L 8 SB 3099/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3217/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3099/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 03.07.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf höhere (Erst-)Feststellung des Grades der Behinderung (GdB; mehr als 20) seit 27.01.2011 zusteht.

Der 1963 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger (zum Aufenthaltstitel vgl. Blatt 2 der Beklagtenakte) beantragte am 16.12.2011 beim Landratsamt L. (LRA) die Feststellung des GdB. Zu seinem Antrag verwies er auf eine Knieverletzung links (Arbeitsunfall). Die vorgelegten ärztlichen Berichte wertete der Versorgungsarzt Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 24.01.2012 aus und schätzte den GdB auf 10.

Mit Bescheid vom 07.02.2012 lehnte das LRA die Feststellung eines GdB ab, da die vorliegenden Funktionsbehinderungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingten.

Mit seinem Widerspruch vom 15.02.2012 machte der Kläger u.a. geltend, er sei längere Zeit arbeitsunfähig gewesen und habe einen Meniskus- und Kreuzbandriss am linken Knie erlitten. Er könne das Knie nur bis zu 90o beugen. Der Kläger legte den Bericht des Radiologen Dr. S. vom 15.09.2011 vor.

Vom LRA befragt teilte der Facharzt für Orthopädie Dr. E. am 01.06.2012 mit, der Kläger habe auch über Kreuzschmerzen manchmal mit Ausstrahlung in den rechten Oberschenkel geklagt.

Nunmehr schätzte der Versorgungsarzt D. in seiner Stellungnahme den Gesamt-GdB auf 20 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks (GdB 10); degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 20)).

Mit Teilabhilfebescheid vom 05.07.2012 stellte das LRA den GdB seit 27.01.2011 mit 20 fest.

Der Kläger führte das Widerspruchsverfahren fort und legte weitere ärztliche Berichte vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2012 wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger hat unter Vorlage von Berichten der Sportklinik S. vom 20.10.2011 (Diagnose: Chronische hintere Kniegelenksinstabilität links), eines Operationsberichts, eines Berichts der Kernspintomographie eines Zwischenberichts vom 27.03.2012 von Dres. B./L. und einem Bescheid der BG ETEM vom 28.08.2012 (MdE 20 v.H. wegen eines Arbeitsunfalles am 27.01.2011 am linken Knie, mit dem Ziel eines GdB von mehr als 20 am 14.09.2012 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 25.01.2013 wurde das Klageverfahren zum Ruhen gebracht und am 12.10.2016 vom Kläger wieder aufgenommen (jetzt Az.: S 6 SB 3217/16). Er hat nunmehr vorgetragen, im Sommer 2016 hätten sich die Schmerzen verstärkt. Auch sei eine Schwerhörigkeit festgestellt worden.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des HNO-Arztes Dr. B. als sachverständigen Zeugen. Dieser hat mit Schreiben vom 03.04.2017 ausgeführt, der beidseitige prozentuale Hörverlust von 0 bis 20 Prozent betrage die MdE 0 Prozent.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.07.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 20.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 13.07.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.08.2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Er leide unter den Folgen eines Arbeitsunfalls, der zu einer Meniskus-Kreuzband-Verletzung am rechten Knie geführt habe. Er habe mehrfach operiert werden müssen und habe nach wie vor erhebliche Probleme mit dem Kniegelenk. Ferner leide er an degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, an den Folgen eines Bandscheibenschadens und einer Nervenwurzelreizerscheinung. Dr. B. habe eine andauernde Schmerzsymptomatik als Folge des Unfalls gesehen. Der gefundene Gesamt-GdB durch den Beklagten ist deshalb zu niedrig. Der Kläger hat ärztliche Unterlagen zu einer Injektionstherapie vorgelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Heilbronn vom 03.07.2017 aufzuheben und den Beklagten unter sowie Aufhebung des Bescheids vom 07.02.2012 in der Fassung des Bescheids vom 05.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2012 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mehr als 20 seit dem 27.01.2011 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Dr. K. von der Sportklinik S. schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat mit Antwort vom 03.04.2018 den GdB nach Aktenlage "am ehesten" mit 10 bewertet (Bewegungsausmaß linkes Kniegelenk zuletzt: 0-0-130o). Der Senat hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens beim Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.06.2018 folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: 1. Zustand nach Distorsionsverletzung des linken Kniegelenks mit Kontinuitätsunterbrechung des hinteren Kreuzbands und Innenmeniskushinterhornschädigung, 2. Diskrete Knorpelschädigung medial und retropatellar linkes Kniegelenk, 3. Zustand nach plastischem Ersatz des hinteren Kreuzbands mit körpereigenem Sehnengewebe und stabile Ausheilung, 4. Zustand nach Entfernung einer Ankerschraube im Schienbeinkopf links, 5. Zustand nach Innenmeniskusteilresektion, 6. Anhaltende Schmerzen am körperfernen Kniescheibenpol links, wie auch im Bereich der Sehnenentnahmestelle, ohne erkennbaren Reizzustand Dr. H. hat hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule keinen einschätzbaren GdB, hinsichtlich derjenigen der linken unteren Extremität einen GdB von 10 angenommen und den Gesamt-GdB auf 10 geschätzt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 19.09.2018 die Berufung den Berichterstatter übertragen. Die Beteiligten haben sich auf die Anhörung hin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die beigezogene Akte des Verfahrens L 6 U 2511/15 sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber nicht erfolgreich.

Über die Berufung konnte der Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden, nachdem das SG mit Gerichtsbescheid vom 03.07.2017 entschieden hatte und die Berufung dem Berichterstatter durch Beschluss des Senates nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen worden war. Der Senat hat keine Gründe feststellen können, die eine Entscheidung durch den ganzen Senat erforderlich machen, solche waren auch nicht in der Anhörung von den Beteiligten mitgeteilt worden.

Der angefochtene Bescheid des LRA Bescheids vom Bescheids vom 07.02.2012 in der Fassung des Bescheids vom 05.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2012 ist nicht rechtswidrig, der Kläger wird dadurch nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 20. Der Senat konnte feststellen, dass die behinderungsbedingten Beeinträchtigungen der Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) keinen GdB von mehr als 20 rechtfertigen. Die Berufung des Klägers ist daher unbegründet.

Rechtsgrundlage für die GdB- Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX (§ 152 SGB IX) in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer- Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Abs. 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-)Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderung solche Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt nach § 2 Abs.1 Satz 2 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Damit gilt weiterhin die Versorgungsmedizin-Verordnung (Vers-MedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), deren Anlage zu § 2 die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG) beinhalten. Diese stellen – wie auch die zuvor geltenden Anhaltspunkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX) anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen, sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, auch solche, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft – gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 – oder anderer Werte - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB, sondern der Gesamt-GdB ist durch einen Vergleich der im zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Fest-stellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen – bei Feststellung der Schwerbehinderung ist der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen – zu bestimmen. Maßgeblich sind damit grds. weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 – L 8 SB 5215/13 – juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist – wie dargestellt – anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nämlich nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau und unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die Teilhabefähigkeit den vom Beklagten angenommen GdB von 20 nicht rechtfertigen, dieser ist daher auch nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig. Dies gilt sowohl unter der seit 01.01.2018 anzuwendenden Rechtslage, als auch unter Anwendung der bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage des SGB IX.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, ist kein Einzel-GdB anzunehmen. Nach B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulen-abschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z.B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt.

Dr. H. hat an der Wirbelsäule einen unauffälligen Funktionsbefund bei unauffälligem Muskeltonus und allenfalls minimalen Schmerzen bei Belastung über den Dornfortsätzen des 1. und 2. Lendenwirbels beschrieben. Auch das Bewegungsverhalten war bei seiner Untersuchung des Klägers bezüglich der Wirbelsäule unauffällig. Die leichte Einschränkung beim Fingerspitzen-Boden-Abstand von 5 cm erklärt Dr. H. aus einer leichten Verkürzung der sogenannten Ischiocruralmuskulatur. Zwar wurde im Jahr 2012 eine Kernspintomographie mit erkannten Bandscheibenschädigungen festgestellt. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass im Lauf der Lebensjahre auch bei gesunden und beschwerdefreien Menschen bildtechnisch häufig Bandscheibenveränderungen erkennbar sind, so dass der ausschließliche Bildbefund ohne entsprechendes klinisches Korrelat keine isolierte Wertigkeit besitzt und für sich genommen nicht in der Lage ist einen Grad der Behinderung zu begründen. Das entspricht auch den Vorgaben der VG, wo es unter B 18.1 VG heißt: "Mit Bild gebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z.B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdS. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdS begründen."

Bei der anamnestisch seit 6 Jahren beschwerdefreien Situation und dem klinisch unauffälligen Funktionsbefund von Seiten der Wirbelsäule konnte Dr. H. an der Wirbelsäule keinen Befund dokumentieren, der funktionelle Beeinträchtigungen objektivieren würde. Auch Nervenwurzelreizerscheinungen konnte der Senat nicht feststellen. Der Senat konnte damit keinerlei funktionellen Einschränkungen feststellen und damit kein messbarer GdB anzunehmen.

Im Funktionssystem der Beine (dazu vgl. B Nr. 18.14 VG) konnte der Senat den GdB lediglich mit 10 bewerten. Hier konnte der Senat mit Dr. H. zwar einen Zustand nach Distorsionsverletzung des linken Kniegelenks mit Kontinuitätsunterbrechung des hinteren Kreuzbands und Innenmeniskushinterhornschädigung, eine diskrete Knorpelschädigung medial und retropatellar linkes Kniegelenk, einen Zustand nach plastischem Ersatz des hinteren Kreuzbands mit körpereigenem Sehnengewebe und stabiler Ausheilung, einen Zustand nach Entfernung einer Ankerschraube im Schienbeinkopf links, einen Zustand nach Innenmeniskusteilresektion und anhaltende Schmerzen am körperfernen Kniescheibenpol links, wie auch im Bereich der Sehnenentnahmestelle, ohne erkennbaren Reizzustand, feststellen. Der Gutachter Dr. H. hat an beiden Kniegelenken seitengleich freie Beweglichkeit und insbesondere das linke Kniegelenk ohne jegliches Funktionsdefizit beschrieben. Spontanbewegungen zeigten allenfalls eine minimale Beeinträchtigung im normalen Bewegungsverhalten. Die klinische Untersuchung ließ keinen Reizzustand, also keine Verdickung der Gelenkkapsel oder eine relevante intraarticuläre Flüssigkeitsansammlung erkennen. Der Kläger hat die Schmerzen auf den unteren/inneren Kniescheibenrand projiziert, wie auch die Entnahmestelle von Semitendinosus und Grazilis den sogenannten Pes anserinus/Schienbeinrauigkeit. Zwar weist die aktuelle Kernspintomographie auch auf Schädigungen der Knorpel-Oberfläche im Bereich des Gelenkanteils zwischen Kniescheibe und Oberschenkel, wie auch im innenseitigen Gelenkanteil hin, auch zeigen sich Signalanhebungen im Bereich des Innenmeniskushinterhorns bis zum Vorderhorn ziehend. Der Arthroskopiebefund aus dem Jahr 2016 zeigte – wie Dr. H. mitteilen konnte - jedoch im Bereich von Kniescheibe und Kniescheibengleitlager keine größeren Auffälligkeiten, auch nicht im innenseitigen Kniekompartiment. Der Innenmeniskus war im noch erkennbaren Bereich stabil. Klinisch fanden sich Druckschmerzen im Bereich der Kniekehle. Zwar hat die Sportklinik S. eine Instabilität des hinteren Kreuzbandes, jedoch ohne Beschwerden, und eine Beweglichkeit des linken Knies bis zu 130o beschrieben, doch konnte Dr. H. eine solche Instabilität nicht mehr nachweisen.

Damit liegt keine Versteifung beider oder eines Kniegelenks, kein Kniescheibenbruch, keine habituelle Kniescheibenverrenkung und auch keine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk mit Einschränkungen der Beugung auf mehr als 90o vor. Ebensowenig liegen ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen oder eine Schienbeinpseudarthrose vor. Im Hinblick auf die von der Sportklinik angegebene aber beschwerdelose Instabilität des hinteren Kreuzbandes konnte sich der Senat nicht von einem 6 Monate überdauernden Zustand überzeugen und eine solche GdB-relevante Instabilität nicht feststellen. Der GdB kann daher im Funktionssystem der Beine allenfalls (wohlwollend) mit Dr. H. auf 10 bemessen werden. Aus dem im Verfahren L 6 U 2511/15 eingeholten Gutachten von Prof. Dr. D. vom 27.06.2016 (Beugung linkes Knie: 0-0- 130o, stabile Bandführung) lassen sich keine Anhaltspunkte für eine weitergehende GdB-Bewertung entnehmen.

Im Funktionssystem der Ohren besteht ebenfalls kein Einzel-GdB (B Nr. 5.2.2, 5.2.4 VG). Hier konnte der Senat mit dem behandelnden HNO-Arzt Dr. B. beim Kläger eine Hörminderung beidseits von 0 bis 20 Prozent feststellen, die nach den Tabellenwerten der VG einen GdB von 0 ergeben.

Weitere - bisher nicht berücksichtigte - GdB-relevante Funktionsbehinderungen, die einen Einzel- bzw. Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, wurden weder geltend gemacht noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen, nicht für erforderlich. Ein Antrag nach § 109 SGG war seitens des Klägers im Berufungsverfahren nicht gestellt worden. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen, Befunde, Aussagen und Gutachten haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der aufgrund der vorliegenden ärztlichen Befunde und Gutachten medizinisch festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen.

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 0 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Beine - 0 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Ohren Damit konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger Anspruch auf einen höheren Gesamt-GdB hat, als bereits vom Beklagten mit 20 festgestellt. Denn ausgehend von alleine einem einzelnen Einzel-GdB von 10 kann der Senat trotz der Feststellung einer MdE um 20 v.H. durch die BG einen Gesamt-GdB von 20 nicht feststellen. Dieser GdB ist damit nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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