S 40 AS 6296/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 40 AS 6296/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Kosten für eine (nebenberufliche) Ausbildung sind weder als (vorweggenommene) Werbungskosten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II noch als Betriebsausgaben nach § 3 Abs. 2 Alg II- V von Einkommen absetzbar, wenn eine kausale Verknüpfung zwischen den fraglichen Aufwendungen und der Erzielung des konkreten Einkommens fehlt.

2. Kosten für eine Heilpraktikerausbildung können nicht von Einnahmen eines selbständigen Gewerbes abgezogen werden, das aus der Tätigkeit an der Rezeption einer Tierarztpraxis, der Aushilfe in einem Textileinzelhandelsgeschäft, der Betreuung eines Weihnachtsmarktstandes und aus Büroarbeiten bei der Erstellung eines Flyers besteht.
I. Die Klage wird abgewiesen II. Der Beklagten hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu einem Zehntel zu erstatten. III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung des der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von September 2009 bis Februar 2010 gewährten Arbeitslosengeldes II (Alg II), insbesondere, ob die Kosten für eine selbst finanzierte Heilpraktikerausbildung auch bei der Festsetzung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als "vorweggenommene Werbungskosten" oder als Betriebsausgabe zu berücksichtigen sind.

Die im Jahre 1982 geborene, erwerbsfähige Klägerin war alleinstehend und bewohnte als Untermieter eine Wohneinheit für eine monatliche Gesamtmiete von 125 EUR. Seit Ende März 2008 ließ sie sich berufsbegleitend zum Heilpraktiker ausbilden. Nach dem Vertrag mit der ausbildenden Heilpraktikerschule betrugen die Ausbildungskosten 180 EUR monatlich. Eine finanzielle Förderung der Ausbildung erhielt sie weder vom Beklagten noch von einem Dritten.

Seit dem 14.02.2008 bezog die Klägerin vom Beklagten Alg II. Am 22.08.2008 meldete sie ein Gewerbe mit der Tätigkeitsbeschreibung "Schreibarbeiten, Veranstaltungsservice, Servicekraft in der Gastronomie und Einzelhandel, Haushaltshilfe" an, das sie zunächst als Neben-, ab Dezember 2008 im Haupterwerb selbständig ausübte. Tatsächlich flossen der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Einnahmen für die Tätigkeit an der Rezeption einer Tierarztpraxis, als Aushilfe in einem Textileinzelhandelsgeschäft, für die Betreuung eines Weihnachtsmarktstandes und für Büroarbeiten bei der Erstellung eines Flyers zu, nicht jedoch für Tätigkeiten, die mit ihrer Heilpraktikerausbildung im Zusammenhang standen.

Auf ihren Antrag vom 24.06.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von September 2009 bis Februar 2010 zunächst vorläufig Alg II in Höhe von monatlich 225,06 EUR. Da – trotz Mitwirkungsaufforderung – zunächst keine vollständigen (Ausgaben-)Belege vorlagen, änderte der Beklagte die Bewilligung mit Bescheid vom 24.05.2011 auf 177,14 EUR monatlich ab. Im darauffolgenden Widerspruchsverfahren vervollständigte die Klägerin die Unterlagen. Der Beklagten nahm daraufhin den Bescheid vom 24.05.2011 zurück, setzte mit Bescheid vom 12.01.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08.03.2012 das Alg II der Klägerin auf monatlich 243,68 EUR endgültig fest und verfügte eine dementsprechende Nachzahlung; im übrigen wies er den Widerspruch nach Erlass des Änderungsbescheides als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012). Er legte dabei alle Einnahmen der Klägerin aus ihrem selbständigen Gewerbe zugrunde und zog davon alle geltend gemachten Ausgaben mit Ausnahme der Kosten für die Heilpraktikerausbildung (sechs Monatsraten á 180 EUR, i. e. 1.080 EUR insgesamt) sowie für eine beruflich genutzte Jacke (einmalig 269,95 EUR) ab; die Kosten für zwei weitere, beruflich genutzte Kleidungsstücke erkannte sie nur zur Hälfte, also nur in Höhe von 46,73 EUR statt 93,45 EUR, an

Hiergegen hat die Klägerin am 23.05.2012 Klage vollumfänglich erhoben. Nachdem das Verfahren zunächst wegen eines Berufungsverfahrens zwischen Beteiligten ob der Höhe der vorläufigen Bewilligung in einem anderen Bewilligungszeitraum geruht hat, hat die Klägerin das Verfahren im November 2015 wieder aufgenommen, ihre Klage aber auf die Berücksichtigung der Ausbildungskosten beschränkt.

Sie ist der Auffassung, dass ein modifizierter Werbungskostenbegriff anzuwenden sei. Die Kosten der Ausbildung sei nach dem Steuerrecht als "vorweggenommene Betriebsausgabe" einnahmemindernd zu berücksichtigen (Hinweis auf Bundesfinanzhof [BFH] Urteil vom 13.02.2003 – IV R 44/01 – juris); die Ausgaben seien aber auch nach der sozialrechtlich gebotenen eigenständigen Wertung (Hinweis auf Bundesssozialgericht [BSG], Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R – juris) anerkennenswert, da die Ausbildung eine Erwerbstätigkeit ermögliche, durch die Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt werde (Hinweis auf § 1 Abs. 2 Satz 4 Nr. 12 SGB II); zudem gebiete § 2 Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) eine Auslegung, mit der soziale Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden könnten.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24.05.2011 in der Fassung des Bescheides vom 12. Januar 2012 und 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2012 zu verpflichten, die Bewilligung für die Monate September 2009 bis Februar 2010 auf monatlich 381,03 EUR festzusetzen und der Klägerin insgesamt 824,10 EUR nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klagabweisung.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Ausbildungskosten nicht berücksichtigungsfähig seien, da ihnen keine unmittelbaren Einnahmen aus dem mit der Ausgabe wirtschaftlich verbundenen Betrieb gegenüber stünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen höheren Anspruch auf Alg II als vom Beklagten zuletzt zugebilligt. Denn sie kann nur 243,03 EUR statt der zugebilligten 243,68 EUR monatlich beanspruchen.

1. Zwar hat die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Alg II, weil sie zwischen 15 und 67 Jahre alt, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig war und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II in Verbindung mit § 7a Satz 2 SGB II); ein Leistungsausschluss, etwa nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Abs. 4, 4a und 5 SGB II, liegt nicht vor. Allerdings kann die Klägerin durch das anzurechnende Einkommen und das bereits zuerkannte Alg II ihren Bedarf decken. Denn Alg II erhält nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann, § 19 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 3 Abs. 3 SGB II

2. Dabei ist der monatliche Bedarf unstreitig und durchgehend mit 484 EUR zu beziffern. Dies ist die Summe aus der Regelleistung für alleinstehende Hilfebedürftige in Höhe von 359 EUR und den gleichbleibenden Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 125 EUR.

Dem steht ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 240,97 EUR gegenüber. Dies ist das um den Freibetrag nach § 11 Abs. 2 Sätze 2 und § SGB II – nur in Höhe von 100 EUR, weil die Klägerin keine höheren Werbungskosten geltend gemacht hat – und den Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 30 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltend Fassung in Höhe von 60,24 EUR k – i. e. 20 v. H ... des insoweit berücksichtigungsfähigen Bruttoeinkommens von 301,21 EUR – geminderte Bruttoeinkommen der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit in Höhe von monatlich 401,21 EUR. Dies ist ein Sechstel des zu berücksichtigenden Gewinns im Zeitraum von September 2009 bis Februar 2010. Denn die Klägerin hat in dieser Zeit lt. den eingereichten Rechnungskopien unstreitig Einnahmen in Höhe von 2.677,50 EUR erzielt; dem stehen lediglich zu berücksichtigende Ausgaben in Höhe von 270,25 EUR gegenüber. Die ist die Summe aus der von der Klägerin beschafften Portos (1,45 EUR insgesamt), der abgerechneten Telefonkarten (30 EUR insgesamt) und der sonstigen Betriebsausgaben in Höhe von 238,80 EUR (120 EUR für ein Mainboard, 91,90 EUR für eine externe Festplatte, 26,90 EUR für Fotoarbeiten), die allesamt mit der Erzielung des Einkommens in Zusammenhang stehen und als notwendig zu erachten sind. Nicht zu berücksichtigen sind die Ausgaben für (Berufs-) Bekleidung in Höhe von insgesamt 363,35 EUR, weil es sich hierbei nicht um "typische Berufskleidung", sondern um "bürgerlichen Kleidung" handelt, die auch im SGB II nicht als Werbungskosten abgesetzt werden können (BSG, Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R–, juris, RdNrn. 20ff.); gleiches gilt für die Kosten für die Ausbildung zum Heilpraktiker in Höhe von insgesamt 1.080 EUR.

Die Kosten für die Heilpraktikerausbildung sind weder als Betriebsausgaben nach § 3 Abs. 2 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) in der zum 31.03.2011 geltende Fassung noch als – wegen § 3 Abs. 2 Alg II-V vorrangig zu betrachtende – Werbungskosten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung abzugsfähig. Zwar mögen Ausbildungskosten für eine noch nicht ausgeübte, aber später der Einkommenserzielung dienende Erwerbstätigkeit in steuerrechtlicher Hinsicht das Betriebsergebnis als vorweggenommene Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) das Betriebsergebnis oder als Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG das zu versteuernde Einkommen mindern (Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.02.2003 – IV R 44/01 –, juris, RdNr. 14). Hier fehlt es aber an der sowohl nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II als auch nach § 3 Abs. 2 Alg II- V erforderlichen Notwendigkeit der Ausgabe, also dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen Einnahme und Ausgabe. Diese "Notwendigkeit" postuliert – anders als die insoweit weiter gefassten § 4 Abs. 4 und § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, die allein eine Veranlassung der Ausgaben ausreichen lassen – eine kausale Verknüpfung zwischen den fraglichen Aufwendungen und der Erzielung des konkreten Einkommens (BSG, Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R –, juris, RdNr. 19), was sich aus den unterschiedlichen Zwecken beider Rechtsysteme – hier: Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei vorrangiger Berücksichtigung von Einkommen, dort: neben anderem auch die volkswirtschaftliche Steuerung wirtschaftlicher Betätigung – erklärt.

Eine über die steuerrechtlichen Grundsätze hinausgehende Berücksichtigung von Aufwendungen kann zwar im Einzelfall zur Unterstützung eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit geboten sein (BSG, Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R –, a.a.O., RdNr. 24). Zu Recht verweist aber das BSG (Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R –, a.a.O., RdNr. 25) in diesem Zusammenhang auf die hierfür vorrangigen Leistungen der Eingliederung in Arbeit nach § 16 Abs. 1 Satz 2 (hier insbesondere Nr. 4) SGB II, über die hier mangels Antrag der Klägerin nicht zu entscheiden war. Aber selbst in diesen Fällen bedarf es eines notwendigen inneren Zusammenhangs zwischen Einnahme und Ausgabe – "Erforderlichkeit" (BSG, Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R –, a.a.O., RdNr. 26) –, da das Recht der Grundsicherung einen horizontalen Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensquellen nicht kennt (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 17/15 R –, juris, RdNrn. 21ff.). Dies gilt umso mehr für Ausgaben, deren Nutzen sich erst später realisieren kann, da der Nachrangsgrundsatz der Grundsicherung den Hilfebedürftigen grundsätzlich verpflichtet, den konkreten Bedarf im jeweiligen Bedarfszeitraum zu decken (BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R –, juris RdNr. 13; BSG, Urteil vom 22.08.2013 – B 14 AS 1/13 R –, juris, RdNr. 31). II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), folgt der Entscheidung in der Hauptsache und berücksichtigt lediglich das Obsiegen des ursprünglichen Widerspruchs hinsichtlich des Bescheides vom 24.05.2011. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten sind nicht erstattungsfähig, weil er zu den in § 184 Abs. 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen gehört, § 193 Abs. 4 SGG. Gerichtskosten fallen nicht an, weil das Verfahren wegen § 183 Satz 1 SGG kostenfrei ist.

III.

Die Kammer hat die Sprungrevision gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 SGG auf Antrag der Klägerin zugelassen, weil die Rechtssache nach ihrer Auffassung trotz der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch grundsätzliche Bedeutung (§ 161 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) hat. Denn nach Auffassung der Kammer kann die Rechtsfrage, ob die auf ein anderes, noch nicht erzieltes Einkommen aufgewendeten (Werbungs-)Kosten von anderem Erwerbseinkommen abgesetzt werden können, nicht durch Anwendung, sondern nur durch Ausfüllung der dort aufgestellten Rechtsauffassung beantwortet werden. - - - - -
Rechtskraft
Aus
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