L 8 AY 14/19 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AY 72/19 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 14/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz können nach § 1a Abs. 3 auf das unabweisbar Gebotene reduziert werden, sofern der ausreisepflichtige Asylbewerber nicht hinreichend an der Beschaffung der Rückreisedokumente mitwirkt und deshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Die Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz umfasst den Hinweis an die Mitarbeiter der Botschaft des Heimatlandes, Reisedokumente zur Erfüllung der Ausreisepflicht zu benötigen.
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialge-richts Dresden vom 28. Oktober 2019 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die vom Antragsgegner festgestellte Anspruchsein-schränkung nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der 1971 in G ... / Libanon geborene Antragsteller reiste am 12. November 2015 illegal in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde am 18. Mai 2016 von der Bundespolizei kontrolliert. Eine Abfrage im Ausländerzentralregister (AZR) ergab, dass der Antragsteller über keinen Aufenthaltstitel verfügte. Am 16. August 2016 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag. Zur Durchführung des Asylverfahrens hatte die Landesdirektion Sachsen den Antragsteller allerdings bereits am 15. Dezember 2015 dem Antragsgegner zugewiesen. Am 12. November 2015 hatte der Antragsteller von der Zentralen Ausländerbehörde C eine Bescheinigung erhalten, dass sich dieser als Asylsuchender gemeldet habe.

Das BAMF lehnte den Antrag des Antragstellers ab (Bescheid vom 25. Januar 2017). Zu-dem wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, ebenso wenig der subsidiäre Schutzstatus. Abschiebungsverbote bestünden nicht. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Ausweislich der Anhörung vor dem BAMF ist der Antragsteller nach eigenen Angaben am 10. September 2015 eingereist (über die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien und Österreich). Das Verwaltungsgericht H ... hat die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des BAMF abgewiesen und das Verfahren eingestellt, soweit der Antragsteller seinen Antrag auf Zu-erkennung der Asylberechtigung zurückgenommen hatte (Urteil vom 16. August 2018 – 11 K 1438/17.A). Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 25. Oktober 2018. Der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet wird seither geduldet (zuletzt aufgrund der Verfügung des Antragsgegners vom 9. Juli 2019).

Mit Schreiben vom 10. Januar 2019 forderte das Ausländeramt des Antragsgegners den Antragsteller dazu auf, einen gültigen Pass / Passersatz oder ein Rückreisedokument vorzulegen bis zum 12. Februar 2019 bzw. entsprechende Nachweise seiner Bemühungen einzureichen. Zugleich wurde er über die Möglichkeit der Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG informiert. Der Antragsgegner händigte dem Antragsteller ein Begleitschreiben zur Vorlage an die Botschaft des Libanon aus. Die Botschaft wurde gebeten, dem Antragsteller einen Reisepass / Passersatz oder ein Rückreisedokument auszustellen, damit dieser in sein Heimatland zurückreisen könne.

Der Antragsteller teilte dem Antragsgegner darauf hin im Schreiben vom 15. Januar 2019 mit, dass ihn die Botschaft darauf hingewiesen habe, dass zur Ausstellung eines Reise-passes ein Aufenthaltstitel des Antragstellers für Deutschland notwendig sei. Die Botschaft bestätigte, dass der Antragsteller dort am 14. Januar 2019 vorgesprochen habe. Der Antragsteller bat den Antragsgegner mitzuteilen, welche Schritte er nunmehr zu gehen habe.

Auf Veranlassung des Antragsgegners begab sich der Antragsteller nochmals zur Bot-schaft des Libanon. Der Antragsgegner hatte ihn zuvor darauf hingewiesen, dass sich seine Bemühungen auch auf die Ausstellung eines Passersatzes oder Rückreisedoku-ments zu erstrecken hätten. Im Schreiben vom 12. Februar 2019 erläuterte der Antrag-steller, dass ihm der Botschafter bei der Vorsprache am 8. Februar 2019 erklärt habe, dass kein anderes Antragsformular existiere. Der Antragsteller bat den Antragsgegner darum mitzuteilen, was er tun könne.

Der Antragsteller ist Inhaber einer "Personalkarte", die vom Innenministerium des Libanon ausgestellt ist sowie eines am 16. August 2011 abgelaufenen Führerscheins. Mit Schreiben vom 9. Juli 2019 forderte der Antragsteller den Antragsgegner erneut auf, ihm das weitere Vorgehen zur Passbeschaffung aufzugeben; zumal er wenige Wochen zuvor beglaubigte Übersetzungen der Personalkarte und des Führerscheins vorgelegt habe.

Die Landesdirektion Sachsen erläuterte in der E-Mail vom 17. September 2019 an den Antragsgegner, dass die Zentrale Ausländerbehörde keinen Antrag gegenüber der Aus-landsvertretung des Libanon gestellt habe, aber auch Aktivitäten des Antragsgegners als örtliche Ausländerbehörde nicht ersichtlich seien. Allerdings bestehe für den Antragsteller jederzeit die Möglichkeit, bei der Botschaft vorzusprechen, den Wunsch seiner freiwilligen Ausreise mitzuteilen und sich zu diesem Zweck einen Pass ausstellen zu lassen.

Seit seiner Zuweisung an den Antragsgegner im Dezember 2015 erhält der Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG, wobei er zunächst Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bezog. Ab April 2017 bewilligte ihm der Antragsgegner Leistungen nach § 2 AsylbLG, da sich der Antragsteller länger als 15 Monate im Bundesgebiet aufhalte, ohne die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu haben (Bescheid vom 2. März 2017). Die Weiterbewilligung erfolgte mit Bescheiden vom 27. Februar 2018, 21. August 2018 und 25. September 2018.

Sodann hörte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 12. Februar 2019 zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG an. Der Antragsgegner beabsichtige, die Leistungen des Antragstellers zu kürzen, da dieser nicht nachgewiesen habe, bei der Bot-schaft des Libanon am 8. Februar 2019 auch einen Passersatz bzw. ein Rückreisedoku-ment beantragt zu haben. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen hätten deshalb nicht durchgeführt werden können. Am 28. Februar 2019 erging der angekündigte Bescheid. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller für die Zeit von März 2019 bis August 2019 reduzierte Leistungen i.H.v. 151,11 EUR monatlich. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich geändert, da sich der Antragsteller während seiner Vorsprache in der Libanesischen Botschaft am 8. Februar 2019 darauf beschränkt habe, einen Reisepass zu beantragen und seine Bemühungen nicht zugleich auf die Ausstellung eines Passersatzes bzw. eines Rückreisedokuments erstreckt habe.

Mit Schreiben vom 9. April 2019 forderte das Ausländeramt des Antragsgegners den An-tragsteller erneut zur Mitwirkung auf (gerichtet auch auf die Ausstellung eines Passersat-zes bzw. eines Rückreisedokuments).

Auf den Antrag des Antragstellers, den Bescheid vom 28. Februar 2019 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen, erging der Überprüfungs-bescheid vom 21. Mai 2019. In seinem Widerspruch vom 6. Juni 2019, der noch nicht von der Landesdirektion Sachsen verbeschieden worden ist, führte der Antragsteller aus, sich darum bemüht zu haben, seine Identität zu klären. Die Voraussetzungen einer An-spruchseinschränkung bestünden daher nicht. Mit Bescheid vom 26. August 2019 schränkte der Antragsgegner den Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach § 2 AsylbLG auch für die Monate September 2019 bis Februar 2020 ein gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG. Dagegen legte der Antragsteller am 30. August 2019 Widerspruch ein (der ebenfalls noch nicht von der Landesdirektion Sachsen verbeschieden worden ist). Der Antragsgegner habe dem Antragsteller keine konkrete Mitwirkungshandlung auferlegt. Es sei dem Antragsteller während der Vorsprachen am 14. Januar 2019 und 12. April 2019 nicht gelungen, einen Reisepass zu beantragen.

Am 20. September 2019 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dresden den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er erklärte, er sei ratlos darüber, was noch zu unternehmen sei. Der Antragsgegner hat darauf hin erwidert, dass sich der Antragsteller trotz der mehrfachen Aufforderungen nicht darum bemüht habe, einen Passersatz oder ein Rückreisedokument zu erhalten. Zumindest habe er solche Bemühungen gegenüber dem Antragsgegner nicht nachgewiesen. Damit sei er seiner Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht nachgekommen, weshalb die Leis-tungseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht zu beanstanden sei. Zudem bestehe auch deshalb kein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG, weil der Antragsteller am 10. September 2015 eingereist sei, aber erst am 16. August 2016 einen Asylantrag gestellt habe. Damit habe der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst.

Der Antragsteller hat daraufhin repliziert, dass in dem Begleitschreiben des Ausländeramts des Antragsgegners ausdrücklich auch das "Laissez Passer" und das Rückreisedokument erwähnt worden seien. Dieses habe der Antragsteller bei der Botschaft am 10. Januar 2019 vorgelegt, weshalb er seine Mitwirkungspflichten erfüllt habe.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner dazu verpflichtet, für die Zeit vom 20. September 2019 bis zum 29. Februar 2020 einstweilen Leistungen nach § 2 AsylbLG zu erbringen. Der Antragsgegner habe nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Antragsteller während seiner Vorsprachen in der Botschaft des Libanon lediglich die Ausstellung eines Reisepasses, nicht aber eines Passersatzes oder eines Rückreisedokuments beantragt habe. Insbesondere habe der Antragsgegner nicht aufgezeigt, welches Formular der An-tragsteller zu verwenden gehabt hätte. Der Vortrag des Antragstellers sei insgesamt glaubhaft und nachvollziehbar. Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde bisher selbst keinen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses für den Antragsteller gegenüber der Auslandsvertretung des Libanon gestellt habe, beruhe die fortdauernde Passlosigkeit des Antragstellers nicht auf dessen Untätigkeit, sondern auf der der deutschen Aufenthaltsbe-hörden. Die wiederholte, wortgleiche Aufforderung des Antragsgegners, wonach der An-tragsteller einen gültigen Pass, Passersatz oder ein Rückreisedokument vorlegen möge, führten nach der Ansicht des Sozialgerichts nicht weiter. Nicht das Verhalten des Antrag-stellers verhindere den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen, sondern die Untätig-keit der Botschaft des Libanon und der deutschen Aufenthaltsbehörden. Folglich habe der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die An-spruchseinschränkungen nach § 1a AsylbLG nicht vorlägen. Der Antragsteller habe seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Ausweislich der Bescheinigung der Zentralen Auslän-derbehörde habe er bereits am 12. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Da die Auf-enthaltsbehörden aufgrund des erheblichen Zuzugs von Flüchtlingen im Herbst 2015 ext-rem ausgelastet gewesen seien, sei es zweifelhaft, ob es dem Antragsteller überhaupt möglich gewesen sei, den Asylantrag zu einem früheren Zeitpunkt zu stellen. Im Übrigen folge der Anordnungsanspruch aus der überragenden Bedeutung des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Artikel 20 Abs. 1 GG (Bezug auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 18. Juli 2012 – BvR 10/10). Die Sache sei auch eilbedürftig, da der Antragsteller aufgrund seiner aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht dazu in der Lage sei, seine existenziellen Bedarfe aus eigenen Mitteln zu begleichen.

Gegen den ihm am 30. Oktober 2019 zugestellten Beschluss richtet sich der Antragsgeg-ner mit der am 13. November 2019 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Beschwerde. Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG obliege es dem Antragsteller, einen gül-tigen Pass bzw. einen Passersatz oder ein Rückreisedokument zu beschaffen. Der An-tragsgegner habe für den Antragsteller nachvollziehbar dargelegt, dass sich der Antrag-steller um diese genannten Dokumente zu bemühen habe. Entgegen der Ansicht des So-zialgerichts habe der Antragsgegner keinen Einfluss darauf, welche Antragsformulare die Libanesische Botschaft verwende und wie diese ihr Verwaltungsverfahren gestalte. Die anderslautende Ansicht des Sozialgerichts führe zu einer "Umkehr der Verantwortung", wie sie in § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG formuliert sei mit der Folge, dass diese Regelung faktisch leer liefe. Da der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nach der genannten Vor-schrift trotz mehrfacher Aufforderung bisher nicht nachgekommen sei, sei die Leistungs-einschränkung nach § 1a AsylbLG rechtlich nicht zu beanstanden. Darüber hinaus habe der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, da er entgegen seiner Verpflichtung nach § 13 AsylbLG keinen Asylantrag bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gestellt habe. Dabei sei es auch aus Sicht des Antrags-gegners als unstreitig anzusehen, dass der Antragsteller bereits am 10. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 28. Oktober 2019 aufzuhe-ben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend trägt er vor, dass er sei-nen Mitwirkungspflichten zur Passbeschaffung stets nachgekommen sei. Es liege nicht in seiner Verantwortung, dass diese Bemühungen erfolglos verlaufen seien. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland habe er sich darum bemüht, so schnell wie möglich einen Asylantrag zu stellen. Dies sei im Jahr 2015 nicht einfach gewesen, da sehr viele Menschen nach Deutschland gekommen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die bei-gezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Vorsitzende entscheidet über die Beschwerde als Einzelrichter, da sich die Beteiligten zuvor mit diesem Vorgehen einverstanden erklärt haben (vgl. §§ 176, 155 Abs. 3 Sozial-gerichtsgesetz [SGG]).

Die Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragsgegner dazu verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen uneingeschränkt Leistungen nach § 2 AsylbLG zu erbringen, da dieser seinen Mitwirkungspflichten aus § 48 Abs. 3 AufenthG noch nicht genügt hat. Deshalb kann er sich weder auf einen An-ordnungsanspruch noch auf einen Anordnungsgrund berufen.

Gem. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Ver-änderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Ver-pflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zu-standes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anord-nung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des An-tragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungs-anordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands vorbeugen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG; so genannte Regelungsanordnung).

Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend gemachten mate-riellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dring-lichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anfor-derungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entschei-dungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdi-mension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwick-lungen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsa-chen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umge-hung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfah-rens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Ge-währleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grund-sätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eil-verfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzu-mutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der gel-tend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – 94, 166, 216). Die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).

Gemessen daran besteht bereits kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller ist leis-tungsberechtigt nach dem AsylbLG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, da er eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzt. Daneben ergibt sich die Leistungsberechtigung aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist (auch wenn eine Ab-schiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist). Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG erhalten gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Be-darfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheit, Pflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leis-tungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Zutreffend ist der Antragsgegner allerdings davon ausgegangen, dass dem Antragsteller Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren sind, da sich dieser bereits länger als 15 Monate tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, ohne die Dauer seines Aufenthalts selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu haben. Die entsprechenden Bewil-ligungsbescheide vom 2. März 2017, 27. Februar 2018, 21. August 2018 und 25. Sep-tember 2018 sind daher offenbar zu Recht ergangen. Entgegen der Annahme des An-tragsgegners hat der Antragsteller seinen Aufenthalt auch nicht deshalb rechtsmiss-bräuchlich beeinflusst, weil er womöglich bei seiner illegalen Einreise am 10. September 2015 noch keinen Asylantrag gestellt hatte. Zwar hat ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 13 Abs. 3 Asylgesetz [AsylG]). Unter Berücksichtigung des Reiseweges, den der Antragsteller erläu-tert hat, wäre ihm in einem solchen Fall vermutlich die Einreise verweigert worden, da er über einen sicheren Drittstaat eingereist ist (§§ 18 Abs. 2 Nr. 1, 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller hat jedenfalls am 12. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Ob es ihm möglich gewesen wäre, sein Gesuch zeitlich früher zu stellen, lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht zuverlässig aufklären. Dies müsste, sofern der An-tragsgegner diesem Ansatz weiter nachgehen möchte, gegebenenfalls im Hauptsachever-fahren geschehen.

Ebenso zutreffend geht der Antragsgegner allerdings davon aus, dass der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem AsylbLG einzuschränken (gewesen) ist nach § 1a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AsylbLG. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG – zu denen der Antragsteller zählt – erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Ab-schiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur noch Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG, sofern aufenthaltsbeendende Maßnah-men aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können (§ 1 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG). Ihnen werden dem gemäß bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Er-nährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege ge-währt (vgl. § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Diese Voraussetzungen liegen im Falle des – geduldeten - Antragstellers vor. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten nicht vollzo-gen werden, da dieser nicht daran mitgewirkt hat, einen Pass, Passersatz oder ein sonsti-ges Rückreisedokument zu beschaffen. Dadurch hat er die Vollziehung der bestandskräf-tigen Abschiebungsanordnung (§ 58 AufenthG) verhindert. Darin liegt ein Verstoß gegen § 48 Abs. 3 AufenthG. Danach ist der Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Diese fehlende Mitwirkung stellt ein typisches rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG dar (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 15).

Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, sofern er keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung des AufenthG betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Der Mitwir-kungspflicht wird unter anderem dadurch entsprochen, dass eine Mitwirkung an der Fest-stellung und Sicherung der Identität erfolgt oder die für die Beschaffung von Heimreisedo-kumenten nötigen Erklärungen abgegeben werden (§ 49 Abs. 2 AufenthG). Identitätspa-piere sind auch sämtliche für die Rückreise benötigten Papiere. Der Pflicht wird zunächst durch Beantragung genügt (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsverordnung [AufenthV]). Erfasst sind aber auch alle weiteren Handlungen, die für die Ausstellung des Papiers erforderlich sind und nur von dem Ausländer persönlich vorgenommen werden können. Dazu gehört die Vorlage eines Fotos, die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung des Hei-matstaates bei Antragstellung bzw. Abholung des Dokuments, wenn dies gefordert wird (OVG Münster, Beschluss vom 9. Februar 2004 – 18 B 811/03 - NVwZ-RR 2004, 689 f), sich eventuell der Mithilfe geeigneter Dritter, z.B. Angehöriger, zu bedienen (BayObLG, Beschluss vom 7. November 2000 – 3Z BR 335/00 - InfAuslR 2001, 176 f), die Abgabe benötigter Fingerabdrücke (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005, 18 B 1526/05, 18 E 1150/05 - InfAuslR 2006, 136) sowie alle Urkunden und sonstigen Unterla-gen, die relevant sein können, der zuständigen Stelle vorzulegen, auszuhändigen, zu überlassen bzw. zu beantragen. Dabei besteht grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse an einer baldigen Aufenthaltsbeendigung der von öffentlichen Mitteln lebenden vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005 – 18 B 1526/05, 18 E 1150/05InfAuslR 2006, 136). Der BayVGH geht ferner da-von aus, dass es dem betroffenen Ausländer neben seiner Mitwirkungspflicht nicht frei-steht, "ansonsten völlig untätig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren Handlungen die Behörde noch von ihm verlangt". Der betroffene Ausländer kann sich demnach nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten stützen, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden. Er ist vielmehr daneben dazu gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen (sog. "Initiativpflicht"). Die Erfüllung der dem Ausländer obliegenden Pflichten – seiner Mitwirkungspflicht, aber auch der Initiativpflicht – hat dieser zu belegen und nachzuweisen. Gelingt ihm dies nicht, spricht vieles für die An-nahme, er habe das Ausreisehindernis verschuldet oder zumutbare Anforderungen jeden-falls nicht erfüllt (Beschluss vom 27. Juli 2010 – 10 ZB 10.276 – juris Rn. 12).

§ 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verlangt daher von dem Ausländer, es nicht bei der Einrei-chung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus weitere Angaben zu machen, die seine Identifikation ermöglichen (VG Würzburg, Urteil vom 08.12.2014 – W 7 K 14.26). Kommt der Ausländer seiner Pflicht zur Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht nach, so hat er das Abschiebungshindernis zu vertreten (vgl. Weichert/Stoppa in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 18a).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG nicht erfüllt. Zwar hat er sich weisungsgemäß auf Aufforderung des Antragsgegners jeweils zur Botschaft des Libanon begeben und sich die Vorsprache be-stätigen lassen. Er hat dort jedoch – wovon auch das Sozialgericht ausgeht – lediglich einen Reisepass beantragt, der auf dem Postweg übermittelt wird für den Fall, dass der Betroffene über einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland verfügt. Es ist offensichtlich, dass der Antragsgegner den Antragsteller nicht dazu veranlasst hat, sich zur Botschaft zu begeben, um ein solches Dokument zu beantragen, da es unmissverständlich darum ging und infolge des unzureichenden Vorgehens des Antragsstellers nach wie vor darum geht, die Rückreise in sein Heimatland zu organisieren. Seine Mitwirkungspflichten erstreckten sich darauf, einen Reisepass, einen Passersatz ("Laissez passer") oder aber ein sonstiges Reisedokument zu beantragen, welches seine Rückreise ermöglicht. Auf den Zweck der Rückreise hätte der Antragsteller jeweils deutlich hinweisen müssen, um Missverständnisse in der Libanesischen Botschaft zu vermeiden. Keinesfalls genügt es – im Gegensatz zur Ansicht des Sozialgerichts – sich lediglich darauf zu beschränken, einen Reisepass zu beantragen und, nachdem der zu erwartende Misserfolg eingetreten ist (es wurde kein Pass ausgestellt), beim Antragsgegner nachzufragen, was nun zu tun sei. Der Antragsteller darf es zudem nicht dabei belassen, sich um die Ausstellung eines Passes (für die Rückreise) zu bemühen. Vielmehr folgt aus § 48 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit dem Schreiben des Antragsgegners vom 10. Januar 2019 unmissverständlich, dass er bei der Libanesischen Botschaft auch um den Passersatz bzw. ein sonstiges Rückreisedokument zu ersuchen hat. Entsprechende Anstrengungen des Antragstellers sind nicht ersichtlich; jedenfalls sind sie nicht nachgewiesen. Anders als das Sozialgericht meint, handelt es sich bei der Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG um eine Obliegenheit, die den Antragsteller selbst trifft, und zwar ungeachtet aller Möglichkeiten, die den deutschen Ausländerbehörden zur Verfügung stehen könnten.

Der Antragsteller hat das Fehlen eines Passes, Passersatzes oder Rückreisedokuments als den Grund, der den Vollzug seiner Abschiebung hinderte, auch selbst zu vertreten. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist, dass die den Vollzug aufenthaltsbeenden-der Maßnahmen hindernden Gründe in den Verantwortungsbereich des Leistungsberech-tigten fallen. Insoweit ist zumindest ein persönliches (eigenes) Fehlverhalten des Leis-tungsberechtigten zu verlangen, wie dies dem § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich zu entnehmen ist. Einerseits muss also ein dem Ausländer vorwerfbares Verhalten und andererseits die Ursächlichkeit zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Nichtvoll-ziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vorliegen (BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 7 AY 7/12 R - BSGE 114, 302 ff Rn. 25). Inwieweit die Vorwerfbarkeit Vorsatz oder Fahrlässigkeit verlangt, kann hier dahinstehen. Der Antragsteller handelte vorsätzlich; infolge der wiederholten Aufforderungen des Antragsgegners zur Mitwirkung wusste er, dass er in der Libanesischen Botschaft die Antragsunterlagen anzufordern hatte, die seine Ausreise ermöglichen würden.

Die erforderliche Kausalität zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und dem Nichtvollzug liegt ebenfalls vor. Die Identitätsfeststellung ist nicht möglich, da der Antragsteller die Li-banesische Botschaft bisher jedenfalls nicht nachweislich darüber informiert hat, Unterla-gen für die Ausreise zu benötigen. Der Antragsteller hat damit den typischen Fall eines von § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG erfassten Verhaltens verwirklicht.

Inhalt und Umfang des unabweisbar Gebotenen sind durch den zuständigen Leistungs-träger anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls allein bedarfsorientiert festzulegen. Dabei stellt das Tatbestandsmerkmal des unabweisbar Gebotenen einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine generalisie-rende, auf typische Bedarfslagen abstellende Bestimmung eingeschränkter Leistungsan-sprüche ist im Anwendungsbereich von § 1 a AsylbLG von vornherein unzulässig (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 21).

Nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Vorschrift und ihrem eindeutigen Wort-laut ist das so beschriebene Leistungsniveau nicht mit dem in § 3 AsylbLG normierten und durch das Bundesverfassungsgericht auch für den hier streitbefangenen Zeitraum mit Gesetzeskraft auf bestimmte Mindestbeträge angehobenen Leistungsniveau zur Sicherung des physischen und soziokulturellen Existenzminimums gleichzusetzen. Der Gesetzgeber wollte ausdrücklich eine Einschränkung des nach § 3 AsylbLG zustehenden Leistungsanspruchs normieren und ist davon auch später nicht abgerückt. Maßgeblich ist daher, welche Leistungen trotz leistungsmissbräuchlicher Verhinderung des Vollzugs auf-enthaltsbeendender Maßnahmen durch geduldete oder vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte als "unumgänglich" und nicht mehr "von der Hand zu weisen" anzu-sehen sind. Die Beschränkung darauf verlangt gerade auch wegen des soziokulturellen Existenzminimums abweichend die Prüfung, welche besonderen persönlichen Lebens-umstände es zwingend erfordern, im Einzelfall weitere Leistungen zu gewähren, die nicht die physische Existenzsicherung betreffen (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 22, 24). Der Antragsgegner hat den Leistungsanteil des Antragstellers für Ta-schengeld und Bekleidung gekürzt. Es sind keine Umstände dafür ersichtlich, die es er-fordert hätten, dem Kläger darauf bezogen weitere Leistungen zu gewähren; er hat solche auch nicht vorgetragen.

§ 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung ei-nes menschenwürdigen Existenzminimums (so auch Hohm, AsylbLG, Stand: 10/2019, § 1 a Rn. 27 m.w.N.). Dieses durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht verpflichtet den Staat, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung stehen, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter erhalten kann (BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16 – www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 117, 120; Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175, 222; Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. - BVerfGE 137, 34 ff Rn. 74). Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum eröffnet die Möglichkeit, die Leistungsgewährung an Voraussetzungen zu knüpfen. Weder das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip fordern eine voraus-setzungslose Sicherung des Existenzminimums. Sofern Leistungseinschränkungen an die Nichteinhaltung rechtlich zulässiger Voraussetzungen geknüpft sind, wird die staatliche Verantwortung gelockert; sie rechtfertigt eine Absicherung auf niedrigerem Niveau.

Dies gilt insbesondere für ein System eingeschränkter Leistungen als Reaktion auf fest-gestellte Obliegenheitsverletzungen oder Verletzungen anderweitiger gesetzlicher Mitwir-kungspflichten. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Gewährung existenzsichernder Leistungen an die Einhaltung solcher Pflichten zu knüpfen und bei deren Verletzung leistungsrechtliche Minderungen vorzuse-hen. Er darf die uneingeschränkte Leistungsgewährung von der Rechtstreue des Einzelnen abhängig machen. Wo Leistungen rechtsmissbräuchlich bezogen werden, ist es daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass diese Leistungen auch unterhalb des Niveaus des typisierend bestimmten Existenzminimums abgesenkt werden oder mit Ein-schränkungen ausgestaltet werden. Die verfassungsrechtliche Grenze bildet dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gesetzes- und Obliegenheitsverletzungen eines Leis-tungsberechtigten entlassen den Staat nicht vollständig aus seiner leistungsrechtlichen Verpflichtung (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 27, 29, 30).

Diesen Anforderungen wird § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG gerecht (Cantzler, AsylbLG, § 1 a Rn. 33, 128). Die Vorschrift bezweckt die Verhinderung eines rechtsmissbräuchlichen Leistungsbezugs im Einzelfall. Den Leistungsberechtigten trifft die individuelle Obliegenheit, die Voraussetzungen für die Rückkehr in sein Heimatland durch die von seiner Seite erforderlichen Handlungen zu schaffen; allein an den Verstoß hiergegen ist die einge-schränkte Gewährung von Leistungen geknüpft. Die Anspruchseinschränkung in § 1 a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG erweist sich dabei als verhältnismäßig. Die in § 48 Abs. 3 AufenthG normierte Mitwirkungspflicht verlangt dem Leistungsberechtigten im Grundsatz nichts Unzumutbares ab. Die Mitwirkung an der Beschaffung von Ausweispapieren als Voraussetzung für die Ausreise entspricht zwar regelmäßig nicht seinem Willen, zwingt ihn jedoch auch nicht dazu, eine entsprechende "Willensbildung" vorzutäuschen oder zu entwickeln, sondern zu einem Verhalten, das anknüpft an den Ausgang eines nach recht-staatlichen Maßstäben durchgeführten Asylverfahrens. Nach dessen erfolglosem Ausgang ist dem lediglich noch geduldeten Leistungsberechtigten aber die Pflicht auferlegt, das in seiner Sphäre Liegende zur Ausreise beizutragen. Der Gesetzgeber knüpft mit der Leistungseinschränkung ferner nicht an den Erfolg einer endgültigen Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung des jeweiligen Leistungsberechtigten an, sondern an das "Ob" der Erfüllung der individuell geforderten Mitwirkungshandlung: die erforderliche Kausalität des Fehlverhaltens für die an diese Obliegenheit geknüpfte Leistungseinschränkung entfällt in dem Moment, in dem der Betreffende seinen Mitwirkungspflichten nachkommt oder ande-re, nicht in seiner Sphäre liegende Gründe die Abschiebung verhindern. Durch die Einhal-tung seiner gesetzlichen Pflichten erlangt der Leistungsberechtigte also unmittelbar wieder einen Anspruch auf Leistungen in voller Höhe (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 31, 34).

Die Kürzung der Leistungen des Antragstellers während des streitgegenständlichen Zeit-raums um ein Drittel ist daher offensichtlich nicht zu beanstanden. Dafür spricht auch das in Bezug genommene Urteil des BVerfG vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16: Danach hält sich die Höhe der Leistungsminderung um 30 Prozent (nach § 31 a Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II]) im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen.

Schließlich besteht auch kein Anordnungsgrund. Die Sache ist nicht eilbedürftig, da es der Antragsteller selbst in der Hand hat, die gebotenen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen, um sodann wieder uneingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG beanspruchen zu können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved