L 1 KR 341/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 KR 154/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 341/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
SGB 5 § 17 ist neben der VO (EG) 883/2004 nicht anwendbar.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Privatrechnungen für eine Krankenbehandlung in Österreich.

Die Klägerin ist bei der Beigeladenen versichert. Vom 12. Mai 2014 bis zum 22. August 2014 war sie befristet als Garderobiere von der Beklagten für die Produktion "Der Bergdoktor" Staffel VIII eingestellt worden. Die Dreharbeiten fanden in Österreich statt, dort war auch der Arbeitsort der Klägerin. Die Klägerin begab sich am 11. Juni 2014, 12. Juni 2014, 20. Juni 2014 und 8. August 2014 bei dem Facharzt für innere Medizin Dr. M in Österreich in Behandlung wegen ihrer Schilddrüse. Für die privatärztlich abgerechnete Behandlung, eine von Dr. M veranlasste ergänzende Untersuchung im Labor von Dr. P und verordnete Medikamente wurden ihr insgesamt 1.029,31 EUR in Rechnung gestellt.

Für weitere Behandlungen/Medikamente in Österreich berechneten Dr. M und weitere Behandler / Apotheken der Klägerin insgesamt 549,88 EUR, die ihr aus einer von der Beklagten abgeschlossenen Versicherung erstattet wurden.

Mit Schreiben vom 17. September 2014 wandte sich die Klägerin an die Beigeladene, legte ihr die Rechnungen für ihre Privatbehandlung in Österreich über 1.029,31 EUR vor und beantragte die Erstattung. Die Beigeladene antwortete mit Schreiben vom 25. September 2014, dass die Beklagte während der Auslandstätigkeit der Klägerin verpflichtet gewesen sei, die Kosten für medizinisch notwendige Behandlungen zu übernehmen. Sie - die Beigeladene - werde der Beklagten anschließend den Betrag erstatten, den sie bei einer vergleichbaren vertraglichen Behandlung in Deutschland übernehmen würde.

Die Klägerin ließ entgegnen, dass ein Arbeitgeber nur dann zur Erstattung der Heilbehandlungskosten verpflichtet sei, wenn er seinen Arbeitnehmer zur Dienstleistung im Nicht-EU-Ausland abgestellt habe. Sie sei jedoch in Österreich und damit innerhalb der EU tätig geworden. Mit Schreiben vom 23. Juli 2015 wies die Beigeladene die Klägerin darauf hin, dass der Leistungsanspruch eines entsandten Arbeitnehmers in § 17 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geregelt sei. Die Beklagte sei vorrangig leistungsverpflichtet.

Mit der bereits am 2. Februar 2015 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage begehrt die Klägerin unter Hinweis auf die Regelung in § 17 SGB V die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr für die Krankenbehandlung in Österreich aufgewandten 1.029,31 EUR.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. Juni 2016 abgewiesen. § 17 SGB V sei bei einer Erkrankung im europäischen Ausland nicht anwendbar. Die Anwendbarkeit der Vorschrift sei ausgeschlossen, wenn - wie hier - die Entsendung in ein Land erfolgt sei, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen bestehe. § 17 SGB V gelte insbesondere nicht im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten der EU und des EWR und der Schweiz. Hier sei das europarechtliche Koordinationsrecht maßgebend, dass den Arbeitnehmer hinreichend schütze. Es verstoße gegen das Übermaßverbot, den Arbeitgeber mit der Krankenfürsorge zu belasten, wenn der Arbeitnehmer bereits ein bestehendes nationales Krankenversicherungssystem aufgrund völkerrechtlicher Abkommen nutzen könne. Der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass auch der Gesetzgeber vom Vorrang des über- und zwischenstaatlichen Rechts ausgehe. Auch das BSG (Urt. v. 28. September 2010 - B 1 KR 2/10 R) neige der Auffassung zu, dass § 17 SGB V nur im vertragslosen Ausland Anwendung finde. Eine Verurteilung der Beigeladenen in dem anhängigen Verfahren scheide aus, weil dies voraussetze, dass der gegen sie gerichtete Anspruch an die Stelle des ursprünglich gegen die Beklagte gerichteten Anspruchs trete. Eine solche Wechselbeziehung liege im Verhältnis zu Arbeitgeber und Krankenkasse aber nicht vor.

Gegen das ihr am 29. Juni 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Juli 2016 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Das Urteil des Sozialgerichts lasse die Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts außer Betracht. Sie - die Klägerin - sei akut krank gewesen. Die in ihrer European Health Insurance Card gespeicherten Daten seien bei dem aufgesuchten Arzt nicht auslesbar gewesen. Ihr sei deshalb nichts anderes übriggeblieben, als die Behandlung vornehmen zu lassen und das in Rechnung gestellte Honorar zu verauslagen. Anspruchsgrundlage für eine Erstattung sei § 17 SGB V. Der Arbeitnehmer sei eben nicht hinreichend geschützt, wenn er wegen eines technischen Defekts durch ein Netz falle, das ihn eigentlich auffangen solle. Dem Versicherten müsse in so einem Falle sein Arbeitgeber zur Seite stehen, der durch die Entsendung in das Ausland die Ursache dafür gesetzt habe, dass eine Behandlung im Inland nicht möglich war. Es sei unbillig, den Arbeitnehmer auf seinen Kosten sitzen zu lassen, weil das System nicht funktioniert habe. Die Beigeladene würde ihr - der Klägerin - nur einen Bruchteil ihrer Kosten, nämlich einen Betrag zwischen 100,- und 200,- EUR erstatten. Sie habe nichts falsch gemacht und dürfe deshalb nicht mit ihren Kosten allein gelassen werden. Das BSG habe die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht entschieden. Der behandelnde Arzt in Österreich werde grundsätzlich auch kassenärztlich tätig. Ihr - der Klägerin - sei es nicht zumutbar gewesen, sich auf eine Reise nach Deutschland zu begeben um dort einen Arzt aufzusuchen. Auch sei ihr nicht bekannt gewesen, dass für einen solchen Transport Kurierfahrer der Beklagten zur Verfügung standen. Eine finanzielle Überforderung des Beklagten sei auszuschließen, weil eine Kostenerstattung nur für den Fall verlangt werde, dass wegen eines technischen Defekts die EHIC nicht zum Einsatz kommen konnte. Dr. M sei allen Mitgliedern des Filmteams bekannt gewesen und ihr als Behandler empfohlen worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.029,31 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Anspruch nach § 17 SGB V bestehe nicht, da supranationale Abkommen und eine europarechtliche Regelung vorgehen würden. Die Klägerin habe nach Art 17ff VO (EG) 883/2004 auch für den Fall der Entsendung nach Österreich einen Anspruch auf Krankenbehandlung gegen die Beigeladene gehabt. Dafür sei an sie die EHIC ausgegeben worden. Die Klägerin sei sich dieser Rechtslage bewusst gewesen. Sie habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vorgetragen, dass es zu der privatärztlichen Behandlung wegen eines Defekts des Lesegeräts des behandelnden Arztes gekommen sei. Die Klägerin sei nicht in einer ausweglosen Situation gewesen. Der Ort ihrer Beschäftigung in Österreich sei keine halbe Autostunde Fahrzeit von der deutschen Grenze entfernt gewesen. Sie wäre auf Anfrage sofort von einem Produktionsfahrer zu einem Arzt in Deutschland gebracht worden. Sie - die Beklagte - werde durch eine Erstattungspflicht für Privatbehandlungen unangemessen belastet. Sie beschäftige als mittelständisches Unternehmen mehrere hundert Mitarbeiter, zahle bereits Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und könne sich eine Entsendung von Arbeitnehmern keinesfalls erlauben, wenn damit unvorhersehbare Kostenrisiken einhergingen Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass Dr. M kassenärztliche Leistungen anbiete und über ein Lesegerät für deutsche Krankenversicherungskarten verfüge. Es sei zudem unwahrscheinlich, dass das Lesegerät an allen Behandlungsterminen defekt gewesen sein könnte.

Die Beigeladene hält das Urteil des Sozialgerichts für nicht überzeugend. § 17 SGB V sei nicht nachrangig gegenüber der VO 883/2004. In das Ausland entsandte Versicherte hätten zwar die Möglichkeit, Sachleistungen mit ihrer EHIC in Anspruch zu nehmen. Sie hätten indessen auch die Möglichkeit, nach § 17 SGB V ihren Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des Sozialgerichts übertrage das Kostenrisiko gemäß § 13 Abs. 4-6 SGB V auf die entsandten Versicherten. Das Kostenrisiko liege aber eigentlich beim Arbeitgeber, in dessen Interesse die Entsendung erfolgt sei, und der die Möglichkeit des Abschlusses einer zusätzlichen Versicherung habe. Eine Suspendierung des gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruchs aus § 17 SGB V lasse sich schon nach dem zwischenstaatlichen Recht nicht begründen. Die VO (EG) Nr. 987/2009 sehe in Absatz 17 der Präambel ausdrücklich vor, dass die VO (EG) Nr. 883/2004 günstigeren innerstaatlichen Vorschriften nicht entgegenstehen solle. Hinzuweisen sei auf den Beschluss des BVerfG v. 17. März 2008 - 1 BvR 96/06 und das Urteil des BSG v. 27. September 2005 - B 1 KR 13/04 R sowie die §§ 30 Abs. 2 und 31 SGB I, wonach über- und zwischenstaatliche Vorschriften unberührt blieben und Rechte aus den einzelnen Bereichen des SGB nur aufgehoben werden dürften, soweit ein Gesetz das vorsehe oder zulasse. An letzterem mangele es. Wegen der Privathonorierung der Leistungen werde der Kostenerstattungsanspruch nach deutschem und EG-Recht niedriger als die angefallenen Gesamtkosten sein. Damit hätte sich das Sozialgericht auseinandersetzen müssen. Es sei bekannt, dass es in Österreich ab und an Schwierigkeiten beim Einsatz der EHIC gebe. Könnten keine Sachleistungsansprüche generiert werden, sei der Versicherte auf die Kostenerstattung mit dem benannten Risiko angewiesen. Das Sozialgericht habe die Klägerin einem Versicherten gleichgestellt, der lediglich Urlaub in Österreich mache, und die durch die Entsendung bedingte besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ignoriert. Nach Auskunft der Tiroler Gebietskrankenkasse ergebe sich aus den von der Klägerin vorgelegten Rechnungen über 1.029,31 EUR ein Erstattungsbetrag von 365,87 EUR.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beigeladenen Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von 1.029,31 EUR. Ob sie weitergehende Ansprüche gegen die Beigeladene hat, muss dahingestellt bleiben, da eine Verurteilung der Beigeladenen in dem vorliegenden Verfahren nicht möglich ist.

Als Anspruchsgrundlage für das gegen die Beklagte gerichtete Erstattungsbegehren der Klägerin kommt allein § 17 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift erhalten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die während einer Beschäftigung im Ausland erkranken, von ihrem Arbeitgeber die ihnen nach dem dritten Kapitel des SGB V zustehenden Leistungen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zwar insoweit erfüllt, als die Klägerin von der Beklagten zur Beschäftigung in das Ausland, nämlich nach Österreich, entsandt worden ist und dort ambulante ärztliche Behandlungen sowie die Versorgung mit Arzneimitteln in Anspruch genommen hat. Gleichwohl ergibt sich aus § 17 SGB V kein Erstattungsanspruch, weil die Vorschrift wegen des vorrangigen Koordinationsrechts der Europäischen Gemeinschaft nicht zur Anwendung kommt.

Nach Art. 19 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 haben Versicherte, die sich in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat aufhalten, Anspruch auf die Sachleistungen, die sich während ihres Aufenthalts als medizinisch notwendig erweisen. Die Leistungen werden von dem Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht, als ob die betreffenden Personen nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären. Art. 25 VO (EG) 987/2009 bestimmt ergänzend dazu, dass der Versicherte dem Erbringer von Gesundheitsleistungen im Aufenthaltsstaat bei Inanspruchnahme der Leistung ein von dem zuständigen Träger ausgestelltes Dokument vorlegt, das seinen Leistungsanspruch bescheinigt (Europäische Krankenversicherungskarte - european health insurence card - EHIC). Nach dem EG-Koordinationsrecht hatte die Klägerin daher während ihres vorübergehenden Aufenthalts in Österreich Anspruch auf Leistungen nach den in Österreich geltenden Bestimmungen, die ihr von dem österreichischen Leistungsträger für Rechnung der Beigeladenen zu erbringen gewesen wären. Ihre Anspruchsberechtigung für diese Form der Sachleistungsaushilfe hatte sie dem behandelnden Arzt durch Vorlage der EHIC zu dokumentieren.

Entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen bestand für die Klägerin kein Wahlrecht, daneben auch von den in § 17 SGB V geregelten Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Das ergibt sich zunächst aus dem in § 30 Abs. 2 SGB I geregelten Vorrang des zwischenstaatlichen Koordinationsrechts, das den Sachverhalt der Entsendung eines Arbeitnehmers zur vorübergehenden Arbeitsleistung in das Ausland durch Begründung von Sachleistungsansprüchen gegen den Versicherungsträger des Aufenthaltsortes geregelt hat (Noftz in Hauck/Noftz SGB V, § 17 Rn 12; Padé in jurisPK SGB V, 3. Aufl., § 17 Rn 3, offen gelassen von BSG, Urt. v. 27. September 2005 B 1 KR 13/04 R - juris Rn 18). § 17 SGB V ist aber auch im Wege der teleologischen Reduktion so zu verstehen, dass Ansprüche wegen Krankenbehandlung gegen den Arbeitgeber nur bestehen sollen, wenn der Schutz des Arbeitnehmers im Ausland nicht schon anderweitig angemessen sichergestellt ist. Denn die mit § 17 SGB V einhergehende Belastung des Arbeitgebers mit Erstattungspflichten zusätzlich zu dem Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Sozialversicherung ist nur unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer ansonsten auf die Risiken der Inanspruchnahme eines ihm unbekannten Krankenversicherungssystems verwiesen würde (BVerfG v. 17. März 2008 - 1 BvR 96/06 - juris Rn 6). Es ist aber nicht ersichtlich, dass das Leistungsniveau der Krankenversicherung in Österreich hinter dem deutschen Standard zurückbleiben würde. Vielmehr ergibt sich aus der von der Beigeladenen vorgelegten Berechnung, dass die von der Klägerin in Anspruch genommenen Behandlungsleistungen dem Grunde nach auch von der österreichischen Sozialversicherung zu übernehmen gewesen wären. Wenn auch bei einem Auslandsaufenthalt das Schutzniveau der deutschen Krankenversicherung gewährleistet ist, gibt es aber keine Veranlassung, den Arbeitgeber zu zusätzlichen Leistungen zu verpflichten.

Aus § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V ergibt sich dazu kein Gegenargument. Nach diesen Vorschriften haben Versicherte bei der Inanspruchnahme von Leistungen im Ausland einen Kostenerstattungsanspruch gegen ihre Krankenkasse, welcher der Höhe nach auf die Vergütung beschränkt ist, welche die Krankenkasse bei der Erbringung der Leistung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Vorschrift begründet demnach zusätzliche Ansprüche gegen die GKV, nicht aber gegen den Arbeitgeber. Auf solche Regelungen bezieht sich ersichtlich auch der 17. Absatz der Präambel zur VO (EG) 987/2009. Er verlangt dagegen nicht die Beibehaltung der Leistungsverpflichtung des Arbeitgebers anstelle der Krankenkasse, wenn kein Anlass für diese zusätzliche Inpflichtnahme des Arbeitgebers mehr besteht.

Ansprüche aus § 17 SGB V gegen die Beklagte bestehen auch unter Berücksichtigung des Umstands nicht, dass der koordinationsrechtlich vorgesehene Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde, weil die Klägerin infolge eines technischen Defekts ihre EHIC nicht einsetzen konnte. Dieses Problem ist innerhalb der dem Grunde nach gegebenen ausschließlichen Leistungspflicht der Krankenkassen zu lösen. Für die Fälle des Systemversagens gibt es nämlich bereits im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung Rechtsinstitute, welche die Folgen für die Versicherten auffangen und regeln. Insoweit gibt es keine Schutzlücke, welche für einen Ausnahmefall die weitere Anwendung des § 17 SGB V neben dem EU-Koordinationsrecht rechtfertigen würde.

Der Senat konnte offen lassen, ob der von der Klägerin angeführte Umstand, dass sie ihre EHIC nicht benutzen konnte, wegen Systemversagens zu einem Kostenerstattungsanspruch gegen die Beigeladene führt. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat eine Krankenkasse ihren Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Diese Vorschrift ist zu Lasten der deutschen Krankenversicherung auch anwendbar, wenn es zu einem Systemversagen bei der von einer deutschen Krankenkasse im Wege der Sachleistungsaushilfe im Ausland zu erbringenden Behandlungsleistung kommt (BSG v. 24. Mai 2007 - B 1 KR 18/06 R - juris Rn 27; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 17 Rn 12). Die Rechtsfolge des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V geht auf eine Erstattung der entstanden Kosten in voller Höhe, eine Beschränkung der Leistungspflicht auf die Erstattungssätze der ausländischen Krankenversicherung findet nicht statt (BSG v. 24. Mai 2007 - B 1 KR 18/06 R - juris Rn 36, 38).

Der Senat muss nicht entscheiden, ob vorliegend ein Fall des Systemversagens deswegen anzunehmen wäre, weil die Erbringung der Behandlung als Sachleistung über die österreichische Krankenversicherung daran scheiterte, dass die EHIC der Klägerin nicht lesbar war. Ein solches Systemversagen setzte voraus, dass die Behandlung der Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes unaufschiebbar war und kein (anderer) Leistungserbringer zur Verfügung stand, der zur Behandlung der Klägerin im Wege einer Sachleistungsaushilfe bereit und geeignet war. Die Beigeladene hat zwar bestätigt, dass es bei der Verwendung der EHIC in Österreich immer mal wieder zu technischen Schwierigkeiten komme. Der Senat weist aber darauf hin, dass die Klägerin Leistungen der Krankenbehandlung bei Dr. M nach Aktenlage gleich an mehreren Tagen als Privatbehandlung in Anspruch genommen hat, nämlich am 11. Juni 2014, 12. Juni 2014, 20. Juni 2014, 4. Juli 2014, 11. Juli 2014, 18. Juli 2014 und 8. August 2014, und dass es eher unwahrscheinlich erscheint, dass die EHIC der Klägerin, die sie nach ihrem eigenen Vortrag besessen haben will, an allen diesen Tagen wegen technischer Schwierigkeiten nicht verwendet werden konnte. Zu diesem bereits von der Beklagten vorgetragenem Einwand hat sich die Klägerin bisher auch noch nicht näher geäußert. Darauf kommt es aber nicht an, weil die Beigeladene in dem anhängigen Verfahren aus prozessualen Gründen ohnehin nicht zur Erstattung verurteilt werden kann. Aus diesem Grund hat der Senat von einer weiteren Sachaufklärung abgesehen.

Gemäß § 75 Abs. 5 SGG kann zwar ein Versicherungsträger nach Beiladung verurteilt werden. Diese Regelung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass zu einem sozialgerichtlichen Verfahren Beigeladene eigentlich nicht verurteilt werden können, weil sie nicht Hauptbeteiligte sind (Schmidt in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 75 Rn 18). Die Verurteilung eines beigeladenen Versicherungsträgers zu einer Leistung ist aber dann nicht möglich, wenn er die Erbringung dieser Leistung bereits durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat, der bestandskräftig geworden ist (BSG v. 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn 12; Schmidt in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 75 Rn 18b). So liegt es hier. Die Klägerin hatte sich bereits wegen einer Erstattung an die Beigeladene gewandt, die diese durch Schreiben vom 25. September 2014 und vom 23. Juli 2015 ablehnte. Auch wenn die Schreiben sich nicht ausdrücklich als Bescheide oder Verwaltungsakte bezeichnen, erfüllen sie doch die Voraussetzungen der in § 31 SGB X enthaltenen Begriffsdefinition, da sie eine definitive ablehnende Entscheidung der Beigeladenen im Hinblick auf den von der Klägerin erhobenen sozialrechtlichen Anspruch enthalten. Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidungen hat die Klägerin nicht ergriffen sondern ihren Arbeitgeber verklagt. Diese Klage muss die Beigeladene nicht als Rechtsbehelf gegen sich selbst gelten lassen, weil sie kein einheitliches Verwaltungsverfahren mit der Beklagten führt. Die ablehnenden Entscheidungen sind deswegen nach § 77 SGG bestandskräftig geworden. Damit scheidet die Möglichkeit einer Verurteilung der Beigeladenen zur Erstattung in dem anhängigen Rechtsstreit aus. Der Klägerin bleibt aber unbenommen, ihre Rechte im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44 Abs. 1 SGB X geltend zu machen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, da bislang noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vorliegt, ob § 17 SGB V neben der VO 883/2004 (EG) Anwendung findet.
Rechtskraft
Aus
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