sie "nein" gesagt hätte. Nach der oben zitierten Rechtsprechung des BSG u.a. im Urteil vom 29.04.2010, B 9 VG 1/09 R, Rn 28 wird gerade der Begriff des tätlichen Angriffs weit verstanden. Es kommt eben nicht auf die innere Einstellung des Täters zum Opfer und auf die Empfindung der Tat durch das Opfer an. Allein entscheidend ist, dass die Begehensweise, also die sexuelle Handlung, eine Straftat war. Dies war vorliegend zweifelsohne der Fall.

Auch die Gesundheitsstörung "Posttraumatische Belastungsstörung" liegt in voller Ausprägung vor. Eine Posttraumatische Belastungsstörung entsteht nach der Definition des ICD 10 als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Die Diagnosekriterien stellen sich wie folgt dar: A. Die Betroffenen sind einem kurz- oder langhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis. D. Entweder 1. oder 2. 1. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern. 2. Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale: a) Ein- und Durchschlafstörungen b) Reizbarkeit oder Wutausbrüche c) Konzentrationsschwierigkeiten d) Hypervigilanz e) erhöhte Schreckhaftigkeit. E. Die Kriterien Die Kriterien B, C und D treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein späterer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben werden). Das A1 und das A2-Kriterium sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin wurde Opfer wiederholter sexueller Übergriffe durch einen wesentlich älteren Täter in einem Alter, in dem ihre eigene Sexualität und ihre Persönlichkeit noch nicht ausreichend ausgebildet und abgeschlossen waren. Der Täter nutzte hierbei ihre kindliche Naivität und ihr Vertrauen aus und drohte ihr damit, dass die Mutter arbeitslos werde, wenn sie nicht mitmache. Der Täter fotografierte die Klägerin in obszönen Stellungen nackt, in wechselnden Posen, mehrfach hintereinander am Tag, brüllte sie an, wenn sie dies nicht einhalten wollte, was bei ihr zu Angst führte. Er brachte sie dazu, dass sie ihn durch Berühren seines Geschlechtsteils befriedigte und penetrierte sie durch Einführen seines Fingers in ihre Scheide. Zusätzlich zwang er sie zu Zungenküssen. Zwar handelte es sich bei den genannten Handlungen nicht um lebensbedrohliche Situationen im eigentlichen Sinn, jedoch ist bei den genannten Ankerbeispielen nach DSM 5 darauf abzustellen, dass auch sexuelle Übergriffe darunter fallen, bei denen die kindliche Naivität für sexuelle Handlungen ausgenutzt wird, die eine deutliche Grenzüberschreitung und damit auch eine Bedrohung der körperlich/seelischen Integrität bedeuten. Das B-Kriterium ist erfüllt. Bei der Klägerin bestehen ausgeprägte, wiederkehrende und sich aufdrängende belastende Erinnerungen in Form von Bildern und Gedanken mehrfach wöchentlich. Beim B-Kriterium muss mindestens eins der 5 Kriterien erfüllt sein, bei der Klägerin sind es vier, die mit deutlichem inhaltlichem Bezug zu den traumatischen Missbrauchserlebnissen von 1992/93 erfüllt sind. Sie sieht erstens plötzlich das Gesicht des damaligen Täters wieder. Das zweite Kriterium in Form von Albträumen wird von der Klägerin verneint. Sie kann drittens in der Situation auch seinen Geruch spüren. Die Klägerin fühlt, als ob das Ereignis wiederkehrt bei traumaassoziierten Hinweisreizen wie körperlicher Berührung, beim Küssen, bei Sexualität, beim Fotografiert werden, sich ausziehen müssen, allein sein, bei Dunkelheit, bei bestimmten Gerüchen oder Geräuschen. Die Klägerin reagiert dann panisch bis hin zu dissoziativem Erstarren oder Handlungsunfähigkeit. Sie zeigt viertens intensives psychisches Leid. Sie zeigt auch fünftens körperliche Reaktionen darauf. Hinsichtlich des C-Kriteriums, von dem drei von möglichen sieben Kriterien erfüllt sein müssen, sind vier Kriterien sicher erfüllt. Es besteht mit inhaltlichem Bezug zum sexuellen Missbrauch 1992/93 ein deutliches Vermeiden, daran zu denken, Gefühle zuzulassen oder darüber zu reden. Zweitens vermeidet sie Aktivitäten, Orte und Menschen, sowie traumaassoziierte Triggersituationen. Sie kann nicht gut allein sein, insbesondere nicht in Dunkelheit und sie ist vermindert genussfähig. Sie vermeidet Arztbesuche, kann keine Körperpflege machen, kann nicht zärtlich mit ihren Kindern sein. Es besteht drittens eine gewisse Unfähigkeit, Details zu erinnern. Schließlich zeigt sie viertens ein deutlich vermindertes Interesse an Aktivitäten mit Vermeidung von Sozialkontakten und sozialen Aktivitäten und bei erheblichen Schamgefühlen. Fünftens zeigt sie eine deutliche Entfremdung, weiter "befleckt" zu sein, für andere als beschmutzt zu gelten. Sie hat sechstens gewisse Probleme, zärtliche Gefühle zu zeigen und zeigt siebtens eine deutlich negative Sichtweise. Auch das D-Kriterium, von dem mindestens zwei der insgesamt fünf Kriterien erfüllt sein müssen, ist vorliegend mit drei Kriterien erfüllt. Hinsichtlich eines gesteigerten Erregungsniveaus bestehen bei der Klägerin deutliche Ein- und Durchschlafschwierigkeiten bei dem Verlust, sich entspannen zu können. Außerdem leidet sie an einer erhöhten Reizbarkeit dem Partner und den Kindern gegenüber. Sie zeigt eine sehr ausgeprägte übersteigerte Vigilanz mit hohem Kontrollbedürfnis, Unruhe bis hin zu dissoziativem Erstarren. Schließlich besteht eine ausgeprägte Schreckreaktion. Auch das E-Kriterium, wonach die PTBS länger als einen Monat dauert und bei ihr klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen und Leiden im sozialen Leben der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit verursacht, ist gegeben. Bei all diesen Feststellungen folgt der Senat den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Gutachterin F ... sowie X , die beide jeweils vom Vorliegen einer PTBS im Vollbild ausgehen.

Zur Überzeugung des Senats steht des Weiteren fest, dass keine weiteren Traumata für die Entwicklung der Posttraumatischen Belastungsstörung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die in diesem Zusammenhang zu diskutierende von der Klägerin erwähnte Vergewaltigung im Ferienlager in Tschechien mit 14 Jahren stellt ein einmaliges, akutes Ereignis dar, welches keine bis heute anhaltenden psychischen Symptome hinterlassen hat. Die Klägerin hat glaubhaft dargestellt, dass sie durch diesen Sachverhalt in ihrer Lebensführung nicht nennenswert belastet war. Zum anderen hat das Geschehen auch in erheblicher räumlicher Distanz stattgefunden, wodurch die Klägerin damit nicht fortwährend mit dem Geschehen konfrontiert war, was im Unterschied zu den Geschehnissen aus den Jahren 1992/93 und in den Folgejahren der Fall war. Der Senat folgt hierfür den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Gutachterin F ...

Die Geschehnisse in Form des sexuellen Missbrauchs 1992/93 sind auch kausal für die Entstehung der Posttraumatischen Belastungsstörung. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Das heißt, es muss überwiegend wahrscheinlich sein, bzw. es spricht mehr dafür als dagegen.

Vorliegend ist die Entstehung der Posttraumatischen Belastungsstörung hinreichend wahrscheinlich auf den sexuellen Missbrauch der Klägerin in den Jahren 1992/93 zurückzuführen. Der Senat schließt sich hierfür den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Gutachterinnen F ... und X an, die beide von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Fall der Klägerin ausgehen. Zwar ist ein Primärschaden im herkömmlichen Sinn bei der Klägerin nicht nachweisbar, dies ist aber nach den Ausführungen der beiden Gutachterinnen ein relativ häufiges Phänomen von sexuellem Missbrauch im Kindesalter. Der Senat folgt hierbei den Ausführungen der Gutachterin W, wonach einerseits in den Jahren 1992/93 das Wissen über Traumafolgestörungen noch kaum in Deutschland vorhanden war und es deswegen keine spezifischen Behandlungsangebote gab. Andererseits wurde im Fall der Klägerin aus Schamgefühl der Klägerin und Unbeholfenheit der Familie über das Geschehene geschwiegen. Die Opfer leiden typischerweise unter erheblichen Schamgefühlen und kompensieren das Erlebte dann auf vielfältige Weise. Da in der Familie der Klägerin das Geschehene weitgehend totgeschwiegen wurde, gab es auch keine Behandlungsmöglichkeiten für die Klägerin. Es ist insofern durchaus wahrscheinlich und für die Einzelrichterin des Senats in diesem Zusammenhang überzeugend, dass die Traumafolgestörung der Klägerin erst mit einer erheblichen Latenzzeit manifest geworden ist, hier etwa 13 Jahre später. Die Einzelrichterin folgt hierbei den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Gutachterinnen F ... und X. Im Übrigen waren vorliegend Brückensymptome in Form der ausgeprägten Angst vor Dunkelheit vorhanden. Die Klägerin hat aber die Konfrontation mit den Inhalten vermieden, und versucht, das Erlebte auf ihre Art zu kompensieren. So konnte nichts dokumentiert werden und erstmalig aus Entfernung im Bundeswehrkrankenhaus im Jahr 2006 offen zu Tage treten.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in entsprechender Anwendung. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 31 Abs. 1 BVG setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus. Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1Satz 1 BVG).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die am 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung u. a. die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt.

In Anwendung dieser Grundsätze begründen die Schädigungsfolgen bei der Klägerin einen GdS von 30 ab Antragstellung. Die Einzelrichterin folgt hierfür den Ausführungen der Gutachterinnen F ... und X , die sie für schlüssig und überzeugend hält. Entsprechend Teil B 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bedingen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit z. B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen einen GdS von 30 bis 40. Schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten begründen einen GdS von 50 bis 70. Schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten führen zu einem GdS von 80 bis 100. Die PTBS der Klägerin bedingt nach Einschätzung der Einzelrichterin Senats einen GdS von 30. Hierbei folgt sie den Ausführungen der Gutachterinnen, die eine stärker behindernde Störung mit bedingten Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit annehmen. Die Klägerin kann ihr Leben weitgehend gut und selbstständig bewältigen. Sie war zumindest viele Jahre in der Lage, eine Partnerschaftsbeziehung einzugehen. Es besteht ein durchaus ausgeprägtes tatassoziiertes Vermeidungsverhalten. Die klar bestehenden Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hindern die Klägerin nicht daran, ein weitgehend selbstbestimmtes und auch aktives Leben zu führen. Wie in der ersten Instanz ausgeführt, zeigt der Lebenslauf der Klägerin, dass diese in der Lage war und ist, ihr Leben zu strukturieren und ohne schwere Beeinträchtigungen zu bewältigen. Sie hat eine abgeschlossene Ausbildung zur Fernmeldeunteroffizierin bei der Bundeswehr absolviert und war zunächst über einige Jahre beschäftigt. Sie war auch in der Lage, den Anforderungen bei der Bundeswehr gerecht zu werden. Die Klägerin pflegt kaum Kontakte außer mit ihrer engsten Familie und ihren Kindern. Sie ist zweifellos in ihrem Intimleben deutlich gestört. Sexuelle Kontakte werden vermieden, und auch besonders körperbetonte Kontakte zu den Kindern kann die Klägerin kaum zulassen. Nach alledem erachtet der Senat die Einschätzungen der Gutachterinnen F ... und X, die sich an den Vorgaben der Versorgungsmedizinverordnung orientieren, für zutreffend und angemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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