L 2 AS 291/17 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 3760/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 291/17 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. März 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. März 2017. Mit diesem Urteil hat das Sozialgericht dem Kläger die beantragten Leistungen aus dem sog. Schulbedarfspaket in Höhe von 70 EUR zugesprochen.

In der Sache ging es um die Ansprüche des Klägers auf Leistungen zur Bildung und Teilhabe gemäß § 28 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im 1. Schulhalbjahr 2015/2016.

Der im Dezember 2001 geborene Kläger lebte zunächst zusammen mit seiner Mutter, einer Schwester und einer weiteren Schwester (mit dieser in temporärer Bedarfsgemeinschaft) in H ... Er bezog wie die weiteren Mitglieder der Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ab dem 21. Januar 2015 erhielt er Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) in Form einer Heimerziehung/sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 34 SGB VIII in T ... Während der Gewährung der Hilfe wurde der Kläger ab März 2015 mehrfach für Besuche bei seiner Mutter beurlaubt, dabei unter anderem vom 8. bis zum 13. sowie vom 19. bis zum 23. August 2015. Am 23. August 2015 endete die Heimerziehung und der Kläger zog wieder zu seiner Familie.

Der Beklagte nahm aufgrund der Einreichung einer Schulbesuchsbescheinigung durch die Schule "A. F." in H. Bezug auf einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom 1. März 2015, aufgrund dessen den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft der Mutter, der Schwester und – in temporärer Bedarfsgemeinschaft mit diesen – der weiteren Schwester Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. März bis zum 31. August 2015 bewilligt worden waren. Er lehnte mit Bescheid vom 28. August 2015 die Bewilligung von Leistungen nach § 28 Abs. 3 SGB II in Form der ersten Rate für das Schulbedarfspaket ab, weil der Kläger am 1. August 2015 nicht zur Bedarfsgemeinschaft seiner Mutter gehört habe. Gegen diesen Bescheid legte die Mutter des Klägers Widerspruch ein: Die Leistungen seien zu bewilligen, weil der Antrag auf den ersten des Monats zurückwirke und damit das Schulgeld zu zahlen sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2015 zurück.

Am 27. August 2015 erhielt der Beklagte eine Liste mit den Daten der Beurlaubung des Klägers und bewilligte diesem mit Änderungsbescheid vom 7. September 2015 für die Zeiten des Aufenthalts bei seiner Mutter Leistungen nach dem SGB II als Mitglied einer sog. temporären Bedarfsgemeinschaft. Für den Kläger beliefen sich die für die Zeiten vom 9. bis zum 13. und vom 20. bis zum 23. August 2015 bewilligten Leistungen auf 108,26 EUR. Bedarfe nach § 28 Abs. 3 SGB II waren weiterhin nicht berücksichtigt.

Gegen die Ablehnung der Bewilligung von Leistungen für das sog. Schulbedarfspaket haben der Kläger und seine Mutter am 2. November 2015 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben und neben der Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 28. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2015 die Zahlung eines Betrags von 70 EUR beantragt.

Mit Urteil vom 16. März 2017 hat das Sozialgericht Halle mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung der Klage des Klägers stattgegeben: Der Kläger habe Anspruch auf die beantragten Leistungen. Ein Antrag seiner Mutter vom 3. August 2015 habe auf den ersten des Monats zurückgewirkt. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass der Kläger am 1. August 2015 nicht der Bedarfsgemeinschaft seiner Mutter angehört habe. § 28 Abs. 3 SGB II sei nicht als Stichtagsregelung zu verstehen. Das führe nämlich dazu, dass Schulkindern, die erst nach dem 1. August beziehungsweise 1. Februar bedürftig würden (etwa weil bis dahin sämtliche Bedarfe über eine Heimunterbringung gedeckt gewesen seien), für den Rest des Schuljahrs eine Bedarfsunterdeckung erleiden müssten. Im Zuge der Neuregelung zur Ermittlung des Regelbedarfs für Kinder sei das nicht hinzunehmen. Mit der Einführung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe seien nämlich im Regelbedarf nur noch geringe Beträge aus der Abteilung "Bildungswesen" berücksichtigt, die keinesfalls den Bedarf an Schreibgeräten, Blöcken etc. decken könnten, der in einem Schuljahr anfalle. Im Fall des Klägers komme eine anteilige Berücksichtigung des Bedarfs nur für die Zeit ab der erneuten (Voll-)Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft der Mutter nicht in Betracht. Der Unterricht habe nämlich erst am 27. August 2018 und damit nach dem Wiedereinzug am 21. August 2015 begonnen. Die Berufung gegen sein Urteil hat das Sozialgericht Halle nicht zugelassen.

Der Beklagte hat gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 27. März 2017 zugestellte Entscheidung hinsichtlich der Nichtzulassung der Berufung am 24. April 2017 Beschwerde eingelegt. Es sei zu klären, (1) ob die Anspruchsberechtigung nach § 28 Abs. 3 SGB II voraussetze, dass der Antragsteller zum 1. August eines jeden Jahres dauerhaft im Leistungsbezug nach dem SGB II stehe, (2) ob es für eine die Anspruchsberechtigung nach § 28 Abs. 3 SGB II genüge, dass der Antragsteller zum 1. August zumindest temporär gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II dem Leistungssystem des SGB II zuzuordnen sei und (3) ob auch derjenige Anspruch auf Leistungen nach § 28 Abs. 3 SGB II habe, der zum 1. August weder dauerhaft noch temporär im Leistungsbezug nach dem SGB II stehe und dessen Leistungsberechtigung gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II – dauerhaft oder temporär – erst im Laufe des Monats August eintrete.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. März 2017 zuzulassen.

Die Kläger haben sich weder zur Sache geäußert, noch auf die Frage der Berichterstatterin geantwortet, ob er während des Heimaufenthalts existenzsichernde Leistungen erhalten hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und ihr Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Darauf, ob das Sozialgericht Halle zu Recht die Berufung gegen sein Urteil vom 16. März 2017 nicht zugelassen hat, kommt es nicht an. Jedenfalls wegen der ab dem 1. August 2016 geltenden Rechtslage durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBL I S. 1824 ff.), bekräftigt durch das zum 1. August 2019 in Kraft getretene Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (StaFamG) vom 29. April 2019 (BGBl I, 530 ff.) liegt keiner der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vor.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750,01 EUR nicht erreicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Der Beklagte ist nur zur Zahlung von 70 EUR verurteilt worden und der Kläger ist durch die Entscheidung des Sozialgerichts Halle nicht beschwert. Die Beteiligten streiten auch nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer bisher nicht geklärten, aber klärungsbedürftigen und -fähigen Rechtsfrage abhängt, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie für den zu entscheidenden Fall erheblich ist.

Vorliegend stellt sich eine Rechtsfrage mit Klärungsbedürftigkeit nicht. Soweit der Beklagte drei Fragen formuliert hat, die jeweils eine Rechtsfrage im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG darstellen sollen, ist die Frage (2) schon nicht klärungsfähig. Denn der Kläger bildete mit seiner Mutter am 1. August 2015 keine Bedarfsgemeinschaft, auch nicht temporär.

Die Frage (1) war von Beginn an nicht klärungsbedürftig, weil es für den pauschalierten Schulbedarf gemäß § 28 Abs. 3 SGB II auf die Dauerhaftigkeit eines Leistungsbezugs nach dem SGB II zum 1. August eines jeden Jahres nicht ankommt. Das gilt auch, soweit die Norm im verfahrensgegenständlichen Monat August 2015 lediglich lautete: "Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt.". Das Anspruchsmerkmal eines "dauerhaften" Leistungsbezugs ist in dieser Vorschrift nicht erwähnt. Das Abstellen auf den Jahresturnus bezieht sich allein auf das Schulbesuchsjahr selbst und macht deutlich, dass der Bedarf nicht einmalig bei der Aufnahme des Schulbesuchs, sondern in jedem Jahr anfällt. Maßgeblich ist allein die erforderliche Deckung eines – wenn auch pauschalierten – Bedarfs wegen des Besuchs einer Schule. Im Übrigen hat das Bundessozialgericht wegen eines Bedarfes für die Beschaffung von Schulbüchern im Streitjahr 2013 sogar ausgeführt, dieser sei auch dann zu decken, wenn er erstmals gegen Ende des Schulbesuchs einmalig geltend gemacht werde, etwa weil zuvor keine Hilfebedürftigkeit bestanden habe (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 13/18 R - juris, Rn. 29). Auch dies verdeutlicht, dass wegen der im Zusammenhang mit einem Schulbesuch anfallenden Bedarfe maßgeblich auf die noch erforderliche Bedarfsdeckung abzustellen ist. Da gilt jedenfalls, wenn – wie hier – keine weiteren ausdrücklichen Anforderungen an die Leistungserbringung gestellt werden (vgl. aber § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Schließlich kommt der Frage (3) keine Klärungsbedürftigkeit zu.

Das gilt schon wegen der zwischenzeitlich mehrfachen Neufassung des § 28

Abs. 3 SGB II. Nach der Neuregelung des § 28 SGB II zum 1. August 2016 lautete dessen Absatz 3: "Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt. Abweichend von Satz 1 werden bei Schülerinnen und Schülern, die im jeweiligen Schuljahr nach den in Satz 1 genannten Stichtagen erstmalig oder aufgrund einer Unterbrechung ihres Schulbesuches erneut in eine Schule aufgenommen werden, für den Monat, in dem der erste Schultag liegt, 70 Euro berücksichtigt, wenn dieser Tag in den Zeitraum von August bis Januar des Schuljahres fällt, oder 100 Euro berücksichtigt, wenn dieser Tag in den Zeitraum von Februar bis Juli des Schuljahres fällt.". Damit ist klar, dass der 1. Februar und der 1. August eines jeden Jahres allein Zahlungsstichtage und nicht Anspruchsstichtage sind, was auch zuvor schon durch die Verwendung der Präposition "zum" deutlich war (vgl. auch die Verwendung des Begriffs: "Auszahlungszeitpunkt" im Entwurf des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks. 17/3404, S. 104). Weil bei einem späteren Schuljahresbeginn (beispielsweise im September) der Bedarf in voller Höhe für den Monat des späteren Beginns zu berücksichtigen ist, wird ebenso deutlich, dass die Leistungen pauschaliert – also ohne Abschläge – und in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Bedarfsentstehung erfolgen sollen. Von diesem Grundkonzept der pauschalierten Bedarfsdeckung ist der Gesetzgeber auch durch das StaFamG nicht mehr abgewichen und hat die Bedarfslagen noch klarer formuliert: Bedarfe werden für die Monat anerkannt, in dem der erste Schultag eines Schuljahres liegt und in dem das zweite Schuljahr eines Schuljahres beginnt, regelmäßig zum 1. August und 1. Februar. Erst bei Bedarfsverschiebungen auf einen anderen Monat wegen der späteren Erstaufnahme oder der Wiederaufnahme nach Unterbrechung verschiebt sich der Zahlungsmonat, ohne dass sich die pauschalierte Leistung verringert (§ 28 Abs. 3 SGB II in Verbindung mit § 34 Abs. 3 SGB XII). Auch hier bleibt klar, dass es um die Deckung der Bedarfe wegen des Besuchs einer Schule geht.

Im Übrigen hat auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 8. Mai 2019

(B 14 AS 13/18 R) für Ansprüche im Zusammenhang mit dem Besuch einer Schule das Ziel der noch erforderlichen Bedarfsdeckung hervorgehoben.

Anhaltspunkte für eine Divergenz des Urteils des Sozialgerichts Halle zu Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Satz 2 SGG genannten Gerichte gibt es nicht. Einen Verfahrensfehler gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG hat der Beklagte schon nicht geltend gemacht.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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