L 8 R 335/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 14 R 341/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 335/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 4.2.2014 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 verpflichtet, den Bescheid vom 30.1.2006 zurückzunehmen. Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.368.580,50 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, einen in Bestandskraft erwachsenen Summenbeitrags- und Schätzbescheid (§§ 28p Abs. 1 Satz 5, 28f Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch [SGB IV]), mit dem die Beklagte eine Beitragsschuld der Rechtsvorgängerin der Klägerin in Höhe von 2.368.580,50 EUR einschließlich Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) festgestellt hat, nach Maßgabe des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen.

Bei der im Genossenschaftsregister des Amtsgerichts (AG) N eingetragenen (GnR 000) Klägerin handelt es sich um ein in der Rechtsform einer Europäischen Genossenschaft (SCE) geführtes Unternehmen, dessen Zweck in dem An- und Verkauf sowie der Verwertung von Schlacht-, Zucht- und Nutzvieh aller Gattungen und Arten, der Errichtung und dem Betrieb von Schlacht- und/oder Zerlegebetrieben, der Förderung von Viehzucht, Viehhaltung und Viehabsatz, der Herstellung und dem Vertrieb von Fleisch- und Fertigprodukten sowie der Übernahme von Beteiligungen nach Maßgabe von Art. 8 SCE-VO i.V.m. § 1 Abs. 2 Genossenschaftsgesetz (GenG) liegt. Sie ist entstanden durch Umwandlung im Wege des Formwechsels der X e.G., N (vormals AG N, GnR 00) gemäß Beschluss der Generalversammlung vom 11.6.2015.

Die E S.R.L. war eine mit Gesellschaftsvertrag vom 7.10.1991 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach rumänischem Recht ("Societa cu raspundere limitata" [S.R.L.]) mit Sitz in U, Kreis N/Rumänien. Sie war eingetragen im Handelsregisteramt der Industrie- und Handelskammer des Kreises N (Nr. 000). Inhaber der Gesellschaftsanteile dieser Gesellschaft waren bis zum 10.12.2003 Herr E mit 60% der Geschäftsanteile sowie die Brüder F K (O) und X K (U) mit jeweils 20%. Am 11.12.2003 veräußerte Herr E seinen Geschäftsanteil an Frau N Q. Die beiden Gesellschafter K veräußerten ihre jeweiligen Geschäftsanteile an Herrn J V. Am 22.4.2011 wurde die E S.R.L. im Register des Handelsregisteramtes gelöscht (Löschungsbescheinigung v. 28.4.2011).

Die E S.R.L. unterhielt in U/Rumänien eine Betriebsstätte, deren tatsächliche organisatorische Ausgestaltung zwischen den Beteiligten streitig ist. Zudem betrieb sie in M eine Zweigniederlassung, die unter der Firmenbezeichnung "E S.R.L. (GmbH)" im Handelsregister des AG Bad P (HR B 000) mit dem Unternehmensgegenstand "Fleischzerlegung und Ausbeinen sowie Fleischverarbeitung und Handel mit Fleischerzeugnissen" eingetragen war. Als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer war im Handelsregister Herr C, U/Rumänien eingetragen. Eine auf die Zweigniederlassung beschränkte Einzelprokura wies das Register zugunsten eines Herrn N C1 aus. Der "E S.R.L. GmbH" erteilte die Agentur für Arbeit die Betriebsnummer 000 (Schreiben der Agentur für Arbeit I v. 6.10.2005). Im September 2005 meldete die E S.R.L. das Gewerbe ab und gab ihre unter der Anschrift "S 00, M" unterhaltenen Geschäftsräume der Zweigniederlassung auf (Vermerk d. Staatsanwaltschaft [StA] C v. 18.7.2005).

Zwischen 2000 und 2004 schlossen die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die X e.G. (nachfolgend: Klägerin) als "Auftraggeberin" und die E S.R.L. als "Auftragnehmerin" so bezeichnete "Werkverträge" (WerkV) bzw. "Werk-Rahmenverträge" mit - exemplarisch und auszugsweise - folgendem Inhalt:

§ 1 Gegenstand

Der Auftragnehmerin verpflichtet sich, für die Auftraggeberin werkvertragliche Leistungen zu erbringen, für die, soweit in dem Vertrag nicht Abweichendes geregelt ist, die Vorschriften der §§ 631 ff. BGB gelten.

Gegenstand des Vertrages ist die selbstständige und eigenverantwortliche Zerlegung und Bearbeitung von Fleisch sowie der damit verbundenen Arbeiten durch die Auftragnehmerin und die Lieferung entsprechend bearbeiteter Fleischteile mittlerer Art und Güte, teilweise in verpackter Form.

Der Auftragnehmerin werden die Werkleistungen am Vortag der Leistungserbringung nach Menge und Zuschnitt genau spezifiziert.

Geschuldet wird nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen die Zerlegung von Fleisch im Betrieb Q.

Beginn: Rohmaterial aus dem Kühlraum holen, Eingangsgewicht und Stückzahl ermitteln.
Ende: Die versandfertigen Teilstücke und Zuschnitte, wenn erforderlich inkl. Verpackung, hängend oder in Behältnissen nach der Gewichtserfassung einschl. Vorkommissionierung und Zuführung im Kühlraum dem Auftraggeber zur Abnahme geordnet bereitstellen. ( ...)

§ 3 Ausführung

Die Auftragnehmerin setzt ausschließlich qualifizierte Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen ein. Diese unterliegen ausschließlich den Weisungen der Auftragnehmerin. Die Auftragnehmerin organisiert selbst alle zur Erfüllung dieses Vertrages notwendigen Handlungen.

Es obliegt der Auftragnehmerin, hinsichtlich der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter die Vorschriften des Bundesseuchengesetzes zu beachten und darüber zu wachen, daß ihre Arbeitnehmer über gültige Gesundheitszeugnisse verfügen. Es obliegt ausschließlich der Auftragnehmerin, daß arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche, steuerrechtliche, gewerberechtliche und umweltrechtliche Vorschriften sowie die Unfallverhütungsvorschriften hinsichtlich ihrer Mitarbeiter eingehalten werden. Die Auftragnehmerin legt eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des rumänischen Finanzamtes und der für sie zuständigen rumänischen Krankenversicherung und der deutschen Zusatzkrankenversicherung vor. Die Auftragnehmerin bestellt einen Sicherheitsbeauftragten.

Die Auftragnehmerin versichert ausdrücklich, daß sie für die nach § 3 Abs. 1 dieses Vertrages eingesetzten Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den gesetzlichen Vorschriften abführt. Sie ist verpflichtet, der Auftraggeberin nach deren Aufforderung schriftlich nachzuweisen, daß sie mit den nach § 3 Abs. 1 eingesetzten Arbeitnehmern Arbeitsverträge abgeschlossen hat.

Zur äußerlichen Sicherstellung, daß die Eingliederung der Arbeitskräfte der Auftragnehmerin in die Arbeitsabläufe der Auftraggeberin nicht erfolgt und es auch zu keiner Vermischung der Arbeitskräfte der Auftragnehmerin mit den Arbeitnehmern der Auftraggeberin kommt, verpflichtet sich die Auftragnehmerin zudem, ihre Arbeitskräfte mit Arbeitskleidung auszustatten, die sich äußerlich deutlich von der Arbeitskleidung der Arbeitnehmer der Auftraggeberin unterscheidet.

Soweit die Auftragnehmerin gegen die in den Absätzen 1 - 4 bezeichneten Verpflichtungen verstößt, haftet sie der Auftraggeberin gegenüber für die bei dieser in Folge des Verstoßes aufgetretenen Schäden. Bei etwaiger Inanspruchnahme der Auftraggeberin durch Dritte im Hinblick auf den vorliegenden Werkvertrag ist die Auftragnehmerin verpflichtet, die Auftraggeberin im Innenverhältnis freizustellen.

Das Alkoholverbot ist zu beachten. Bei Verstößen gegen das Alkoholverbot und bei Diebstahl erteilt die Auftragnehmerin sofort ein unwiderrufliches dauerhaftes Schlachthofbetretungsverbot.

Die Auftragnehmerin wird Verstöße ihrer Arbeitnehmer gegen Arbeitsschutz und Hygienebestimmungen sowie gegen die Schlachthof- und Betriebsordnung mittels Betriebsbußen bzw. arbeitsrechtlichen Maßnahmen ahnden.

Zwischen Auftragnehmerin und Auftraggeberin besteht Einigkeit, daß die Betriebsräume Zerlegung, Produktion, Verpackung, wie in der Anlage gekennzeichnet, leihweise zur Verfügung gestellt werden. Das Leihverhältnis ist nur kündbar mit Kündigung des Werkvertrages. Das Leihverhältnis endet mit Beendigung des Vertrages. Die Auftragnehmerin hat für die Wahrung und Ordnung und Sauberkeit in den von ihr genutzten Räumlichkeiten und an den benutzen Maschinen zu sorgen. Die Räumlichkeiten und Maschinen sind jeweils bei Ausführungsende gesäubert zu hinterlassen. Der Arbeitsplatz ist besenrein gereinigt zu übergeben, d.h. die benutzten Anlagen und Geräte werden fachgerecht zerlegt, alle Fleisch- und Fettreste, Bänder, Folienreste etc. werden getrennt gesammelt und entsorgt.

Die Ausführung der von der Auftragnehmerin geschuldeten Leistungen erfolgt ausschließlich in den von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Betriebsräumen.

Die Auftragnehmerin ist verpflichtet, entweder selbst vertreten durch ihren Geschäftsführer oder aber durch dessen weisungsbefugten leitenden Mitarbeiter mit entsprechender fachlicher Qualifikation (z.B. führungserfahrener Fleischermeister) während der Produktionszeiten anwesend zu sein. Die Auftraggeberin ist berechtigt, Qualitäts- und Hygienekontrollen durchzuführen.

Die für die Ausführung der geschuldeten Leistung erforderlichen Arbeitsmaterialien sowie Arbeitskleidung werden von der Auftragnehmerin ihren Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt. ( ...).

Auf den weiteren Inhalt der WerkV wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

In einer Vertragsanlage skizzierten die jeweiligen Parteien "Spezifikationen zum Teilleistungsvertrag". Diese umfassten Einzelfragen wie Preise für ein "Endprodukt", die jeweilige Maßeinheit, die Liefermenge sowie jeweils einen Endbetrag für den Werkvertrag. Auf den Inhalt dieser Vertragsanlagen wird wegen der weiteren Einzelheiten gleichfalls Bezug genommen.

Zur praktischen Durchführung der Fleischzerlegung in den Schlachtbetrieben der Klägerin ("Fleischcenter" Q und M) bediente sich die E S.R.L. rumänischer Arbeitskräfte, die sie in U/Rumänien akquirierte und mit denen sie jeweils einen befristeten "individuellen Arbeitsvertrag" geschlossen hatte. Zusätzlich unterzeichneten die Arbeitskräfte einen "Nachtrag zum individuellen Arbeitsvertrag". Wegen des Inhalts dieser Vereinbarungen wird auf die Vertragsexemplare verwiesen.

Nach Abschluss des Vertrages mit den Arbeitskräften stellte die E S.R.L. Arbeitskolonnen zusammen, die sie sodann gemeinsam mit einem Vorarbeiter der E S.R.L. in den Schlachthöfen der Klägerin einsetzte.

Auf der o.g. vertraglichen Grundlage kooperierten die E S.R.L. und die Klägerin im Zeitraum von Juli 2000 bis Juli 2004 in nachfolgendem Umfang:

Laufzeit des Vertrages - Betriebsstätte der Klägerin - Anzahl der Arbeitskräfte - Summe

4.7.2000 bis 3.7.2002 - Schlachthof M 1 Vorarbeiter, 27 Fleischer - 3.796.800,00 DM 1.941.273,00 EUR
14.12.2000 bis 12.12.2002 - Schlachthof Q - 1 Vorarbeiter, 15 Fleischer - 1.750.000,00 DM 894.760,00 EUR
17.7.2002 bis 16.7.2003 - Schlachthof M - 1 Vorarbeiter, 27 Fleischer - 1.152.000,00 EUR
8.7.2003 bis 7.7.2004 - Schlachthof Q - 1 Vorarbeiter, 15 Zerleger - 729.600,00 EUR

Im Zeitraum von Oktober 2003 bis September 2005 kam es zudem in dem nachfolgend skizzierten Umfang zu Vertragsschlüssen zwischen der E S.R.L. als "Auftragnehmer" sowie einer unter der Firma "D GmbH & Co. KG" bezeichneten Person als "Auftragnehmerin".

Laufzeit des Vertrages - Betriebsstätte der Klägerin - Anzahl der Arbeitskräfte - Summe

29.10.2003 bis 28.10.2004 - Schlachthof M 1 Vorarbeiter, 27 Fleischer - 1.310.000,00 EUR
17.7.2002 bis 16.7.2003 - Schlachthof M - 1 Vorarbeiter, 24 Fleischer - 1.152.000,00 EUR
29.10.2004 bis 14.9.2005 - Schlachthof M - 1 Vorarbeiter, 24 Fleischer - 1.152.000,00 EUR
29.10.2004 bis 19.9.2005 - Schlachthof M - 1 Vorarbeiter, 27 Fleischer - 1.276.800,00 EUR

Die wegen der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen erforderlichen "Zusicherungsbescheide" hatte das Landesarbeitsamt (LAA) Hessen jeweils erteilt. Für die eingesetzten rumänischen Arbeitskräfte wurden außerdem zumindest teil- und zeitweise Arbeitserlaubnisse gemäß Art. 1 der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien über die Entsendung von Arbeitnehmern rumänischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen i.V.m. § 285 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) a.F. erteilt.

Nachdem im Oktober 2001 anonyme Anzeigen über unzumutbare Arbeitsbedingungen in den betroffenen Schlachthöfen der Klägerin bei der Kreispolizeibehörde N eingegangen waren, führten zunächst die Bundesanstalt für Arbeit I, anschließend das Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen (FA SteuFA) C, das Hauptzollamt (HZA) C (Finanzkontrolle Schwarzarbeit [FKS]) und die StA C Ermittlungen gegen Herrn E und verschiedene (frühere) Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte der Klägerin wegen des Verdachts der illegalen Arbeitnehmerüberlassung (§ 15 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz [AÜG]), der Ausbeutung und Beschäftigung illegaler Ausländer in großem Umfang (§§ 406 f. SGB III a.F.), der Einschleusung von Ausländern, der Steuerhinterziehung und des Betrugs bzw. des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 266a Strafgesetzbuch (StGB) durch. Diese Ermittlungen erstreckten sich auf eine Vielzahl von Subunternehmen der Klägerin, da Letztere mit verschiedenen Firmen der "E-Gruppe", also solchen Gesellschaften, bei denen die StA annahm, dass Herr E Gesellschafter, faktischer Geschäftsführer oder zumindest Kontobevollmächtigter war, kooperiert hatte. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen betrafen im Wesentlichen die Tatkomplexe "Illegale Arbeitnehmerüberlassung" sowie "Schwarzlohnzahlungen".

Einem Aktenvermerk vom 18.7.2005 zufolge nahm die StA C als wesentliches Ermittlungsergebnis an, dass die E S.R.L. in U/Rumänien zwar eine Produktionsstätte betrieben, in dieser allerdings keine Schlacht- oder Zerlegearbeiten durchgeführt habe; vielmehr seien in den Räumlichkeiten lediglich Naturdärme durch weibliche Beschäftigte gesäubert worden. Die rumänische Gesellschaft habe "individuelle Arbeitsverträge" geschlossen und in einem - so deklarierten - "Nachtrag zum individuellen Arbeitsvertrag" festgelegt, dass die Tätigkeit ausschließlich in Deutschland stattfinde. Hierbei sei der jeweilige Arbeitnehmer allerdings unter Androhung der Aufhebung des Arbeitsvertrages und der Geltendmachung von Schadensersatz verpflichtet worden, seinen Reisepass und weitere Unterlagen seinem Arbeitgeber in Deutschland auszuhändigen. Zudem sei den Arbeitskräften jedwede Kontaktaufnahme zu deutschen Behörden ohne Beteiligung eines Vertreters der E S.R.L untersagt worden. Bezeichnend sei überdies, dass die Deutsche "Zweigniederlassung" der E S.R.L. ein Exemplar eines "Nachtrags zum individuellen Arbeitsvertrag" nur versehentlich dem Arbeitsamt zugesandt habe, dieser Stelle habe jedoch offensichtlich nur der "individuelle Arbeitsvertrag" ohne jeglichen Bezug zu einer Tätigkeit im Bundesgebiet bekannt werden sollen.

In dem "Feststellungen zur Werksleistung" betreffenden Abschnitt des Vermerks vom 18.7.2015 führte die StA C weiter aus, dass zu den konkreten Umständen, wie die Werkverträge umgesetzt worden seien, wenig bekannt sei. Hierzu seien allenfalls Aussagen von zwei vernommenen Zeugen ergiebig. So habe der Zeuge W zwar bekundet, dass im Schlachthof Q konkrete Arbeitsanweisungen durch Vorarbeiter der Klägerin erfolgt seien. Einschränkend betonte der Vermerk indes, dass diese Annahme lediglich für einen der geschlossenen Werkverträge, nämlich den für den Zeitraum vom 8.7.2003 bis zum 7.7.2004 geltenden Vertrag gelten "dürfte", da der Zeuge seit April 2004 Hausverbot in den Schlachthöfen der Klägerin gehabt habe. Dieser Zeuge habe zudem zwar bekundet, dass im Einzelfall auch Mitarbeiter einer anderen "E-Firma" an das "Band zu den Rumänen gestellt worden" seien, allerdings habe keiner der Zeugen bestätigen können, dass umgekehrt rumänische Arbeitskräfte von Zerlegebändern abgezogen und zu anderen Tätigkeiten innerhalb des Schlachthofes der Klägerin abkommandiert worden seien. Zudem hätten beide Zeugen hinsichtlich des Vergütungssystems bekundet, dass die Klägerin stets nur verarbeitete Kilogramm, nicht aber geleistete Arbeitsstunden abgerechnet habe.

In dem Abschnitt "Rechtliche Würdigung" äußerte der ermittelnde Staatsanwalt die Einschätzung, dass ein hinreichender Tatverdacht wegen § 15 AÜG zu verneinen sei. Zudem sei nach den Feststellungen des FA E, wonach es sich bei der E S.R.L. in Wahrheit um eine inländische Kapitalgesellschaft handele, davon auszugehen, dass "die E" die im Inland zu entrichtenden Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung schulde. Gegen die "E-Verantwortlichen E und C1" bestehe daher der Verdacht, gegen § 266a StGB a.F. verstoßen zu haben. Ob die Klägerin Arbeitnehmer von der E S.R.L. entliehen habe, ließ die StA offen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des staatsanwaltschaftlichen Vermerkes vom 18.7.2005 Bezug genommen.

Am 19.1.2006 fand ein Erörterungsgespräch statt, an dem neben Verantwortlichen der Ermittlungsbehörden Bevollmächtigte der Klägerin sowie ein Mitarbeiter ihrer Rechtsabteilung teilnahmen. In dem - von dem ermittelnden Staatsanwalt verfassten und ausschließlich von ihm unterzeichneten - Gesprächsvermerk vom 20.1.2006, auf dessen Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird, heißt es auszugsweise:

"( ...). Gegenstand des Verfahrens war zum einen, dass nach den Feststellungen im vorliegenden Verfahren beim Einsatz rumänischer Werkvertragsarbeitnehmer der Fa. E S.R.L. durch die Beschuldigten E und C1 auf den Schlachthöfen der X eG in M und Q bei sämtlichen genehmigten und dort durchgeführten Werkverträgen (ab 2000) die Voraussetzungen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung i.S.v. §§ 16 AÜG vor dem Hintergrund erfüllt waren, dass der rumänische Betrieb der E S.R.L. eigens auf Veranlassung der X eG aufgebaut und rumänische Arbeiter eigens für den Einsatz in Deutschland durch die Leiter der Schlachthöfe Q M ausgewählt und auf ihre Veranlassung durch die E S.R.L. angestellt worden war bzw. waren. Eine Strafbarkeit von Verantwortlichen der X e.G. nach § 15a AÜG bzw. der hiesigen Beschuldigten nach § 15 AÜG ist hingegen nicht gegeben, da die rumänischen Arbeiter über Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse verfügten. Dieser Sachverhalt werde, so die Rechtsbeistände der X e.G. akzeptiert mit der Folge, dass nach § 10 AÜG Arbeitsverhältnisse zwischen der X e.G. und den rumänischen Arbeitern als zustande gekommen gelten. Die rumänischen Arbeiter waren mithin zur deutschen Sozialversicherung anzumelden gewesen. Unter Vermittlung von Hr. T haben insofern bereits Gespräche zwischen der Deutschen Rentenversicherung, der Berufsgenossenschaft und der X eG stattgefunden, in denen die X eG sich bereit erklärt hat, rund 2.4 Mio. Euro Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge und rund 54.000 EUR Berufsgenossenschaftsbeiträge nachzuentrichten. Diese Absicht wurde gestern bekräftigt.
( ...)."

Einem Vermerk des HZA C (FKS I) vom 1.6.2006 zufolge stellte die StA C in Aussicht, die gegen diverse (frühere) Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte der Klägerin gerichteten Ermittlungsverfahren nach Zustimmung des AG C und nach Erfüllung von Auflagen einzustellen. In diesem Zuge zahlte die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.368.580,50 EUR an die Beigeladene zu 1). Zudem zahlte sie im Hinblick auf die gegen die Vorstandsmitglieder und leitenden Mitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren Geldauflagen in unterschiedlicher Höhe. Nachdem die Beschuldigten anschließend ihre Zustimmung erklärt und sämtliche Geldauflagen erfüllt hatten, wurden die Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt.

Nach dem Inhalt des Vermerks des HZA C (FKS I) vom 1.6.2006 war bezüglich der in den Jahren 2000 bis 2005 bei der Klägerin im Rahmen von insgesamt acht Werkverträgen eingesetzten rumänischen Arbeitnehmer der Firma E S.R.L. GmbH festzustellen, dass diese "aufgrund der nachgewiesenen und zum Teil auch eingeräumten Einstellungs- und Beschäftigungsmodalitäten" kraft der Fiktion des § 10 AÜG als eigene Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen seien. Nach einer Besprechung in der Hauptverwaltung der Klägerin habe ausweislich eines entsprechenden Aktenvermerks der StA vom 20.1.2006 "Einigkeit über die rechtliche Einordnung als Straftat gem. § 407 Abs. 1 Nr. 2 SGB III [bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 2a SchwarzArbG] i.V.m. §§ 263 Abs. 1, 266a StGB" bestanden. Bezüglich der Verwirklichung von Straftatbeständen seien von den Verantwortlichen der Klägerin als Täter und Beteiligte deren Vorstandsmitglieder Dr. H und Dr. D1, die Leiterin der Rechtsabteilung und Prokuristin Frau K sowie die verantwortlichen Betriebsleiter und Geschäftsführer der Schlachthöfe in M und Q anzusehen gewesen. Insbesondere seien die Betriebsleiter nach Aussage des Beschuldigten D sowie des Beschuldigten Dr. Q1 (Standort M) an der Beschaffung der Arbeiter beteiligt gewesen, indem sie mehrfach nach Rumänien gefahren seien und Arbeiter vor Ort ausgesucht hätten. Da sämtliche Verantwortliche der Klägerin die Verstöße "nunmehr eingeräumt" und die bestehende Verpflichtung zur Nachentrichtung in voller Höhe anerkannt hätten, seien die eingeleiteten Strafverfahren nach Zustimmung des AG C und Erfüllung der Auflagen entsprechend dem Vorschlag der StA C eingestellt worden. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Inhalt des Vermerks des HZA C (FKS I) verwiesen.

Das gegen Herrn E gesondert geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren (Az. xxx [StA C]) war von dieser Verfahrensregelung nicht erfasst. Ihm wurde mit Anklageschrift vom 16.7.2007 u.a. zur Last gelegt, als Arbeitgeber unter Verletzung der Verpflichtung aus § 28f Abs. 3 SGB IV der Einzugsstelle Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben. Soweit im Zusammenhang mit der Entsendung rumänischer Arbeitnehmer auch eine illegale Arbeitnehmerüberlassung erwogen wurde, wurde das Verfahren vorläufig nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Im Übrigen verurteilte das Landgericht (LG) C Herrn E mit Urteil vom 31.10.2008 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in fünf Fällen, wegen Abgebens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. In seinem Urteil stellte das LG C auszugsweise fest:

"( ...). Der Angeklagte gründete und leitete einen Verbund von Unternehmen, die in der Fleischverarbeitungsindustrie als Subunternehmen auf der Grundlage von Werkverträgen die Zerlegung und Verpackung von Rind- und Schweinefleisch durchführten. Der Angeklagte war Gesellschafter und/oder Geschäftsführer eines Teils dieser Unternehmen. Auftraggeber war im Wesentlichen der Fleischkonzern Firma X eG mit Sitz in N, der Schlachthöfe in M, Q, D und N unterhielt. Eigene Mitarbeiter der Firma X schlachteten die Tiere und führten diese der Kühlung zu. In den folgenden Tagen wurden die Tiere dann von Mitarbeitern der Subunternehmen zerlegt. ( ...)."

Im Jahr 2005 gingen der Beklagten Informationen über die von dem HZA C und der StA C gewonnenen Ermittlungserkenntnisse zu. Nach einem Aktenvermerk des zuständigen Betriebsprüfers der Beklagten vom 24.1.2006 betreffend den "Arbeitgeber E S.R.L. GmbH, S 00, M, Betriebs-Nr. 000" sei im Wege einer tatsächlichen Verständigung Einvernehmen erzielt worden, dass die X e.G. als "Gesamtschuldnerin für die illegale AÜ" einzustehen habe. Die X e.G. habe sich bereit erklärt, Verbindlichkeiten in Höhe von max. 2.400.000,00 EUR zu übernehmen, die sich "aus der festgestellten Summe durch Abdeckrechnungen" ergeben hätten.

Die Beklagte stellte sodann mit - an die X e.G., N, adressiertem - Bescheid vom 30.1.2006 eine Pflichtbeitragsschuld zu sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung für den Zeitraum vom 1.1.2000 bis zum 31.7.2005 in Höhe von 1.742.341,62 EUR nebst Säumniszuschlägen (§ 24 Abs. 1 SGB IV) in Höhe 626.238,88 EUR fest. Die Klägerin habe - so die Beklagte im Wesentlichen zur Begründung - rumänische Arbeitskräfte im Wege illegaler Arbeitnehmerüberlassung entliehen. Eine Erlaubnis der Agentur für Arbeit im Sinne des § 1 AÜG liege nicht vor, weshalb die Verträge mit dem Entleiher unwirksam seien. In diesem Fall gelte das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zustande gekommen (§ 10 AÜG). Zahle im Falle eines nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Vertrages der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgeltes an den Leiharbeitnehmer, habe er auch sonstige Teile des Arbeitsentgeltes, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen seien, an den anderen zu zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gelte der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber. Beide Personen treffe eine gesamtschuldnerische Haftung und seien von dem Rentenversicherungsträger alternativ in Anspruch zu nehmen.

In dem Bescheid heißt es auf Seite 3 weiter:

"Im § 2 Abs. 1 der Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) ist bestimmt, welche Angaben ein Arbeitgeber aufzuzeichnen habe. Nach Punkt 2.1 des Protokolls der tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung vom 14.12.2005 wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass keine umfassenden Aufzeichnungen über geleistete Stunden und Zahlungen an die jeweiligen Arbeitnehmer geführt wurden."

Gemäß § 28f Abs. 2 SGB IV könne der prüfende Träger der Rentenversicherung die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Bundesanstalt für Arbeit ohne namentliche Benennung einzelner Arbeitnehmer auf Basis der insgesamt gezahlten Arbeitsentgelte festsetzen, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht derart verletzt habe, dass die Arbeitnehmer und/oder deren Arbeitsentgelt nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Verwaltungsaufwand festgestellt werden könnten. Lasse sich selbst die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nur mit einem großen Aufwand ermitteln, seien diese vom Träger der Rentenversicherung zu schätzen. Ihren "eigenen Ermittlungen" zufolge seien keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Feststellungen der Finanzbehörden nicht zutreffend seien. Aus diesem Grund werde die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts in Höhe der nachversteuerten Schwarzlohnsummen geschätzt. Nach Auskunft des FA SteuFA C seien die Schwarzlohnzahlungen "überwiegend an nicht gemeldete Arbeitnehmer geleistet" worden.

Neben den Pflichtbeiträgen habe die Klägerin nach § 24 Abs. 1 SGB IV Säumniszuschläge zu entrichten. Angesichts der Lohnzahlungen, die vorsätzlich nicht der Beitragspflicht unterworfen worden seien, könne die Klägerin nicht geltend machen, unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt zu haben.

In dem Bescheid heißt es vor der Rechtsbehelfsbelehrung sodann wörtlich:

"( ...). Der beauftragte Rechtsvertreter erklärt ausdrücklich Rechtsmittelverzicht. Gleichwohl kann gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist schriftlich bei der ( ...) einzureichen."

Nach der dem Bescheid beigefügten "Anlage Berechnung der Beiträge" bezifferte die Beklagte die nachzuentrichtenden Pflichtbeiträge in folgender Höhe:

Zeitraum - Nachträglich verbeitragte Entgeltdifferenz - Höhe der nacherhobenen Pflichtbeiträge zu sämtlichen Zweigen der SozVers.

1.1.2000 bis 31.12.2000 - 1.473.504,72 DM - 610.030,81 DM 311.903,80 EUR
1.1.2001 bis 31.12.2001 - 1.473.504,72 DM - 607.083,84 DM 310.397,04 EUR
1.1.2002 bis 31.12.2002 - 753.390,96 EUR - 310.397,04 EUR
1.1.2003 bis 31.12.2003 - 753.390,96 EUR - 313.410,48 EUR
1.1.2004 bis 31.12.2004 - 753.390,96 EUR - 313.410,48 EUR
1.1.2005 bis - 31.7.2005 - 439.477,99 EUR - 182.822,78 EUR
Gesamtsumme der Beitragsforderung 1.742.341,60 EUR

Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides vom 30.1.2006 nebst seiner Berechnungsanlage Bezug genommen.

Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 30.1.2006 keinen Widerspruch. Die mit ihm festgesetzte Beitragsschuld nebst Säumniszuschlägen entrichtete sie an die Beigeladene zu 1) als zuständige Einzugsstelle (Auskunft der Beigeladenen zu 1) vom 27.3.2006).

Einen im Wesentlichen gleichlautenden Bescheid gab die Beklagte zunächst unter dem 30.1.2006 Herrn Rechtsanwalt I, C, als vermeintlichem Bevollmächtigtem der "E S.R.L. GmbH, S 00, M" bekannt. Nachdem Zweifel an dessen Empfangsbevollmächtigung geäußert worden waren, gab die Beklagte ihre Entscheidung unter dem 24.5.2006 der "E S.R.L. GmbH, vertr. d. den GF Herrn T. H, J Str. 00, B Str.00, U" bekannt.

Gegen den an sie adressierten Bescheid vom 24.5.2006 legte die E S.R.L. Widerspruch ein. Es sei zwar zutreffend, dass sie als Arbeitgeberin der eingesetzten Arbeitskräfte anzusehen sei; dennoch treffe sie keine Beitragspflicht, da die eingesetzten Arbeitskräfte im Sinne des § 5 SGB IV entsandt worden seien. Die rumänischen Arbeitnehmer seien auf Weisung der E S.R.L. in Deutschland tätig geworden, um im Bundesgebiet für diese eine Beschäftigung auszuüben. Die zur Entsendung erforderlichen behördlichen Formalitäten seien in Rumänien erledigt, die entsprechenden Bewilligungen erteilt worden. Ebenso seien die Werkverträge von dem LAA Hessen genehmigt worden. Infolge der Entsendung bestehe keine Sozialversicherungspflicht der rumänischen Arbeitnehmer in Deutschland, sondern lediglich in Rumänien. Dort entrichte sie die fälligen Abgaben.

Nachdem die Klägerin Kenntnis von dem anhängigen Widerspruchsverfahren der E S.R.L. erlangt hatte, teilte sie der Beklagten am 22.5.2009 mit, bei Erlass des Bescheides vom 30.1.2006 sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Sie prüfe daher, ob eine Rücknahme des Bescheides beansprucht werden könne. Sie habe die Entscheidung seinerzeit nicht angefochten, weil sie zum Zeitpunkt des Zugangs des Bescheides aufgrund der gegen leitende Mitarbeiter geführten Ermittlungsverfahren unter erheblichem Druck gestanden habe und eine weitere Auseinandersetzung habe vermeiden wollen.

Nach Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge der Beklagten beantragte die Klägerin sodann am 21.12.2009 eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 30.1.2006 nach § 44 Abs. 1 SGB X. Entgegen der Begründung des Bescheides sei unter dem 14.12.2005 eine tatsächliche Verständigung mit der Finanzverwaltung nicht getroffen worden. Eine solche habe es lediglich über andere Sachverhalte und steuerrechtliche Komplexe gegeben. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Herrn E sei hinsichtlich des Vorwurfs der illegalen Arbeitnehmerüberlassung nicht fortgeführt worden. Dementsprechend habe ihn auch das LG C mit Urteil vom 31.10.2008 nicht wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung, sondern wegen anderer strafrechtlicher Vergehen verurteilt. Sowohl von der Nichtexistenz einer tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung vom 14.12.2005 als auch von dem Urteil des LG C vom 31.10.2008 habe sie erst nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 30.1.2006 Kenntnis erlangt.

Die StA C habe auch zu Recht angenommen, dass eine illegale Arbeitnehmerüberlassung nicht vorgelegen habe. Zur Begründung verwies die Klägerin insoweit ergänzend auf die Begründung des Widerspruchs der Firma E S.R.L ... Zudem habe diese rumänische Gesellschaft eine umfassende werkvertragliche Gewährleistungspflicht übernommen. Hiervon sei auch das LG C in seinem Urteil vom 31.10.2008 ausgegangen. Schon in der Darstellung des Sachverhalts sei stets von "Werkverträgen" gesprochen worden.

Dieser Umstand sei ihr bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 30.1.2006 nicht bekannt gewesen. Der damalige Beschuldigte E habe sich zunächst vom 23.8.2005 bis zum 31.10.2005 in Untersuchungshaft befunden; anschließend sei den verantwortlichen Mitarbeitern der Klägerin von der StA C verdeutlicht worden, dass eine eventuelle Kontaktaufnahme zu Herrn E und eventuelle Gespräche mit diesem im Sinne einer Verdunkelungsabsicht gewertet werde und eine Untersuchungshaft für die verantwortlichen Mitarbeiter der Klägerin nach sich ziehen könne. Aus diesem Grund habe auch nach Entlassung aus der Untersuchungshaft am 31.10.2005 und weit über den Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft des Bescheides vom 30.1.2006 kein Kontakt mit Herrn E bestanden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ihr keine Unterlagen bezüglich der E S.R.L. (mehr) vorlägen, da diese anlässlich einer Durchsuchung am 23.8.2005 beschlagnahmt und nicht zurückgegeben worden seien. Auf den weiteren Vortrag im Verwaltungsverfahren wird verwiesen.

Unter dem 15.4.2010 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 30.1.2006 ab. Bei dessen Erlass sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Im Zuge der dem Bescheid vom 30.1.2006 vorausgegangenen Betriebsprüfung der E S.R.L. seien nach dem bis zum 31.12.2007 geltenden § 107 SGB IV Unterlagen des FA Steufa C sowie des HZA C ausgewertet worden. Als Ergebnis dieser Auswertung sei festgestellt worden, dass es sich bei der Firma E S.R.L. nicht um ein werkvertragsfähiges Unternehmen gehandelt habe, sondern lediglich um eine "Briefkastenfirma", die eine Entsendung von Arbeitskräften ins Ausland im Rahmen eines Werkvertragssystems habe ermöglichen sollen. Nach den Feststellungen des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland habe es in Rumänien keinen eigenen Schlachtbetrieb gegeben. Vielmehr seien in der Betriebsstätte in U/Rumänien nur Naturdärme durch Hilfskräfte gereinigt, anschließend gesalzen und sortiert für die Wurstherstellung nach Deutschland exportiert worden. Es sei davon auszugehen, dass die E S.R.L. im Rahmen der abgeschlossenen Werkverträge die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen nicht habe organisieren können. Das Fehlen einer eigenverantwortlichen Organisation spreche dafür, dass es sich bei den zwischen der Klägerin und der E S.R.L. geschlossenen Vereinbarungen - entgegen ihrer förmlichen Bezeichnung - nicht um einen Werkvertrag gehandelt habe.

Zudem sei anzunehmen, dass Verantwortliche der Klägerin in einem "nicht unerheblichen Rahmen" Anweisungen an die rumänischen Arbeitskräfte erteilt hätten. Diese Anordnungen hätten sich nicht lediglich auf das Werk bezogen, sondern auch arbeitsrechtliche Weisungen bzgl. bestimmter Aufgaben, Vorgaben zum Arbeitstempo, hinsichtlich der Arbeitszeiten, der Pausen sowie der Durchführung von Arbeitskontrollen beinhaltet. Auch vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass nach dem tatsächlichen Geschäftsinhalt eine werkvertragliche Vereinbarung nicht geschlossen worden sei. Diese Beurteilung decke sich mit dem Ermittlungsergebnis der Strafverfolgungsbehörden. So habe der frühere Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Klägerin, der Zeuge L, gegenüber dem HZA bekundet, dass allein Mitarbeiter der Klägerin entschieden hätten, wie und wann die Schlachtkörperzerlegungen durchzuführen seien. Diese Einteilungen seien nicht von Vorarbeitern der Subunternehmen getroffen worden. Zudem seien auch die Einlassungen des Herrn E dahingehend zu würdigen, dass Mitarbeiter der Klägerin sämtliche Arbeitsanweisungen an die rumänischen Arbeitskräfte erteilt hätten. So habe die Klägerin etwa vorgegeben, wie viele Arbeiter an den Zerlegebändern einzusetzen seien, ob Arbeitskräfte ggf. hätten "dazugestellt oder abgezogen" werden und zu welchen Zeiten habe gearbeitet werden müssen. Selbst die Laufgeschwindigkeit der Zerlegebänder sei durch Mitarbeiter der Klägerin bestimmt worden. In diesem Sinne habe sich auch der Zeuge W eingelassen. Dieser habe erläutert, dass die Vorarbeiter der Klägerin Arbeitsanweisungen erteilt hätten und nicht etwa Herr E oder dessen Vorarbeiter. Diese Angaben habe "zumindest teilweise" der Mitarbeiter der Klägerin, Herr D, bestätigt. Soweit dieser nämlich dargelegt habe, dass "der Arbeitsablauf nicht dauerhaft" durch die Klägerin gelenkt worden sei, indiziere dies, dass zumindest teilweise eine Lenkung der Arbeiter durch die Klägerin erfolgt sei und folglich Weisungen durch sie erteilt worden seien. Zudem habe der Zeuge D im weiteren Verlauf seiner Aussage auch bekundet, dass bezüglich der Geschwindigkeit des Fließbandes überhaupt erst ab 2002 die Möglichkeit bestanden habe, diese von betriebsfremden Personen zu beeinflussen, da zuvor die technischen Voraussetzungen für einen Eingriff durch die Subunternehmer nicht gegeben gewesen seien.

Gegen die Annahme eines Werkvertrages spreche überdies, dass der Vertragspartner der Klägerin keinem unternehmerischen Risiko unterworfen worden sei. Zwar habe die Klägerin nach Aussage des Zeugen D Leistungsabzüge wegen angeblicher Mängel vorgenommen; allerdings habe der Zeuge eingeräumt, dass in der Vergangenheit nicht genau festgehalten worden sei, ob und wie hoch der tatsächliche Schaden gewesen sei. Vielmehr habe der Zerlegemeister der Klägerin einen beliebigen Betrag festgelegt, der sodann in Abzug gebracht worden sei. Erst in den Wochen vor der am 21.10.2005 erfolgten Zeugenvernehmung seien die Mängel genau festgehalten und dokumentiert worden. Hieraus folge, dass für den streitigen Zeitraum keine Unterlagen vorlägen, aus denen sich ergebe, dass eine Kürzung des Werklohns aufgrund tatsächlicher Mängel erfolgt sei.

Die Beklagte verwies zudem auf den Vermerk der StA C vom 20.1.2006. In diesem sei protokolliert worden, dass die Klägerin gegenüber der Staatsanwaltschaft eine illegale Arbeitnehmerüberlassung eingeräumt und eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass der daraus entstandene sozialversicherungsrechtliche Schaden einschließlich der notwendigen Säumniszuschläge durch die Klägerin nachentrichtet werde. Insofern habe die Klägerin die dem Bescheid vom 30.1.2006 zu Grunde liegende Sachlage akzeptiert.

Die Annahme einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung werde durch das Antragsvorbringen nicht erschüttert. Die Begründung sei in weiten Teilen nicht substantiiert und lediglich von bloßen Behauptungen getragen. Insbesondere überzeuge der Hinweis nicht, eine illegale Arbeitnehmerüberlassung sei schon deshalb nicht anzunehmen, weil in diese Richtung weisende strafrechtliche Ermittlungen nicht fortgeführt worden seien. Immerhin habe die StA in ihrem Vermerk vom 4.1.2006 darauf hingewiesen, dass im Falle der Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der übrigen Straftaten eine Verfolgung nach dem AÜG den zuständigen Verwaltungsbehörden obliegen solle. Dieses schließe die Möglichkeit einer Verfolgung wegen noch zu zahlender Sozialversicherungsbeiträge ein.

Schließlich seien zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 30.1.2006 auch die Voraussetzungen für eine nicht personenbezogene Beitragserhebung im Wege eines Summenbescheides erfüllt gewesen, da die Klägerin die ihr obliegenden Aufzeichnungspflichten verletzt habe und eine personenbezogene Beitragserhebung jedenfalls mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden gewesen sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides vom 15.4.2010 Bezug genommen.

Den gegen die Entscheidung am 17.5.2010 schriftlich erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.3.2011 unter Vertiefung der Ausführungen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück. Hinsichtlich der in dem Bescheid vom 30.1.2006 zur Begründung angeführten "tatsächlichen Verständigung mit der Finanzverwaltung" räumte sie ein, dass eine solche nicht getroffen worden sei. Dieser formelle Mangel sei indes im Verfahren nach § 44 SGB X unbeachtlich (Verweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil v. 28.5.1997, 14/10 RKg 25/95), zumal die nunmehr nachgeschobene Begründung den materiell-rechtlichen Gehalt des Bescheides vom 30.1.2006 nicht ändere. Außerdem präzisierte die Beklagte die der Beitragsnacherhebung zugrunde liegende Bruttoentgeltsumme. Wegen der Einzelheiten wird auf den weiteren Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 Bezug genommen.

Ebenfalls unter dem 22.3.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der E S.R.L. gegen den Bescheid vom 24.5.2006 als unbegründet zurück. Die gegen die Entscheidung erhobene Anfechtungsklage wies das Sozialgericht (SG) Münster mit Gerichtsbescheid vom 2.5.2017 rechtskräftig ab (Az. S 4 R 339/11). Der E S.R.L. fehle die gemäß §§ 69 Nr. 1, 70 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Beteiligtenfähigkeit, da sie als juristische Person infolge ihrer Löschung im Handelsregister N am 22.4.2011 nicht mehr existent sei. Zudem fehle es der Klage an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Eine Inanspruchnahme der E S.R.L. durch die Beklagte sei ausgeschlossen, da die Klägerin die streitige Forderung erfüllt habe.

Mit der am 21.4.2011 zum SG Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen: Nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen ihre Mitarbeiter sei es ihr wie ihren Verteidigern und Beratern unmöglich gewesen, den Sachverhalt zu ermitteln und auf Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts die Sach- und Rechtslage zu bewerten. Die beteiligten Strafverfolgungsbehörden hätten bis zur Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO keine Akteneinsicht gewährt. Akteneinsicht in die Ermittlungsakten habe sie erstmals im Rahmen des dem sozialgerichtlichen Klageverfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens auf Rücknahme des Bescheides vom 30.1.2006 erhalten. Vor diesem Hintergrund seien sie und ihre Verteidiger in Gesprächen mit der StA C stets darauf beschränkt gewesen, auf das zu reagieren, was ihnen vorgehalten worden sei. Dies habe dazu geführt, dass sie sich in einer "Notstandslage" befunden habe, da sie sich nie habe sicher sein können, ob ihre verantwortlichen Vorstände nicht doch in Untersuchungshaft genommen würden. Dieses Dilemma habe sich dadurch zugespitzt, dass sie während des Ermittlungsverfahrens in laufenden Verhandlungen über die Gewährung eines Kredits für ihre zukünftige Unternehmensfinanzierung gestanden habe, die durch ausufernde strafrechtliche Ermittlungen hätten gestört werden können. Vor diesem Hintergrund sei darauf verzichtet worden, die Vorhaltungen der Strafverfolgungsbehörden zu entkräften und die Entscheidung gereift, der Einstellung der Ermittlungsverfahren gemäß § 153a Abs. 1 StPO zuzustimmen. In der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe "alles gelegen, nur kein, auch kein konkludent erklärtes Geständnis der beschuldigten leitenden Mitarbeiter der Klägerin".

Überdies habe die Beklagte verkannt, dass sie das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne einer vollständigen Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in ihren Betriebsablauf beweisen müsse. Dieser Nachweis sei nicht erbracht. Bei der E S.R.L. habe es sich entgegen der Auffassung der Beklagten um ein werkvertragsfähiges Unternehmen gehandelt, was sich nicht zuletzt aus den gerichtlichen Feststellungen des SG Mainz in dem dort anhängig gewesenen Verfahren der E S.R.L. gegen die (damalige) Berufsgenossenschaft für Nahrungsmittel und Gaststätten (Az.: S 5 U 157/11) ergebe.

Ebenso wenig sei erwiesen, dass ausschließlich sie Weisungen an die eingesetzten Arbeitskräfte der E S.R.L. erteilt habe. Ihre Anordnungen hätten sich auf Einflussnahmen beschränkt, die aus lebensmittelrechtlicher Sicht unabdingbar gewesen seien. Diese seien aber nicht im Sinne einer arbeitsvertraglichen Weisung zu interpretieren.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 zu verurteilen, die Nichtigkeit des Bescheides vom 30.1.2006 festzustellen,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 zu verurteilen, den Bescheid vom 30.1.2006 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 30.1.2006 verteidigt. Dieser Verwaltungsakt sei nicht rechtswidrig. Sie hat ergänzend vorgetragen, die Klägerin habe der StA gegenüber "zugegeben, akzeptiert und gewusst", dass der Tatbestand der illegalen Arbeitnehmerüberlassung im Zusammenhang mit den von der E S.R.L. entliehenen Arbeitnehmer bestanden habe und hierdurch ein sozialversicherungsrechtlicher Gesamtschaden in Höhe von etwa 2,4 Millionen Euro entstanden sei, den sie nach Erteilung des Bescheides vom 30.1.2006 auch sofort beglichen habe.

Ein Arbeitgeber, der einer strafgerichtlichen Beweiserhebung zuvorkommen wolle, indem er ein umfassendes Geständnis ablege, müsse sich im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren über die Nacherhebung von Beiträgen an diesem Geständnis festhalten lassen. Wer ein Geständnis ablege, das zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen führe und dessen Wahrheitsgehalt er später bestreite, müsse unter Berücksichtigung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten als Arbeitgeber seinerseits die aus seiner Sicht zutreffenden tatsächlichen Verhältnisse in allen Einzelheiten darlegen. Zugleich habe er geeignete Beweisangebote zu unterbreiten, die erwarten ließen, dass der Beweis, sein Geständnis sei in Teilen unzutreffend, ohne unzumutbaren Verwaltungsaufwand geführt werden könne. Auf pauschale Behauptungen und Beweisangebote müsse sich der Versicherungsträger nicht einlassen (Verweis auf Sächsisches Landesozialgericht [LSG], Beschluss v. 8.12.2010, L 1 B 1/08 KR-PKH).

Nach dem staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnis sei davon auszugehen, dass die E S.R.L. keinerlei arbeitsvertragliche Weisungsrechte gegenüber "seinen Arbeitnehmern" ausgeübt habe, sondern dieses der Klägerin überlassen habe (Verweis auf Vermerk v. 18.7.2005).

Mit Urteil vom 4.2.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch der Klägerin auf Rücknahme des Bescheides vom 30.1.2006 sei wegen des Verbots unzulässiger Rechtsausübung ausgeschlossen. Die Klägerin könne nach Treu und Glauben nicht beanspruchen, einen mit einer Einstellung nach § 153a StPO inhaltlich verknüpften Beitragsnachforderungsbescheid aufzuheben, ohne dass zuvor die Wirkung der Einstellungsverfügung beseitigt und der durch die Einstellung erlangte Vorteil preisgegeben wurde. § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO sehe Auflagen zur Wiedergutmachung des Schadens vor, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - durch eine Nachzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt sei.

Zu dem Zeitpunkt, zu dem die StA C von den seinerzeit Beschuldigten die Zustimmung zur Verfahrenseinstellung eingeholt habe (Schreiben v. 27.4.2006), sei der Bescheid vom 30.1.2006 bestandskräftig gewesen. Dieses gelte erst recht für den Zeitpunkt über die endgültige Einstellung des Verfahrens. Gerade im Hinblick auf den spezifischen Tatvorwurf und den entstandenen Schaden habe die Klägerin nicht erwarten können, dass die StA auf eine Wiedergutmachung verzichten würde. Unter derartigen Umständen könne die Klägerin keine Überprüfung nach § 44 SGB X verlangen, ob bei Erlass des Bescheides vom 30.1.2006 das Recht unrichtig angewandt oder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden sei.

An dem im Wege einer Einigung zustande gekommenen Ergebnis müsse sich die Klägerin nach Treu und Glauben festhalten lassen, wofür auch spreche, dass nach dem inzwischen eingetretenen Zeitablauf eine inhaltliche Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des im Bescheid behandelten Anspruchs nach § 10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV praktisch ausgeschlossen sei. Es verstoße gegen Treu und Glauben, die Vorteile der Freiheit von Strafverfolgung gegen leitende Mitarbeiter zu nutzen, die Nachteile - hier die nachzuentrichtenden Sozialversicherungsbeiträge - indes nachträglich beseitigen zu wollen. Auf den weiteren Inhalt der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.2.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.3.2014 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Der Bescheid vom 30.1.2006 sei bereits bei dessen Erlass rechtswidrig gewesen. Die zwischen der Klägerin und der E S.R.L. geschlossenen Werkverträge seien nicht nur auf dem Papier unterzeichnet, sondern auch tatsächlich so gelebt worden. Entgegen der Annahme der Beklagten sei eine Arbeitnehmerüberlassung in einem von dem Bundesarbeitsgericht (BAG) und der sozialgerichtlichen Rechtsprechung definierten Sinne nicht erwiesen. Dem stehe auch eine den verschriftlichten Vereinbarungen möglicherweise in Einzelfällen zuwiderlaufende Praxis nicht entgegen, die isoliert betrachtet auf eine Arbeitnehmerüberlassung hindeuten könne. So sei nach Maßgabe der Entscheidung des BAG vom 15.4.2014 (3 AZR 395/11) zu klären, ob in Einzelfällen erteilte Weisungen durch Mitarbeiter der Klägerin von der Kenntnis und der Billigung der auf beiden Seiten zum Vertragsabschluss berechtigten Personen getragen seien. Dies sei im vorliegenden Verfahren indes nicht feststellbar.

Auch sei der Umstand, dass Mitarbeiter der Klägerin zum Zweck der Gesellschaftsgründung nach Rumänien gereist seien und dort die E S.R.L. bei der Einstellung von Mitarbeitern beraten hätten, für die sozialrechtliche Beurteilung nicht relevant. Soweit die StA angenommen habe, die Klägerin habe an der Gründung der E S.R.L. mitgewirkt, möge dies in tatsächlicher Hinsicht zutreffen; sozialversicherungsrechtlich sei dies aber irrelevant. Sie - die Klägerin - sei an der E S.R.L. gesellschaftsrechtlich nicht beteiligt gewesen. Für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung seien auch die Ausführungen der Beklagten zur Unterstützung der Mitarbeiterakquise durch die Klägerin nicht erheblich. Es sei der rumänischen Gesellschaft nicht untersagt gewesen, sich bei einer Auswahl der Mitarbeiter beraten zu lassen. Selbst ein Outsourcing der Sichtung des Bewerberfeldes auf die Klägerin habe auf die Eigenständigkeit der Gesellschaft keinerlei Auswirkungen. Im Übrigen habe die Beklagte selbst nur angenommen, dass die Klägerin der E S.R.L. lediglich "nahegelegt" habe, mit welcher Anzahl von Arbeitskräften gearbeitet werden solle. Dieses sei lediglich im Sinne einer "Beratung bzw. Empfehlung des erfahrenen Vertragspartners" zu interpretieren.

Bei der Würdigung des Sachverhalts ignoriere die Beklagte zudem, dass nach Aussage des Zeugen W Herr E maßgeblicher Ansprechpartner für die Klägerin gewesen sei. Dieses habe auch gegolten, wenn an einem Zerlegeband einmal "Not am Mann" bestanden habe und andere Mitarbeiter benötigt worden seien. Diese Einschätzung habe das AG C in seinem Haftbefehl gegen Herrn E geteilt. So habe auch dieses angenommen, dass Letzterer der maßgebliche Kopf der "E-Gruppe" gewesen sei und in dieser Eigenschaft die Verhandlungen mit der Klägerin geführt und die Geschäfte der Subunternehmen maßgeblich bestimmt habe.

Entgegen der Einschätzung der Beklagten habe es sich bei der E S.R.L. nicht lediglich um eine Briefkastenfirma gehandelt. Es treffe zwar zu, dass sich diese im Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Werkvertrages noch im Aufbau befunden habe. Bereits Ende des Jahres 2001 habe es sich bei ihr allerdings bereits um ein produzierendes Unternehmen gehandelt. Insoweit sei auch irrelevant, dass die E S.R.L. in Rumänien mit der Bearbeitung von Naturdärmen beschäftigt gewesen sei, wohingegen die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer vorwiegend in der Fleischzerlegung tätig gewesen seien. Eine absolute Identität der Betriebszwecke sei nicht erforderlich; es reiche aus, dass die Unternehmen eine nennenswerte Betriebstätigkeit in ihrem Herkunftsland ausübten.

Soweit die Beklagte behaupte, sie - die Klägerin - habe Weisungsbefugnisse gegenüber den rumänischen Arbeitskräften wahrgenommen, verfange dies nicht. Selbst wenn in Einzelfällen Anordnungen in Bezug auf die Qualität der Arbeit ergangen seien, begründe dies weder eine volle Eingliederung der Arbeitskräfte in den Betrieb des Entleihers noch die Annahme, dass diese ihre Tätigkeit allein nach dessen Weisungen ausführten (Verweis auf Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 R 5/09 B ER). Die in diesem Sinne erforderliche volle Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in den Betrieb der Klägerin und die alleinige Ausübung der Weisungsrechte durch deren Mitarbeiter seien nach der Aussage des Zeugen W widerlegt.

Die Rücknahme des Bescheides vom 30.1.2006 verstoße auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Entgegen der Auffassung des SG habe eine ausdrückliche Verbindung zwischen der Erfüllung der mit dem Bescheid geregelten Nachforderung und der Einstellung der Verfahren nicht bestanden. Ob die Klägerin dahingehende Hoffnungen gehegt habe, sei Spekulation. Es sei weder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossen worden noch eine Vereinbarung nach § 153a StPO. Die Einstellung der Verfahren gegen einzelne Mitarbeiter sei ausschließlich mit einer von diesen zu zahlenden Summe im unteren bzw. mittleren fünfstelligen Bereich verbunden gewesen. Hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge habe die StA keinerlei Aktivitäten unternommen, sondern diese Frage den Sozialleistungsträgern überantwortet. Insoweit ergehe sich das SG in Mutmaßungen, ohne die für das Einstellungsverfahren geltenden Regelungen, zu denen u.a. die Zustimmung des Strafgerichts gehöre, zu berücksichtigen. Zudem sei im Zeitpunkt der Zahlung der nachgeforderten Beiträge für die Klägern auch nicht klar gewesen, welchen Weg die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen genommen hätten. Auch dies dokumentiere, dass es keine kausale Verbindung zwischen der Zahlung durch die Klägerin und der Einstellung durch die StA gegeben habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 4.2.2014 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 30.1.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Für die im vorliegenden Verfahren vorrangig zu beurteilende Frage, ob zu Recht Pflichtbeiträge und Säumniszuschläge erhoben worden seien, komme es maßgeblich darauf an, ob die über die E S.R.L. in den Schlachthöfen der Klägerin eingesetzten rumänischen Arbeitnehmer im Rahmen werkvertraglicher Vereinbarungen oder einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung tätig geworden seien. Aus den in dem Widerspruchsbescheid zum 22.3.2011 dezidiert ausgeführten Gründen sowie dem Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sei von einer Arbeitnehmerüberlassung auszugehen. Eine eigenverantwortliche Organisationsstruktur der E S.R.L. sei zu keinem Zeitpunkt erkennbar gewesen. Zudem habe sie - die Beklagte - hinreichend dargelegt, dass die Klägerin auf die Geschicke dieser Gesellschaft intensiv Einfluss genommen habe. Soweit Letztere diese Einflussnahme nunmehr zugunsten einer nur "beratenden Tätigkeit" zu degradieren versuche, ändere dies nichts an dem Gesamteindruck, dass die E S.R.L. massiv durch die Klägern gesteuert worden sei und nicht als ein zu ihr auf Augenhöhe stehendes Unternehmen bewertet werden könne.

Dass die Zahlung der streitigen Beitragsnachforderung zuzüglich der darauf entfallenden Säumniszuschläge nicht im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Verfahren und dessen Folgen gestanden habe, erschließe sich ihr nicht.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Der Senat hat folgende Akten beigezogen: die Ermittlungsakten der StA C betreffend das gegen Herrn E gerichtete Strafverfahren (Az. xxx), die Gerichtsakten des SG Münster betreffend das Verfahren der E S.R.L. gegen die Beklagte (Az. S 4 R 339/11), die Prozessakten des SG Mainz betreffend das dort anhängig gewesene Verfahren der E S.R.L. gegen die Berufsgenossenschaft für Nahrungsmittel und Gaststätten (Az. S 5 U 157/11) und die Prozessakten betreffend das vorläufige Rechtsschutzverfahren der Klägerin gegen die DRV Rheinland (Az. L 8 R 280/11 B ER). Auf den Inhalt der Gerichtsakten wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Darüber hinaus hat der Senat eine Stellungnahme der Beklagten zu dem im Bescheid vom 30.1.2006 angedeuteten Rechtsmittelverzicht eingeholt. Die Beklagte hat hierzu erläutert, dass eine schriftliche Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht nicht vorliege. Es sei auch nicht rekonstruierbar, weshalb sie sich in dem Verfahren der E S.R.L. nicht auf den Rechtsmittelverzicht berufen habe, obgleich der an diese Gesellschaft adressierte Bescheid ebenfalls einen entsprechenden Hinweis enthalten habe. Mutmaßlich sei der Verzicht übersehen worden. Sie hat ergänzend auf eine dienstliche Erklärung des seinerzeit zuständigen Betriebsprüfers der Beklagten vom 31.7.2018 verwiesen. Auf den Inhalt der dienstlichen Erklärung vom 31.7.2018 wird Bezug genommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.12.2018 ist ein Vertreter der Beigeladenen zu 3) nicht erschienen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit der Beigeladenen zu 3) in der Sache mündlich verhandeln und entscheiden können, da er diese in der ordnungsgemäßen Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

I. Gegenstand des Verfahrens ist (noch) das Begehren (§§ 123, 153 Abs. 1 SGG) der Klägerin auf Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 sowie die Verpflichtung der Beklagten, den in Bestandskraft erwachsenen Betriebsprüfungsbescheid vom 30.1.2006 im Wege des § 44 SGB X aufzuheben. Den erstinstanzlich vorrangig verfolgten Antrag, unter Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 die Nichtigkeit des Bescheides vom 30.1.2006 festzustellen, hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht weiterverfolgt. Auch den mit der Klageschrift vom 21.4.2011 ursprünglich angekündigten Leistungsantrag auf Verurteilung zur Erstattung der geleisteten Betrages von 2.368.580,50 EUR nebst Zinsen hat die Klägerin fallen gelassen.

II. Die am 25.3.2014 schriftlich eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihr am 26.2.2014 zugestellte Urteil des SG Münster vom 4.2.2014 ist zulässig, insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§ 143, 144 SGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG).

III. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Die auf die Aufhebung des Versagungsbescheides vom 15.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Betriebsprüfungsbescheides vom 30.1.2006 gerichtete Klage ist zulässig und begründet.

1. Die auf die Aufhebung des Bescheides vom 15.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 und Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Betriebsprüfungsbescheides vom 30.1.2006 gerichtete Klage ist zulässig.

a) Für das Rechtsschutzbegehren der Klägerin (§§ 123, 153 Abs. 1 SGG), die rechtsgestaltende Aufhebung des Versagungsbescheides vom 15.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Betriebsprüfungsbescheides vom 30.1.2006, ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1 Altern. 1, Altern. 2, 56 SGG) statthaft und fristgerecht am 21.4.2011 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 (§§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 90 SGG) erhoben worden.

b) Das für die Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht (zum Erfordernis des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40-52, Rn. 11 unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], BVerfGE 61, 126, 135). Es fehlt insbesondere nicht deshalb, weil die Klägerin das mit der Klage letztlich verfolgte wirtschaftliche Ziel, nämlich die Erstattung der bereits gezahlten Beiträge, auch im Falle einer Aufhebung des Bescheides vom 30.1.2006 wegen eines möglichen Zusammenhangs der Zahlung mit der Einstellung der Strafverfahren gegen (frühere) Vorstandsmitglieder und sonstige leitende Angestellte der Klägerin gemäß § 153a StPO nicht mehr erreichen kann. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall steht der Umstand, dass die Klägerin mit der Zahlung der Beiträge und der Säumniszuschläge mutmaßlich auch das Ziel verfolgt hat, eine derartige Einstellung der Strafverfahren zu bewirken, einer Rückforderung für den Fall, dass sich das Nichtbestehen der Beitragsforderung herausstellt, nicht entgegen.

aa) Nach § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Nach § 153a Abs. 1 Satz 2 StPO kommen als Auflagen oder Weisungen insbesondere die Erbringung einer bestimmten Leistung zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens (Nr. 1) sowie die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse in Betracht (Nr. 2). Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen, kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden (§ 153a Abs. 1 Satz 5 StPO). Erfüllt er sie nicht (vollständig), so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet (§ 153a Abs. 1 Satz 6 StPO).

Aus diesem gesetzlichen Zusammenhang erschließt sich unmittelbar, dass die Klägerin an einer Rückforderung der von ihr geleisteten Beiträge nicht durch den Umstand gehindert wird, dass im Anschluss daran das Strafverfahren gegen ihre Vorstandsmitglieder und Mitarbeitenden eingestellt worden ist. Das Ermittlungsverfahren ist ausschließlich gegen die genannten Personen, nicht die Klägerin selbst geführt worden. Den Beschuldigten gegenüber sind Auflagen nach § 153a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht erteilt worden. Dass die Beitragszahlung der Klägerin die Bereitschaft der Staatsanwaltschaft zur Verfahrenseinstellung mitbestimmt haben mag, steht der Erteilung einer entsprechenden Auflage nicht gleich. Nur die Beschuldigten, nicht die Klägerin als Dritte, können mit der Erfüllung einer Auflage die weitere Verfolgung der ihnen zur Last gelegten Tat (bei gleichzeitigem Verzicht auf einen möglichen Freispruch in der Hauptverhandlung) verhindern. Allein im Verhältnis zu ihnen erzeugt die Wiedergutmachung des (vermeintlichen) Schadens gemäß § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO daher ggf. eine Bindungswirkung, die im Hinblick auf die damit bewirkte "Gegenleistung", nämlich den Eintritt des Strafklageverbrauchs für die prozessuale Tat im Sinne eines endgültigen Verfahrenshindernisses (vgl. Plöd in KMR, StPO, Stand 2015, § 153a Rdnr. 38 m.w.N.; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO, § 153a Rdnr. 97; Weßlau in SK-StPO, § 153a Rdnr. 70), eine Rückforderung ausschließen kann. Darüber hinaus ist nach der eindeutigen Bestimmung des § 153a Abs. 1 Satz 6 StPO nur noch eine Kondiktion erbrachter Teilleistungen der Beschuldigten wegen Verfehlung des damit verfolgten Zwecks der Verfahrenseinstellung ausgeschlossen. Eine entsprechende "Verfallswirkung" gegenüber Dritten ist § 153a StPO dagegen in keiner Weise zu entnehmen. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Beklagte es möglicherweise in der Hand gehabt hätten, einen späteren Streit über das Bestehen der Beitragsforderung auszuschließen, indem die Verfahrenseinstellung mit der Erklärung eines Rechtsbehelfs- und Rückforderungsverzichts seitens der Klägerin hätte verbunden werden können. Diesen Weg sind die Behörden im vorliegenden Fall - aus welchen Gründen auch immer - jedoch nicht gegangen (siehe dazu unter 2.a).

bb) Angesichts dessen steht einer Rückzahlung der geleisteten Beiträgen an die Klägerin auch nicht von vornherein die Einrede unzulässiger Rechtsausübung nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen.

Der Gesetzgeber hat mit der Rechtsgrundlage des § 44 Abs. 1 SGB X und der damit eröffneten Möglichkeit, zu Unrecht gezahlte Beiträge auch nach Bestandskraft des zugrunde liegenden Bescheides erstattet zu verlangen, die Konfliktlage zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Richtigkeit zugunsten Letzterer aufgelöst (vgl. BSG, Urteil v. 28.5.1997, 14/10 RKg 25/95, SozR 3-1300 § 44 Nr. 21, juris-Rdnr. 20; Urteil v. 18.3.1998, B 6 KA 16/97, SozR 3-1300 § 44 Nr. 23; juris-Rdnr. 18; Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 16/08 R, SozR 4-1300 § 44 Nr. 20, juris-Rdnr. 15). Der Gebrauch einer auf diese Weise gesetzlich eingeräumten Gestaltungsmöglichkeit kann daher keine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Ihm können Grenzen nur durch eindeutige gesetzliche Regelungen gesetzt werden, wie dies z.B. in § 330 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch bzw. in § 100 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch erfolgt ist oder wie es in § 168 Abs. 2a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch mit Wirkung vom 1.1.2019 geschieht. Fehlt es an einer solchen Regelung jedoch und ist sie, wie hier, auch nicht einer außerhalb des Sozialrechts liegenden Bestimmung wie § 153a StPO zu entnehmen, verbleibt für einen Rückgriff auf § 242 BGB kein Raum.

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid vom 15.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2011 beschwert die Klägerin i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil er rechtswidrig ist. Die Beklagte hat die Aufhebung des Bescheides vom 30.1.2006 zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin kann die Rücknahme dieses Verwaltungsaktes beanspruchen.

a) Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Beteiligten eine Vereinbarung geschlossen hätten, die eine Überprüfung gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ausschließt oder dass die Klägerin einen Rechtsbehelfsverzicht erklärt hätte, der den Verzicht auf die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens mit umfasste.

aa) Eine vertragliche Verständigung über die die Klägerin treffende endgültige Beitragsschuld ist nicht zustande gekommen.

Soweit die Beklagte in dem Versagungsbescheid vom 15.4.2010 angedeutet hat, dass die Klägerin und das FA Steufa eine tatsächliche Verständigung getroffen haben und der Betriebsprüfer der Beklagten in seiner dienstlichen Erklärung vom 31.7.2018 erkennbar an dieser Vorstellung festgehalten hat ("Die Auswertung wurde in allseitigem Einvernehmen und auch in der nachberechneten Höhe akzeptiert."), handelt es sich dabei ggf. um ein spezifisch steuerrechtliches Instrument, das in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens dient (vgl. hierzu Bundesfinanzhof [BFH], Urteil v. 11.12.1984, VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl. II 1985, 354; BFH, Urteil v. 5.10.1990, III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl. II 1991, 45; BFH, Urteil v. 6.2.1991, I R 13/86, BFHE 164, 168). Dem Sozialversicherungsrecht ist eine tatsächliche Verständigung, die ihre Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen hat (BFH, Urteil v. 31.7.1996, XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl. II 1996, 625), hingegen fremd. Eine tatsächliche Verständigung im Besteuerungsverfahren entfaltet daher keine unmittelbaren Wirkungen für das Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV (Senat, Urteil v. 11.4.2018, L 8 R 214/14). Für eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten in der im Sozialversicherungsrecht dafür vorgesehenen Form des der Schriftform bedürfenden öffentlich-rechtlichen Vertrages (§§ 53 ff. SGB X) ist nichts ersichtlich und von den Beteiligten auch nichts vorgetragen worden.

bb) Auch die Erklärung eines einseitigen Rechtsmittelverzichts seitens der Klägerin ist nicht erwiesen. Zwar enthält der Bescheid vom 30.1.2006 den Hinweis, dass der "beauftragte Rechtsvertreter" [ ] ausdrücklich Rechtsmittelverzicht" erklärt habe. Dass eine solche Erklärung aber tatsächlich abgegeben worden ist, hat sich nicht feststellen lassen. Angesichts der ihr zukommenden erheblichen Tragweite müsste feststehen, dass sie eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich erfolgt ist (vgl. etwa BGH, Beschluss v. 5.9.2006, VI ZB 65/05 NJW 2006, 3498 f.).

(1) Eine in diesem Sinne eindeutige Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht kann die Beklagte nicht vorweisen, wie sie mit Schriftsatz v. 6.8.2018 selbst eingeräumt hat. Eine solche Erklärung der Klägerin lässt sich auch den sonstigen, von dem Senat beigezogenen Vorgängen nicht entnehmen.

(2) Zudem konnte die Beklagte nicht einmal präzisieren, welche Reichweite dem in dem Bescheid vom 30.1.2006 allenfalls angedeutete Rechtsmittelverzicht überhaupt zukommen sollte. So konnte sie nicht darlegen, auf welche Rechtsmittel konkret verzichtet werden sollte. Ohnehin ist die dem Verwaltungsakt zu entnehmende Erklärung auch deshalb paradox, weil im unmittelbaren textlichen Anschluss an den angedeuteten "Rechtsmittelverzicht" eine Belehrung folgt, wonach "gleichwohl" gegen den Bescheid Widerspruch erhoben werden kann. Welche Bedeutung dem vermeintlichen Rechtsmittelverzicht in diesem textlichen Zusammenhang zukommen soll, erschließt sich dem Senat nicht und ist auch von der Beklagten nicht erhellt. Sie selbst hat dem vermeintlichen Verzicht offenbar keine Bedeutung beigemessen; immerhin hat sie sich auch in dem gerichtlichen Verfahren der E S.R.L. auf diese Erklärung nicht berufen.

b) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

aa) Mit dem Bescheid vom 30.1.2006 hat die Beklagte im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Beiträge "erhoben". Dieser Begriff umfasst den gesamten Vorgang der Realisierung von Beitragsansprüchen, angefangen von der Festsetzung der Beitragshöhe (hier gemäß § 28p Abs. 1 SGB IV) bis zur Zahlung an die Einzugsstelle (§ 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Dieses folgt aus der umfassenden Verwendung des Begriffs des "Erhebens", wie er etwa in § 76 Abs. 1 SGB IV oder in § 28o Abs. 2 Satz 1 SGB IV zum Ausdruck kommt.

bb) § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfasst im Wege erweiterter teleologischer Auslegung neben "Beiträgen" auch Säumniszuschläge nach § 24 SGB X. Dieses Verständnis entnimmt der Senat nicht zuletzt dem Regelungszusammenhang, wie ihn der Gesetzgeber etwa in § 28e Abs. 4 SGB IV zum Ausdruck gebracht hat. Diese Vorschrift ordnet dem Beitragsanspruch im Sinne einer Legaldefinition neben dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) unter anderem auch Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV zu (Werner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28e Rdnr. 120).

cc) Die Beklagte hat bei Erlass des Verwaltungsaktes vom 30.1.2006 auch im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB das Recht unrichtig angewandt. Der Verwaltungsakt verstieß bereits zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 37 SGB X; vgl. zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Erlasses des Verwaltungsaktes Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2018, § 44, Rdnr. 46 m.w.N.) gegen geltendes Recht. Die Beklagte hat die Klägerin zu Unrecht zur Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen (§ 24 SGB IV) in Höhe von insgesamt 2.368.580,50 EUR herangezogen.

(1) Als Rechtsgrundlage für den Betriebsprüfungsbescheid vom 30.1.2006 stand der Beklagten ausschließlich die Ermächtigung des § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV zur Verfügung. Auf dieser mit Wirkung zum 1.1.1989 in Kraft getretenen Rechtsgrundlage (Art. 19 Abs. 1 des Melderecht und Beitragseinzug-Einordnungsgesetzes vom 20.12.1988 [BGBl. I 1988, 2330]) erlassen die Träger der Rentenversicherung die erforderlichen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern. Diese Rechtsgrundlage ermächtigt auch zur Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 SGB IV (ständige Rechtsprechung; Scheer, in: jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28p Rdnr. 213).

(2) Es bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung des Senats zu der Frage, ob der Bescheid vom 30.1.2006 bei seinem Erlass deshalb formell fehlerhaft war, weil er trotz der ihm innewohnenden belastenden Wirkung ohne vorherige Anhörung der Klägerin nach § 24 Abs. 1 SGB X erging. Dass die Beklagte angenommen hatte, eine vorherige Anhörung nach Maßgabe des § 24 Abs. 2 SGB X sei entbehrlich, lässt sich der Begründung des Verwaltungsakts nicht entnehmen. Dieser Frage muss der Senat gleichwohl nicht weiter nachgehen, weil allein der Verstoß gegen formelle Rechtsvorschriften die von der Klägerin begehrte Aufhebung im Wege des § 44 Abs. 1 SGB X nicht begründet. Die Regelung des § 44 SGB X dient in erster Linie der Herstellung materieller Gerechtigkeit (BSG, Urteil v. 4.2.1998, B 9 V 16/96 R), so dass es selbst bei einem Anhörungsmangel an der erforderlichen Kausalität zwischen dem bestehenden Verfahrensmangel und der (rechtswidrigen) Beitragserhebung fehlt (BSG, Urteil v. 28.5.1997, 14/10 RKg 25/95, SozR 3-1300 § 44 Nr. 31 unter Verweis auf BSG, Urteil v. 10.12.1985, 10 RKg 14/85, SozR 5870 § 2 Nr. 44).

(3) Der Bescheid vom 30.1.2006 war zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe aber jedenfalls materiell rechtswidrig. Die Beklagte konnte die Klägerin weder nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG i.V.m. § 28e Abs. 2 Sätze 3 SGB IV auf Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen heranziehen [hierzu (a)], noch waren die Voraussetzungen für eine (unmittelbare) Arbeitgebereigenschaft der Klägerin nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV feststellbar [hierzu (b)].

(a) Im Fall einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung ist neben dem Verleiher auch der Entleiher als Arbeitgeber anzusehen, der die Beitragszahlungspflichten unmittelbar zu erfüllen hat (BSG, Urteil v. 25.10.1988, 12 RK 21/87, SozR 2100 § 5 Nr. 3). Ihn treffen die Arbeitgeberpflichten in der Sozialversicherung nach den §§ 28a ff. SGB IV.

(aa) Soweit die StA C sowie das HZA C bei ihrer rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts erwogen hatten, dass die Klägerin rumänische Arbeitskräfte illegal entliehen habe, weist der Senats darauf hin, dass weder die Beklagte noch ein Sozialgericht an die rechtliche Beurteilung beitragsrechtlicher Sachverhalte durch Zollbehörden, Staatsanwaltschaften oder Strafgerichte gebunden ist (Senat, Beschluss v. 17.10.2011, L 8 R 420/11 B ER, juris).

Soweit die Beklagte unter Verweis auf den Inhalt des Aktenvermerks der StA C vom 20.1.2006 angenommen hat, die Klägerin habe den Vorwurf eines illegalen Entleihs rumänischer Arbeitskräfte "gestanden", verfängt diese Erwägung schon im Ansatz nicht. Zwar enthält der - ausschließlich von dem ermittelnden Staatsanwalt unterzeichnete - Gesprächsvermerk im Zusammenhang mit dem Tatkomplex "Illegaler Arbeitnehmerüberlassung" den Hinweis, dass "dieser Sachverhalt" von der Klägerin "akzeptiert" worden sei. Allerdings erfolgte diese Erklärung nach dem Gesprächsvermerk erst im Anschluss an den Hinweis, dass "eine Strafbarkeit von Verantwortlichen der X e.G. nach § 15a AÜG ( ) nicht gegeben" sei, da die rumänischen Arbeiter über Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse verfügten. Soweit die Beklagte offenbar der Ansicht ist, die Klägerin habe den Vorwurf einer "illegalen Arbeitnehmerüberlassung" gestanden, ist dem auch entgegen zu halten, dass sich ein Geständnis ohnehin lediglich auf bestimmte tatsächliche Umstände eines Sachverhalts beziehen kann, nicht jedoch auf dessen rechtliche Bewertung, etwa im Sinne einer "illegalen Arbeitnehmerüberlassung".

(bb) Die von der Beklagten zugrunde gelegten Erkenntnisgrundlagen tragen die Feststellung einer (illegalen) Arbeitnehmerüberlassung indes nicht. Entsprechendes gilt für die von dem Senat beigezogenen und ausgewerteten Beweismittel.

Eine Überlassung eines Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und seinen Weisungen unterliegt (gesicherte Rechtsprechung des BAG, Urteil v. 18.1.2012, 7 AZR 723/10, AP Nr. 10 zu § 9 AÜG; Urteil v. 10.10.2007, 7 AZR 487/06, juris; Urteil v. 6.8.2003, 7 AZR 180/03, AP Nr. 6 zu § 9 AÜG; Urteil v. 25.10.2000, 7 AZR 487/99, AP Nr. 15 zu § 10 AÜG; BSG, Urteil v. 24.4.2003, B 10 LW 8/02 R, SozR 4-5860 § 12 Nr. 1; Senat, Beschluss v. 19.12.2012, L 8 R 289/12 B ER; Beschluss v. 21.7.2011, L 8 R 280/11 B ER; Senat, Urteil v. 28.1.2015, L 8 R 677/12 jeweils juris). Diese Rechtsprechung entspricht der zum 1.4.2017 in Kraft getretenen Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG [BT-Drucks. 18/9232, S. 19].

Zunächst lässt sich dem Inhalt der zwischen der Klägerin und der E S.R.L. geschlossenen Verträge nicht entnehmen, dass sich die Hauptleistungspflicht der E S.R.L. auf eine Auswahl geeigneter Arbeitskräfte beschränkte und Letztere sodann vollständig in den Betrieb der Klägerin eingegliedert werden und ausschließlich deren Weisungen unterliegen sollten.

So war die E S.R.L. vertraglich verpflichtet, "werkvertragliche Leistungen" zu erbringen, für die grundsätzlich die Vorschriften der §§ 631 ff. BGB gelten sollten (so bspw. § 1 Abs. 1 des WerkV vom 23.3.2000). Gegenstand der Vertragspflicht der E S.R.L. als "Auftragnehmerin" war eine "selbstständige und eigenverantwortliche Zerlegung und Bearbeitung von Fleisch sowie der damit verbundenen Arbeiten durch die Auftragnehmerin und die Lieferung entsprechend bearbeiteter Fleischteile mittlerer Art und Güte, teilweise in verpackter Form" (§ 1 Abs. 2 WerkV). Hierbei waren gemäß § 1 Abs. 3 WerkV die Werkleistungen am Vortag der Leistungserbringung nach Menge und Zuschnitt genau zu spezifizieren.

Nach § 1 Abs. 4 WerkV waren die geschuldeten Leistungen ("Zerlegung von Fleisch im Betrieb.") vertraglich definiert ("Beginn: Rohmaterial aus dem Kühlraum holen, eingangs Gewicht und Stückzahl ermitteln. Ende: Die versandfertigen Teilstücke und Zuschnitt, wenn erforderlich inklusive Verpackung, hängend oder in Behältnissen nach der Gewichtserfassung einschließlich Vorkommissionierung und Zuführung im Kühlraum dem Auftraggeber zur Abnahme geordnet bereitstellen.").

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WerkV war die Auftragnehmerin zudem verpflichtet, ausschließlich qualifizierte Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen einzusetzen. Diese Personen unterlagen vertraglich ausschließlich den Weisungen der Auftragnehmerin, mithin der E S.R.L. (§ 3 Abs. 1 Satz 2 WerkV), was nach seinem verschriftlichten Vertragsinhalt nach ebenfalls entscheidend gegen die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung spricht. Nach § 3 Abs. 1 S. 3 WerkV hatte die E S.R.L. zudem alle zur Erfüllung dieses Vertrages notwendigen Handlungen zu organisieren.

Soweit die Beklagte angenommen hat, die verschriftlichten Verträge entsprächen nicht dem tatsächlich praktizierten Geschäftsinhalt, tragen auch die weiteren verfügbaren Erkenntnisgrundlagen die Annahme einer Arbeitsnehmerüberlassung im Sinne einer vollständigen Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin sowie eine ausschließlich ihr obliegende Weisungsbefugnis nicht.

So hat der Zeuge W im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, dass "E" der "Chef" sei. Er hat zwar einschränkend erwähnt, dass "Anweisungen für die Rumänen" weder von "E" noch von "N", einem von E eingesetzten Dolmetscher, erteilt worden seien; dieser Zeuge hat allerdings darauf hingewiesen, dass bei Belastungsspitzen ein Vorarbeiter der Klägerin bei "E oder I" angerufen und darauf hingewiesen habe, dass noch Arbeitskräfte benötigt würden. Hieraus folgt, dass wesentliche Weisungen zur Personaldisposition unter Einbeziehung des Herrn E erfolgt sind. Jedenfalls trägt die Aussage des Zeugen W nicht die Annahme der Beklagten, dass Weisungen an die rumänischen Arbeitskräfte - in dem für die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung erforderlichen Maße - ausschließlich von Verantwortlichen der Klägerin erteilt worden sind. Darüber hinaus ist auch die StA C in ihrem Vermerk vom 18.7.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einlassungen des Zeugen W, soweit diese die Annahme einer Weisungserteilung durch Mitarbeiter der Klägerin stützen, nur einen Teil des streitigen Zeitraums abdecken könnten, da diesem Zeuge seit April 2004 Hausverbot auf den Schlachthöfen der Klägerin erteilt worden sei.

Auch die weiteren protokollierten Zeugenaussagen tragen in der Gesamtschau die Annahme einer allein seitens der Klägerin ausgeübten Weisungsbefugnis nicht. So hat auch der am 1.9.2005 vom HZA C vernommene Herr N W bekundet, die Arbeitskräfte seien von N "angetrieben" worden, und zwar auch für den Fall einer Erkrankung. Dass N Verantwortlicher der Klägerin war, behauptet die Beklagte selbst nicht. Wesentliche Einflussnahmen von Seiten der Klägerin lassen sich seiner Aussage nicht entnehmen.

Zudem hat die Befragung rumänischer Arbeitnehmer durch den Betriebsprüfdienst der Fleischerei-BG ergeben, dass verschiedene rumänische Arbeitskräfte der Subunternehmer als "Vorarbeiter" eingesetzt worden sind (Vermerk v. 18.9.2002 bzgl. Herrn J O; Vermerk v. 16.9.2002 bzgl. Herrn N C1). Als Ergebnis der Ermittlungen vor Ort stellte der Betriebsprüfdienst der Fleischerei-BG fest, dass Weisungen durch "Vorarbeiter der Subunternehmer" erfolgten und (nur) eine "Endkontrolle" durch die Klägerin vorgenommen worden sei (im Einzelnen hierzu "Tatsachenfeststellungen zur Beurteilung des Versicherungsschutzes von Dienstleistungsunternehmen in der Fleischwirtschaft", Abschnitt E, Frage 11). Durch den Zerlegemeister der Klägerin erhalte der Vorarbeiter der Subunternehmer (nur) den täglichen Zerlegeplan. Dies lässt zur Überzeugung des Senats den Schluss zu, dass anschließende Instruktionen an die rumänischen Arbeitskräfte in den Aufgabenbereich des Subunternehmers fielen.

Auch eine vollständige Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in den Betrieb der Klägerin in einem die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung begründenden Umfang lässt sich weder nach den vertraglichen Vereinbarungen feststellen, noch ist nach Auswertung aller verfügbaren Erkenntnisquellen erwiesen, dass die tatsächliche Praxis in den in Rede stehenden Schlachthöfen der Klägerin in einem Umfang davon abwich, die zur Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung berechtigt.

Nach den vertraglichen Absprachen spricht für eine Eingliederung in räumlicher Hinsicht bei vordergründiger Betrachtung die schriftliche Verabredung, wonach die "Ausführung der von der E S.R.L. geschuldeten Leistungen" ausschließlich in den von der Klägerin zur Verfügung gestellten Betriebsräumen erfolgen musste (§ 3 Abs. 9 WerkV). Vertraglich war die E S.R.L. allerdings verpflichtet, entweder selbst durch ihren Geschäftsführer oder aber durch dessen weisungsbefugten leitenden Mitarbeiter mit entsprechender fachlicher Qualifikation (z.B. führungserfahrener Fleischermeister) während der Produktionszeiten anwesend zu sein (§ 3 Abs. 10 WerkV). Gemäß § 3 Abs. 11 WerkV war die E S.R.L. zudem verpflichtet, die für die Ausführung der geschuldeten Leistungen erforderlichen Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen.

Nach § 3 Abs. 4 WV bestand zur "äußerlichen Sicherstellung", dass eine Eingliederung der Arbeitskräfte der E S.R.L. in die Arbeitsabläufe der Klägerin nicht erfolgte und es auch zu keiner Vermischung der Arbeitskräfte der E S.R.L. mit den Arbeitnehmern der Klägerin kommt, die vertragliche Verpflichtung der E S.R.L., ihre Arbeitskräfte mit eigener Arbeitskleidung auszustatten.

Eine von den vertraglichen Regelungen abweichende Praxis, die den Schluss auf eine vollständige Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in die Arbeitsorganisation der Klägerin zulässt, konnte der Senat nach Ausschöpfung sämtlicher verfügbarer Erkenntnisquellen nicht feststellen.

Zunächst folgt in räumlich-organisatorischer Hinsicht aus den aktenkundigen "Tatsachenfeststellungen zur Beurteilung des Versicherungsschutzes von Dienstleistungsunternehmen in der Fleischwirtschaft" der Fleischerei-BG, dass "die Schweineteile über eine Rohrbahn aus dem Kühlhaus direkt zum Arbeitsplatz der Arbeitnehmer" gelangten. Die Schlachtkörperzerlegungen sind nach den Feststellungen des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers an einem gesonderten Zerlegeband durchgeführt worden; anschließend sind die zerlegten Teile in speziell dafür vorgesehene Behältnisse gelegt, danach an einem Palettenstandort gesammelt und sodann durch einen Mitarbeiter der Klägerin zum Pufferkühlhaus gebracht worden. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers der Fleischerei BG waren anlässlich eines durchgeführten Ortstermins "in den Räumen" nur rumänische Arbeitnehmer tätig. Nach dem Bericht über die Betriebsbegehung erfolgte der Einsatz der rumänischen Arbeitnehmer getrennt von den Arbeitnehmern der Klägerin. Diese Einschätzung entspricht der aktenkundigen "Skizze vom Arbeitsplatz der E - X M" und der Zeichnung der "Filet-Linie", aus der sich neben verschiedenen Waagen auch graphisch ergibt, dass der Arbeitsbereich der rumänischen "Kolonne" von einem "Eingangs"- und "Abschluss"-Arbeitsplatz umgrenzt war und somit ein weitgehend isoliertes Produktionsmodul bildete. Diese von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen stützen die Annahme einer vollständigen Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in die Arbeitsorganisation der Klägerin ebenfalls nicht.

Der Zeuge O hat zudem bekundet, dass in M "einige Rumänen" tätig gewesen seien. Diese stünden aber stets an ihrem eigenen Band und nicht etwa mit anderen Arbeitern gemischt". Er berichtete auch von dem Einsatz eines Übersetzers und Vorarbeiters von "I1 und E". Dieser Zeuge hat - ebenso wie der Zeuge W - nicht wahrgenommen, dass Rumänen von Bändern "abgezogen" und zu anderen Tätigkeiten innerhalb des Schlachthofes abkommandiert worden seien.

(b) Eine Haftung der Klägerin aufgrund einer eigenen Arbeitgebereigenschaft nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV kam ebenfalls nicht in Betracht.

Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist regelmäßig derjenige, zu dem ein anderer - der Beschäftigte - in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen (in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung) sowie eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Arbeitgeber insbesondere im Sinne der §§ 28e Abs. 1 Satz 1, 28p Abs. Satz 5 SGB IV ist mithin derjenige, dem der Anspruch auf die von dem Beschäftigten nach Maßgabe des Weisungsrechts geschuldete Arbeitsleistung zusteht und dem Beschäftigten dafür als Gegenleistung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist (BSG, Urteil v. 27.7.2011, B 12 KR 10/09 R m.w.N., juris; Senat, Beschluss v. 21.7.2011, L 8 R 280/11 B ER, juris).

Es ist im vorliegenden Fall weder von der Beklagten behauptet worden, noch erkennbar, dass die Klägerin auf Grundlage arbeitsvertraglicher Vereinbarungen berechtigt war, von den rumänischen Arbeitskräften eine Arbeitsleistung einzufordern und diese andererseits ihnen gegenüber zur Entgeltzahlung verpflichtet war. Die insoweit maßgeblichen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sind unstrittig ausschließlich zwischen den rumänischen Arbeitskräften und der E S.R.L. geschlossen worden ("individueller Arbeitsvertrag", "Nachtrag zum individuellen Arbeitsvertrag"). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass bei der Anbahnung der Arbeitsverhältnisse bzw. der Akquise von Arbeitskräften in Rumänien Mitarbeiter der Klägerin Einfluss genommen haben.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte insoweit darauf, die E S.R.L. sei als "Briefkastenfirma" selbst überhaupt nicht in der Lage gewesen, vertragliche Verpflichtungen zu begründen. Eine betriebliche Organisation der E S.R.L. hat zumindest in dem Sinne bestanden, dass diese eine Mehrzahl von Werk(rahmen)verträgen mit der Klägerin geschlossen und das zur Vertragserfüllung erforderliche Personal zumindest in Rumänien eingearbeitet hat. Auch die Bezahlung der Arbeitskräfte erfolgte nicht durch die Klägerin, sondern von der E S.R.L. Zudem bestand in Deutschland eine im Handelsregister des AG Bad P eingetragene Zweigniederlassung.

Eine Eingliederung der rumänischen Arbeitskräfte in den Betrieb der E S.R.L. ist jedenfalls nicht allein mit der Begründung zu verneinen, dass diese keine eigene Betriebsstätte mit sächlichen Betriebsmittel unterhalten hat (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 4.6.1998, B 12 KR 5/97 R [Ausbeiner]). Dieses gilt jedenfalls dann, wenn die E S.R.L. als Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne bestanden hat. Hierfür spricht, dass sie aufgrund der Werk(rahmen)verträge für die Klägerin Fleischzerlegearbeiten als eigenes Geschäft für eigene Rechnung ausgeführt hat (BSG, a.a.O., Rdnr. 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 SGG. Die Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig, noch waren diese mit Kosten zu belasten, da diese von einer Antragstellung abgesehen haben (vgl. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 2.368.580,50 EUR festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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