S 6 R 597/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 597/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 250/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Sozialgesetzbuch (SGB VI) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X).

Die 1953 geborene Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie war von 1972-1973 im Gartenbau, von 1973-1977 als Reinemachefrau und von 1977-1993 als Montagearbeiterin beschäftigt. Ab 1994 war sie arbeitslos. Unter gleichzeitiger Arbeitssuchendmeldung beantragte die Klägerin ab 22. August 1996, wobei zum Zeitpunkt der Antragsstellung ein auf ihren Namen laufendes Konto bei der Türkischen Nationalbank ein Guthaben i.H.v. 100.000,- DM aufwies. Dies gab sie gegenüber dem Arbeitsamt nicht an. Vom 22. August 1996 bis 6. April 1998 sowie vom 14. Mai 1998 bis 11. Dezember 1998 bezog sie Arbeitslosenhilfe und war im Anschluss arbeitssuchend gemeldet.

Im Herbst 1998 beging der älteste Sohn der Klägerin abends Selbstmord in einem zum Zimmer der Klägerin benachbarten Zimmer. Von 1995 bis September 1997 und sodann im November und Dezember 1998 befand sich die Klägerin in der Behandlung der Neurologin und Psychiaterin C ... Die Klägerin war vom 30. August bis 8. Oktober 1993, vom 1. November 1993 bis 31. Mai 1994 und vom 20. März bis 18. April 1995 unter anderem wegen Depression arbeitsunfähig geschrieben. Eine weitere Arbeitsunfähigkeit bestand vom 2. November bis 8. Dezember 1998.

Sie beantragte erstmals 1999 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Antrag gab die Klägerin an, dass sie sich seit 1994 für erwerbsgemindert halte. Die Neurologin und Psychiaterin C. gab in ihrem Befundbericht im Mai 1999 an, dass sich die Klägerin seit April 1995 regelmäßig in ihrer Behandlung befände. Die Klägerin habe Veränderungen in der Lendenwirbelsäule und es liege eine depressive Entwicklung diesbezüglich vor. Die klinische Psychologin und Psychotherapeutin D. gab in ihrem Befundbericht an, dass sich die Klägerin seit 1998 ihrer Behandlung befände. Es handele sich um eine mittelgradige depressive Episode. Die Klägerin habe seit einigen Jahren unter orthopädischen Beschwerden gelitten. Mit dem Tod des Sohnes als Hoffnungsträger sei die Klägerin in einer Trauerreaktion in eine schwere depressive Krise gestürzt. Sie habe eine Todessehnsucht entwickelt. Der medizinische Dienst der Beklagten gab in seiner auf dieser Grundlage erstellten Stellungnahme an, dass die Klägerin keine Arbeiten ausüben könne. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe seit Mai 1999. Am 1. Juli 1999 waren im Versicherungskonto der Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Antragsstellung über drei Jahre Beitragszeiten vermerkt (Bl. 7 d. Verwaltungsakte), wobei ohne Berücksichtigung der Zeiten wegen Bezugs von Arbeitslosenhilfe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zuletzt im September 1997 erfüllt waren. Mit Bescheid vom 15. Juli 1999 wurde der Klägerin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Die Klägerin bezog bis August 2004 Rentenzahlungen i.H.v. 54.627,49 EUR.

Nach Kenntnis vom Guthaben der Klägerin bei der Türkischen Nationalbank hob die Agentur für Arbeit mit Bescheid vom 16. September 2003 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für Zeiten von 1996-1998 auf, wodurch die entsprechenden Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung entfielen. Die Klägerin habe bei Antragsstellung bzgl. der Arbeitslosenhilfe das Guthaben nicht angegeben. Die Aufhebung durch die Agentur für Arbeit wurde bestandskräftig.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 28. Oktober 2004 wurde die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente vom 15. Juli 1999 mit Wirkung ab 1. Juni 1999 aufgehoben. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien aufgrund des Wegfalls der versicherungsrechtlichen Zeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosenhilfe zum Zeitpunkt des Leistungsfalls im Mai 1999 nicht gegeben. Die Zeiten der Arbeitslosenhilfe könnten nicht als Anrechnungszeiten gewertet werden, da durch sie keine Beschäftigung unterbrochen worden sei. Ab 1993 befänden sich im Versicherungskonto der Klägerin lediglich 16 Pflichtbeitragsmonate. Die Aufhebung werde auf § 45 SGB X gestützt. Die Klägerin sei im Bescheid vom 15. Juli 1999 darauf hingewiesen worden, dass die getroffenen Feststellungen auf dem aktuellen Versicherungsverlauf beruhe. Die Klägerin habe bei der Beantwortung der Fragen beim Arbeitsamt besseren Wissens falsche Angaben bzgl. ihres Vermögens gemacht. Ihr Vertrauen in den Bestand der Rentenbewilligung sei daher nicht schutzwürdig. Auch in Ausübung des Ermessens käme die Beklagte zu keinem anderen Ergebnis. Hierbei sei insbesondere beachtet worden, dass die Klägerin über Vermögen verfüge. Sie sei zur Rückzahlung der Rente i.H.v 54.627,49 EUR nach § 50 SGB X verpflichtet. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2005 wurde der Widerspruch hiergegen als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin habe dem Versicherungsverlauf vor Bewilligung entnehmen können, dass es auf die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe angekommen sei. In der Ermessensausübung sei das Interesse der Versichertengemeinschaft gegen das Interesse der Klägerin abzuwägen. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass der Klägerin durch die Rücknahme andere Versicherungsleistungen für den Zeitraum entgangen wären. Auch war es für die Beklagte nicht zu erkennen, dass die Rentenzahlungen zu Unrecht erfolgten. Zudem habe die Klägerin nachweislich Vermögen auf einem Konto in der Türkei, welches zur Rückzahlung genutzt werden könne. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Az. S 10 R 256/05) nahm die Klägerin 2009 zurück.

Am 5. März 2010 beantragte die Klägerin eine Überprüfung des Bescheids vom 28. Oktober 2004. Die Feststellung des Zeitpunkts des eingetretenen Versicherungsfalls auf den Rentenantrag sei willkürlich und ohne fachärztliche Untersuchung erfolgt. Man habe sich ausschließlich auf die Befundberichte der Neurologin und Psychiaterin berufen. Die Klägerin habe sich jedoch bereits seit 1994 für erwerbsunfähig gehalten. Zumindest sei das Leistungsvermögen bereits vor Herbst 1998 auf unter 3 Stunden täglich gesunken. Zudem sei eine Aufhebung nur für die Zukunft in Betracht gekommen, § 45 SGB X sei nicht anzuwenden gewesen.

In ihrem Befundbericht im Mai 2010 gab die psychologische Psychotherapeutin D. an, dass es sich weiterhin um eine mittelgradige depressive Episode und zudem um eine generalisierte Angststörung bei der Klägerin handele. Bezüglich des Zeitraums vor September 1997 gab die damals behandelnde Neurologin C. in ihrem Befundbericht vom 7. Juni 2010 an, dass die Klägerin an migranoiden Kopfschmerzen und Beschwerden in der Halswirbelsäule gelitten habe.

Der von der Beklagten beauftragte Gutachter Dr. E. kam aufgrund einer ambulanten Untersuchung im Juli 2010 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten weniger als 3 Stunden täglich seit Herbst 1998, dem Suizid des Sohnes, ausüben könne. Der Suizid habe eine massive Verschlechterung des psychophysischen Zustandes bewirkt. Im Gutachten gab der Gutachter an, dass die bei der Untersuchung anwesende Schwiegertochter auf Nachfrage starke Veränderung der Klägerin nach dem Tod des Sohnes bestätigt habe. Vorher sei sie lebensfroh gewesen. Die Klägerin habe zögerlich angegeben, dass es mit dem Tod des Sohnes zu einer massiven Verschlechterung des psychophysischen Befindens gekommen sei.

Mit Bescheid vom 13. Juli 2010 wurde der Überprüfungsantrag abgelehnt. Der Bescheid vom 28. Oktober 2004 sei rechtmäßig. Eine Aufhebung nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X dieses Bescheids komme daher nicht in Betracht. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Erwerbsunfähigkeit allenfalls seit Herbst 1998, dem Suizid des Sohnes der an der Klägerin, vorliege. Zu diesem Zeitpunkt seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch ebenfalls nicht erfüllt gewesen. Die Klägerin habe gegenüber der Bundesagentur falsche Angaben gemacht, und damit auch in Kauf genommen, dass letztlich die Gewährung der Rente auf falschen Angaben des Arbeitsamtes beruhen könne.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28. Juli 2010 Widerspruch. 1993 sei ihr Bruder verstorben, zu dem sie ein besonders inniges Verhältnis habe. Zudem sei die Aufhebung rechtswidrig, da sie auf § 45 SGB X gestützt worden sei. Zutreffend wäre jedoch § 48 SGB X gewesen, wobei eine Aufhebung dann erst ab der Aufhebung der Arbeitslosenhilfe am 16. September 2003 möglich wäre.

Im Befundbericht der psychologischen Psychotherapeutin D. im September 2010 wurde ausgeführt, dass die Klägerin sich im Herbst 1997 oder 1998 erstmals in Behandlung begeben habe. Ihr Bruder sei verstorben und sie habe sich nach 2 bis 3 Jahren nicht sammeln können, dann habe sich der Sohn im Zimmer neben ihr umgebracht. Dr. F. von der ärztlichen Untersuchungsstelle gab an, dass für den Zeitraum 1994-1998 kein untervollschichtiges Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt nachgewiesen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2015 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätten bei Erlass des Bescheids vom 15. Juli 1999 nicht vorgelegen. Denn die Pflichtbeiträge von 1996 bis 1998 seien fälschlich durch die Agentur für Arbeit Frankfurt gemeldet worden, da die Klägerin unrichtige Angaben gemacht habe. Ein Versicherungsfall vor 1998 sei nicht nachgewiesen. Es genügten keine Wahrscheinlichkeitserwägungen, sondern es dürften keine vernünftigen Zweifel verbleiben. Die Klägerin trage die objektive Beweislast. Der Versicherungsfall müsste vor dem 1. Oktober 1997 eingetreten sein. Auch bestehe kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 241 Abs. 2 SGB VI in der vom 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, da diese Vorschrift vorliegend nicht anwendbar sei. Die Klägerin habe den Zeitraum nach dem 31. Dezember 1983 nicht lückenlos mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.

Hiergegen hat die Klägerin am 14. August 2015 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Klägerin wiederholt ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Die Feststellung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls auf den Rentenantrag sei willkürlich erfolgt.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2015 zu verpflichten, den Bescheid vom 28. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2005 aufzuheben.

hilfsweise, festzustellen, dass eine Aufhebung des Bescheids vom 15. Juli 1999 nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X nur für die Zukunft möglich war.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 13. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2015, den die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 56 Sozialgerichtsgesetz angreift. Eine unmittelbare Anfechtung des ursprünglichen Bescheids im Klageverfahren ist nicht möglich (vgl. BSG Urt. v. 25.1.1994 - 4 RA 20/92; Urt. v. 18.5.2010 - B 7 AL 49/08; Urt. v. 4.9.2001 - B 7 AL 84/00 R; Urt. v. 24.7.2003 - B 4 RA 62/02 R; Urt. v. 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R; Urt. v. 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R; Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R; Urt. v. 11.4.2013 - B 2 U 34/11 R; Urt. v. 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R).

Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 28. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2005 nach § 44 SGB X. Der Bescheid vom 13. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Weder ist die Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, noch hat sie bei der Aufhebung der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente das Recht falsch angewandt.

Die Beklagte hat die Aufhebung für die Zukunft sowie für die Vergangenheit zutreffend auf § 45 SGB X gestützt, dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen.

Für die vorliegenden Fallgestaltung, dass durch einen anderen Träger nach Bewilligung der Rente eine Entscheidung getroffen wird, die aufgrund der ex-tunc-Wirkung der Aufhebung der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe zu einer Veränderung hinsichtlich der Grundlagen der ursprünglichen Rentenbewilligung führt, ist § 45 SGB X die zutreffende Rechtsgrundlage.

Nach § 45 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Nach § 48 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, und soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Die Abgrenzung zwischen §§ 45 und 48 SGB X erfolgt auf Grundlage des Sinn und Zweck der Normen, sowie des systematischen Zusammenhangs, in dem sie stehen. Im Kern geht es jeweils um den Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse der Adressaten von möglicherweise schon anfänglich rechtswidrig gewesenen oder nachträglich rechtswidrig gewordenen Verwaltungsakten und dem öffentlichen Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände (§§ 45 – 48 SGB X) oder umgekehrt um das Interesse der Adressaten rechtswidriger Bescheide an deren Korrektur zulasten der Bestandskraft einmal getroffener Entscheidungen (vgl. Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, Vorbemerkung zu §§ 44-49 Rn. 1). Unstreitig ist § 45 SGB X auf diejenigen Fälle anzuwenden, bei denen aufgrund der Unkenntnis der Behörde bei der Bewilligung eine Tatsache nicht beachtet wurde, § 48 hingegen, wenn sich der Sachverhalt nach Bewilligung ab einem nach der Bewilligung liegenden Zeitpunkt ändert. Ändert sich der der Bewilligung zugrundeliegende Sachverhalt nachträglich jedoch mit Rückwirkung, wonach sich der der Bewilligung zugrundeliegende Sachverhalt anders darstellt, ist § 45 SGB X wiederum die zutreffende Rechtsgrundlage für die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung.

Dass § 48 SGB X nicht die zutreffende Rechtsgrundlage sein kann, ergibt sich, dass eine rückwirkende Aufhebung in den Fällen wie dem vorliegenden schon unabhängig von Vertrauensschutzgesichtspunkten immer ausscheiden würde (vgl. BSG Urt. v. 29.5.2008 – B 11a/7a AL 74/06 R). Denn stellt man auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung bezüglich der Arbeitslosenhilfe ab, käme nach § 48 SGB X immer nur eine Aufhebung der Rentenbewilligung mit Rückwirkung für den (sehr kurzen) Zeitraum bis zur Kenntnis der Beklagten in Betracht. Dies wiederum widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck der §§ 44 ff SGB X, wonach diese Ausnahmevorschriften nach Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsakten dennoch weiterhin die Rechtslage herstellen sollen, die materiell rechtmäßig ist.

Hiergegen spricht nicht, dass die Entscheidung der Beklagten von der Entscheidung einer anderen Behörde abhängig war, die die Beklagte nicht selbständig prüfen konnte (so LSG Baden-Württemberg Urt. v. 24.1.2012 – L 13 R 4844/10). Die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung bestimmt sich nach objektiven Maßstäben. Diese sind einer nachträglichen Änderung durch die Verwaltungsentscheidung einer anderen Behörde jedoch zugänglich, sodass ein von der Beklagten für rechtmäßig erachteter Bescheid durch die nachträgliche Entscheidung einer anderen Behörde sich als rechtswidrig erweist (vgl. BSG Urt. v. 29.11.2007 – B 13 R 44/07 R). Denn so wie die Beklagte zunächst an die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe durch die (spätere) Bundesagentur gebunden war, bestand ebenfalls Bindung hinsichtlich der nachträglichen rückwirkenden Aufhebung.

Es kam auch nicht auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Entscheidung des anderen Trägers an (so LSG Baden-Württemberg Urt. v. 24.1.2012 – L 13 R 4844/10; SG Marburg Urt. v. 18.3.2008 – S 2 R 202/05). Dieser Ansicht folgend würden gleiche Sachverhalte unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben unterworfen. Würde die Arbeitslosenbeihilfe vor Rentenbewilligung rückwirkend aufgehoben und die Rente dennoch aufgrund der (noch) gespeicherten entsprechenden Zeiten bewilligt, wäre die Aufhebung der Rentenbewilligung unstreitig auf § 45 SGB X zu stützen. Der gleiche Sachverhalt, nämlich Wegfall der Beitragszeiten, kann jedoch sodann nicht – faktisch per Zufall – anders zu beurteilen sein, wenn die Arbeitslosenbeihilfe nach der Rentenbewilligung aufgehoben wird. Denn in beiden Fällen entfallen die Beitragszeiten von Beginn des Bezugs der Arbeitslosenhilfe an.

Auch die Vorschrift des § 48 Abs. 3 SGB X spricht nicht gegen die Auffassung der Kammer (so aber SG Marburg Urt. v. 18.3.2008 – S 2 R 202/05). Denn diese Norm betrifft gerade nicht den Fall, dass durch eine nachträgliche Entscheidung erst die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligung offenbar wird, sondern den Fall, dass eine rechtswidrige Entscheidung vorliegt und eine weitere Änderung der Verhältnisse eine andere, nicht aus der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligung, resultierende Begünstigung begründet. Die Norm soll eine Begünstigung aufgrund bereits bestehender rechtswidriger Begünstigung, mithin eine doppelte Begünstigung, vermeiden (vgl. Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 SGB X Rn. 30f.). Eine solche ist vorliegend jedoch nicht gegeben, da die Klägerin nur einmal, nämlich hinsichtlich der ursprünglichen rechtswidrigen Bewilligung begünstigt wurde.

Der Rentenbescheid vom 15. Juli 1999 war bereits bei Erlass rechtswidrig, da die Klägerin die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllte. Sie hat in den letzten 5 Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls keine 36 Pflichtbeitragsmonate im Versicherungskonto gehabt.

Nach § 44 SGB VI (i.d.F. v. 24.3.1999, gültig ab 1.4.1999) hatten Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt; erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach § 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

Das Gericht ist zunächst überzeugt, dass die Klägerin vor dem Suizid des Sohnes im Herbst 1998, insbesondere nicht vor dem 1. Oktober 1997 (maßgeblicher Zeitpunkt für die letzte Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen), teilweise oder voll erwerbsgemindert war.

Dies ergibt sich aus den von den behandelnden Ärzten der Klägerin vorgelegten Befundberichten sowie dem im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des Dr. E ... Die Ärzte für Neurologie und Psychiatrie haben als einschneidendes und die Erwerbsfähigkeit der Klägerin prägendes Erlebnis den Selbstmord des Sohnes der Klägerin im Zimmer neben ihr beschrieben. Auch der Gutachter hat in seiner Anamnese darauf Bezug genommen, dass die Klägerin nach Auskunft der ebenfalls anwesenden Schwiegertochter vor dem Suizid grundsätzlich lebensfroh war. Dies spiegelt sich auch in den Befundberichten der Ärztin C. wider. Denn dort werden als Grund der Behandlung die Beschwerden in der Halswirbelsäule und die sich daraus ergebenden Schmerzen angeführt. Die im Anschluss behandelnde Ärztin D. konnte bezüglich des Zeitraums vor Oktober 1997 keine Auskünfte geben, da die Klägerin bei ihr erst nach diesem Zeitpunkt in Behandlung genommen wurde. Der maßgebliche Zeitpunkt der Erwerbsminderung war damit der Suizid des Sohnes im Herbst 1998.

Zu diesem Zeitpunkt lagen keine 36 Monate Pflichtbeiträge vor. Den der Bewilligung zugrundeliegenden Pflichtbeiträgen durch Bezug von Arbeitslosenhilfe ist durch die rechtskräftige Aufhebung der Bewilligung durch die Arbeitsagentur die Grundlage entzogen worden.

Die Voraussetzungen der §§ 240, 241 SGB VI (i.d.F. ab 24.3.1999, gültig ab 1.4.1999) lagen unstreitig bei der Klägerin nicht vor. Auch waren keine Verlängerungstatbestände nach § 44 Abs. 3 SGB VI gegeben.

Die Klägerin kann sich bezüglich der Aufhebung für die Vergangenheit nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn die Bewilligungsentscheidung bezüglich der Arbeitslosenhilfe beruhte auf Angaben, die die Klägerin vorsätzlich falsch gemacht hat. Denn sie hat das Vermögen auf ihrem Konto bei der Türkischen Nationalbank i.H.v. 100.000,- EUR nicht angegeben. Diese mittelbare Verursachung ist im Rahmen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X ausreichend, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Klägerin die sich daraus ergebenden Folgen hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung erkennen konnte. § 45 Abs. 2 SGB X bezweckt nicht, dem Betroffenen nur hinsichtlich des Bescheids, der unmittelbar auf den Falschangaben beruht, Vertrauensschutz zu versagen, hinsichtlich jeder Folgewirkung dieser durch Bescheid ergangenen Entscheidung den Vertrauensschutz unangerührt zu lassen (vgl. BSG Urt. v. 26.8.1992 – 9b Rar 2/92; LSG Bayern Urt. v. 16.2.2011 – L 13 R 52/09).

Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist eingehalten worden.

Zudem sind hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung keine Ermessensfehler ersichtlich.

Bei Ermessensentscheidungen ist der Verwaltung ein Handlungsspielraum eingeräumt. Das Gericht darf bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nicht seine Vorstellungen hinsichtlich einer zweckmäßigen Entscheidung an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Es findet mithin nur eine gerichtliche Rechtskontrolle, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle statt. Gemäß § 54 Abs. 2 SGG hat das Gericht zu prüfen, ob der Versicherungsträger die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, und ob dadurch der Kläger in seinen Rechten verletzt worden ist (vgl. BSG Urt. v. 7.5.2013 – B 1 KR 12/12 R). Aus § 39 Abs. 1 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) und § 54 Abs. 2 S. 2 SGG ergeben sich zwei Schranken der Ermessensausübung: das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Hieraus haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene Kategorien von Ermessensfehlern (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch) entwickelt, wobei die Begrifflichkeiten und Unterteilung in die einzelnen Fallgruppen zum Teil nicht einheitlich sind (vgl. insoweit BSG Urt. v. 18.3.2008 – B 2 U 1/07 R; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 28.5.2014 – L 18 AL 236/13). Keiner dieser Ermessensfehler liegt hier vor.

Die Beklagte hat sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid ausführlich die Interessen der Klägerin an der Beibehaltung der Rentenbewilligung den Interessen der Versichertengemeinschaft gegenüber gestellt. Sie hat dabei insbesondere nicht fehlerhaft das bei der Klägerin vorhandene Vermögen in die Entscheidung mit einbezogen.

Die Rückforderungspflicht der Klägerin ergibt sich aus § 50 SGB X. Hinsichtlich des Erstattungsbetrags sind keine Berechnungsfehler ersichtlich, auch die Klägerin hat die Höhe der bezogenen Rente ab Mai 1999 nicht bestritten.

Der Hilfsantrag war bereits unzulässig, da ein Feststellungsinteresse der Klägerin nicht ersichtlich ist. Die Frage, auf welcher Grundlage eine Aufhebung der Rentenbewilligung erfolgen konnte und ob eine Aufhebung rückwirkend möglich war, ist bereits im Rahmen des Hauptantrags Prüfungsgegenstand gewesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved