S 10 AS 1874/19 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1874/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Besteht bei dem zuständigen Grundsicherungsträger der Verdacht, der Leistungsberechtigte verschiebe sein Vermögen, um die für ihn maßgeblichen Vermögensfreibeträge nicht zu überschreiten, so kann der Grundsicherungsträger nicht ohne Weiteres davon ausgehen, der Leistungsberechtigte sei nicht mehr hilfebedürftig. Selbst bei einer tatsächlich vorgenommenen Vermögensverschiebung ist weiter zu prüfen, ob das Vermögen für den Leistungsberechtigten noch verwertbar iSv § 12 Abs. 1 SGB II ist.

2. Ein Leistungsanspruch nach dem SGB II kann auch dann bestehen, wenn die Hilfebedürftigkeit durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt wurde. Das schuldhafte Verhalten kann sich aber mittelbar im Rahmen einer Absenkung des Leistungsanspruches nach den § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II oder der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II auswirken.

3. Verfügt der Antragsteller über Vermögen knapp unter der maßgeblichen Freibetragsgrenze, so ist ein Anordnungsgrund für die Gewährung von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II jedenfalls dann glaubhaft gemacht, wenn der Antragsteller dieses Vermögen nicht unverzüglich verwerten kann.
Tenor: 1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iHv monatlich 424,00 Eruo ab dem 31.5.2019 bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Weiterbewilligungsantrag vom 30.4.2019, längstens jedoch bis zum 31.10.2019 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. 2. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu ½.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um einen Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 1970 geborene Antragsteller bezieht von dem Antragsgegner seit geraumer Zeit Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.4.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 1.5.2018 bis 30.4.2019.

Am 30.4.2019 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1.5.2019. Er führte hierbei sinngemäß aus, er beantrage außerdem die Gewährung eines besonderen Bedarfs und die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung, sowie die Übernahme der Kosten zum Kauf des Medikaments Ardeytrobin Tabletten 100 mg iHv 61,20 Euro.

Mit Schreiben vom 7.5.2019 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Vorlage folgender Unterlagen auf: Anlage VM nebst Nachweisen, sowie Kontoauszüge samt Kreditkartenrechnungen seit 1.11.2018. Der Antragsgegner habe den Antragsteller in der Vergangenheit bereits mehrfach dazu aufgefordert, Nachweise zu Auffälligkeiten seiner Kontobewegungen vorzulegen. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit Zahlungen im insgesamt vierstelligen Bereich an seine Mutter überwiesen, und auf Nachfrage erklärt, es handle sich hierbei um die Rückzahlung eines von der Mutter gewährten Darlehns. Nachweise für die bestehende Darlehensschuld habe der Antragsteller jedoch auch nach mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt. Sollten bis zum 13.5.2019 die angeforderten Nachweise nicht eingehen, so müsse davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Überweisungen nicht um die Rückzahlung eines Darlehns handle, sondern um eine Vermögensverschiebung.

Am 31.5.2019 hat sich der Antragsteller mit der Bitte um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Karlsruhe gewandt. Er hat sinngemäß vorgetragen, in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sei eine Änderung nicht eingetreten. Er habe dem Antragsgegner Kontoauszüge der letzten drei Monate (Februar, März und April 2019), sowie die letzten drei Kreditkartenabrechnungen vorgelegt. Nach der Publikation des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei lediglich die Anforderung von Kontoauszügen der letzten drei Monate bei der Beantragung von SGB II Leistungen zulässig. Auch habe er den Vordruck "Vermögen" ausgefüllt und bei dem Antragsgegner eingereicht. Aus diesem sei ersichtlich, dass er die Vermögensfreigrenze von 7.950,00 Euro nicht erreiche.

Der Antragsteller beantragt, den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, an ihn Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende iHv 974,00 Euro (Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 550,00 Euro und Regelbedarf iHv 424,00 Euro) für den laufenden Monat Mai 2019 und für den Monat Juni 2019 auszuzahlen und

den Antragsteller zu verpflichten, ihm Arbeitslosengeld II vorläufig in der zuvor benannten Höhe bis April 2020 zu bewilligen und gerichtlich festzustellen, dass gesetzlicher Krankenversicherungsschutz bei der x-Kasse zu gewähren ist.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers sei nicht geklärt. Der Antragsteller verfüge über Vermögenswerte iHv insgesamt 7.551,58 Euro. Er liege damit zwar 398,42 Euro unter dem maßgeblichen Vermögensfreibetrag von 7.950,00 Euro. Allein anhand der am 29.10.2018 vorgelegten Kontoauszüge sei jedoch erkennbar, dass der Antragsteller an seine Mutter im August und September 2018 Geldzahlungen iHv insgesamt 1.700,00 Euro überwiesen habe. Er habe den Antragsteller mehrfach dazu aufgefordert, Nachweise dafür vorzulegen, dass es sich bei den Zahlungen an seine Mutter um ein Darlehn handle. Er habe dem Antragsteller auch angeboten, selbst die entsprechende Bank und seine Mutter anzuschreiben, und um Vorlage der entsprechenden Nachweise zu bitten. Diesen Vorschlag habe der Antragsteller jedoch mit Hinweis auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgelehnt. Er habe den Antragsteller mit Schreiben vom 5.6.2019 nochmals zur Vorlage folgender Unterlagen ausgefordert: Kontoauszüge und Kreditkartenabrechnungen seit 1.11.2018, Benennung der Restschulden für die noch offenen Darlehn, Nachweisen der durch Dritte gewährte Darlehn unter Nachweis des Auszahlungstages, der Fälligkeit der Rückzahlung und bereits erfolgter Rückzahlungen seit Leistungsbeginn. Bisher habe der Antragsteller seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Den vorliegenden Kontoauszügen seien keine Bargeldabhebungen zu entnehmen. Bei den zahlreichen vor dem Sozialgericht anhängigen Gerichtsverfahren habe der Antragsteller jedoch mehrfach Barquittungen für Medikamente vorgelegt. Es sei nicht ersichtlich, woher der Antragsteller das Geld für die Anschaffung der Medikamente nehme, wenn er keine Geldabhebungen von seinem Konto tätige. Ein Anordnungsanspruch sei daher nicht glaubhaft gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig (hierzu 1.) und teilweise begründet (hierzu2.) Der Antragsteller hat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf vorläufige Gewährung eines Regelbedarfs iHv 424,00 Euro monatlich seit dem 31.5.2019. Soweit der Antragsteller die Gewährung eines vorläufigen Regelbedarfs für den Zeitraum 1.5.2019 bis 30.5.2019, sowie die vorläufige Gewährung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung vom 1.5.2019 bis 30.4.2020 begehrt, ist der Antrag unbegründet.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Regelungsanordnung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht sowohl eine Folgenabwägung vornehmen als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 596/05 – alle Entscheidungen zitiert nach juris, soweit nicht anders angegeben). Handelt es sich - wie hier - um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.

2. Der Antrag ist teilweise begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (hierzu a) und hinsichtlich des Regelbedarfs auch einen Anordnungsgrund seit dem 31.5.2019 (hierzu b) glaubhaft gemacht hat.

a) Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarfen für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II).

Der Antragsteller ist diesem Personenkreis zuzuordnen. Es ist insbesondere davon auszugehen, dass der Antragsteller erwerbsfähig in diesem Sinne ist. Er bezieht seit Jahren Leistungen von dem Antragsgegner, weshalb der Antragsgegner derzeit wohl selbst davon ausgeht, dass Erwerbsfähigkeit vorliegt. Etwas Anderes hat er im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens jedenfalls nicht vorgetragen.

Der Antragsteller hat auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass er hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält.

Der für die Frage der Hilfebedürftigkeit maßgebliche Regelbedarf des Antragstellers beträgt monatlich 424 Euro (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 28 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nebst Anlage in der Fassung des § 2 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 (RBSFV 2019) vom 19. Oktober 2018 (BGBl. I S. 1766), welche m.W.v. 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung und für besondere Bedarfe wird von dem Antragsteller im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht geltend gemacht und hierfür ist nach Ansicht des Gerichts mit dem vorliegenden Aktenmaterial auch nichts ersichtlich. Der Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung beläuft sich auf monatlich 550,00 Euro.

Nach den vorliegenden Unterlagen verfügt der Antragsteller selbst nicht über Einkommen oder Vermögen, mit welchem er den oben genannten Bedarf selbst decken könnte. Als Vermögen sind gem. § 12 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Vermögensgüter nach Absatz 3 und Abzüglich der Absetzbeträge nach Abs. 2. Ausweislich den dem Gericht vorliegenden Unterlagen überschreitet der Antragsteller die für ihn maßgebliche Vermögensfreigrenze von 7950,00 Euro nicht. Soweit der Antragsgegner vorträgt, der Antragsteller habe im Oktober 2018 Beträge iHv insgesamt 1.700,00 Euro an seine Mutter überwiesen und bisher nicht nachgewiesen, dass es sich hierbei um eine Darlehnsrückzahlung und nicht um eine Vermögensverschiebung handle, so dürfte dies für die Frage der Hilfebedürftigkeit unerheblich sein. Selbst wenn der Antragsteller – wie von dem Antragsgegner vermutet – sein Vermögen auf das Konto seiner Mutter verschoben hat, so dürfte dies nicht dazu führen, dass es sich bei diesen Beträgen um verwertbares Vermögen iSv § 12 Abs. 1 SGB II handelt welches die Hilfebedürftigkeit entfallen lässt. Denn verwertbar in diesem Sinne ist ein Gegenstand nur dann, wenn er verbraucht, übertragen oder belastet werden kann (Eicher/Luik/Lange, 4. Aufl. 2017, SGB II § 12 Rn. 38). Es ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller das an seine Mutter überwiesene Geld in diesem Sinne noch verbrauchen, übertragen oder belasten kann, weil es sich zwischenzeitlich außerhalb seines Verfügungsrahmens befinden dürfte. Der Antragsgegner hat auch nicht vorgetragen, wie der Antragsteller über das bereits verfügte Geld auf dem Konto seiner Mutter verfügen können soll. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es sich bei dem von dem Antragsteller erfolgten Überweisungen an seine Mutter nicht (mehr) um verwertbares Vermögen iSv § 12 Abs. 1 SGB II handelt und daher weiterhin Hilfebedürftigkeit besteht. Die Ursache der Hilfebedürftigkeit spielt keine Rolle. Deshalb ist ein Leistungsanspruch auch dann gegeben, wenn die Hilfebedürftigkeit durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt wurde. Dieses kann sich aber mittelbar im Rahmen einer Absenkung des Leistungsanspruches nach den § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II oder der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II auswirken (Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 9, Rn. 31; BSG v. 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229). Jedenfalls ergibt sich aus den von dem Antragsteller eingereichten Unterlagen der letzten drei Monate nach summarischer Prüfung ein die Hilfebedürftigkeit ausschließendes Vermögen nicht. Auch sind in den letzten drei Monaten nach den hier vorliegenden Unterlagen keine Zahlungen an die Mutter geflossen. Daher ist davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen monatlichen Bedarf iHv 974 Euro nicht decken kann und hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II ist.

b) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund für den geltend gemachten Regelbedarf ab dem 31.5.2019 glaubhaft gemacht. Zwar wird in der Literatur und in der Rechtsprechung teilweise vertreten, dass bei der Frage des Anordnungsgrundes auch Mittel Berücksichtigung finden können, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen handelt (so Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B –, Rn. 9, juris; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. März 2017 – L 4 AS 718/16 B ER –, Rn. 18, juris; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 360). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich das Vermögen des Antragstellers vorliegend im Wesentlichen auf ein Wertpapierdepot der x-Bank iHv 6.531,70 Euro beläuft. Der Kontostand des Antragstellers wies zum 30.4.2019 einen Betrag iHv 819,26 Euro aus. Seitdem hat er Zahlungen zumindest von dem Antragsgegner nicht mehr erhalten, sodass davon auszugehen ist, dass der Kontostand zum heutigen Zeitpunkt niedriger ist. Weil es sich der Kenntnis des Gerichts entzieht, wie schnell der Antragsteller auf das Vermögen aus dem Wertpapierdepot zurückgreifen kann hat sich das Gericht nach langer Überlegung dazu entschlossen, im Hinblick auf die überragende Bedeutung der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums davon auszugehen, dass der Antragsteller auf das Vermögen des Wertpapierdepots nicht sofort verfügen kann und daher von der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für den Zeitpunkt ab Antragstellung bei Gericht (31.5.2019) auszugehen ist. Für den Zeitraum 1.5.2019 bis 30.5.2019 liegt ein Anordnungsgrund nicht vor. Ein Anordnungsgrund besteht regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt werden. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, weil die fehlenden Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirken und eine gegenwärtige Notlage begründen. Es muss dann ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht werden. Gegenüber Dritten bestehende Verbindlichkeiten reichen für die Annahme eines solchen Nachteils nicht aus (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 369). Für einen Nachholbedarf hat der Antragsteller vorliegend nichts vorgetragen, weshalb ein Anordnungsgrund für den Zeitraum vor Antragstellung bei Gericht nicht glaubhaft gemacht worden ist. Auch hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund für die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht glaubhaft gemacht. Drohende Wohnungs- und Obdachlosigkeit kann einen Anordnungsgrund begründen Diese Gefahr muss allerdings konkret bestehen; sie muss durch substantiierten und nachvollziehbaren Vortrag glaubhaft gemacht werden. Vor Erhebung der Räumungsklage besteht eine solche Gefahr in der Regel nicht. Das Entstehen von Mietrückständen und die (fristlose) Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter reichen nicht aus (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 371). Vorliegend hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass durch den Vermieter bereits Räumungsklage erhoben wurde und dass die Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht. Daher war ein Anordnungsgrund für die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht anzunehmen.

Soweit der Antragsteller außerdem die Feststellung begehrt, dass gesetzlicher Krankenversicherungsschutz bei der x-Kasse zu gewähren ist, fehlt es hierfür an dem notwendigen Feststellungsinteresse sowie an der besonderen Eilbedürftigkeit. Nachdem das Gericht entschieden hat, dass ein Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gegen den Antragsgegner seit dem 31.5.2019 besteht, ergibt sich aus dem Gesetz, dass der Antragsteller in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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