L 7 AS 1008/18 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 151/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1008/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Besorgnis der Befangenheit des Sachbearbeiters ist kein wichtiger Grund für das Nichterscheinen zu einem Meldetermin beim Jobcenter.
2. Eine Meldeaufforderung des sachlich und örtlich zuständigen Jobcenters ist nicht deswegen rechtswidrig, weil ein Verstoß gegen die behördeninterne Aufgabenverteilung vorliegt.
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 24.10.2018 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer 10%-Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses am 10.8.2016 für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016.

Der 1981 geb. Kläger und Beschwerdeführer (Bf) steht beim Beklagten und Beschwerdegegner (Bg) im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 12.7.2016 lud der Bg den Bf zu einem persönlichen Gespräch am 10.8.2016 um 10.30 Uhr in den Räumlichkeiten des Bg ein. Zweck der Meldeaufforderung war die Besprechung der aktuellen beruflichen Situation. Es wurde angekündigt, dass sein zuständiger Reha-Berater und der Teamleiter anwesend sein würden. Die Meldeaufforderung enthielt eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung dahingehend, dass bei einem Nichterscheinen zum Termin ohne wichtigen Grund der Arbeitslosengeldanspruch um 10% des maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten gekürzt werde.

Mit Fax vom 15.7.2016 teilte der Bf mit, dass der zuständige Sachbearbeiter befangen sei. Der Bg als auch die Bundesagentur für Arbeit hätten mehrfach Pflichtverletzungen begangen. Derzeit sei deswegen eine Beschwerde bei der Bundesagentur für Arbeit anhängig. Bis zur vollständigen Beseitigung der Pflichtverletzungen sowie der Befangenheit sei ein Termin nicht denkbar.

Mit Schreiben vom 18.7.2016 teilte der Bg mit, dass am 10.8.2016 zusammen mit den an seinem Reha-Verfahren beteiligten Mitarbeitern fachliche Fragen geklärt werden sollen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass die Rechtsfolgenbelehrung weiterhin gelte, solange der Bf Leistungen nach dem SGB II erhalte.

Mit Fax vom 25.7.2016 teilte der Bf mit, dass ein persönliches Gespräch mit befangenen Sachbearbeitern in keinem Fall zumutbar sei.

Der Bf nahm den Termin am 10.8.2016 nicht wahr. Mit Schreiben vom 11.8.2016 hörte der Bg den Bf zum Eintritt einer Sanktion an. Es seien keine Gründe erkennbar, die das Nichterscheinen des Klägers am 10.08.2016 rechtfertigten. Mit Fax vom 13.8.2016 nahm der Bf Bezug auf seine Faxmitteilung vom 25.07.2018. Es habe ausreichende Gründe vorgebracht.

Mit Sanktionsbescheid vom 14.9.2016 stellte der Bg eine Sanktion für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016 in Höhe von 10% des maßgebenden Regelbedarfs fest, das sind 40,40 EUR monatlich. Den am 24.9.2016 erhobenen Widerspruch begründete der Bg damit, dass sich die Sachbearbeiterin von einer Falschbehauptung der Bundesagentur nicht distanziert habe und daher befangen sei. Die Sanktion sei daher aufzuheben. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.1.2017 wies der Bg den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Begründung des Bf, ein Gespräch mit befangenen Sachbearbeitern sei in keinem Fall zumutbar, stelle keinen wichtigen Grund i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II dar.

Dagegen richtet sich die am 20.1.2017 zum Sozialgericht München erhobene Klage des Bf. Es gehe im gegenständlichen Verfahren lediglich darum, ob die seiner Meinung nach bestehende Befangenheit des Mitarbeiters des Bg einen wichtigen Grund für das Nichterscheinen zum Meldetermin am 10.8.2016 darstelle. Zur Ergänzung verwies er auf die Vorgeschichte und Hintergründe, die zur Befangenheit geführt hätten.

Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid im Erörterungstermin am 19.5.2017 sowie durch gerichtliches Schreiben vom 16.8.2017 wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.10.2018 als unbegründet ab. Der Sanktionsbescheid sei rechtmäßig. Die mögliche Befangenheit des zuständigen Sachbearbeiters stelle keinen wichtigen Grund für das Nichterscheinen zum Termin am 10.8.2016 dar. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Der Gerichtsbescheid wurde mit PZU am 17.11.2017 dem Bf zugestellt.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung legte der Bf mit Schreiben vom 19.11.2018 Beschwerde beim Bay. Landessozialgericht ein. Der Bf begründete die Nichtzulassungsbeschwerde damit, dass eine Fehleinschätzung des Sozialgerichts vorliege, die einen Präzedenzfall zum Nachteil von behinderten Menschen schaffe, da anhand der Argumentation des Gerichts effektiv § 6a SGB IX umgangen bzw. ausgehebelt werde. Das Jobcenter A-Stadt M-Straße als Fachstelle für berufliche Wiedereingliederung werde nur auf Betreiben des zuständigen Rehabilitationsträgers, hier der Agentur für Arbeit A-Stadt, tätig, nachdem dieser einen Eingliederungsvorschlag mitsamt festgestelltem Rehabedarf vorlege. Da dies bisher nicht geschehen sei, sei für Meldetermine ausschließlich das Jobcenter A-Stadt Nord zuständig. Das Jobcenter A-Stadt M-Straße dürfe als Fachstelle für berufliche Wiedereingliederung weder eigenmächtig, noch aufgrund inoffizieller interner Regelung tätig werden und somit auch keine Meldetermine anberaumen und durchführen (Schreiben vom 7.2.2019).

Der Bf beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 24.10.2018 zuzulassen.

Der Bg beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und des Bg Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die - wie hier - eine Geldleistung betrifft, insgesamt 750 EUR nicht übersteigt. Dieser Gegenstandswert wird nicht erreicht. Die Absenkung der Regelleistung durch den Sanktionsbescheid vom 14.9.2016 beträgt insgesamt 121,20 EUR. Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig, da vorliegend keine laufenden oder wiederkehrenden Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind. Die Absenkung der Regelleistung ist insgesamt auf den Zeitraum von drei Monaten, nämlich Oktober bis Dezember 2018 beschränkt.

Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist ausschließlich die Frage, ob ein Zulassungsgrund vorliegt, der nach § 144 Abs. 2 SGG die Zulassung der Berufung rechtfertigt. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist gegeben, wenn die Streitsache - über den Einzelfall hinaus - eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei das Vorliegen eines Individualinteresses nicht ausreichend ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar,12. Auflage 2017, § 144 Rn 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (vgl. BSG, SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG, SozR 1500 § 160 a Nr. 4; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 160 Rn 8 ff). Die Voraussetzungen der abstrakten Klärungsbedürftigkeit und konkreten Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sind ebenso wie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung darzulegen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 160 a Nr. 34).

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist vorliegend zu verneinen. Eine abstrakte Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage liegt nicht vor. Die Frage, ob ein möglicherweise befangener Sachbearbeiter einen wichtigen Grund für die Nichtwahrnehmung eines Meldetermins darstellt, ist im Hinblick auf die BSG- Entscheidung vom 22.9.2009, B 4 AS 13/09 R, ohne weiteres zu verneinen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.9.2013, L 7 AS 177/13 B, Rn 11). Die Besorgnis des Bf, die für ihn zuständigen Mitarbeiter des Bg seien nicht unbefangen, begründet keinen Anspruch auf Zuweisung eines anderen Sachbearbeiters (vgl. BSG a.a.O., Rn 27). Soweit der Bf dennoch meint, er müsse nicht zum Termin erscheinen, wenn der zuständige Sachbearbeiter aus seiner Sicht befangen ist, wirft dies keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf. Denn ein wichtiger Grund muss objektiv vorliegen. Ein Irrtum hierüber ist unbeachtlich (vgl. Eicher/Luik, SGB II, Kommentar, 4. Auflage 2017, § 32 Rn 23; Bay. LSG vom 26.2.2015, L 7 AS 476/14, Rn 31). Die Frage, ob die Meldeaufforderung deswegen rechtswidrig ist, weil eine nach der behördeninternen Organisationsstruktur nicht zuständige Organisationseinheit handelt, ist nicht klärungsfähig. Denn nach dem Gesetzeswortlaut nach § 32 SGB II ist allein maßgebend eine Meldeaufforderung "des zuständigen Trägers". Dies ist hier der Bg. Entgegen der Auffassung des Bf handelt die Fachstelle nach außen nicht in eigener Zuständigkeit, sondern als Jobcenter A-Stadt. Dementsprechend handelt es sich hier nicht um eine Meldeaufforderung der Fachstelle, sondern um eine des Bg. Auf die behördeninterne Aufgabenverteilung kommt es insoweit nicht weiter an. Die Frage, ob ein Verstoß gegen § 6a SGB IX in der bis zum 4.4.2017 geltenden Fassung vorliegt, ist ebenfalls nicht klärungsfähig. Denn die Zuständigkeit des Bg zur Aufforderung zum Meldetermin und zum Erlass eines Sanktionsbescheides ergibt sich allein aus § 44b Abs. 1 Satz 1, § 6d SGB II i.V.m. § 59 SGB II, wonach dem Jobcenter als gemeinsamer Einrichtung die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende obliegt, und nicht aus § 6a SGB IX a.F. (s. § 6 Abs. 3 Satz 2 SGB IX n.F.).

Eine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor. Eine solche ist nur gegeben, wenn einerseits ein abstrakter Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines der in Nummer 2 genannten Gerichte zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn 30, § 160 Rn 13). Dabei liegt eine Abweichung nicht schon dann vor, wenn das Urteil des Gerichts nicht den Kriterien entspricht, die die in Nummer 2 genannten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn das Gericht diesen Kriterien widerspricht, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt. Nicht die materiell-rechtliche Unrichtigkeit im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet einen Zulassungsgrund wegen Abweichung (vgl. BSG vom 15.11.2012, B 13 R 481/12 B). Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung keinen abstrakten Rechtssatz entwickelt, der insbesondere von einer Entscheidung des BSG abweichen würde. Einen solchen Rechtssatz hat der Bf auch nicht aufgezeigt.

Ein Verfahrensmangel i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG wurde vom Bf nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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