S 29 AS 1037/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 1037/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 04.09.2017, 25.11.2017 und 10.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2018 verurteilt, den Klägern höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018 in Höhe von weiteren 175,81 EUR monatlich zu zahlen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Höhe endgültig festgesetzter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II). Dabei wenden sie sich insbesondere dagegen, dass der Beklagte die Unterkunftskosten nicht vollständig übernimmt, da er der Ansicht sei, die Unterkunftskosten seien unangemessen hoch.

Die am 00.00.1973 geborene Klägerin zu 1) wohnte gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem am 00.00.1972 geborenen Kläger zu 2), und dem Kind, dem am 00.00.1993 geborenen Kläger zu 3), in einer Wohnung in der Istraße in Kaarst. Die Wohnung wurde August 2014 bezogen. Die Grundmiete betrug 742,00 EUR monatlich, die Nebenkosten 200,00 EUR monatlich.

Alle drei Kläger erzielten zeitweise Erwerbseinkommen. Die Kläger standen im laufenden Bezug von aufstockenden Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte berücksichtigte bei der Berechnung des aufstockenden Leistungsanspruchs nur den als angemessen erachteten Teil der Unterkunftskosten.

Die Kläger zogen zum 01.08.2017 von ihrer bisherigen Wohnung in Kaarst zu einer Wohnung in Neuss um. Es handelte sich um eine 3-Zimmer Wohnung mit einer Größe von 71 qm. Die Grundmiete betrug 600 EUR monatlich, die Betriebskostenvorauszahlung 130,00 EUR monatlich. Die Heizkostenvorauszahlung betrug 57,00 EUR monatlich.

Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 04.09.2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018. Dabei berücksichtigte er eine Grundmiete in Höhe von 481,20 EUR und Nebenkosten in Höhe von 129,99 EUR monatlich.

Die Kläger erhoben Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.09.2017. Die Unterkunftskosten seien nicht in tatsächlicher Höhe übernommen.

Mit Änderungsbescheid vom 25.11.2017 passte der Beklagte den Regelbedarf für Januar 2018 an. Zum Januar 2018 wurde auch eine Heizkostennachzahlung für die vorherige Wohnung in Kaarst in Höhe von 599,82 EUR fällig. Der Beklagte gewährte diesen Betrag mit Bescheid vom 10.01.2018.

Der Beklagte wies den Widerspruch gegen dem Bescheid vom 04.09.2017 mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2018 zurück. Eine vorläufige Bewilligung sei nicht zu beanstanden. Eine endgültige Festsetzung könne erst nach Vorlage aller relevanten Unterlagen erfolgen.

Die Kläger haben dagegen Klage erhoben.

Die Kläger tragen vor, dass die Unterkunftskosten in voller Höhe zu übernehmen seien. Das Konzept des Beklagten zur Ermittlung angemessener Mietkosten sei nicht schlüssig. Es würde die Situation am Wohnungsmarkt verkennen. Zur ermittelten Höchstmiete seien keine Angebote zu finden. Private Vermieter würden zudem Leistungsempfänger meiden, Bauvereine hätten lange Wartelisten. Durch den Zuzug von Flüchtlingen verschärfe sich der Wohnungsmarkt.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 04.09.2017, 25.11.2017 und 10.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2018 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen nach dem SGB II bezüglich der Unterkunftskosten zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass Unterkunftskosten auf das angemessen Maß zu reduzieren seien. Die Ermittlung der angemessenen Miete durch das Konzept des Beklagten sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Kläger sind durch die Bescheide vom 04.09.2017, 25.11.2017 und 10.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2018 im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der Bescheid ist rechtswidrig. Die Kläger haben einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II betreffend die Unterkunft und Heizung für August 2017 bis Januar 2018 in Höhe von weiteren 175,81 EUR monatlich.

Die zunächst vorläufig festgesetzten Leistungen geltend als endgültig festgesetzte Leistungen und sind als solche streitig. Ergeht gem. § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt. Innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums, also bis Januar 2019, erging keine abschließende Entscheidung. Eine Ausnahme nach § 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor.

Der Streitgegenstand wurde in zulässigerweise auf die Unterkunftskosten beschränkt (vgl. zur Zulässigkeit der Beschränkung: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.06.2014, B 14 AS 42/13 R).

Die Kläger haben einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nach §§ 7, 19, 20, 22 SGB II. Sie erfüllen die allgemeinen Voraussetzungen nach § 7 SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Die Klägerin zu 1) war im streitigen Zeitraum 44 Jahre alt, erwerbsfähig, hilfebedürftig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die weiteren Kläger gehören nach § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu 1).

Die Kläger haben einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe, mithin 787,00 EUR monatlich anstelle der bisher berücksichtigten 611,19 EUR monatlich.

Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die fehlende Zustimmung des Beklagten zum Umzug der Kläger ist für die Höhe der zu übernehmenden Kosten unerheblich, da bei einem Umzug von einem Vergleichsraum zu einem anderen Vergleichsraum keine Kostendeckelung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 60/09 R). Vorliegend sind die Kläger von dem Vergleichsraum Kaarst zu den Vergleichsraum Neuss umgezogen.

Die tatsächlichen Aufwendungen belaufen sich auf monatlich 730,00 EUR Bruttokaltmiete für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018 (anstelle der vom Beklagten berücksichtigten 611,19 EUR monatliche Bruttokaltmiete) sowie 57,00 EUR monatliche Heizkostenvorauszahlung. Diese Aufwendungen sind angemessen.

Angemessen sind Aufwendungen, wenn sie eine durch ein schlüssiges Konzept ermittelte abstrakte Angemessenheitsgrenze nicht überschreiten oder – bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts und bei fehlender Nachbesserungsmöglichkeit – wenn sie die Werte der Wohngeldtabelle nebst Sicherheitszuschlag nicht überschreiten.

Ein schlüssiges Konzept liegt nicht vor. Zu prüfen ist das von Analyse und Konzepte erstellte Konzept zur Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft für den Rhein-Kreis Neuss aus Dezember 2016.

Ein schlüssiges Konzept befasst sich mit der Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenze. Sie ist nach der sogenannten Produkttheorie durch Multiplikation der abstrakt angemessenen Wohnfläche mit der abstrakt angemessenen Bruttokaltmiete je Quadratmeter im örtlichen Vergleichsraum zu ermitteln (BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R). Für einen Drei-Personen-Haushalt in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist nach Nr. 8.2 der insoweit maßgeblichen (BSG, Urteil vom 16.05.2012, B 4 AS 109/11 R) Wohnraumnutzungsbestimmungen eine Wohnfläche von 80 m² abstrakt angemessen. Der abstrakt angemessene Quadratmeterpreis soll den Preis wiedergeben, den ein Leistungsberechtigter auf dem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufwenden muss (BSG, Urteil vom 18.11.2014, B 4 AS 9/14 R). Das Bundessozialgericht hat Verfahrensregeln für das methodische Vorgehen zur Ermittlung des abstrakt angemessenen Quadratmeterpreises entwickelt, ohne eine bestimmte Methode der Ermittlung vorzugeben. Es hat Mindestanforderungen an die empirische Ableitung der angemessenen Bruttokaltmiete definiert, die sicherstellen sollen, dass die ermittelten Daten die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes tatsächlich wiedergeben. Die Ermittlung der regional angemessenen Unterkunftskosten muss danach auf der Grundlage eines überprüfbaren, schlüssigen Konzepts zur Datenerhebung und -auswertung unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statischer Grundsätze erfolgen. Der kommunale Grundsicherungsträger muss im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenn gleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im maßgeblichen Vergleichsraum für sämtliche Anwendungsfälle und nicht nur punktuell im Einzelfall, planmäßig vorgehen (BSG, Urteil vom 16.06.2015, a.a.O. m.w.N.). Schlüssig ist das Konzept, wenn es gewisse Mindestanforderungen hinsichtlich der Datenerhebung und -auswertung sowie der Folgerichtigkeit erfüllt. Es muss ein Vergleichsraum genau eingegrenzt werden. Die Datenerhebung darf ausschließlich in diesem Vergleichsraum erfolgen. Sie muss sich über den gesamten Vergleichsraum erstrecken. Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung (Art der Wohnungen, Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete, Vergleichbarkeit, Differenzierung nach Wohnungsgröße). Der Beobachtungszeitraum ist anzugeben. Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel) sind festzulegen. Die Datenerhebung muss valide sein, die einbezogenen Daten müssen repräsentativ sein. Das Konzept muss Angaben zu den gezogenen Schlüssen enthalten (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze). Anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze sind bei der Datenauswertung einzuhalten. Es handelt sich um verallgemeinerbare (d.h. nicht von den jeweiligen Wohnungsmärkten abhängige) und entwicklungsoffene Grundsätze bzw. Prüfungsmaßstäbe, die Raum für die Berücksichtigung regionaler Bedingungen lassen; sie eröffnen dem Grundsicherungsträger eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Methodenfreiheit bei Methodenvielfalt. Bei der Prüfung eines schlüssigen Konzepts sind die mit Wirkung zum 01.04.2011 eingefügten Regelungen der §§ 22a bis 22c SGB II zu beachten. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II wird durch das Regelungssystem der §§ 22a bis 22c SGB II gesetzlich begrenzt (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 06.10.2017, 1 BvL 2/15; BSG, Urteil vom 12.12.2017, B 4 AS 33/16 R).

Das streitige Konzept wählt das gesamte Stadtgebiet Neuss als Vergleichsraum. Es begegnet seitens des Gerichts keinen Bedenken, das gesamte Stadtgebiet Neuss als homogenen Wohn- und Lebensraum zu betrachten. Der Beklagte hat zwar für den gesamten Kreis Daten erhoben, den Kreis und die Kaltmiet-Daten aber in verschiedene Mietkategorien aufgeteilt. Jede Mietkategorie soll den jeweiligen Vergleichsraum darstellen (siehe S. 10 des Konzepts, Punkt 5.1). Da Neuss nicht mit anderen Städten des Kreises in eine gemeinsame Mietkategorie zusammengefasst wurde, bestehen jedenfalls für Neuss keine Bedenken. Soweit der Beklagte die Betriebskostendaten nicht auf die Vergleichsräume aufgeteilt hat, sondern einen kreisweiten Durchschnitt gebildet hat, widerspricht dies dem Grundsatz, dass die Daten nur im Vergleichsraum erhoben werden dürfen. Insoweit hat der Beklagte jedoch nachgebessert und angeboten, angemessene Betriebskosten für Neuss in Höhe von 2,23 EUR pro qm anstelle der bisherigen kreisweiten 2,04 EUR pro qm für 3 Personen-Haushalte zu Grunde zu legen. Darauf kommt es im Ergebnis jedoch nicht an, da das Konzept aus anderen Gründen schon nicht schlüssig ist.

Der Beobachtungsgegenstand ist definiert. Das Konzept berücksichtigt die Bruttokaltmiete. Dies entspricht dem in der Rechtsprechung vorgegebenen Beobachtungsgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 2/10 R).

Der Wohnungsstandard als Beobachtungsgegenstand ist definiert. Es soll der gesamte Wohnungsmarkt ermittelt werden und durch einen Bruchteil davon soll das einfache Segment dargestellt werden. Die Datenerhebung erfolgt differenziert nach den Wohnungsgrößen. Dabei wird für jede Wohnungsgrößenklasse (50 qm, 65 qm, 80 qm ...) der Bereich der untersten Grenze bis zur angemessenen Wohnungsgröße festgelegt. Konkret bedeutet dies, dass für 1-Personen-Haushalte die Wohnungsgrößenklasse von 25 qm bis 50 qm gebildet wird, für 2-Personen-Haushalte die Wohnungsgrößenklasse von mehr als 50,00 qm bis 65,00 qm und für größere Wohnungsgrößenklassen entsprechend. Bereits die Einteilung der Wohnungsgrößenklassen ist nicht ausreichend begründet. Anstelle von Wohnung um die 80 qm für 3-Personen-Haushalte soll hier die Wohnungsgrößenklasse von gerade mehr als 65 qm (für 2-Personen-Haushalte angemessen) bis 80 qm maßgeblich für die Bestimmung der angemessenen Kaltmiete pro qm sein. Darauf kommt es jedoch nicht an, da das Konzept bereits aus einem anderen Grund nicht schlüssig ist.

Der Erhebungszeitraum ist für die Bestandsmieten mit dem Zeitraum von Juli 2016 bis September 2016 angegeben. Stichtag ist der 01.08.2016. Der Erhebungszeitraum für die Angebotsmieten ist mit dem Zeitraum von April 2016 bis September 2016 angegeben.

Die Art und Weise der Datenerhebung ist festgelegt. Es handelt sich um ein gemischtes Bestandsmieten- und Angebotsmietenkonzept. Erkenntnisquellen für die Bestandsmieten sind Befragungen größerer Vermieter (erste Erhebungsstufe), kleinerer Vermieter, die aus Adressdaten der Grundsteuerdaten des Rhein-Kreises Neuss ermittelt wurden (zweite Erhebungsstufe) und Daten des Beklagten (dritte Erhebungsstufe). Erkenntnisquellen für die Angebotsmiete sind Zeitungen und Internetsuchportale für Immobilien.

Auf der ersten Erhebungsstufe wurde 10.136 Wohnungsdaten gesammelt, auf der zweiten Erhebungsstufe 1.293 Wohnungsdaten und auf der dritten Erhebungsstufe 3.671 Wohnungsdaten. Prozentual bedeutet dies, dass von den 15.100 Wohnungsdaten etwa 67% von größeren Vermietern stammen, 9 % aus der Mieterbefragung und 24 % aus den Daten von damals aktuellen Leistungsbeziehern beim Beklagten.

Dem Konzept liegen damit keine repräsentativen Daten zu Grunde.

Die Wohnungen, die von Menschen im Leistungsbezug bewohnt werden, stellen im Wesentlichen bereits das einfache Segment dar (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R). 24% der dem Konzept zu Grunde liegenden Bestandsdaten stammen damit bereits aus dem einfachen Segment.

Zu den Großvermietern in Neuss gehören nach dem Konzept die AS 1920 Immobilien GmbH & Co KG, der Bauverein Meerbusch, die Düsseldorfer Wohnungsgenossenschaften eG, die GWG AG, LEG, Neusser Bauverein, Redantur Neuss, Sahle Baubetreuungsgesellschaft mbH und die VivaWest Wohnen GmbH.

Die Großvermieter stellen traditionell das einfache und mittlere Wohnungsmarktsegment dar, da Bauvereine und Wohnungsbaugenossenschaften regelmäßig wenige Objekte des gehobenen Wohnungsmarktes umfassen. Sie haben vielmehr den Programmsatz, gut bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten. Wegen der einfachen Datenbeschaffung bei solchen institutionellen Anbietern besteht die Gefahr der Überrepräsentation. Datensammlungen, bei denen institutionelle Anbieter überrepräsentiert sind, sind nicht geeignet, das Niveau der Mieten realitätsgerecht widerzuspiegeln (vgl. den Hinweis im Forschungsbericht 478 "Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)" zu Angebotsmietdatenbanken, S. 182, https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb478-ermittlung-existenzsicherende-bedarfe.html).

Dem entspricht es auch, welche Ziele sich der größte institutionelle Vermieter, der Neusser Bauverein, mit 6745 Wohnungen in Neuss gesetzt hat. Er stellt sich selbst u.a. wie folgt dar (https://www.neusserbauverein.de/unternehmen): "Sozial aus Tradition Bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen, das ist das vorrangige Ziel der Neusser Bauverein AG. Dieser Leitsatz gilt seit der Gründung unserer Gesellschaft im Jahr 1891 unverändert. Als Sozialpartner der Stadt Neuss sehen wir uns darüber hinaus in der Verantwortung, unseren Beitrag zu stabilen Verhältnissen in den Stadtteilen zu leisten. Denn attraktive Quartiere, in denen sich die Menschen wohl fühlen, leisten einen erheblichen Beitrag zu sozial ausgewogenen Verhältnissen."

Das Gericht zieht daraus den Schluss, dass weitere 67% der Wohnungsdaten überwiegend aus dem einfachen und mittleren Segment stammen. Die Zuordnung zum einfachen bis mittleren Segment wird auch dadurch untermauert, dass bei der 55. Perzentile der Quadratmetermietpreis der großen Vermieter sogar noch unterhalb des aus den Daten der damals aktuellen Leistungsbezieher ermittelten Quadratmetermietpreises liegt.

Nur weil eine Datensammlung deutlich mehr als 10% des Wohnungsmarktes umfasst, bedeutet dies nicht, dass damit der gesamte Wohnungsmarkt abgebildet ist (in diesem Sinne auch: Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.08.2019, L 4 AS 474/17, Rn. 47). Soweit 24% der Datensätze aus dem einfachen Segment stammen und weitere 67% aus dem einfachen bis mittleren Segment, zeigt sich, dass keinesfalls ein repräsentatives Bild des gesamten Wohnungsmarktes dargestellt ist, sondern ein verzerrtes Bild. Es ist im Rahmen der Methodenfreiheit zwar weder verboten, Daten von institutionellen Vermietern zu verwenden, noch Daten aus öffentlich gefördertem Wohnraum zu nehmen, noch Daten vom Jobcenter selbst. Eine solche unproportionierte Datensammlung widerspricht jedoch im Grundsatz dem eigenen Konzept, dessen Anspruch und Ziel es ist, den gesamten Wohnungsmarkt darzustellen und als Teil davon das einfache Segment zu ermitteln.

Ein Vergleich zwischen den Erhebungsstufen zeigt bereits erhebliche Unterschiede zwischen den Erhebungsstufen. Bei der 55. Perzentile liegen die Daten der Großvermieter um deutlich mehr als 1,00 EUR pro qm unterhalt der Daten der kleineren Vermieter und unter den Daten der damaligen Leistungsbezieher beim Beklagten. Bei einem 3-Personen-Haushalt mach das einen Unterschied von mindestens 80,00 EUR pro Monat (80 qm * 1,00 EUR). Unabhängig davon macht ein Vergleich zwischen den Erhebungsstufen wenig Sinn. Denn keine der drei Datenquellen dürfte für sich genommen repräsentativ sein. Ein Vergleich der drei Datenquellen erschafft aus den drei nicht repräsentativen Quellen nicht eine repräsentative Quelle.

Da nicht schlüssig dargelegt ist, dass die Daten des Wohnungsmarkts repräsentativ erhoben wurden, stellt sich die Frage, ob eine verzerrte Darstellung des Wohnungsmarktes durch die Wahl einer geeigneten Kappungsgrenze ausgeglichen werden kann.

Das Konzept des Beklagten geht im Grundsatz davon aus, dass die Kappungsgrenze dem Anteil der Nachfragegruppe an preisgünstigem Wohnraum als prozentualer Anteil an der Bevölkerung entspricht. Leistungsbezieher beim Jobcenter, beim Sozialhilfeträger, Wohngeldempfänger, Studenten und Niedrigeinkommensbezieher würden um günstige Wohnungen des einfachen Segments konkurrieren. Der Beklagte bildet den Anteil der Nachfragegruppe zum Teil aus vorhandenen statistischen Daten, zum Teil greift der Beklagte auf Schätzungen zurück. Für einen 3-Personenhaushalt schätzt der Beklagte den Anteil der Nachfragegruppen an der Gesamtbevölkerung auf 16%. In wie weit die Schätzung belastbar sei, kann offen gelassen werden. Denn der Beklagte belässt es nicht bei der Bestimmung des Anteils der Nachfragegruppen zur Festsetzung der Kappungsgrenze, sondern berücksichtigt die Angebotsmieten. Der Beklagte wendet ein sog. iteratives Verfahren an, bei dem er prüft, ob auf dem aktuellen Wohnmarkt Wohnungen verfügbar sind zu den vorläufig aus den Bestandsmieten und dem Anteil der Nachfragegruppen ermittelten Angemessenheitsgrenzen. Die Kappungsgrenze wird solange erhöht, bis nach Ansicht des Beklagten genug Wohnungsangebote verfügbar seien.

Der Beklagte hat die Kappungsgrenze letztlich auf die 55. Perzentile für 3-Personen-Haushalte in Neuss erhöht, um nach seiner Ansicht abstrakt ausreichend verfügbare Wohnungen nachweisen zu können.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die Wahl der Kappungsgrenze bei der 55. Perzentile nicht ausreicht, um die verzerrte Darstellung des Wohnungsmarktes auszugleichen. Allein der Umstand, dass bereits 24% der Daten aus dem damals aktuellen Leistungsbezug stammen und weitere 67% der Daten von institutionellen Anbietern stammen, die eine überdurchschnittlich günstige Angebots- und Kostenstruktur aufweisen, die bei der 55. Perzentile sogar noch unter den Daten des Leistungsbezugs liegen, lassen hinreichend daran zweifeln, dass etwa die Hälfte aller Datensätze für das einfache Segment unangemessen teuer sein sollten.

Die ermittelten Angebotsmieten können die Wahl der 55. Perzentile als Kappungsgrenze auch nicht plausibilisieren.

Nach Tabelle 22 des Konzepts waren für einen 3-Personen-Haushalt nur 1% von 113 Wohnungen (also nur 1 Wohnung) im Hinblick auf die Nettokaltmiete pro qm angemessen. Das bedeutet, dass innerhalb von 6 Monaten nur 1 angemessenes Quadratmeternettokaltmietangebot öffentlich inseriert war für eine unbekannte Anzahl an Leistungsempfängern und sonstigen Nachfragern. Zwar werden bekanntermaßen nicht alle Wohnungsangebote öffentlich inseriert. Gleichwohl ist erst recht nicht bekannt, wie viele 3-Personen-Haushalte eine neue Wohnung suchen. Weder ist bekannt, wie viele Leistungsbezieher zur Kostensenkung aufgefordert wurden und deshalb eine neue Wohnung suchen oder bei wie vielen Leistungsbeziehern bereits nur eine wegen Kostenunangemessenheit abgesenkte Miete berücksichtigt wird, noch, wie viele sonstige Nachfrager es gibt. Ohne belastbare Daten zur Nachfrageseite kann nicht überprüft werden, ob die am Markt vorhandenen Angebote von vornherein ausreichen. Angesichts der einen von der Quadratmeternettokaltmiete angemessenen Wohnung hält es das Gericht für ausgeschlossen, dass ausreichend Wohnungen zum ermittelten angemessenen Preis verfügbar waren. Doch selbst wenn die Daten vorlägen und für jeden von der Kostensenkung Betroffenen in angemessener Zeit eine verfügbare Wohnung am Markt vorhanden gewesen wäre, würde das nicht für ein schlüssiges Konzept ausreichen. Es muss zuerst eine schlüssige angemessene Miete ermittelt werden. Jedem Betroffenen mit gesenkten Kosten eine verfügbare Wohnung nachzuweisen und damit die Senkung zu legitimieren, entspräche nicht einem planmäßig Vorgehen, wie es für das schlüssige Konzept notwendig ist.

Soweit nach Tab. 26 11 % der Angebote unter den angemessenen Bruttokaltmietwert für 3- Personen-Haushalte fallen sollen, sei darauf hingewiesen, dass die Bildung der Wohnungsgrößenklassen die Anzahl der anmietbaren Angebote verzerrt. Zu den 11% der Angebote zu angemessenen Bruttokaltmietwerten dürften auch solche Angebote zählen, die nur geringfügig größer sind, als es für 2 Personen angemessen wäre (65 qm), und sich nur aufgrund ihrer geringeren Größe noch im Angemessenheitsrahmen befinden (zur Bildung der Wohnungsgrößenklassen s.o.). Es erscheint faktisch nahezu ausgeschlossen, dass Leistungsempfänger die für sie als angemessen erachtete qm-Zahl regelhaft ausschöpfen können, sondern vielmehr, dass sie regelhaft kleinere Wohnungen anmieten müssen, um überhaupt innerhalb der Angemessenheitsgrenze zu bleiben.

Eine Nachbesserung des Konzepts scheidet aus, da keine repräsentativen Bestandsmietdaten erhoben worden sind oder auf andere Weise verfügbar wären. Es liegt somit ein Erkenntnisausfall vor. Im Falle eines Erkenntnisausfalls sind zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden wiederum durch die Tabellenwerte zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) nebst Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 87/12 R m.w.N.; Auch für das Jahr 2016 ist der Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% anzuwenden: LSG NRW, Urteil vom 28.11.2016, L 19 AS 1372/15). Für die Stadt Neuss war im streitigen Zeitraum die Mietstufe V zu berücksichtigen. Für drei Personen lag die Bruttokaltmietobergrenze daher ohne Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags bei 695,00 EUR monatlich, mit Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% bei 764,50 EUR bruttokalt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung bedarf keiner Zulassung. Die Berufung bedarf gem. § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Differenz zwischen bereits berücksichtigter und tatsächlicher Warmmiete beträgt 175,81 EUR monatlich, für sechs Monate sind es 1.054,86 EUR. Vorliegend übersteigt der Wert der Beschwer daher 750,00 EUR.
Rechtskraft
Aus
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