S 29 AS 3154/19 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 3154/19 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ergibt, haben Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Sie sind auch erwerbsfähig im Sinne des SGB II, solange ihre Aufenthaltserlaubnis die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt. Soweit zwischen Jobcenter und Sozialamt Streit darüber besteht, ob ein Antragsteller erwerbsfähig ist, wird die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bis zu einer Entscheidung der zuständigen Agentur für Arbeit fingiert, so dass zunächst das Jobcenter der zuständige Leistungsträger ist (vorläufige Leistungsgewährung durch Jobcenter an krebskranke Ausländerin).
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 01.11.2019 bis zum 10.01.2020 - längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 424,00 EUR monatlich zu zahlen.
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab 01. November 2019 vom Antragsgegner.

Die 1975 geborene Antragstellerin irakischer Staatsangehörigkeit ist ledig. Sie wohnt mietfrei zur Untermiete bei ihrem Bruder Dr. A. H. M ... in der Wohnung N. in D ... Sie verfügt über eine bis zum 10.01.2020 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG. Die Antragstellerin verfügt über ein Konto bei der D. Bank, auf dem sich Stand 17.10.2019 2.187,97 EUR befinden. Die Antragstellerin hat bisher noch keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezogen.

Die Antragstellerin reiste 2014 mit einem gültigen Visum zum Zwecke des Studiums an der TU I. in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich noch am gleichen Tag bei der zuständigen Meldebehörde, der Stadtverwaltung I. , amtlich auf die Wohnanschrift B ...-Str. in I. an. Das Studium wurde von den Eltern finanziert, die Antragstellerin verfügte zudem über eine private Reisekrankenversicherung für ausländische Studenten bei der M ... GmbH, die zum 31.10.2019 ausläuft und nicht mehr verlängert werden kann. 2018 hat die Antragstellerin das Studium erfolgreich abgeschlossen. Ihr wurde daraufhin 2018 eine bis zum 10.01.2020 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG erteilt zur Suche einer angemessenen Erwerbstätigkeit, gleichzeitig ist der Antragstellerin für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis die Erwerbstätigkeit gestattet. Die Antragstellerin hat seit ihrer Einreise 2014 die Bundesrepublik Deutschland lediglich für Besuche in ihrem Heimatland vom 12.03-30.03.2015, vom 05.04.-18.04.2016, vom 09.12.-30.12.2016 und vom 20.10.-16.11.2018 verlassen.

Die Antragstellerin ist nunmehr an Brustkrebs erkrankt. Sie wird in der Uniklinik D ... behandelt, vorgesehen sind derzeit Chemotherapie bis etwa Februar 2020, eine Operation im März 2020 sowie anschließend eine Strahlentherapie von April bis Mai 2020. Die Antragstellerin hat am 04.10.2020 mit der Chemotherapie begonnen, die Behandlung muss laut der behandelnden Ärztin durchgehend und ohne Unterbrechung erfolgen. Da die Antragstellerin keine neue Krankenversicherung fand, beantragte sie am 23.09.2019 bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Gleichzeitig wandte sie sich am 24.10.2019 an die Beigeladene und stellte bei dieser einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 08.10.2019 lehnte der Antragsgegner die Leistungen nach dem SGB II ab, dagegen hat die Antragstellerin am 22.10.2019 Widerspruch erhoben. Mit Schreiben vom 22.10.2019 teilte die Beigeladene mit, dass die Zuständigkeit bis zu einer Bestätigung der vollen Erwerbsminderung bei dem Antragsgegner liege. Die Antragstellerin wandte sich daraufhin am 23.10.2019 an das Sozialgericht Dresden und suchte um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach.

Die Antragstellerin hat eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, nach der ihre Eltern ihr nicht mehr wie bisher Geld überweisen können, da sie ihr alles gegeben hätten, über Einkommen verfüge sie nicht. Sie gibt an, dass sie sich ohne die beantragten Leistungen in einer existentiellen Notlage befände, ihre Krebserkrankung verhindere im Moment eine weitere Arbeitsplatzsuche, ihre Behandlung müsse sofort und ohne Unterbrechung erfolgen, um ihr eine Chance auf Heilung zu geben. Weiterhin geht sie davon aus, als erwerbsfähig zu gelten, bis das Gegenteil durch die Agentur für Arbeit festgestellt sei.

Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in Höhe von 424,00 EUR ab dem 01.11.2019 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen.

Er geht davon aus, dass ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b) SGB II für die Antragstellerin vorliegt und dass diese nicht erwerbsfähig ist.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 24.10.2019 gem. § 75 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 SGG die Landeshauptstadt Dresden notwendig beigeladen, da diese ebenfalls als Leistungsträger in Betracht kommt.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie geht jedoch davon aus, gem. § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II nicht zuständig zu sein, solange nicht durch die Agentur für Arbeit festgestellt wird, dass die Antragstellerin nicht erwerbsfähig ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners sowie der Beigeladenen verwiesen, die der Vorsitzenden bei Beschlussfassung vorlagen.

II.

Dem zulässigen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war wie tenoriert stattzugeben.

1. Es handelt sich inhaltlich um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu zahlen. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG lautet: "Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint."

2. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es der Antragsstellerin nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGE 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa Landesozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B und Beschluss vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

3. Nach vorgenannten Maßgaben war dem zulässigen Antrag stattzugeben, da die Güter- und Folgeabwägung zugunsten der Antragstellerin ausfällt.

a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Sie hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass sie zumindest derzeit über keine ausreichenden Barmittel mehr verfügt, um ihren notwendigen Lebensunterhalt nebst der Kosten der Krankenhausbehandlung bestreiten zu können. Auf ihrem Konto befinden sich mit Stand 17.10.2019 nur noch 2.187,97 EUR. Die Klägerin hat glaubhaft eidesstattlich versichert, keine weiteren Zahlungen mehr von ihren Eltern erhalten zu können und nicht über eigenes Einkommen zu verfügen. Aus den vorliegenden Kontoauszügen ergeben sich auch, mit Ausnahme einer Überweisung des Bruders der Klägerin, der eine Überweisung der Klägerin an den Bruder in gleicher Höhe vorausging, keinerlei Einnahmen. Die vorhandenen Barmittel reichen offensichtlich nicht aus, um die bereits begonnene Krebstherapie der Antragstellerin an der Uniklinik D ... zu finanzieren und gleichzeitig den Lebensunterhalt der Antragstellerin sicherzustellen. Da die bereits begonnene Krebstherapie nach den vorliegenden Unterlagen der Uniklinik D ... unmittelbar und unterbrechungsfrei durchgeführt werden muss, um der Antragstellerin eine Chance auf Heilung zu eröffnen, ist es der Antragstellerin auch nicht zumutbar, zunächst die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Aus gleichem Grund scheidet auch eine Verweisung der Antragstellerin auf eine, ihr jederzeit mögliche Ausreise in den Irak und die Aufnahme einer Behandlung in ihrem Heimatland aus.

b) Ob und in welcher Höhe der Antragstellerin für den vorliegenden Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zustehen, lässt sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend feststellen.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II ist, wer erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II und hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat, sowie keinen der Ausschlusstatbestände des § 7 erfüllt.

(1) Ein Ausschlusstatbestand, insbesondere nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) oder b) SGB II liegt hier nicht vor.

Die Antragstellerin verfügt über einen bis zum 10.01.2020 gültigen Aufenthaltstitel nach § 16 Abs. 5 AufenthG. Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich zwar damit allein aus dem Zweck der Arbeitssuche, so dass ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II in Betracht käme. Dieser greift jedoch gem. der Rückausnahme in § 7 Abs. 1 S. 4 und S. 5 SGB II nicht ein. Die Antragstellerin hat ausweislich der vorgelegten Meldebestätigung ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit 2014, mithin seit etwas mehr als 5 Jahren, im Bundesgebiet. Die kurzen Heimatbesuche, die mittels der Stempel im Reisepass glaubhaft gemacht wurden, sind für die Berechnung dieser Frist auch unschädlich (vgl. Eicher/Luik-G. Becker, SGB II, § 7 Rn. 54).

(2) Die Antragstellerin gilt als erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II.

Zunächst ist sie erwerbsfähig gem. § 8 Abs. 2 SGB II, da sie über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, die ihr die Aufnahme einer Beschäftigung ausdrücklich erlaubt.

Sie gilt auch als erwerbsfähig gem. § 8 Abs. 1 SGB II, da ihre Erwerbsunfähigkeit noch nicht gem. § 44a SGB II von der Agentur für Arbeit festgestellt wurde. Zwar bestehen Zweifel, ob die Antragstellerin aufgrund ihrer Erkrankung und den geplanten Behandlungsschritten innerhalb der nächsten 6 Monate in der Lage sein wird, einer Beschäftigung von mehr als 3 Stunden täglich nachzugehen. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens können diese Zweifel jedoch nicht aufgeklärt werden. Nachdem hier der Antragsgegner die Antragstellerin nicht für erwerbsfähig, die Beigeladene die Antragstellerin jedoch für erwerbsfähig hält, wird gem. § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II (sog. Nahtlosigkeitsregel) die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin bis zu einer Entscheidung der Agentur für Arbeit fingiert (vgl. Eicher/Luik-Blüggel, SGB II, § 44a Rn. 62-66).

(3) Ob die Antragstellerin hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II ist, lässt sich im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend aufklären.

Die Antragstellerin hat mit ihrer eidesstattlichen Versicherung und den vorgelegten Kontoauszügen glaubhaft gemacht, selbst nicht über ausreichendes Vermögen oder über Einkommen zur Deckung ihres Lebensunterhaltes zu verfügen. Insbesondere kann sie auch die Kosten ihrer Krankenhausbehandlung aktuell nicht selbst decken, der Abschluss einer Krankenversicherung auf dem freien Markt war ihr aufgrund ihrer bestehenden Krebserkrankung auch ausweislich der in der Verwaltungsakte der Beigeladenen befindlichen Absageschreiben privater Krankenversicherer nicht möglich.

Die Antragstellerin hat mit ihrer eidesstattlichen Versicherung und den vorgelegten Kontoauszügen auch glaubhaft gemacht, keine Leistungen mehr von ihren Eltern erhalten zu können.

Nicht geklärt werden konnte im vorliegenden Eilverfahren, ob die Antragstellerin möglicherweise deswegen gem. § 9 Abs. 5 SGB II nicht hilfebedürftig ist, weil sie mit ihrem Bruder Dr. A. H. M ... in einer Haushaltsgemeinschaft lebt und von diesem nach seinem Einkommen und Vermögen Unterhaltsleistungen erhält oder dies vermutet werden kann. Die Beweislast für das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft, d.h. das "Wirtschaften aus einem Topf", läge bei dem Antragsgegner (vgl. Eicher/Luik-Mecke, SGB II, § 9 Rn. 86-88), dieser hat bisher den Beweis nicht erbracht. Das Gericht konnte aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens auch nicht aufklären, ob der Bruder der Antragstellerin dieser über die Gewährung einer Unterkunft hinaus weitere Leistungen erbringt und/oder, ob er dazu finanziell in der Lage wäre im Sinne von § 1 Abs. 2 ALG II-V. Insbesondere aufgrund der hohen Kosten, die für die Krebsbehandlung der Antragstellerin anfallen werden, hat das Gericht zumindest erhebliche Zweifel daran, dass die Kosten von dem Bruder der Antragstellerin aufgebracht werden können. Die genaue Aufklärung muss aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden.

c) Im Ergebnis waren daher die Interessen der Antragstellerin am Erhalt der vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit den Interessen des Antragsgegners an einer anspruchsgerechten, sparsamen Verwaltung steuerfinanzierter Sozialleistungen abzuwägen. Diese Abwägung fällt aufgrund der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung durch die vollständige Nichtgewährung von Leistungen zugunsten der Antragstellerin aus, der es nicht zugemutet werden kann, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ohne jegliche Leistungen auszukommen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die bereits begonnene Krebstherapie der Antragstellerin nach den vorliegenden Unterlagen der Uniklinik D ... unmittelbar und unterbrechungsfrei durchgeführt werden muss, um der Antragstellerin eine Chance auf Heilung zu eröffnen. Da die Antragstellerin bei der Nichtgewährung der beantragten Leistungen die begonnene Krebstherapie abbrechen und diese ggf. mit erheblicher zeitlicher Unterbrechung in ihrem Heimatland fortsetzen müsste, wodurch der Behandlungserfolg erheblich gefährdet werden würde, überwiegt ihr Interesse am Erhalt der vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes die Interessen des Antragsgegners an einer anspruchsgerechten, sparsamen Verwaltung steuerfinanzierter Sozialleistungen.

4. In Anbetracht der noch vorzunehmenden Ermittlungen und der Tatsache, dass die Antragstellerin momentan nur bis zum 10.01.2020 über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, die ihr die Erwerbstätigkeit gestattet, sie mithin momentan nur bis zum 10.01.2020 die Anspruchsvoraussetzung des § 8 Abs. 2 SGB II erfüllt, hat das Gericht den Zeitraum der Anordnung unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Ermessens (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller, SGG, 12. Auflage, § 86 b Rn. 30) auf den Zeitraum 01.11.2019 bis 10.01.2020 beschränkt. In diesem Zeitraum wird es aller Voraussicht nach möglich sein, die im Hauptsacheverfahren noch vorzunehmen Ermittlungen durchzuführen und den weiteren Aufenthaltsstatus der Antragstellerin zu klären.

Die Höhe der vorläufigen Leistungen hat das Gericht nach §§ 19, 20 SGB II bemessen. Auszugehen war daher von einem Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 424 EUR monatlich.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und folgt der Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutzantrag.
Rechtskraft
Aus
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