S 39 AS 1759/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
39
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 1759/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2018, Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 16. April 2019 und Aufhebung der Erstattungsbescheide vom 16. April 2019 für die Monate Januar 2019 und Februar 2019 verurteilt, den Klägern für die Monate November 2018 bis Februar 2019 Leistungen beziehungsweise höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen des Klägers zu 2.) zu gewähren. 2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen beziehungsweise höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum November 2018 bis Februar 2019.

Die am 1970 und 1977 geborenen Kläger sind verheiratet und standen bis September 2018 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des Beklagten. Der Kläger zu 2.) ist Vater von drei minderjährigen, nicht zur Bedarfsgemeinschaft der Kläger gehörenden Kindern.

Der Kläger zu 2.) erhielt von seiner gesetzlichen Krankenkasse seit November 2017 Krankengeld für verschieden lange Abrechnungszeiträume, welches der Beklagte als Einmaleinkommen im Sinne des § 11 Abs.3 SGB II ansah und bei der SGB II - Leistungsbewilligung jeweils auf sechs Monate nach dem jeweiligen Zuflusszeitpunkt verteilte. Im Mai 2018 erhielt der Kläger zu 2.) für den Abrechnungszeitraum vom 13. April 2018 bis 15. Mai 2018 Krankengeld in Höhe von 1188,00 Euro, im Juni 2018 erhielt er für den Abrechnungszeitraum vom 16. Mai 2018 bis 12. Juni 2018 Krankengeld in Höhe von 972,00 Euro, im Juli 2018 erhielt er für den Abrechnungszeitraum 13. Juni 2018 bis 24. Juli 2018 Krankengeld in Höhe von 1512,00 Euro, im August 2018 erhielt er für den Abrechnungszeitraum vom 25. Juli 2018 bis 24. August 2018 Krankengeld in Höhe von 1080,00 Euro und im September 2018 erhielt er für den Abrechnungszeitraum vom 25. August 2018 bis 5. Oktober 2018 letztmalig Krankengeld in Höhe von 1511,25 Euro. Ab dem 8. Oktober 2018 geht der Kläger zu 2.) einer abhängigen Erwerbstätigkeit nach.

Auf den Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab Oktober 2018 gewährte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 1. November 2018 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 221,78 Euro für den Monat Oktober 2018 sowie in Höhe von 11,86 Euro für den Monat Januar 2019, 191,86 Euro für den Monat Februar 2019 und 443,74 Euro für den Monat März 2019. Hierbei berücksichtige der Beklagte zusätzlich zum Erwerbseinkommen des Klägers zu 2.) bis Februar 2018 anteilig Krankengeldleistungen auf Grund von Zuflüssen in den Monaten Mai 2018 bis September 2018.

Mit Schriftsatz vom 7. November 2018 legten die Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung des Beklagten Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie aus, dass der Kläger zu 2.) auf Grund der Arbeitsaufnahme am 8. Oktober 2018 kein Krankengeld mehr beziehe und baten um Überprüfung der Einkommensanrechnung im Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019. Mit Schriftsatz vom 8. November 2018 ergänzte die Prozessbevollmächtigte der Kläger, dass der Kläger zu 2.) im Zeitraum ab Oktober 2018 kein anrechenbares Krankengeld mehr erhalten werde. Im November 2018 sei diesem der erste Monatslohn in Höhe von 937,48 Euro netto zugeflossen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2018 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 1. November 2018 zurück. Mit dem Änderungsbescheid vom 24. November 2018 änderte der Beklagte die Leistungsgewährung der Kläger unter Berücksichtigung höherer Regelsatzbedarfe dahingehend ab, dass diesen für den Monat Januar 2019 27,86 Euro, für den Monat Februar 2019 207,86 Euro und für den Monat März 2019 459,74 Euro vorläufig bewilligt wurden.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 3. Dezember 2018 haben die Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung des Beklagten Klage erhoben, mit der sie weiterhin begehren, Leistungen für den Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019 ohne die Anrechnung von Krankengeld des Klägers zu 2.) zu erhalten.

Mit Bescheid vom 16. April 2019 gewährte der Beklagte den Klägern endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 251,78 Euro für den Monat Oktober 2018, in Höhe von 179,98 Euro für den Monat Februar 2019 und in Höhe von 431,86 Euro für den Monat März 2019. Für die Monate November 2018 bis Januar 2019 setzte der Beklagte den Leistungsanspruch der Kläger auf Null fest. Mit Erstattungsbescheiden vom 16. April 2019 forderte der Beklagte jeweils 8,93 Euro für den Monat Januar 2019 und jeweils 8,94 Euro für die Monate Februar und März 2019 von den Klägern zurück.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2018, Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 16. April 2019 und teilweiser Aufhebung der Erstattungsbescheide vom 16. April 2019 zu verurteilen, ihnen für die Monate November 2018 bis Februar 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen des Klägers zu 2.) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist darauf, dass Krankengeld nicht regelmäßig monatlich zufließe und damit Einmaleinkommen im Sinne des § 11 Abs.3 SGB II sei. Durch die Verteilung des Krankengeldes aus den Vormonaten komme es im streitgegenständlichen Zeitraum zu Überschneidungen der Anrechnung von Krankengeld und Erwerbseinkommen.

Zur Darstellung des weiteren Tatbestandes und Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte mit dem Aktenzeichen S 39 AS 1637/18 ER sowie den Ausdruck der in elektronischer Form geführten Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die der Kammer zur Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.

I. Die Klage ist in zulässiger Weise im Sinne des § 54 Abs.1 und 4 SGG als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben worden.

II. 1. Die Klage ist begründet.

Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen beziehungsweise von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die streitgegenständlichen Monate Oktober 2018 bis Februar 2019 ohne Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen des Klägers zu 2.). Insofern waren der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20. November 2018 und der endgültige Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 16. April 2019, der nach § 39 Abs.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zur Erledigung der zunächst streitgegenständlichen vorläufigen Bewilligungsentscheidungen des Beklagten geführt hat (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2011, Aktenzeichen B 4 AS 139/10 R, Rn 13, zu recherchieren unter www.juris.de) und gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Juli 2017, Aktenzeichen B 14 AS 36/16 R, Randnummer 17ff m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de) wie im Tenor erfolgt abzuändern und der Beklagte zur Gewährung höherer Leistungen zu verurteilen, da die Ablehnung der Gewährung von Leistungen beziehungsweise höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitgegenständlichen Zeitraum rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt. Die Kammer konnte diesbezüglich ein Grundurteil nach § 130 SGG erlassen, da die den Klägern im streitgegenständlichen Zeitraum zustehenden SGB II – Leistungen Geldleistungen sind, auf die ein gebundener Anspruch besteht und der Leistungsanspruch der Kläger mit Sicherheit höher ist als die bisher vorläufig und endgültig gewährten Leistungen (zu den Voraussetzungen eines Grundurteils vergleiche: Keller in Meyer – Ladewig, Kommentar zum SGG, zu § 130 SGG, Rn 2a ff). Mit Rücksicht hierauf waren die streitgegenständlichen Erstattungsentscheidungen des Beklagten für die Monate Januar 2019 und Februar 2019 aufzuheben.

Die Kläger haben im streitgegenständlichen Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen beziehungsweise höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Krankengeld des Klägers zu 2.) als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.

Die Kläger erfüllen im streitgegenständlichen Zeitraum alle Voraussetzungen des § 7 SGB II für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne der §§ 19ff SGB II, da sie volljährige erwerbsfähige Bürger mit Wohnsitz in Deutschland – hier im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten - sind und kein Ausnahmetatbestand, welcher die Kläger vom Bezug von Leistungen des SGB II ausschließen könnte, einschlägig ist.

Die Kläger sind im streitgegenständlichen Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019 auch hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs.1 S.1 Nr.3 SGB II und § 9 SGB II. Vermögen, das die Freigrenzen des § 12 Abs.2 SGB II überschreitet, haben die Klägerin nicht. Die Kläger hatten im streitgegenständlichen Zeitraum auch kein bedarfsdeckendes Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.

Die Kläger hatten im Bewilligungszeitraum Oktober 2018 bis März 2019 nur Einkommen aus den abhängigen Erwerbstätigkeiten der Klägerin zu 1.) und des Klägers zu 2.). Krankengeld war nicht als Einkommen zu berücksichtigen, da im streitgegenständlichen Zeitraum kein Krankengeld zugeflossen ist und auch keine Krankengeldzahlung, die der Kläger zu 2.) in den Monaten Mai bis September 2018 erhalten hat, im streitgegenständlichen Zeitraum zu berücksichtigen ist.

Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs.1 S.1 SGB II in der ab dem 1. August 2016 geltenden Fassung Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen. Zu dem im SGB II – Bereich anrechenbaren Einkommen zählt auch Krankengeld, da es eine Einnahme in Geld ist, die nicht vom Ausnahmekatalog des § 11a SGB II erfasst wird.

Voraussetzung für die Anrechnung von Krankengeld in einem konkreten Bewilligungszeitraum ist jedoch grundsätzlich, dass dieses auch in diesem Bewilligungszeitraum zugeflossen ist. Denn bei Krankengeld handelt es sich um laufendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs.2 SGB II, welches nach § 11 Abs.2 S.1 SGB II im Monat des Zuflusses in voller Höhe zu berücksichtigen ist. Dass es sich bei Krankengeldzahlungen um laufende Einnahmen im Sinne des § 11 Abs.2 S.1 SGB II handelt, hat das Bundessozialgericht bereits in im Jahr 2008 entschieden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, Aktenzeichen B 4 AS 70/07 R, Rn 20ff, noch zur damals gültigen Fassung des § 2 Abs.2 S.1 ALG II – VO, zu recherchieren unter www.juris.de).

Dieser Entscheidung ist zu folgen, da die grundlegenden Erwägungen zur Abgrenzung laufender Einnahmen von Einmaleinnahmen im Sinne des § 11 Abs.2 und 3 SGB II n.F. weiterhin gültig sind. Laufende Einnahmen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden. Bei einmaligen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 32/14 R, Urteil vom 16. Mai 2012 Rn 16 m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de). Die Zahlung von Krankengeld beruht auf einem einheitlichen Rechtsgrund, nämlich den Anspruchsnormen der §§ 44 bis 45 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und wird für die Zeit nach erstmaliger Entstehung des Anspruchs bis zum Beendigung des Anspruchs regelmäßig, nämlich in Tagessätzen und nach den Vorgaben des § 5 Abs.4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie Stand: 20. Oktober 2016 des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB V (AU – Richtlinie) in relativ regelmäßigen Abständen erbracht und ist daher von seiner Rechtsnatur eine laufende Einnahme (so auch Landessozialgericht Berlin – Brandenburg hat ferner in seinem Urteil vom 10. Oktober 2018, Aktenzeichen L 31 AS 462/18).

Das Krankengeld des Klägers ist auch nicht nach § 11 Abs.2 S.3 SGB II wie eine einmalige Einnahme zu behandeln. Zwar bestimmt diese Norm, dass für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, Absatz 3 des § 11 SGB II entsprechend gilt. Wie das Landessozialgericht Berlin – Brandenburg in der vorgenannten Entscheidung vom 10. Oktober 2018 zutreffend ausführt, ist diese Regelung aber nur für laufende Einkommen einschlägig, die bereits nach ihrem Rechtsgrund in größeren als monatsweisen Zeitabständen zufließen wie zum Beispiel Halbjahres- oder Jahresprämien, Weihnachtsgeld und Jahrespachten (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O. Rn 34 m.w.N.; Schmidt in Eicher / Luik, Kommentar zum SGB II, 4. Auflage 2017, zu § 11 Rn 37 m.w.N.). Da Krankengeld entsprechend der AU - Richtlinie laufend und grundsätzlich entsprechend der AU – Bescheinigung in höchstens monatlichen Abständen gezahlt wird, kommt § 11 Abs.2 S.3 SGB II auf Krankengeldzahlungen nicht zur Anwendung.

Eine rechtliche Einstufung der Krankengeldzahlungen des Klägers zu 2.) entsprechend einmaligen Einnahmen im Sinne § 11 Abs.3 S.1 und S.3 und 4 SGB II kommt auch nicht unter Anwendung der zum 1. August 2016 neu eingefügten Regelung des § 11 Abs.3 S.2 SGB II in Betracht. Gemäß § 11 Abs.3 S.2 SGB II gehören zu den einmaligen Einnahmen auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden. Mit der Einführung dieser Norm wollte der Gesetzgeber in Reaktion auf die Bundessozialgerichtsrechtsprechung zur Einstufung von Nachzahlungen als laufende Leistung im Sinne des § 11 Abs.2 SGB II (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 2015, Aktenzeichen B 4 AS 32/14 R) eine Gesetzeslücke schließen. Der Gesetzgeber hatte damit die Absicht, höhere Nachzahlungen von Arbeitsentgelt oder Erwerbseinkommen wie sonstige einmalige Zahlungen zu behandeln, die im Regelfall auch nicht für den Zuflussmonat erbracht werden (vgl. die Gesetzesbegründung zu der zum 1. August 2016 eingeführten Regelung des § 11 Abs.3 S.2 SGB II, Bundestags – Drucksache 66/16, Seite 33). Damit ist das jeden Monat für Zeiträume von jeweils rund einem Monat erbrachte Krankengeld des Klägers zu 2.) im Zeitraum Mai 2018 bis September 2018 nicht zu vergleichen. Bei diesen Zahlungen handelt es sich weder vollständig noch anteilig um nicht für den Monat des Zuflusses erbrachte Nachzahlungen im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II.

Nachzahlungen im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II sind grundsätzlich Einnahmen, die nicht zum Zeitpunkt der Fälligkeit sondern zu einem späteren Zeitpunkt gezahlt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Abs. S.1 Nr.2 SGB V – abgesehen von Krankenhaus- oder stationären Rehabilitationsbehandlungen – am Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Weil Krankengeld gemäß § 47 Abs.1 S.6 SGB V für Kalendertage zu zahlen ist und Sozialleistungen gemäß § 41 Erstes Buch Sozialgesetzbuch bei Fehlen abweichender Sonderregelungen mit ihrem Entstehen fällig werden, werden Krankengeldansprüche nach festgestellter Arbeitsunfähigkeit mit jedem Tag der Arbeitsunfähigkeit für diesen fällig (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, a.a.O., Rn 22). Tatsächlich wird das Krankengeld von den Krankenkassen aus Gründen der Praktikabilität aber nicht tageweise sondern für größere Zeiträume, meistens rückwirkend, teils auch als Vorausleistung gezahlt (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., so auch in diesem Fall). Ferner kann eine Auszahlung des Krankengeldes nach § 49 Abs.1 Nr.5 SGB V nur erfolgen, wenn der Versicherte die vom Arzt ausgefüllten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei seiner Krankenkasse vorlegt (so zutreffend SG Berlin, Urteil vom 18. Januar 2019, Aktenzeichen S 37 AS 12211/18, Rn 32f.). Daher kommt es in der Realität zu einem Auseinanderfallen der gesetzgeberischen Konstellation der tageweisen Krankengeldgewährung und der tatsächlichen Verhältnisse mit der Zahlung von Krankengeld jeweils für Abschnitte von mehreren Wochen (so auch Bundessozialgericht, a.a.O.), so dass für den Begriff der Nachzahlung im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II im Fall des Krankengeldes nicht auf den Zeitpunkt der Fälligkeit im Sinne des § 41 SGB I abgestellt werden kann (so im Ergebnis auch SG Berlin, a.a.O.).

Das Sozialgericht Berlin hat in einer aktuellen Entscheidung zur Abgrenzung von laufendem Krankengeld und Krankengeldnachzahlungen unter Rückgriff auf die Norm des § 47 Abs.1 S.7 SGB V entschieden, dass eine Nachzahlung im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II immer dann vorliegt, wenn der monatliche Zuflussbetrag an Krankengeld im jeweiligen Zuflussmonat den Betrag von 30 Tagessätze überschreitet (vgl. SG Berlin, Urteil vom 18. Januar 2019, Aktenzeichen S 37 AS 12211/18., Randnummer 36f.). Dem schließt sich die Kammer nicht an, da diese Vorgehensweise nicht der gesetzgeberischen Intention bei der Einführung der Regelung des § 11 Abs.3 S.2 SGB II entspricht.

Zur Überzeugung der Kammer ist im Fall von Krankengeldzahlungen entsprechend der gesetzgeberischen Wertung des § 11 Abs.3 S.2 SGB II zu entscheiden, ob es sich um eine Nachzahlung handelt oder nicht. Wie sich aus § 11 Abs.3 S.2 SGB II am Ende ergibt, sollen Nachzahlungen dann nicht als Einmaleinkommen im Sinne des § 11 Abs.3 SGB II gewertet werden, wenn sie für den Monat des Zuflusses gezahlt werden. Entsprechend der bereits zitierten Gesetzesbegründung sollten von der Regelung des § 11 Abs.3 S.2 SGB II (Nach-)zahlungen erfasst werden, die nicht dem Lebensunterhalt im Zuflussmonat dienen. Mit Rücksicht darauf, dass Krankengeld Erwerbsersatzeinkommen ist, welches regelmäßig monatsübergreifend für mehrere Wochen abgerechnet wird, kann damit eine Krankengeldzahlung nur dann eine nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts im Monat des Zuflusses dienende Nachzahlung im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II darstellen, wenn das Krankengeld entweder tatsächlich nicht laufend gezahlt wird (zum Beispiel bei Nachzahlungen auf Grund von Nachberechnungen, Nachbewilligungen, für deutlich zurückliegende Zeiträume, etc.) oder es für einen so langen Zeitraum gezahlt wird, dass es über den laufenden Lebensunterhalt hinausgehend auch Zahlungen enthält, die nicht mehr dem aktuellen Lebensunterhalt dienen. Dieses ist bei laufenden Krankengeldzahlungen zumindest dann nicht der Fall, wenn sie für Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit im Zuflussmonat und im Vormonat des Zuflussmonats erbracht werden, da diese Zahlungen noch als Lebensgrundlage für den aktuellen Bedarf des Versicherten im Zuflussmonat anzusehen sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Juni 2007, Aktenzeichen B 2 U 23/06 R, Randnummer 18; SG Frankfurt (Oder), Urteil vom 9. November 2016, Aktenzeichen S 22 R 227/15, Randnummer 28, jeweils zu recherchieren unter www.juris.de).

Vorliegend hat der Kläger zu 2.) im Mai 2015 Krankengeld für den Abrechnungszeitraum vom 13. April 2018 bis 15. Mai 2018, im Juni 2018 Krankengeld für den anschließenden Zeitraum bis zum 12. Juni 2018, im Juli 2018 Krankengeld für den anschließenden Zeitraum bis zum 24. Juli 2018, im August 2018 Krankengeld für den anschließenden Abrechnungszeitraum bis zum 24. August 2018 und im September 2018 für den anschließenden Abrechnungszeitraum bis zum 5. Oktober 2018 erhalten. Damit liegt eine durchgehende Abrechnung von Krankengeld vor, bei der in keinem Abrechnungszeitraum eine Zahlung vorgenommen wurde, die über Krankengeldansprüche des Klägers zu 2.) für den Zuflussmonat und den Vormonat hinausgeht. Die hieraus resultierenden Auszahlungen dienen dem Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft der Kläger im jeweiligen Zuflussmonat und sind daher keine Nachzahlungen im Sinne des § 11 Abs.3 S.2 SGB II. Die im Monat September 2018 erfolgte Vorauszahlung für einige Tage bis zum 5. Oktober 2018 wird bereits vom Wortlaut der Norm des § 11 Abs.3 S.2 SGB II, der auf Nachzahlungen beschränkt ist, nicht erfasst (so auch Schmidt, a.a.O., Rn 40).

Damit steht den Klägern im Bewilligungszeitraum Oktober 2018 bis März 2019 nur Einkommen aus ihren abhängigen Erwerbstätigkeiten zur Bedarfsdeckung zur Verfügung. Die Klägerin zu 1.) erzielte Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von jeweils 108,00 Euro brutto / netto in den Monaten Oktober 2018 bis Dezember 2018 und 91,90 Euro für den Zeitraum Januar 2019 bis März 2019. Der Kläger zu 2.) erzielte – nach § 11 Abs.2 S.1 GB II entsprechend dem tatsächlichen Zufluss - Erwerbseinkommen in Höhe von 1291,60 brutto / 937,48 Euro im November 2018, in Höhe von 1867,21 Euro brutto / 1410,85 Euro netto im Dezember 2018, in Höhe von 1865,51 Euro brutto / 1375,84 Euro netto im Januar 2019, in Höhe von 2052,97Euro brutto / 1472,71 Euro netto im Februar 2019 und in Höhe von 1683,83 Euro netto / 1269,74 Euro brutto im März 2019.

Mit diesem Einkommen sind die Kläger bei einer monatlichen Berechnung in keinem Monat in der Lage, ihren SGB II – relevanten Bedarf von monatlich 1214,20 Euro in den Monaten Oktober bis Dezember 2018 beziehungsweise monatlich 1230,20 Euro in den Monaten Januar 2019 bis März 2019 bestehend aus jeweils 374,00 Euro Regelleistung beziehungsweise ab Januar 2019 jeweils 382,00 Euro Regelleistung und 466,20 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung zu decken. Denn nach Absetzung der Erwerbstätigenfreibeträge aus § 11b Abs.2 und 3 SGB II von jeweils 100,00 Euro für die Klägerin zu 1.) und jeweils 330,00 Euro für den Kläger zu 2.) verbleibt selbst im einkommensstärksten Monat Januar 2019 nur anrechenbares Einkommen in Höhe von 1142,71 Euro, welches hinter dem vorgenannten Bedarf der Kläger zurückbleibt.

Vor dem Hintergrund, dass die Leistungsgewährung für den Zeitraum Oktober 2018 bis März 2019 vorläufig erfolgte und die Kläger in keinem Monat ihren Bedarf selbst decken können (vgl. § 41a Abs.4 S.2 Nr.2 SGB II), hat die Einkommensanrechnung gemäß § 41a Abs.4 S.1 SGB II durch die Bildung eines Durchschnittseinkommens zu erfolgen. Hierbei ist sowohl für das Einkommen der Klägerin zu 1.) als auch für das Einkommen des Klägers zu 2.) ein Durchschnittseinkommen zu bilden. Denn die Bildung des monatlichen Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Entscheidung nach § 41a Abs.4 S.1 SGB II erfolgt unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit, erfasst alle Einkommensarten und alle Monate des Bewilligungszeitraums (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Juli 2019, Aktenzeichen B 14 AS 44/18 R, Rn 18ff).

Das Einkommen der Klägerin zu 1.) für die Monate Oktober 2018 bis März 2019 beträgt in der Summe 599,10 Euro (108,00 x 3 + 91,70 x 3). Das ergibt ein monatliches Durchschnittseinkommen von 99,85 Euro. Mit Rücksicht auf den Einkommensfreibetrag von 100,00 Euro aus § 11b Abs.2 S.1 SGB II verbleibt im Bewilligungszeitraum Oktober 2018 bis März 2019 kein anrechenbares Einkommen der Klägerin zu 1.).

Das Einkommen des Klägers zu 2.) für die Monate Oktober 2018 bis März 2019 beträgt in der Summe 8761,12 Euro brutto und 6466,62 Euro netto. Dieses Einkommen ist bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens nach § 41a Abs.4 S.1 SGB II auf alle Monate des Bewilligungszeitraums zu verteilen, auch wenn es nur in fünf Monaten zugeflossen ist, da es für die Bildung eines Durchschnittseinkommens nur für die Zuflussmonate keine Rechtsgrundlage gibt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Juli 2019, a.a.O. Rn 42). Das monatliche Durchschnittseinkommen des Klägers zu 2.) beträgt somit 1460,19 (8761,62: 6) Euro brutto und 1077,77 (6466,62: 6) Euro netto. Bereinigt um die monatlichen Erwerbstätigenfreibeträge des Klägers zu 2.) nach § 11b Abs.2 und 3 SGB II von 326,01 Euro verbleibt ein monatlich anrechenbares Einkommen von 751,76 Euro.

Damit besteht in den streitgegenständlichen Monaten Oktober 2018 bis Dezember 2018 ein ungedeckter Bedarf der Kläger von monatlich 462,44 (1214,20 – 751,76) Euro und von 478,44 (1230,20 – 751,76) Euro in den Monaten Januar und Februar 2019. Dieser übersteigt in allen Monaten die bisherige vorläufige und endgültige Leistungsbewilligung des Beklagten. Daher waren die Erstattungsentscheidungen für die Monate Januar und Februar 2019 aufzuheben. Die Ausrechnung des individuellen Anspruchs der Klägerin zu 1.) und des Klägers zu 2.) kann die Kammer im Rahmen eines Grundurteils dem Beklagten überlassen.

Gegebenenfalls ist der Leistungsanspruch der Kläger in den Monaten Oktober 2018 bis Februar 2019 sogar noch höher, da der Kläger zu 2.) im Klageverfahren nachgewiesen hat, dass er in mehreren streitgegenständlichen Monaten Unterhaltsleistungen für seine drei unterhaltspflichtigen Kinder gezahlt hat, so dass eine weitere Bereinigung seines Einkommens um diese Unterhaltszahlungen nach § 11b Abs.1 S.1 Nr.7 SGB II als möglich erscheint. Der Beklagte wird bei der Umsetzung dieses Urteils zu ermitteln haben, ob die von dem Kläger erfolgten Unterhaltszahlungen in der konkreten Höhe auf Grund eines Unterhaltstitels oder einer notariell beglaubigten Unterhaltsvereinbarung erfolgten.

Die Leistungsbewilligung für den Monat März 2019 war von den Klägern nicht in Streit gestellt worden, so dass die Kammer über diesen Monat nicht zu entscheiden hatte.

2. Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens. Rechtsmittelbelehrung
Rechtskraft
Aus
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