L 17 RA 110/94 W 01*16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 RA 1351/94
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RA 110/94 W 01*16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 1994 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 1999 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Überführungsbescheides (Entgeltbescheides).

Der 1945 geborene Kläger war bis 14. Juli 1969 in der ehemaligen DDR Angehöriger der Nationalen Volksarmee (letzter Dienstgrad: Leutnant). Vom 15. Juli 1969 bis 31. März 1990 war er Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit - MfS - (letzter Dienstgrad: Major). Er war in das Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG - (Sonderversorgung der Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit, eingeführt mit Wirkung vom 1. Januar 1953) einbezogen.

Vom 1. April 1990 an wurde ihm nach der genannten Versorgungsordnung Übergangsrente in Höhe von anfänglich 891,- Mark monatlich gezahlt.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 1993 stellte die Beklagte die Zugehörigkeit des Klägers zum genannten Sonderversorgungssystem für die Zeit vom 15. Juli 1969 bis 31. März 1990 und die in dieser Zeit von ihm bezogenen Jahresbruttoentgelte fest. Den Jahresbruttoentgelten stellte sie das „Entgelt nach AAÜG“ gegenüber.

Dagegen erhob der Kläger am 6. Januar 1994 Widerspruch, mit dem er sich gegen die „Festlegung des Jahreshöchstverdienstes nach § 7 i.V.m. Anlage 6 AAÜG“ wandte. Nach Zurückweisung des Widerspruchs durch die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1994 hat der Kläger am 1. März 1994 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und die Begrenzung des für die Berechnung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Einkommens gerügt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. Juli 1994 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG werde das während der Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem des ehemaligen MfS/AfNS erzielte Arbeitsentgelt höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 6 zugrunde gelegt. Dies habe die Beklagte zutreffend getan, was vom Kläger auch nicht bestritten werde. Verfassungsrecht werde dadurch nicht verletzt.

Gegen das ihm am 17. August 1994 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger am 18. August 1994 eingelegte Berufung, mit der er sich weiterhin gegen die gemäß § 7 i.V.m. der Anlage 6 zum AAÜG begrenzten Entgelte wendet.

Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens hat die Beklagte im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 (1 BvL 11/94, 1 BvL 33/95, 1 BvR 1560/97 = SozR 8570 § 7 AAÜG Nr. 1) mit Bescheid vom 1. Oktober 1999 den Bescheid vom 6. Dezember 1993 dahingehend geändert, dass die „Entgelte nach AAÜG“ nunmehr bis zur Höhe des jeweiligen Durchschnittseinkommens im Beitrittsgebiet bescheinigt wurden.

Der Senat hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beigeladen.

Der Kläger macht geltend, er werde auch nach In-Kraft-Treten des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939) durch die auch darin vorgesehene Herabsetzung der Beitragsbemessungsgrenze gegenüber anderen Versicherten mit vergleichbarer Qualifikation und entsprechender Lebensarbeitsleistung verfassungswidrig benachteiligt. Bereits vor seinem Dienstantritt beim MfS habe er regelmäßig überdurchschnittlich hoch verdient und ein deutlich über dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten liegendes Einkommen erzielt. Dies habe sich auch nach dem Eintritt in das MfS fortgesetzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 1994 aufzuheben und

1. die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 06.12.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.1994 und in der Fassung des Bescheides vom 01.10.1999 insoweit zu ändern, als mit Wirkung ab 01. Juli 2001 die Verfügung, es lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen im Sinne von § 7 Abs. 1 iVm Anlage 6 AAÜG idF 2. AAÜG-ÄndG vor, zurückgenommen wird und stattdessen auf eine geänderte Fassung dieser Vorschrift verwiesen wird, nach der als Entgelt nach dem AAÜG für die Feststellung der Rentenhöhe
a) 80 vH des tatsächlich erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelts, höchstens jedoch die Werte der Anlage 3 AAÜG berücksichtigungsfähig sind,
b) hilfsweise, 80 vH des tatsächlich erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelts bis zu höchstens 150 vH des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet mit der Maßgabe berücksichtigungsfähig sind, dass die für die Zeit der Zugehörig keit zum Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS insgesamt zu berücksichtigenden Entgelte nach AAÜG 128 vH der im gleichen Zeitraum im Beitrittsgebiet erzielten Durchschnittsentgelte entsprechen.

2. die Beigeladene zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 28.06.2002 für Zeiten der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS und Rentenbezugszeiten ab 1. Juli 2001 bei der Bestimmung der Rentenhöhe Entgelte nach AAÜG
a ) in Höhe von 80 vH des tatsächlich erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelts, nach Vervielfältigung mit den jeweiligen Faktor der Anlage 10 SGB VI höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze gem. § 260 SGB VI zugrunde zu legen.
b) hilfsweise, in Höhe von 80 vH des tatsächlich erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelts bis zu höchstens 150 vH des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet mit der Maßgabe zugrunde zu legen, dass die für die Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS insgesamt zugrunde zu legenden Entgelte 128 vH der im gleichen Zeitraum im Beitritts gebiet erzielten Durchschnittsentgelte entsprechen.
3. ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, wie sich der Verdienst der Klägerpartei entwickelt hätte, wenn sie die im MfS durchlaufene berufliche Entwicklung in zivilberuflicher Tätigkeit auf einer jeweils vergleichbaren Position ausgeübt hätte,
4. von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Postfach 2 18, 10106 Berlin, die Struktur- und Stellenpläne sowie die Stellenplanüberwachungslisten des MfS im Zeitraum von 1950 bis 1990 beizuziehen,
5. die ergänzende gutachterliche Auswertung der so erschlossenen Unterlagen zur Feststellung des Einkommensniveaus im MfS/AfNS im Verhältnis zum Einkommensniveau der übrigen Bevölkerung zu veranlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen. Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin S 35 RA 1351/94-11 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn die Klage war und ist unzulässig.

Dem Kläger fehlt für seine gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1994 und des Änderungsbescheides vom 1. Oktober 1999, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des Verfahrens geworden ist, erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die erforderliche Klagebefugnis. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist die Klage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein. Dafür muss nach dem von dem Kläger behaupteten Sachverhalt zumindest die Möglichkeit bestehen, dass er in einem subjektiv-öffentlichen Recht, das es in der Rechtsordnung wirklich gibt und das ihm möglicherweise zusteht, durch den Verwaltungsakt verletzt worden ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 18. Juli 1996, 4 RA 7/95 = SozR 3-8570 § 8 Nr. 2). Daran fehlt es hier.

Der Kläger will im Ergebnis erreichen, dass die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Versorgungsträger durch Verwaltungsakt mit einem anderen Inhalt als dem streitbefangenen der Beigeladenen als Rentenversicherungsträger verbindlich vorschreiben möge, für die Rentenfestsetzung ein bestimmtes - höheres - Jahresbruttoarbeitsentgelt zugrunde zu legen. Ein solcher Anspruch gegen den Versorgungsträger ist jedoch in der Rechtsordnung nicht vorgesehen. Das Bundessozialgericht, dem sich der Senat anschließt, hat wiederholt entschieden, dass nach § 8 Abs. 1 AAÜG der Versorgungsträger als insoweit besonders sachkundige Behörde in einem der Rentenfeststellung vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen hat, die für die Feststellung der Rangstelle und des Wertes der Rente oder diesbezüglicher Anwartschaften durch den Rentenversicherungsträger von Bedeutung sein können. Dies sind nur Daten über
1. Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem,
2. die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens,
3. die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (§§ 6 und 7 AAÜG) und
4. in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.

Diese Daten hat die Beklagte - vom Kläger unbeanstandet - in den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellt. In ihre Zuständigkeit fällt hingegen nicht, dem Rentenversicherungsträger (hier: der Beigeladenen) die für die Entscheidung über die Rentenfestsetzung maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenzen oder die Höhe der als versichert geltenden Arbeitsverdienste vorzuschreiben. Diese Entscheidung trifft der Rentenversicherungsträger in alleiniger Kompetenz. Ob dieser aus verfassungsrechtlichen Gründen eine höhere Beitragsbemessungsgrenze als sie in der mit Wirkung vom 1. Mai 1999 durch das 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939) neugefassten Anlage 6 zum AAÜG vorgesehen ist, zugrunde legen muss, kann nicht bereits im Klageverfahren gegen den Entgeltbescheid überprüft werden. Über diesen Streitgegenstand muss sich der Kläger in einem Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger auseinandersetzen, wodurch die Gewährung effektiven und zeitnahen Rechtsschutzes nicht infrage gestellt wird (BSG Urteil vom 20. Dezember 2001, B 4 RA 6/01 R, S. 14 des amtlichen Umdrucks).

Eine Klagebefugnis ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht daraus, dass das Bundessozialgericht in seiner früheren Rechtsprechung bei Einordnung der Betroffenen in die 2. und 3. Stufe der Typik nach §§ 6 Abs. 2, 3 oder 5 und § 7 AAÜG die Klagebefugnis aus der Möglichkeit einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zu dem vom Grundtatbestand des § 6 Abs. 1 AAÜG erfassten Personenkreis, dessen Entgelte bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden können, hergeleitet hat (so das BSG im bereits genannten Urteil vom 18. Juli 1996). Hieran hat das BSG in seiner späteren Rechtsprechung (im ebenfalls genannten Urteil vom 20. Dezember 2001) nicht mehr festgehalten, zumal das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hatte, dass eine besondere Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitsverdienste aus MfS-Beschäftigungen verfassungsrechtlich zulässig ist (Bundesverfassungsgericht Urteil vom 28. April 1999, SozR 3-8570 § 7 Nr. 1).

Auch die - erstmals im Berufungsverfahren erhobene - Klage gegen die Beigeladene (Klageantrag zu 2.) ist unzulässig, weil ein Bescheid der Beigeladenen über die Rentenfeststellung nicht im Sinne von § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Gegenstand des Verfahrens sind nur die von der Beklagten erlassenen Überführungs-(Entgelt-)Bescheide, die durch einen Rentenbescheid der Beigeladenen weder ersetzt noch abgeändert worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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