L 19 AS 240/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 1541/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 240/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.01.2018 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht ein Guthaben aus einer Nebenkostenabrechnung i.H.v. 538,43 Euro auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II angerechnet hat.

Der am 00.00.1964 geborene Kläger bezog in der Zeit von Oktober 2011 bis März 2015 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. In der Zeit von April 2015 bis August 2015 war der Kläger abhängig beschäftigt, er bezog keine Grundsicherungsleistungen.

Zum 01.10.2013 zog der Kläger ohne Zustimmung des Beklagten in eine ca. 45 qm große Wohnung in der I-straße 00 in O. In dem am 24.09.2013 vereinbarten Mietvertrag war neben einer Mietkaution von 819,00 Euro eine Bruttowarmmiete von 393,00 Euro (273,00 Euro Grundmiete + 60,00 Euro Nebenkosten + 60,00 Euro Heizkosten) vereinbart. Die Mietzahlungen übernahm der Beklagte ab Oktober 2013 als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Der Kläger zahlte weder die Mietkaution, noch die Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2013 noch die Miete von April 2015 bis August 2015. Mit Schreiben vom 28.08.2015 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis zum 30.09.2015 fristlos wegen Zahlungsverzugs, hilfsweise ordentlich wegen erheblicher schuldhafter Pflichtverletzung. Es bestünden Forderungen von insgesamt 2.846,19 Euro.

Unter dem 12.10.2015 erhielt der Kläger von seiner Vermieterin eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2014. Hiernach stand dem Kläger ein Guthaben i.H.v. 538,43 Euro zu. Die Vermieterin verrechnete das Guthaben mit offenstehenden Mietforderungen i.H.v. 3.632,19 Euro.

Auf Antrag des Klägers vom 30.09.2015 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2015 für die Zeit vom September 2015 bis Februar 2016 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Für November 2015 bewilligte er 408,18 Euro (Regelbedarf 399,00 Euro + 9,18 Euro § 21 Abs. 7 SGB II) und für Dezember 655,75 Euro (399,00 Euro Regelbedarf + 9,18 Euro § 21 Abs. 7 SGB II + 247,57 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung). Auf den Bedarf gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II i.H.v. 393,00 Euro monatlich für die Monate November 2015 und Dezember 2015 rechnete er das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung als Einkommen an. Unter Sonstige Gründe führte der Beklagte aus:

"Das Guthaben aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung in Höhe von insgesamt 538,43 Euro wurde im November und anteilig im Dezember mit Ihren Kosten der Unterkunft verrechnet. Eine Minderung ist in den Fällen nicht möglich, wenn zwischen Mieter und Vermieter eine mietvertragliche Aufrechnungsvereinbarung mit bestehenden Forderungen (z.B. Mietrückstände) getroffen wurde. Liegt jedoch, wie in ihrem Fall, keine entsprechende Vereinbarung vor und der Vermieter behält das Guthaben wegen einer Aufrechnungserklärung i.S.d. § 388 BGB ein (bloße Ausübung eines Gestaltungsrechts), ist zu prüfen, ob sie einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Vermieter auf Auszahlung der Erstattung haben. Da ohne eine vorgenannte Vereinbarung zwischen Ihnen und Ih-rem Vermieter eine Aufrechnung i.S.d. § 388 BGB aufgrund einer bestehenden Unpfändbarkeit des Erstattungsanspruches aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung gem. § 394 BGB ausgeschlossen ist, wird im Bereich des SGB II eine Minderung trotz tat-sächlich fehlender Verfügungsgewalt über das Guthaben gemäß § 22 Abs. 3 SGB II vor-genommen. Das Guthaben müssten Sie auf zivilrechtlichen Wege geltend machen. Für Anwaltskosten können Sie beim zuständigen Amtsgericht einen Beratungshilfeschein beantragen oder Prozesskostenhilfe, soweit es zum Prozess kommt."

Gegen die Höhe der für November 2015 und Dezember 2015 bewilligten Bedarfe gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II legte der Kläger am 13.11.2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2016 als unbegründet zurückwies. Das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung sei gemäß § 22 Abs. 3 SGB II in den Monaten November und Dezember 2015 anzurechnen. Die Verrechnung des Guthabens durch die Vermieterin mit bestehenden Mietrückständen sei wegen Unpfändbarkeit der Forderung gemäß § 394 BGB unbeachtlich.

Am 18.04.2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen vorgetragen, dass das verrechnete Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung ihm nicht zugeflossen sei. Es dürfe deshalb nicht auf seine Unterkunftskosten angerechnet werden. Zudem habe er mit seiner Vermieterin eine Abtretungsvereinbarung getroffen. Er habe den Hinweis des Beklagten hinsichtlich der Aufrechnung im Bescheid vom 22.10.2015 wahrgenommen. Die Vermieterin habe ihm jedoch erklärt, dass er sich eine andere Wohnung suchen könne, wenn er mithilfe eines Rechtsanwalts gegen sie vorgehe. Auch seine Prozessbevollmächtigte habe ihm davon abgeraten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2016 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger für die Monate November und Dezember 2015 insgesamt 538,43 Euro mehr zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 22.01.2018 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2016 verpflichtet, an den Kläger weitere 538,43 Euro zu zahlen. Es hat die Berufung zugelassen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 06.02.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.02.2018 Berufung eingelegt. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für falsch und wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Klageverfahren.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.01.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend führt er aus, dass er im Frühjahr 2015 mit dem damaligen Vorsitzenden des Kirchenvorstandes, Herrn M, die Tilgung der Mietschulden besprochen habe. Es sei vereinbart worden, dass das eventuelle Guthaben in Zukunft mit den Mietschulden verrechnet werde. Nach Erhalt der Kündigung habe er mit dem neuen Vorstand des Kirchenvorstandes, Rechtsanwalt F, gesprochen. In dem Gespräch sei die Vereinbarung getroffen worden, dass künftige Guthaben mit den Mietschulden verrechnet werden und er die Mietschulden ratenweise tilge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 22.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2016, mit welchem der Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II u.a. für die Monate November und Dezember 2015 bewilligt hat. Der Kläger hat sein Begehren zulässigerweise zeitlich auf die Monate November 2015 und Dezember 2015 sowie auf die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt (vgl. BSG, Urteile vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R und vom 06.08.2014 - B 4 AS 55/13 R).

Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Beklagten verurteilt, die monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. insgesamt 393,00 Euro für die Monate November 2015 und Dezember 2015 nach § 22 Abs. 1. S. 1 SGB II zu übernehmen.

Der Kläger ist nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Der angefochtene Bescheid vom 22.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2016 ist rechtmäßig. Dahinstehen kann, ob der Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II in den Monaten November 2015 und Dezember 2015 erfüllt hat. Jedenfalls steht dem Kläger gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als bewilligt für den streitigen Zeitraum zu.

Der Bedarf des Klägers i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist im November 2015 vollständig gedeckt gewesen. Auf die berücksichtigungsfähigen Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 393,00 Euro ist das in der Nebenkostenabrechnung vom 12.10.2015 ausgewiesene Nebenkostenguthaben i.H.v. 538,43 Euro als Einkommen nach § 22 Abs. 3 SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I, 850 - a.F.) anzurechnen (I). Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten für den Monat Dezember 2015 kein Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung als in dem angefochtenen Bescheid - nämlich 247,57 Euro - bewilligt zu. Auf die Kosten der Unterkunft und Heizung ist ein Teilbetrag des Nebenkostenguthabens i.H.v. 145,43 Euro (538,43 Euro - 393,00 Euro) als Einkommen nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F. anrechnen (II).

I. Der Bedarf des Klägers nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für den Monat November 2015 wird vollständig durch das Nebenkostenguthaben aus der Abrechnung vom 12.10.2015 nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F. gedeckt. Danach mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht. Bei dem Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung vom 12.10.2015 i.H.v. 538,43 Euro handelt es sich Guthaben im Sinne von § 22 Abs. 3 SGB II a.F. Denn es bezieht sich nicht auf die Kosten der Haushaltsenergie.

Der Beklagte hat zutreffend dieses Guthaben als Einkommen auf den Bedarf des Klägers nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für den Monat November 2015 angerechnet. Das in einer Heiz- und Betriebskostenabrechnung ausgewiesene Guthaben ist grundsätzlich als Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. der Sonderregelung des § 22 Abs. 3 SGB a.F. zu berücksichtigen, wenn es nach Antragstellung entsteht. Insoweit stellt § 22 Abs. 3 SGB II a.F. eine die allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung (§§ 11 ff. SGB II) verdrängende Sonderregelung, einschließlich zu der Frage, nach welchem Modus und demnach in welcher Höhe den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnende Rückzahlungen und Guthaben sich mindernd auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung auswirken, dar (BSG, Urteile vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R und vom 22.03.2012 - B 4 AS 139/11 R). Vorliegend ist das Nebenkostenguthaben mit der Abrechnung der Vermieterin im Oktober 2015, also nach Antragstellung des Klägers beim Beklagten, als Forderung des Klägers entstanden. Von dem in der Abrechnung vom 12.10.2015 ausgewiesenen Guthaben sind keine Absetzbeträge nach § 11b SGB II abzuziehen.

Das Guthaben stellt ein berücksichtigungsfähiges Einkommen dar. Denn ein Nebenkostenguthaben, das einem Leistungsempfänger nicht ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen Forderungen der Vermieterin von dieser verrechnet wird, bewirkt bei ihm einen "wertmäßigen Zuwachs", weil es wegen der damit ggf. verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B AS 132/11 R).

Die Tatsache, dass der Kläger wegen der seitens der Vermieterin erklärten Aufrechnung mit bestehenden Mietschulden keine tatsächliche Verfügungsgewalt über das Guthaben hatte, es ihm also nicht zugeflossen ist, steht einer Berücksichtigung als Einkommen nicht entgegen. Die bedarfsmindernde Berücksichtigung eines Nebenkostenguthabens ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Auszahlung des einbehaltenen Betriebskostenguthabens aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisierbar ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend eine fehlende Realisierbarkeit des Auszahlungsanspruchs nicht anzunehmen. Denn die von der Vermieterin in der Nebenkostenabrechnung erklärte Aufrechnung mit Mietschulden nach § 388 BGB hat nicht das Erlöschen der Forderung des Klägers - Auszahlung des Nebenkostenguthabens - nach § 389 BGB bewirkt. Diese Erklärung ist unwirksam, da das Nebenkostenguthaben des Klägers dem Aufrechnungsverbot aus § 394 S. 1 BGB unterlegen hat. Soweit eine Forderung unpfändbar ist, findet die Aufrechnung gegen die Forderung gemäß § 394 S. 1 BGB nicht statt. Eine Betriebs- und Heizkostenerstattung des Vermieters, die als Einkommen auf den Bedarf eines Grundsicherungsleistungsempfängers - wie im vorliegenden Fall - angerechnet wird, unterliegt nicht der Pfändung und Zwangsvollstreckung (BSG, Urteil vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R; BGH, Urteil vom 20.06.2013 - IX ZR 310/12). Wäre in diesem Fall die Pfändung zulässig, würde sie - so der Bundesgerichtshof zutreffend - nach dem Gesetz zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern sollen (BGH, a. a. O.).

Dahinstehen kann, ob der Kläger vor Entstehen der Nebenkostenerstattung im Oktober einen Aufrechnungsvertrag mit seiner Vermieterin mit dem Inhalt geschlossen hat, dass künftig entstehende Nebenkostenguthaben mit den bestehenden Mietschulden aufgerechnet werden sollen. Eine solche Vereinbarung wäre gemäß § 134 BGB wegen des Verstoßes gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 S. 1 BGB nichtig. Ein Aufrechnungsvertrag über zukünftige entstehende Forderungen ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2018, § 387 Rn. 20), aber es gelten die Aufrechnungsverbote. Für einen Aufrechnungsvertrag, der nach Fälligkeit der unpfändbaren Forderung geschlossen wird, gilt das Aufrechnungsverbot nicht, da der durch die Vorschrift geschützte Gläubiger in seiner Verfügung frei bleibt, sich also auch des ihm gewährten Schutzes begeben kann. Dagegen ist ein Aufrechnungsvertrag, der sich auf künftige unpfändbare Forderungen bezieht, angesichts der zwingenden Natur des § 394 BGB nach § 134 BGB nichtig (vgl. Schlüter in Münchener Kommentar, BGB, 7. Aufl. 2016, § 394 Rn. 12 m.w.N.; Grüneberg, a.a.O., § 387 Rn. 21). Anhaltspunkte, dass der Kläger nach Entstehen der Forderung auf Nebenkostenerstattung mit seiner Vermieterin einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat, sind nicht ersichtlich und werden auch vom Kläger nicht vorgetragen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist es einem Leistungsempfänger grundsätzlich im Rahmen der Selbsthilfeobliegenheit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 KG 1/10 R) zuzumuten, auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Aufrechnung hinzuwirken und unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung die Forderung zu realisieren (vgl. LSG Sachsen, Urteile vom 21.09.2017 - L 3 AS 480/12 und vom 22.03.2018 - L 3 AS 907/16), auch unter Beschreitung des Zivilrechtsweges. Der betroffene Leistungsempfänger muss insbesondere nicht selbst über die Kenntnisse und Fähigkeiten für die zivilrechtliche Durchsetzung seines Nebenkostenguthabens verfügen. Er kann sich zwecks Beratung an den zuständigen Grundsicherungsträger, an einen Mieterverein oder - mit einem Beratungshilfeschein - an einen Rechtsanwalt wenden. Er muss in einem Zivilprozess regelmäßig auch keine Gerichtskosten oder einen Rechtsanwalt bezahlen, sondern kann Prozesskostenhilfe beantragen, die ihm angesichts der sehr guten Erfolgsaussichten in der Hauptsache und seiner in wirtschaftlicher Hinsicht regelmäßig bestehenden Bedürftigkeit in aller Regel bewilligt werden müsste. Vor dem Hintergrund der höchstrichterlich geklärten Rechtslage erscheint es auch nicht unzumutbar, dem Leistungsempfänger das Risiko eines Zivilprozesses aufzubürden.

Der Beklagte hat den Kläger auch bei der Verfolgung seines berechtigten Anspruchs unterstützt, in dem er den Kläger auf die Rechtslage hinsichtlich des Aufrechnungsverbotes gemäß § 394 BGB, die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung sowie auf die Möglichkeit, Beratungs- und Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, hingewiesen hat (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 132/11 R). Der Kläger hat diese Hinweise zur Kenntnis genommen und mit seiner Rechtsanwältin das weitere Vorgehen besprochen. Er hat sich nicht mehr an den Beklagten um weitere Unterstützung gewandt, sondern auf das Geltendmachen seiner Ansprüche verzichtet. Eine weitergehende Verpflichtung des Beklagten zur Unterstützung des Klägers hat daher im vorliegenden Fall nicht bestanden. Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertritt, dass eine echte Unterstützung des Beklagten nur dann vorliegt, wenn dieser sich die Ansprüche des Klägers gegen die Vermieterin hätte abtreten lassen und dann selber verfolgt hätte, hat das Sozialgericht augenscheinlich nicht beachtet, dass wegen der Unpfändbarkeit der Forderung eine solche Abtretung nach § 400 BGB unwirksam wäre.

Dem Kläger ist eine Realisierung seiner Forderung auch zumutbar gewesen. Soweit das Sozialgericht darauf abgestellt hat, dass eine Realisierung der Forderung die Kündigung der Wohnung zur Folge gehabt hätte, hat es verkannt, dass dem Kläger bereits gekündigt worden war. Außerdem hätte dem Kläger zur Sicherung seiner Wohnung die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, zur Begleichung seiner Mietschulden beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung eines Darlehens gemäß § 22 Abs. 8 SGB II zu stellen.

Mithin hat der Kläger trotz ausdrücklichen Hinweises des Beklagten auf die Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung seiner Vermieterin die Verrechnung des Nebenkostenguthabens hingenommen, so dass eine als Einkommen zu bewertende freiwillige Schuldentilgung eingetreten ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 31.05.2018 - L 14 AS 136/17 NZB).

II. Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten für den Monat Dezember 2015 kein Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung als in dem angefochtenen Bescheid - nämlich 247,57 Euro - bewilligt zu.

Auf die Kosten der Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II i.H.v. 393,00 Euro ist ein Teilbetrag des in der Nebenkostenabrechnung vom 12.10.2105 ausgewiesenen Nebenkostenguthabens (538,43 Euro - 393,00 Euro) als Einkommen nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F. anzurechnen. Übersteigt ein Nebenkostenguthaben - wie im vorliegenden Fall - die Aufwendungen des Folgemonats - vorliegend November 2015 -, erfolgt die Anrechnung des übersteigenden Betrages bis zur vollständigen Abschmelzung des Gesamtrückzahlungsbetrages in den darauffolgenden Monaten (Urteil des Senats vom 12.10.2017 - L 19 AS 521/16; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.01.2017 - L 5 AS 414/16; LSG Thüringen, Urteil vom 20.07.2016 - L 4 AS 225/14; LSG Bayern, Beschluss vom 02.09.2016 - L 16 AS 144/16 NZB; Berlit in LPK-SGB II, 6 Aufl. 2017, § 22 Rn. 168; Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 22 Rn. 169). Nach Abzug des Nebenkostenguthabens i.H.v. 145,43 Euro verbleiben Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 247,57 Euro (393,00 Euro - 145,43 Euro).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved