L 12 RJ 12/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 31 RJ 338/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 RJ 12/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 52/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Unter Ehen versteht § 46 SGB VI solche, die von verschiedengeschlechtlichen Partnern vor einem Standesbeamten geschlossen worden sind. Witwe oder Witwer kann denk notwendig unter der Hinterbliebene aus einer verschiedengeschlechtlichen Ehe nicht aber der Hinterbliebene aus einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft sein.

2. Darin, daß der Gesetzgeber mit dem LPartDisBG bei den Hinterbliebenenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine Gleichstellung der Hinterbliebenen aus eingetragenen Lebenspartnerschaften mit den aus Ehe (§ 46 SGB VI) getroffen hat, liegt kein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Der Gesetzgeber achtet damit das Abstandsgebot aus Artikel 6 GG, wonach die Ehen und Familien unter den besonderen Schutz des Staates stehen.

3. Die fehlende rechtliche Gleichstellung von Hinterbliebenen beigetragener Lebenspartnerschaften mit denen aus Ehen verstößt nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU betreffen nicht das Recht der Sozialen Sicherung. Sie beziehen sich vielmehr auf das Feld von Arbeit und Beruf, nicht aber auf das Sozialrecht.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung der Witwen- bzw. Witwerrente nach dem Versicherten K.

Der am 2. März 1945 geborene Kläger war mit K. vor dem Standesamt der Stadt A-Stadt am 9. Januar 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft nach dem am 1. August 2001 in Kraft getretenen "Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften" vom 16. Februar 2001 (BGBl. I 266; nachfolgend kurz: LPartDisBG) eingegangen. Der am 10. März 1927 geborene K. verstarb am 19. Mai 2002. Er hatte von der Beklagten zunächst Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit und anschließend Altersrente bezogen. Den Antrag des Klägers vom 3. Juni 2002, ihm nach K. Witwen-/Witwerrente zu gewähren, lehnte die Beklagte ab, da er trotz eingegangener Lebenspartnerschaft mit K. im Sinne von § 46 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) kein rentenberechtigter Hinterbliebener eines verstorbenen Ehepartners sei (Bescheid vom 3. Juli 2002, Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2003). Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) durch Gerichtsbescheid vom 30. September 2003 aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen.

Gegen den am 22. November 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger bei dem SG am 17. Dezember 2003 Berufung eingelegt. Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Juli 2004 persönlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Kläger hält an seinem Begehren fest und verweist zu seiner Rechtsauffassung der Verfassungswidrigkeit von § 46 SGB VI, weil das Hinterbliebenenrecht hinsichtlich der Lebenspartnerschaften den Ehen nicht gleichgeregelt sei, auf die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Oktober 2003 (Az.: S 27 RA 99/02).

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2003 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm aus der Versicherung seines Lebenspartners J. K. ab dem 1. Juni 2002 Witwen-/Witwerrente zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beklagten- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ist unbegründet. Das SG hat die zulässige Klage (§§ 51, 54 Abs. 1, 57 Abs. 3, 87, 90 SGG) zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Der Kläger ist nicht anspruchsberechtigt, weil er kein rentenberechtigter Hinterbliebener des K. im Sinne von § 46 SGB VI ist.

Außerhalb der tragenden Gründe der Entscheidung des Senats merkt er an: Der Anspruch des Klägers auf eine Witwen-/Witwerrente ist nicht schon im Hinblick darauf ausgeschlossen, daß die eingetragene Lebenspartnerschaft trotz des Inkrafttretens des LPartDisBG am 1. August 2001, erst am 9. Januar 2002 begründet worden ist, also weniger als ein Jahr angedauert hat. Insoweit sieht § 46 Abs. 2a SGB VI bei Ehen als widerlegbare Vermutung das Institut der Versorgungsehe vor, die die Witwen-/Witwerrente ausschließt (vgl. dazu Eicher-Haase-Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Anm. 4 zu § 46 SGB VI mit weiteren Hinweisen, Dahm in Kompaß ½ 2004, S. 16 f. zu § 65 Abs. 6 SGB VII und § 35 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes). Bei rechtsanaloger Anwendung, wie sie das Sozialgericht Düsseldorf vorgenommen hat, wäre in den Fällen der vorliegenden Art auch eine die Rente ausschließende "Versorgungslebenspartnerschaft" zu prüfen. Dazu trifft der Senat rein vorsorglich auf Grund der persönlichen Anhörung des Klägers die Feststellung, daß zwischen ihm und K. am 9. Januar 2002 keine solche "Versorgungslebenspartnerschaft" begründet worden ist. Ehe diese eingetragen werden konnte, lebten der Kläger und K. zur Überzeugung des Senats bereits seit 1967 wie eingetragene Lebenspartner zusammen. Sie wirtschafteten, wie es der Kläger sehr anschaulich schilderte, in einen Topf, wie in einer verschiedengeschlechtlichen Ehe. Auf die weiteren Angaben wird verwiesen. Die Vermutung einer "Versorungslebenspartnerschaft" ist nach diesen glaubhaften Angaben des Klägers widerlegt. Sie konnte nach dem Inkrafttreten des LPartDisBG am 1. August 2001 nicht früher als am 9. Januar 2002 begründet werden. Insoweit darf es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, daß K. bereits vor dem 1. August 2002 verstorben ist, weil der Gesetzgeber das LPartDisBG erst zum 1. August 2001 in Kraft gesetzt hat.

Indessen steht dem Rentenanspruch § 46 Abs. 1 SGB VI entgegen. Nach dieser Vorschrift haben für längstens 24 Monate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten Anspruch auf die kleine Witwen- oder Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Diese Voraussetzungen sind hier bis auf die Erfüllung der Wartezeit nicht gegeben. § 46 SGB VI knüpft die Gewährung von Hinterbliebenenrente an das Vorausbestehen einer gültigen Ehe, die durch den Tod eines Ehepartners geendet hat, an. Die Wortwahl bei § 46 Abs. 1 SGB VI ist eindeutig, klar und prägend. Witwe oder Witwer kann nur der Überlebende eines Ehepartners aus einer wirksam geschlossenen verschiedengeschlechtlichen Ehe sein. Dies folgt auch aus dem Hinweis auf den "versicherten Ehegatten" und daraus, daß der "versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt" haben muß (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar, § 46 SGB VI, Anmerkungen 4 und 5, Jahn-Pierscianek, SGB VI, Anmerkung 3 zu § 46 SGB VI, Heidemann/Letzner in DRV 2004, Seite 124 f.). Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht. Er führte mit K. eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, also keine vor einem deutschen Standesbeamten eingegangene verschiedengeschlechtliche Ehe.

Für seine Auffassung kann der Kläger sich auch nicht auf das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Oktober 2003 berufen. Darin hat zwar dieses Gericht § 46 SGB VI dahin ausgelegt, daß er auch auf die nach dem LPartDisBG begründbaren Lebenspartnerschaften anwendbar sei, was eine verfassungskonforme Auslegung gebiete. Unter der Geltung des LPartDisBG sei das eingeschränkte Wortverständnis der traditionellen Begriffe Witwe und Witwer nicht mehr ausreichend. Dies würden einzelne Regelungen des LPartDisBG gebieten, nämlich die gegenseitigen Unterhaltspflichten (§ 5 a. a. O.), die gegenseitige Verantwortung (§ 2 a. a. O.), das Erbrecht (§ 10 a. a. O.) und die Anforderungen an eine Aufhebung der Lebenspartnerschaft (§ 15 a. a. O.), die den bestehenden Regelungen für gültige Ehen entsprächen. Auch Europäisches Gemeinschaftsrecht mit den Antidiskriminierungsrichtlinien rechtfertigten die Gleichstellung des hinterbliebenen Lebenspartners mit einer Witwe oder einem Witwer. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf verwiesen. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Bereits in seiner vorausgegangenen Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2003 (Az.: L 8 RA 2/03), die das Sozialgericht Düsseldorf nicht erwähnt hat, ist solchen Tendenzen zur Gleichbehandlung von Eheleuten und Lebenspartnern nach dem Tode in Bezug auf das Hinterbliebenenrecht widersprochen worden. Auch darauf verweist der Senat. Substantiell überzeugend haben Heidemann und Letzner (a. a. O.) im einzelnen nachgewiesen, daß das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf, das offenbar politisch so gewollt ist, nicht den Regeln einer sorgfältigen richterlichen Deduktion entspricht. Es ist nach der Überzeugung des Senats nicht Aufgabe der Gerichte, anstelle des Gesetzgebers geltendes Recht durch Rechtsprechungsakte umzukehren. Das Sozialgericht Düsseldorf hat die Unterschiede der rechtlich geregelten Beziehungen zwischen Ehepartnern und Lebenspartnern einfachgesetzlich, verfassungsrechtlich und europarechtlich verkannt. Übersehen habe es, so Heidemann und Letzner (a. a. O.) weiter, daß es sich bei der Lebenspartnerschaft zum Vergleich der Ehe um ein "aliud" handele (Bundesverfassungsgericht - BverfG -, Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1 und 2/02 - in NJW 2002, Seite 2543 ff., 2549). Es habe nicht den Sinn und Zweck der rentenrechtlichen Hinterbliebenenregelungen von § 46 SGB VI gegenüber der fehlenden nach dem LPartDisBG gegeneinander abgewogen. Hierzu hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 29. Januar 2004 (Az.: B 4 RA 29/03 R) auf Seite 10 unter II. 1 lit. b ausgeführt, daß eine erweiternde Auslegung der Ausdrücke "Witwer, Witwen" und "Ehegatten" von vornherein ausgeschlossen sei, weil das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft sich ausschließlich "an Personen wendet, die miteinander keine Ehen eingehen können" (BVerfG in E 105, 313, 347); die Rechtsbegriffe "Ehegatte" und "Lebenspartner" schlössen sich aus, so daß für eine Auslegung oder rechtsanaloge Anwendung kein Raum sei. Insoweit liegt auch keine konzeptwidrige Lücke bei der Ausgestaltung des LPartDisBG in Bezug auf das Hinterbliebenenrecht des Sechsten Buches des SGB vor. Vielmehr sind die Vorschriften der §§ 46, 48, 242 a, 243, 243 a SGB VI ("Renten wegen Todes") verfassungsgemäße Konkretisierungen der Pflicht des Staates, die Ehe und Familie zu schützen und ihren wirtschaftlichen Zusammenhalt zu fördern (BSG, a. a. O. und BVerfG in SozR 2200, § 1264 RVO Nr. 6, S. 17). Die Ausführungen des Sozialgerichts Düsseldorf zum Gleichheitssatz nach Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), so Heidemann und Letzner, griffen zu kurz. Weiter weisen Sie auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 GG hin und begründen, warum nach dem Gang der Gesetzgebung und dem Willen des Gesetzgebers kein Verstoß gegen das Willkürverbot im Hinblick auf die nicht vorgenommene Gleichbehandlung vorliegt. Das Sozialgericht Düsseldorf habe sich ferner nicht mit dem Abstandsgebot aus Art. 6 GG (vgl. dazu u. a. Pauly NJW 1997, 1995, Papier und Haas NJW 2002, Seite 2551 f.), das die Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stelle, auseinandergesetzt. Schließlich seien die Rechtsregelungen der Europäischen Union mit ihren Antidiskriminierungsrichtlinien unzutreffend herangezogen worden. Diese beträfen das Feld von Arbeit und Beruf, nicht aber das Sozialrecht. Insoweit verweist der Senat auf die Darlegungen des BSG im Urteil vom 29. Januar 2004 (a. a. O.) unter E, Abschnitte I und II, S. 28 bis 30. Das BSG hat hierzu die Rechtsauffassung von Heidemann und Letzner (a. a. O.), wenn auch nicht ausdrücklich, aber in der Sache selbst grundsätzlich bestätigt. Der Senat braucht diese überzeugenden Darlegungen nicht im einzelnen zu referieren. Er macht sie sich vielmehr zu eigen und weist auch deshalb die Berufung zurück.

Da die Voraussetzungen für die kleine Witwen-/Witwerrente nicht vorliegen, kommt auch nicht die große Witwen-/Witwerrente in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat trotz der Entscheidung des BSG vom 29. Januar 2004 (a. a. O.) die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zumißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Das Urteil des BSG vom 29. Januar 2004 befaßt sich nicht mit dem Anspruch eines Hinterbliebenen gleichgeschlechtlicher Lebenspartner auf die Witwen-/Witwerrente nach Eintritt des Todes des Lebenspartners. Vielmehr war Gegenstand des Rechtsstreits allein, ob ein noch lebender Lebenspartner bei gleichzeitigem Leben und Fortbestand der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit dem anderen Lebenspartner für den Fall seines Todes ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung haben kann, daß dem überlebenden Lebenspartner die Gewährung der Witwen-/Witwerrente vom Rentenversicherungsträger zugesichert werden muß. Dies hat das BSG im Hinblick darauf, daß es sich nach der Rechtsprechung des BVerfG bei dem Anspruch auf die Witwen-/Witwerrente für den überlebenden Hinterbliebenen eines bis zum Tode des Versicherten mit dem Verstorbenen verheirateten Ehepartners lediglich um die bloße Aussicht auf diese Leistung handele, verneint. Das BSG hat damit für den hiesigen konkreten Fall des geltend gemachten Hinterbliebenenrentenanspruchs des überlebenden Lebenspartners bei im Tode des Versicherten bestehender Lebenspartnerschaft keine Entscheidung getroffen. Eine solche ist für den Senat zum Zeitpunkt seiner Entscheidung auch sonst nicht ersichtlich. Deswegen ist dem BSG die Möglichkeit zu eröffnen, sich dazu zu äußern.
Rechtskraft
Aus
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