S 3 AS 519/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AS 519/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine ordentliche Aktenführung und Dokumentation des Sachverhalts durch den Leistungsträger ist für den Nachweis des Abschlusses eines vermittelten Arbeitsverhältnisses oder das Anforderungsprofil an die Tätigkeit unerlässlich Erst der Vergleich zwischen dem Anforderungsprofil einerseits und den Fähigkeiten bzw. der Eignung des Leistungsberechtigten andererseits lässt die Prüfung der Zumutbarkeit der Tätigkeit zu.

2. Eine versicherte Beschäftigung liegt nach den Kriterien der § 7 SGB IV auch bei einer unentgeltlichen Probearbeit zumindest dann vor, wenn objektiv die zu dieser Zeit und an diesem Ort notwendige Arbeit verrichtet wird und der Unternehmer diesbezüglich ein konkludent vereinbartes Weisungsrecht hat (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. Dezember 2017 - L 6 U 82/15, derzeit anhängig beim BSG zum Aktenzeichen B 2 U 1/18 R). An die Annahme, dass ausnahmsweise auch eine unentgeltliche Tätigkeit unter § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II fällt, sind strenge Anforderungen zu stellen.
Der Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 (W 20253/15) wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Minderung seiner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015.

Der 1987 geborene Kläger hat einen Hauptschulabschluss. Er bezieht Leistungen nach dem SGB II. Im streitgegenständlichen Zeitraum lebte der Kläger mit seiner Lebensgefährtin und den zwei minderjährigen Kindern gemeinsam als sogenannte Bedarfsgemeinschaft in einer Wohnung zur Miete. Ab September 2015 war der Kläger bei einem Döner-Imbiss geringfügig beschäftigt.

Der Kläger schloss mit dem Beklagten am 13. Mai 2015 eine sogenannte Eingliederungsvereinbarung. Diese hatte eine Gültigkeit vom 13. Mai bis zum 31. Dezember 2015. Der Beklagte verpflichtete sich unter Punkt 2a der Eingliederungsvereinbarung, dem Kläger Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten. Dabei heißt es wörtlich: "Teilnahme und Einhaltung der Arbeitnehmerpflichten in einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16d SGB II, hier: Tätigkeit als Hilfsarbeiter ohne nähere Tätigkeitsangaben in der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung mit der Maßnahmenummer 7209/15 mit der Projektbezeichnung Verschönerungsarbeiten". In der Rechtsfolgenbelehrung wies der Beklagte den Kläger daraufhin, dass ein sogenannter Sanktionstatbestand vorliege, wenn der Kläger ohne wichtigen Grund die Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung "Verschönerungsarbeiten" nicht aufnimmt, diese abbricht oder Anlass zum Abbruch gebe.

Mit Bescheid vom 22. Mai 2015 gewährte der Beklagte dem Kläger, der Lebensgefährtin und den beiden Kindern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Oktober 2015. Diese Leistungsbewilligungsentscheidung änderte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2015 ab. Die Leistungsgewährung erfolgte weiterhin vorläufig. Eine weitere Änderung erfolgte mit Änderungsbescheid vom 25. September 2015 ohne Vorläufigkeitsvorbehalt. Für die Zeit vom 1. November bis zum 30. April 2016 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen mit Bescheid vom 2. November 2015 und dabei für die streitgegenständlichen Monate November und Dezember 2015 Leistungen in Höhe von monatlich 142,19 Euro.

Mit Schreiben vom 11. Juni 2015 unterbreitete der Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag. Danach bot die Firma "B." (nachfolgend: Arbeitgeberin) eine Arbeitsstelle als Textilreiniger in einer Großwäscherei im Zwei-Schicht-System zu 40 Stunden pro Woche. In der Rechtsfolgenbelehrung wies der Beklagte darauf hin, dass das Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent abgesenkt werde, wenn der Kläger die "benannte Arbeit" ohne wichtigen Grund nicht aufnehme oder ausführe. Zudem führte der Beklagte aus: " Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent Ihres Regelbedarfes an das Jobcenter - KomBA-ABI auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Träger hat gemäß § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II diese Leistungen zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben ".

Der Kläger sollte die Tätigkeit bei der Arbeitnehmerin am 15. Juni 2015 beginnen. In dieser Zeit ruhte die Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit "Verschönerungsarbeiten". Aus dem Verwaltungsvorgang ist eine genaue Tätigkeitsbeschreibung nicht zu entnehmen. Auch eine vertragliche Vereinbarung über den Abschluss einer Mehraufwandsentscheidung zwischen den jeweiligen Beteiligten liegt nicht vor.

Unter dem 9. Juli 2015 führte ein Mitarbeiter des Beklagten ein Gespräch mit dem Kläger darüber, dass die Arbeitgeberin bei dem Beklagten am 24. Juni 2015 telefonisch mitgeteilt habe, der Kläger sei am 23. Juni 2015 nach der Frühstückspause nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen und habe den Betrieb verlassen. Weitere Informationen enthält der Vermerk auf Blatt 64 der Eingliederungsakte des Beklagten nicht.

Mit Schreiben vom 10. Juli 2015 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Minderung der Leistungen wegen einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II (zumutbare Maßnahme zur Eingliederung nicht angetreten oder abgebrochen) an. Der Kläger solle eine in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Vereinbarung nicht eingehalten haben.

Mit Bescheid vom 2. September 2015 minderte der Beklagte das Arbeitslosengeld II des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 um monatlich 30 Prozent, mithin um monatlich 108,00 Euro. In dieser Höhe und für diesen Zeitraum hob der Beklagte den Änderungsbescheid vom 22. Mai 2015 auf. Zur Begründung heißt es, der Kläger habe seine Pflichten aus der am 13. Mai 2015 geschlossenen Eingliederungsvereinbarung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) verstoßen.

Dagegen erhob der anwaltlich vertretene Kläger am 29. September 2015 Widerspruch. Diesen begründete er mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 dahingehend, dass er nicht gegen seine Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung verstoßen habe. Ihm könne nicht vorgeworfen werden, eine zumutbar Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen zu haben. Die Belehrung habe sich nur auf die Verpflichtung zur Aufnahme einer Beschäftigung, zur Verpflichtung von Bewerbungen und zum Nachweis von Eigenbemühungen sowie zur Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit bezogen. Eine Belehrung hinsichtlich einer Eingliederungsmaßnahme sei nicht erfolgt. Die Pflicht zur Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme sei in der Eingliederungsvereinbarung gerade nicht geregelt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 (W 20253/15) wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beklagte berief sich nicht mehr auf die Verletzung einer Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung, sondern darauf dass der Kläger eine im Einvernehmen vorgeschaltete Probearbeit eigenständig ohne wichtigen Grund abgebrochen habe. Bei positivem Verlauf der Maßnahme und Feststellung der Eignung sei ein anschließendes Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber vorgesehen gewesen. Es erscheine nicht nachvollziehbar, dass der Kläger eine vorgeschaltete Probearbeitszeit absolviert, ohne konkret zu wissen, wie sich das daran anschließende Arbeitsverhältnis ausgestalten werde, insbesondere im Hinblick auf die Entlohnung. Der Kläger sei auf die möglichen Rechtsfolgen hingewiesen worden.

Gegen den Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 hat der Kläger am 23. März 2016 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben.

In der Eingliederungsvereinbarung sei er nur zur Teilnahme an einer Maßnahme zu Verschönerungsarbeiten verpflichtet worden. Von der Arbeitgeberin sei ihm eine Beschäftigung nicht angeboten worden. Er habe zur Probe gearbeitet. In der Eingliederungsvereinbarung sei nicht die Pflicht festgelegt worden, unbezahlte Probearbeit zu leisten. Er sei auch nicht darüber belehrt worden, dass ihm bei einem Abbruch der Probearbeit eine Sanktion drohe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner Entscheidung im Verwaltungsverfahren fest. Neue rechtserhebliche Gründe seien nicht vorgetragen worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und den Akteninhalt verwiesen.

Der Beklagte hat trotz Anforderung durch das Gericht die Nachweise über den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses oder eine Maßnahme bei einem Arbeitgeber (MAG) und die Teilnahme des Klägers daran nicht vorlegen können. Das Gericht hat im Nachgang zu einer vertagten mündlichen Verhandlung vom 5. April 2019 Auskunft bei der Firma E., der Rechtsnachfolgerin der Arbeitgeberin, mit Einverständnis des Klägers über die Art der Tätigkeit und deren Anforderungen eingeholt. Diese hat mit Schreiben vom 18. April 2019 dem Gericht mitgeteilt, dass sie Auskunft nicht erteilen könne, da der Kläger nicht bekannt sei und auch zu keiner Zeit tätig gewesen war.

Die Beteiligten haben schriftlich ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Die Gerichtsakte und der beigezogene Verwaltungsvorgang der Beklagten (Blatt 1 bis 577 der Leistungsakte sowie Blatt 1 bis 261 der Eingliederungsakte) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

I.

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG.

1.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 (W 20253/15). Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage. Die ursprünglichen Leistungsbewilligungsentscheidungen mit Bescheid vom 22. Mai 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Juni und vom 25. September 2015 für den Monat Oktober 2015 sowie mit Bescheid vom 2. November 2015 für die Zeit vom 1. November bis zum 30. April 2016 leben nach Aufhebung der Absenkungsentscheidung wieder auf. Insoweit sind die Leistungsbewilligungsbescheide ebenfalls streitgegenständlich, weil der Absenkungsbescheid mit den parallel die geminderten Beträge berücksichtigenden Leistungsbescheiden eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids zur Anspruchshöhe in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum darstellt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 68/09 R; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Mai 2015 - L 7 AS 1059/13; S.Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 31b Rn. 8). Dies gilt auch, wenn die Absenkung für einen Zeitraum eintritt, der teilweise bereits Gegenstand eines vorherigen Bewilligungsbescheids ist und teilweise Gegenstand eines neuen erstmaligen Bewilligungsbescheids wird. In diesem Fall besteht die rechtliche Einheit zwischen dem Absenkungsbescheid, der (Teil)aufhebungsentscheidung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz) bzgl. eines bereits vorher bewilligten Zeitraums und der (Neu)leistungsbewilligung unter Berücksichtigung des Minderungsbetrags. Gesonderte Widerspruchs- und Klageverfahren gegen die Leistungsentscheidungen und die nachfolgenden Änderungsbescheide waren daher nicht erforderlich. Das Gericht hatte über den Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 zu entscheiden. Die Minderung betrug monatlich 108,00 Euro.

2.

Der Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

a)

Die Rechtsgrundlage, auf die sich die Entscheidung über die Minderung der Leistung vom 2. September 2015 stützt, hat der Beklagte im Widerspruchsverfahren ausgetauscht. Da der Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 den Bescheid vom 2. September 2015 gestaltet, ist dieser maßgebend. Insoweit war die Anhörung mit Schreiben vom 10. Juli 2015 zwar durchgeführt aber in seiner Begründung (folgenlos) unvollständig. Der Kläger hatte im Widerspruchsverfahren Gelegenheit zu weiterem Vortrag.

b)

Der Kläger hat keine Pflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II verletzt.

Eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung liegt vor, wenn sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (Nummer 1), eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern (Nummer 2) oder eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben (Nummer 3). Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

Der Kläger hat deshalb nicht gegen die Pflichten in der am 13. Mai 2015 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung verstoßen, weil diese sich ausdrücklich auf eine Maßnahme "Verschönerungsarbeiten" bezieht. Die Pflicht zur Aufnahme anderer Tätigkeiten enthält die Eingliederungsvereinbarung nicht ausdrücklich. Diese Pflicht ergibt sich vielmehr allgemein für jeden Leistungsberechtigten im Sinne des Grundsatzes "Fördern und Fordern" nach § 2 SGB II. Eine Sanktionierung kann nach den Vorgaben des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB II erfolgen.

c)

Es liegt auch kein Verstoß nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II vor.

Ausweislich des Vermittlungsvorschlages vom 11. Juni 2015 hat die Arbeitgeberin eine Arbeitsstelle "Textilreiniger" zu 40 Stunden pro Woche angeboten. Dabei handelt es sich nicht um eine Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Die Ausübung eines unentgeltlichen Praktikums oder eine Probearbeitszeitist ebenfalls nicht von der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II erfasst. Diese meint allein Maßnahmen zur Eingliederung in anderen Beschäftigungsverhältnisse oder Praktika bzw. Probearbeitszeiten.

d)

Der Kläger hat keinen Pflichtverstoß nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II begangen.

aa)

Ein unentgeltliches Praktikum fällt grundsätzlich nicht unter die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II (vgl. LSG Niedersachsen, Beschluss vom 12. Januar 2012 - L 7 AS 242/10 B). Zum einen ist ein Praktikum bzw. eine Probearbeitszeit nicht vom Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst. Zum anderen ist ein Praktikum, gerade wenn es unentgeltlich ist, grundsätzlich keine durch Einkommen bedarfsdeckende Arbeit im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II und § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch ((Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV); vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, § 31, Rn. 94).

bb)

Ausnahmsweise kann eine (vorgeschaltete) Probezeit den Begriff "Arbeit" bzw. "Beschäftigung" erfüllen.

Bei der Auslegung dieses Begriffs ist im Hinblick auf die auf die Einheitlichkeit der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen. Insoweit hat der Gesetzgeber in § 7 SGB IV den Begriff der Beschäftigung legaldefiniert. Diese Definition kann auch für die steuerfinanzierten Leistungen nach dem SGB II herangezogen werden. Denn eine Tätigkeit, die einerseits dem Versicherungsschutz unterliegt, kann andererseits auch den Sanktionsvorschriften nach § 31 Abs. 1 SGB II zugeordnet werden. Vorranging verbleibt es jedoch bei dem Begriff Arbeit im Sinne des SGB II grundsätzlich bei einer durch Einkommen den Bedarf deckenden abhängigen oder selbständigen Tätigkeit. Jedoch kann durch die Weigerung oder den Abbruch einer Probearbeitszeit ein sich vorgesehenes anschließendes Arbeitsverhältnis verhindert werden.

Nach § 7 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine Beschäftigung liegt daher immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht. Sie kann aber auch ohne Arbeitsverhältnis gegeben sein, wenn sich der Leistungsberechtigte in ein fremdes Unternehmen eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Verrichtung unterordnet (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R; Urteil vom 14. November 2013 - B 2 U 15/12 R). Dabei kommt es auf die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse an.

Eine versicherte Beschäftigung liegt nach den Kriterien der § 7 SGB IV auch bei einer unentgeltlichen Probearbeit zumindest dann vor, wenn objektiv die zu dieser Zeit und an diesem Ort notwendige Arbeit verrichtet wird und der Unternehmer diesbezüglich ein konkludent vereinbartes Weisungsrecht hat (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. Dezember 2017 - L 6 U 82/15, anhängig beim BSG zum Aktenzeichen B 2 U 1/18 R).

An die Annahme, dass ausnahmsweise auch eine unentgeltliche Tätigkeit unter § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II fällt, sind strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss eine entgeltliche Beschäftigung konkret in Aussicht stehen. Sie muss als Einstellungsbedingung für eine zumutbare Arbeit vereinbart sein und sie darf allenfalls wenige Tage umfassen. Die Tätigkeit im Rahmen der Probearbeit muss dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen. Dies setzt jedoch für die Nachweisbarkeit und Dokumentation zwingend eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Arbeitgeber voraus. Daraus muss erkennbar sein, dass das Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Praktikums im Sinne einer Probezeit im Sinne einer Eignungsfeststellung gegebenenfalls bei positivem Eindruck fortgesetzt wird. Eine ordentliche Aktenführung und Dokumentation des Sachverhalts durch den Leistungsträger ist hier unerlässlich (vgl. Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, juris-Praxiskommentar, Stand: 24. Januar 2019, § 31, Rn. 64).

cc)

Hier fehlt es an der erforderlichen Dokumentation.

Das Gericht konnte nicht aufklären, auf welche Art der Tätigkeit sich die Pflichtverletzung im Sinne von § 31 Abs. 1 SGB II beziehen soll. Zwar hat der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 sein Unverständnis über die Vereinbarung einer vorgeschalteten Probezeit zum Ausdruck gebracht. Dass eine solche Probezeit vereinbart wurde, ist hier jedoch nicht nachgewiesen. Es bleibt unklar, ob der Kläger tatsächlich ein vorbereitendes Praktikum oder eine andere Tätigkeit bei der Arbeitgeberin ausgeübt hat. Aus dem Verwaltungsvorgang ist hierzu nichts zu entnehmen. In dem Vermittlungsvorschlag vom 11. Juni 2015 ist ein Praktikum oder eine Probezeit nicht erwähnt. Weder hat der Kläger noch der Beklagte noch die Arbeitgeberin eine schriftliche Vereinbarung über die Arbeitsbedingungen vorlegen können. In dem Verwaltungsvorgang ist lediglich der Vermittlungsvorschlag vom 11. Juni 2015 für eine Tätigkeit bei der Arbeitgeberin einschließlich einer Rechtsfolgebelehrung enthalten. Eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Beklagten und der Arbeitgeberin über die Durchführung einer Arbeitsgelegenheit kann dem Verwaltungsvorgang nicht entnommen werden. Darüber hinaus fehlt es an einer vom Kläger und der Arbeitgeberin unterzeichneten Vereinbarung über ein Arbeitsverhältnis oder die Anwesenheitszeiten. Das in dem Vermerk vom 9. Juli 2015 enthaltene Wort "Eignungsfeststellung" genügt zum Nachweis nicht. Zu eventuellen mündlichen Absprachen hat keiner der Beteiligten etwas vorgetragen.

dd)

Selbst wenn der Kläger kein Praktikum oder Probearbeitsverhältnis, sondern von Anfang an eine Arbeit im Sinne des § 7 SGB IV ausgeübt hat, ist die Minderung der Leistungen nicht auf § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zu stützen.

Die Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zunächst fehlt es an dem Nachweis der Zumutbarkeit der Arbeit. Dem Vermittlungsvorschlag vom 11. Juni 2015 sind die Anforderungen an die Tätigkeit nicht zu entnehmen. Es ergibt sich weder wie das Zwei-Schicht-System umgesetzt werden soll noch welche körperlichen und geistigen Anforderungen die Arbeitgeberin an den Kläger gestellt hat.

Erst der Vergleich zwischen dem Anforderungsprofil einerseits und den Fähigkeiten bzw. der Eignung des Leistungsberechtigten andererseits lässt die Prüfung der Zumutbarkeit der Tätigkeit zu. Für die Frage der Zumutbarkeit einer Arbeitsgelegenheit oder Maßnahme trägt der Beklagte die objektive Beweislast. Insoweit war der Verwaltungsvorgang des Beklagten unvollständig dokumentiert. Auch die weiteren Ermittlungen durch das Gericht im Wege einer Befragung der Arbeitgeberin sind erfolglos geblieben. Die Arbeitgeberin ist von der Firma E. übernommen worden. Diese hat in ihrem Schreiben vom 18. April 2019 keine Angaben zu dem damaligen Vermittlungsvorschlag des Beklagten vom 11. Juni 2015 machen können.

Ob der Kläger die Aufnahme oder Fortführung der Tätigkeit im Sinne des § 31 SGB II verweigert hat, kann dahin stehen. Schließlich ist nicht nachgewiesen, dass zum einen der Kläger ein Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin eingegangen ist. Zum anderen hat der Beklagte keine Dokumentation geführt, seit wann und für welche Tage, der Kläger bei der Arbeitgeberin erschienen war. Die durch das Gericht angeforderten Anwesenheitsnachweise haben weder der Beklagte noch die Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsnachfolgerin im gerichtlichen Verfahren vorlegen können.

e)

Aufgrund der formellen Fehler der Absenkungsentscheidung mit streitgegenständlichem Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 (fehlender Nachweis über die Anforderungen an die Tätigkeit oder den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses) waren keine weiteren Ermittlungen erforderlich. Insbesondere konnte von der Befragung des Klägers abgesehen werden. Auf die Richtigkeit der Rechtsfolgenbelehrung kam es nicht an. Jedenfalls hat der Beklagte ordnungsgemäß auf die Möglichkeit ergänzender Sachleistungen hingewiesen, weil minderjährige Kinder im Haushalt leben.

Der Beklagte hat die Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 in Höhe von monatlich 108,00 Euro an den Kläger nachzuzahlen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

III.

Die Berufung ist nicht zulässig. Der Berufungswert von 750,00 Euro wird nicht erreicht, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Berufung war auch nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Streitentscheidend war nicht, ob ein Probearbeitsverhältnis nach § 31 SGB II sanktionierbar ist, sondern die fehlende Dokumentation über die Art der Tätigkeit und einer zu prüfenden Zumutbarkeit.
Rechtskraft
Aus
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