L 2 AS 473/19 B ER und L 2 AS 474/19 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 54 AS 398/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 473/19 B ER und L 2 AS 474/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.02.2019 werden zurückgewiesen. Kosten sind auch in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil der Antragsteller bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Der Senat nimmt diesbezüglich zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Das Vorbringen des Antragstellers und Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers ist weiterhin nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für die begehrte Übernahme der Mietschulden in Höhe von 1023,- Euro nach § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können Mietschulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage erforderlich ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gerechtfertigt ist dabei nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Schuldenübernahme nur dann, wenn die Kosten der zu sichernden Unterkunft in den Angemessenheitsgrenzen des § 22 Abs. 1 SGB II liegen. Zutreffend weist das BSG diesbezüglich darauf hin, dass der mit der Schuldenübernahme bezweckte langfristige Erhalt der Wohnung nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die (künftigen) laufenden Kosten dem entsprechen, was weiterhin vom Träger der Grundsicherung als angemessene Kosten der Unterkunft zu übernehmen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 58/09 R, RdNrn. 26 und 30 bei juris zur wortgleichen Vorgängerregelung des § 22 Abs. 5 a.F.; vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.02.2012 - L 19 AS 2233/11 B ER, RdNr. 14 bei juris). Dem schließt sich der Senat an.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die vom Antragsteller aktuell bewohnte Wohnung aber nicht angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II.

Die von ihm zu zahlende Bruttokaltmiete von 520,- Euro monatlich übersteigt nicht nur die von dem Antragsgegner ermittelten angemessenen Kosten in Höhe von maximal 386,- Euro erheblich, sondern liegt auch noch deutlich oberhalb der bei Fehlen eines schlüssigen Konzeptes hilfsweise zu berücksichtigenden Tabellenwerte nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) (vgl. dazu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R, RdNrn. 14 f. bei juris). Für die Gemeinde Oer-Erkenschwick liegt dieser Wert bei einem Einpersonenhaushalt unter Berücksichtigung der Mietenstufe III und eines "Sicherheitszuschlages" von 10 % bei 429,- Euro.

Die Unangemessenheit der Wohnung beruht dabei insbesondere auf dem Umstand, dass der Antragsteller eine deutlich zu große Wohnung (65,92 qm) bewohnt, die die für einen Ein-Personen-Haushalt angemessene Wohnfläche von 50 qm erheblich übersteigt. Diese angemessene Wohnungsgröße kann hier auch nicht wegen einer zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter bestehenden temporären Bedarfsgemeinschaft erhöht werden. Auch unter Berücksichtigung der Neuregelung des § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II kann sich aus der Ausübung eines Umgangsrechts zwar möglicherweise ein erhöhter Raumbedarf ergeben (BSG, Urteil vom 17.02.2016 - B 4 AS 2/15 R, RdNr. 22 bei juris), ob und in welchem Umfang dieser höhere Bedarf aber konkret besteht, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei kann unter anderem das Alter des Kindes und die Regelmäßigkeit und Dauer des Umgangsrechts von Bedeutung sein. Auch eine regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts mit einem vierjährigen Kind an jedem zweiten Wochenende und während eines Teils der Ferien- bzw. Feiertage begründet beispielsweise nicht zwingend einen erhöhten Raumbedarf (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.09.2018 - L 7 AS 744/17, RdNrn. 39 ff. bei juris, als Revisionsverfahren anhängig unter B 14 AS 43/18 R). Es ist deshalb eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, die bei einem aktuell noch nicht ausgeübten Umgangsrechts, das vom Antragsteller noch im Klageweg erstritten werden muss, schon nicht möglich ist. Bereits aus diesem Grund kann ein aktuell erhöhter Raumbedarf wegen eines erst zukünftig möglichen Umgangsrechts nicht bestehen. Die Berücksichtigung eines zukünftigen Umgangsrechts scheitert zudem auch an dem Grundsatz der aktuellen Bedarfsdeckung, nach dem bereits heute Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nur für aktuell bestehende Bedarfe, also allenfalls für eine aktuell bereits bestehende temporäre Bedarfsgemeinschaft, zu gewähren sind.

Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe konnte keinen Erfolg haben. Das Sozialgericht hat auch diesen Antrag zu Recht abgelehnt, weil keine hinreichende Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs gegeben gewesen ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 [ZPO]).

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht hinsichtlich des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG, hinsichtlich des PKH-Beschwerdeverfahrens auf § 73a SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO.

Mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Beschwerde war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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