S 8 AS 655/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 655/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 312/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung eines Betriebskostenguthabens.

Die 1975 geborene Klägerin und ihr am ... 2005 geborener Sohn, der Kläger zu 2), stehen beim Beklagten jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitraum im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnen ein 68,62 m² große Wohnung in B.-W ... Es fielen monatliche Kosten von 458,34 Euro an (291,84 Euro Grundmiete, 80,80 Euro Betriebskosten und 85,70 Euro Heizkosten.

Die Betriebskostenabrechnung vom 13. November 2014 für das Jahr 2013 wies ein Guthaben in Höhe von 581,74 Euro aus. Das Schreiben sah eine vollständige Verrechnung mit der Januarmiete 2015 vor. Weiter heißt es:

"Sollten Sie einen Monat nach Erhalt dieses Schreibens keine Einwände erheben, wird Ihnen, falls vorhanden und nicht zum Ausgleich von Mietrückständen benötigt ein Guthaben mit der auf Seite 1 angegebenen Mietzahlung verrechnet. Sollte das Guthaben die zu leistende Mietzahlung überschreiten (ersichtlich auf Seite 1 der Spalte "einmalig" durch ein Minus bei "Zu zahlender Gesamtbetrag"), wird diese im Folgemonat mit verrechnet."

Auf der dem Beklagten zugesandten vorbezeichneten Jahresabrechnung vermerkte die Klägerin handschriftlich, dass die Gutschrift mit ihrem Mietrückstand verrechnet werde, da sie ihre Miete alleine zahle. Ferner reichte sie ein weiteres Schreiben des Vermieters vom 9. Januar 2015 ein, in welchem dieser unter Bezugnahme auf ein am 8. Januar 2015 stattgefundenes Gespräch bestätigt, dass das Betriebskostenguthaben zur Tilgung ihres Saldobetrags verwendet werde.

Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 18. Dezember 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 528,22 Euro für Januar 2015, 69,88 Euro für Februar 2015, 404,82 Euro für März 2015 und monatlich 528,22 Euro für April bis Juni 2015. Im Januar sowie April bis Juni 2015 berücksichtigte der Beklagte Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 458,34 Euro. Das Betriebskostenguthaben verrechnete der Beklagte mit den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Februar 2015 vollständig und im März 2015 teilweise, so dass im Februar 2015 keine Leistungen für Unterkunft und Heizung und im März 2015 nur 334,94 Euro berücksichtigt wurden. Die Vorläufigkeit begründete der Beklagte mit dem schwankenden Einkommen der Klägerin und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung.

Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch: Das Guthaben habe der Vermieter mit Mietschulden verrechnet. Der Beklagte hätte ungekürzt Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligen müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2015 hat der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Guthaben habe der Vermieter einbehalten, weil die Klägerin dies so mit ihm vereinbart bzw. verfügt habe. Anhaltspunkte für eine ohne Einverständnis der Klägerin ebenfalls vorgenommene Aufrechnung mit bestehenden Mietschulden durch den Vermieter lägen nicht vor.

Die Kläger haben mit Anwaltsschriftsatz vom 17. März 2015 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Zur Begründung führen sie aus, der Vermieter habe mit dem Guthaben Mietrückstände beglichen. Die Mietrückstände seien entstanden, weil der Beklagte im Jahr 2013 die Unterkunftskosten nicht in voller Höhe übernommen habe. Eine Anrechnung auf die Unterkunftskosten sei nicht zulässig.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 18. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 3. März 2015 den Klägern weitere Leistungen zur Grundsicherung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Der Beklagte hat am 24. August 2015 einen endgültigen Festsetzungsbescheid für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 erlassen und das tatsächlich erzielte Einkommen der Klägerin berücksichtigt. Hieraus ergibt sich für die Bedarfsgemeinschaft der Kläger folgender monatlicher Leistungsanspruch: Januar 2015 548,25 Euro, Februar 2015 89,91 Euro, März 2015 421,73 Euro und April bis Juni 2015 monatlich 545,13 Euro. Der Beklagte hat im Februar und März 2015 unverändert das Betriebskostenguthaben auf die Unterkunftskosten angerechnet.

Die Klägerin hat im Erörterungstermin vom 9. März 2017 mitgeteilt, dass die Verrechnung auf ihren Wunsch erfolgt sei. Im Termin sowie mit Schriftsatz vom 8. Juni 2017 haben sich die Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Das Gericht kann nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben.

Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2015. Der endgültige Festsetzungsbescheid vom 6. August 2015 ist gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden. Die Kläger haben Klage auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt. Dahingehend war der Klageantrag auszulegen.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG in Verbindung mit § 56 SGG) zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht nach § 87 SGG erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2015 in der Fassung des endgültigen Festsetzungsbescheides vom 6. August 2015 ist rechtmäßig und beschwert die Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie haben für den Zeitraum Januar bis Juni 2015 keinen weiteren Anspruch auf Unterkunftskosten.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 19 Satz 1 SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, sie ist hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalter nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern konnte und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhielt. Gemäß § 7 abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten auch Personen Leistungen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Der Kläger ist nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Danach gehören die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kindern, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zur Bedarfsgemeinschaft.

Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Übernahme weiterer Unterkunftskosten. Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Vorliegend hat der Beklagte in den Monaten Januar sowie April bis Juni 2015 die tatsächlichen Unterkunftskosten zu Grunde gelegt. Die Unterkunftskosten fallen monatlich in Höhe von 458,34 Euro an. In dieser Höhe hat der Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt.

In den Monaten Februar und März 2015 hat der Beklagte das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 13. November 2014 für das Jahr 2013 zutreffend bei den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bedarfsmindernd berücksichtigt. Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II ist dieses Einkommen im Folgemonat einkommenswirksam anzurechnen. Übersteigt das Guthaben die unterkunftsbezogenen Aufwendungen des Folgemonats, kann der nicht durch Bedarfsminderung verbrauchte Teil mit den Aufwendungen in den Folgemonaten verrechnet werden (Berlit, in Münder, SGB II, 5. Auflage, § 22, Rn. 120). Vorliegend sollte laut Betriebskostenabrechnung vom 13. November 2014 das Guthaben mit der Januarmiete 2015 verrechnet und sodann – im Falle eines die Mietzahlung übersteigenden Guthabens – mit dem Folgemonat erneut verrechnet werden. Damit hätten die Kläger im Januar keine Miete und im Februar nur anteilig Miete zahlen müssen. Unter Berücksichtigung von § 22 Abs. 3 Halbs. 1 SGB II wird mithin dieses Einkommen in den Folgemonaten Februar und März 2015 einkommenswirksam. Im Bedarfsmonat Februar 2015 sind danach keine berücksichtigungsfähigen Unterkunftskosten entstanden, da der Guthabenbetrag den Betrag der laufenden Kosten übersteigt (Guthaben 581,74 Euro – 458,34 Euro Unterkunftskosten = 123,40 Euro übersteigendes Guthaben). Der verbleibende Differenzbetrag von 123,40 Euro hat der Beklagte zu Recht von den laufenden Unterkunftskosten des Folgemonats März 2015 in Abzug gebracht und nur noch 334,94 Euro berücksichtigt.

Der klägerische Einwand, das Guthaben sei zur Tilgung von Mietrückständen vom Vermieter verwendet worden, vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Zwar sind Guthaben im Sinne von § 22 Abs. 3 SGB II dann anrechnungsfrei, wenn der Leistungsberechtigte nicht darüber verfügen konnte. Allerdings hat der Vermieter das Guthaben erst dann mit offenen Mietschulden verrechnet, nachdem die Klägerin dies so geltend gemacht hat. Hätte die Klägerin keine dahingehende Verrechnung gewollt, wäre das Guthaben bei den laufenden Unterkunftskosten berücksichtigt worden. Aus dem Schreiben vom 9. Januar 2014 und noch einmal im Erörterungstermin vom 9. März 2017 bestätigt, hat die Klägerin jedoch verfügt, das Guthaben zur Tilgung rückständiger Miete zu verwenden.

Eine andere Bewertung ist wegen der Kürzung der berücksichtigten Aufwendungen für Unterkunft im Abrechnungszeitraum 2013 nicht vorzunehmen. Denn eine Betriebskostengutschrift mindert auch dann in voller Höhe die Unterkunftskosten des Folgemonats nach Zufluss, wenn die Gutschrift nicht auf nach § 22 SGB II berücksichtigten Vorauszahlungen (also des SGB II-Leistungsträgers) beruht oder dem Hilfeempfänger etwa wegen Überschreitung der Angemessenheitsgrenze zuvor nicht die vollen tatsächlichen Aufwendungen für seine Unterkunft gewährt worden sind (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 14 AS 83/12 R; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. März 2017, L 5 AS 261/15). Ob insoweit eine Deckelung der anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung für das Abrechnungsjahr 2013 rechtmäßig war, ist vorliegend nicht streitgegenständlich, da es hier um den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2015 geht und die Leistungsbewilligung für 2013 bestandskräftig ist. Dass die Vorauszahlungen teilweise aus dem eigenen Einkommen bzw. aus dem Regelbedarf erfolgen, ändert nichts an der Anrechenbarkeit des vollen Guthabens. Das Betriebskostenguthaben ist allein den Aufwendungen der Unterkunft und Heizung zuzuordnen und folglich aufgrund der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II auch als Einkommen zu berücksichtigen. Entscheidend ist gerade nicht, wie das Einkommen erwirtschaftet worden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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