S 10 AS 531/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 531/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Bescheide vom 31.08.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10.01.2018 werden dahingehend abgeändert, dass ein Betrag von 3.274,13 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. II. Der Beklagte hat der Klägerin 80 % der notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist (nur noch) die Frage, ob ein im Mai 2016 zugeflossener Betrag von 3.274,13 Euro als Einkommen anzurechnen ist.

Das Urteil betrifft die Klagen mit den Az.: S 10 AS /18 und S 10 AS /18, die mit Beschluss vom 14.02.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden.

Im Verfahren S 10 AS /18 ist streitig der Bescheid vom 31.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018. Der Beklagte lehnt SGB II-Leistungen für den Zeitraum 05/2016 bis 08/2016 mit der Begründung ab, der Klägerin seien im Mai 2016 insgesamt 4.000,00 Euro zugeflossen, im August 2016 insgesamt 200,00 Euro. Diese Beträge seien als Einkommen zu berücksichtigen, so dass ein Anspruch auf SGB II-Leistungen nicht bestehe.

Das Verfahren S 10 AS /18 betrifft den Bescheid vom 31.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018. Mit diesen Entscheidungen wurden für den Zeitraum 05/2016 bis 08/2016 vorläufig geleistete Zahlungen zurückgefordert.

Mit der Klage vom 07.02.2018 zu beiden Verfahren stellt die Bevollmächtigte der Klägerin zunächst einen Betrag von 3.274,13 Euro aus dem Zufluss von Mai 2016 streitig. Dieser Betrag könne aus der Zahlung von zweimal 2.000,00 Euro von Familienmitgliedern der Klägerin nicht als Einkommen angerechnet werden. Die Zahlung sei erfolgt zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit der Klägerin. Es habe ein Rückstand hinsichtlich des Hausgeldes bestanden. Die Heizung für die Wohnung sei seitens der Hausverwaltung bereits eingestellt gewesen. Zur Schuldentilgung sei von der Klägerin der Betrag von 3.274,13 Euro am 12.05.2016 an die Hausverwaltung überwiesen worden. Insoweit sei die Zahlung der Familienmitglieder zweckbestimmt gewesen.

Streitig gestellt für die Monate 05/2016 bis 07/2016 wurde weiterhin eine Einkommensanrechnung von jeweils 83,33 Euro sowie grundsätzlich die Nachvollziehbarkeit der im Bedarf berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung.

Mit Schreiben vom 07.05.2018 stellte die Bevollmächtigte der Klägerin die Anrechnungsbeträge von 83,33 Euro unstreitig.

Insgesamt hat die Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2019 den Streitgegenstand auf die Frage der Anrechnung der 3.274,13 Euro beschränkt. In der mündlichen Verhandlung am 14.02.2019 legte die Bevollmächtigte der Klägerin die Erklärungen der Mutter der Klägerin (J. A.) und der Schwester der Klägerin (M. A.) vor, in denen bestätigt wird, dass die zweimal 2.000,00 EUR, die im Mai 2016 an die Klägerin überwiesen worden, für die Tilgung der rückständigen Nebenkosten erfolgt sei.

Die Bevollmächtigte der Klägerin weist daraufhin, dass die Tilgung der Schulden auch den Zweck hatte, das selbst bewohnte Wohneigentum der Klägerin zu erhalten.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt:

1. Die Bescheide vom 31.08.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10.01.2018 werden dahingehend abgeändert, dass ein Betrag von 3.274,13 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Der Beklagtenvertreter beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.

Die Klagen sind auch begründet. Der Betrag von 3.274,13 Euro war zweckbestimmt zur Tilgung der Schulden für die Wohnung. Der Betrag war nicht vorgesehen für den Verbrauch zum Lebensunterhalt. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen die Einnahmenentgelte abzüglich der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11 a SGB II genannten Einnahmen.

Gemäß § 11 a Abs. 5 SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, soweit:

1. Ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder 2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.

Eine rechtliche Pflicht der Mutter und der Schwester der Klägerin für die erwähnten Zuwendungen ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere besteht auch keine gesetzliche Unterhaltspflicht. Geschwister sind untereinander nicht zum Unterhalt verpflichtet.

Die 1962 geborene Klägerin hat auch keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche mehr gegenüber ihrer Mutter.

Zur sittlichen Verpflichtung zu einer Leistung meint Geiger im Kommentar von Münder, 6. Auflage 2017, Rdnr.: 17 zu § 11 a SGB II, dass von einer allgemein verbreiteten sittlichen Überzeugung, dass nicht unterhaltsberechtigte Verwandte zu unterstützen sind, nicht die Rede sein kann. Eher gelte, dass bei Fehlen einer rechtlichen Unterhaltspflicht auch sittlich kein Unterhalt gewährt werden müsse.

Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanbindung schließt sich das Gericht dieser Ansicht an. Eine sittliche Unterhaltspflicht besteht nur dann, wenn auch eine rechtliche Unterhaltspflicht vorliegt.

Im vorliegenden Fall wurden unstreitig im Mai 2016 von den zugeflossenen 4.000,00 Euro insgesamt 3.274,13 Euro an die Hausverwaltung überwiesen, um bestehende Nebenkosten zu tilgen. Der Betrag war ausschließlich für diesen Zweck der Klägerin zugewendet worden. Der Betrag war nicht für die allgemeine Lebenshaltung überwiesen worden und wurde auch tatsächlich nicht so verwendet. Damit diente die Schuldentilgung nach Ansicht des Gerichts dazu, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Angemessener Wohnraum steht jedem SGB II-Leistungsberechtigten zu. Eine Besserstellung der Klägerin gegenüber anderen Leistungsberechtigten ist insofern nicht ersichtlich. Der tatsächliche Ablauf war nach Ansicht des Gerichts eher für den Beklagten günstig, denn bei erzwungenem Auszug aus dem selbstgenutzten Wohneigentum hätte der Beklagte eine angemessene Mietwohnung finanzieren müssen.

Nach Ansicht des Gerichts liegt daher ein Fall des § 11 a Abs. 5 Nr. 2 SGB II vor. Schon daher war der Klage wie tenoriert stattzugeben.

Offen bleiben konnte, ob auch ein Fall des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II vorliegt. Das Gericht tendiert hier zu einer Bejahung, denn die Zuwendungen waren nicht für den Verbrauch zum Lebensunterhalt bestimmt und wurden auch tatsächlich nicht so verwendet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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