L 17 B 60/99 RA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 B 60/99 RA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 1999 aufgehoben. Der Vollzug des Bescheides der Antragsgegnerin vom 10. März 1999 wird einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Der Antragsteller begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung der Aberkennung einer Entschädigungsrente nach dem Gesetz über Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet - ERG - vom 22. April 1992 (BGBl. I 906) bis zur Entscheidung in der Hauptsache.

Der am ... geborene Antragsteller hat den Beruf eines ... erlernt. In der Zeit vom ... 1935 bis zum ... 1936 war er wegen Betätigung für die SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) inhaftiert. Nach dem Ende des Zweiten Welt-krieges war er zunächst im Gebiet der ehemaligen DDR weiter als ... tätig. In der Zeit vom 1. Juni 1951 bis 31. Mai 1953 nahm der Antragsteller an einem Ausbildungslehrgang für Richter und Staatsanwälte teil. Seit 1953 war er Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA). Nachdem der Antragsteller 1958 das juristische Staatsexamen an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften “Walter Ulbricht” bestanden hatte, war er zunächst seit 1961 bei der Bereitschaftspolizei Berlin (Ost) als Stellvertreter des Militärstaatsanwaltes tätig. Im Oktober 1965 wechselte er zur Militäroberstaatsanwaltschaft. Hier war er Militärstaatsanwalt ... und in gleicher Funktion ab ... tätig. Am ... schied er wegen Erreichens der Altersgrenze im Range eines Oberstleutnants aus dem Dienst aus.

Dem Antragsteller war aufgrund der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie deren Hinterbliebene (EhPensAO) vom 20. September 1976 (Vertrauliche Dienstsache -VD 26/19/76) in der DDR eine Ehrenpension zuerkannt worden. Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zahlte ab 3. Oktober 1990 die Ehrenpension in Höhe von 1.400,-- DM zu Lasten der Antragsgegnerin weiter. Ab dem 1. Mai 1992 bewilligte die BfA in Ersetzung des Rechts auf eine Ehrenpension eine Entschädigungsrente nach § 2 ERG in der gleichen Höhe.

Mit Schreiben vom 31. Juli 1998 wies die Beigeladene zu 1) den Antragsteller darauf hin, dass er in der DDR an sieben im Einzelnen genannten gerichtlichen Verfahren vor dem Stadtgericht Berlin, dem Militärobergericht Berlin und dem Obersten Gericht der DDR als Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft teilgenommen habe. Hierbei habe er in seiner Funktion als Militärstaatsanwalt nachhaltig gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Die Gerichte seien seinen Strafanträgen bei den verhängten Urteilen gefolgt, in einem Fall habe der Strafantrag des Antragstellers über der verhängten Freiheitsstrafe gelegen. Dem Antragsteller wurde der Inhalt der jeweiligen gerichtlichen Verfahren, der zugrunde gelegte Sachverhalt, seine eigene Mitwirkung und in fünf Fällen die zwischenzeitlich erfolgte Rehabilitierung der seinerzeitigen Angeklagten durch Beschlüsse des Landgerichts Berlin vorgehalten. Die genannten Verurteilungen seien rechtsstaatswidrig gewesen. Als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe er in den genannten Verfahren auf eine rechtsstaatswidrige Verurteilung der Angeklagten hingewirkt. Die Rechtsstaatswidrigkeit der Verurteilung sei in fünf Verfahren durch Beschlüsse des Landgerichts Berlin im Rehabilitierungsverfahren festgestellt worden. Die Rechtsstaatswidrigkeit der Verurteilung in den übrigen beiden Verfahren ergebe sich unter Anwendung der Vorschriften des § 1 Abs. 1 Ziffer 1 Buchst. i, Abs. 3 und § 1 Abs. 1 Ziffer 1 Buchst. i des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) vom 29.Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814). Der Verstoß gegen den Grundsatz der Menschlichkeit liege darin, dass er als Anklagevertreter in den genannten Verfahren einen mitursächlichen Beitrag dazu geleistet habe, dass die damaligen Angeklagten aufgrund ihrer Verurteilungen - in den meisten Fällen über mehrere Jahre - ihrer Freiheit beraubt worden seien.

Der Verstoß gegen diese Grundsätze entfalle auch nicht dadurch, dass die bei der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin gegen den Antragsteller anhängig gewesenen Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung eingestellt worden seien. Die Maßstäbe für die Rechtsbeugung einerseits und den Vorwurf des Grundsatzverstoßes andererseits seien unterschiedlich. Der Bundesgerichtshof (BGH St 41, 247, 251) habe zwar entschieden, dass die bloße Anwendung der Vorschriften des politisch motivierten Strafrechts durch Richter und Staatsanwälte der DDR noch keine Rechtsbeugung darstelle, gleichzeitig habe der BGH jedoch keinen Zweifel an der Rechtswidrigkeit der Heranziehung der einschlägigen Strafbestimmungen in Fällen der vorliegenden Art gehegt und insoweit ausdrücklich auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG verwiesen. Die genannten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit seien dem Antragsteller auch persönlich vorzuwerfen. Nach Maßgabe der grundgesetzlichen Rechtsordnung anerkannte Entschuldigungsgründe seien nicht ersichtlich.

Mit Schreiben vom 23. August 1998 gab die Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber der Beigeladenen zu 1) ihre Stellungnahme ab. Unter anderem beantragte sie gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 ERG die Anhörung zweier Verfolgtenverbände. Auf die Anhörungsschreiben der Kommission an die genannten Verbände vom 26. August 1998 reagierte der Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgte des Naziregimes und Hinterbliebener (IVVdN) e.V. mit Schreiben vom 18. September 1998 und vom 6. Oktober 1998 jeweils mit der Bitte um Fristverlängerung, letztmalig bis zum Ende einer Kur des Antragstellers am 17.Oktober 1998. Die Kommission verlängerte die Frist bis zum 16. November 1998. Eine inhaltliche Stellungnahme des IVVdN erfolgte nicht. Die ebenfalls benannte Arbeitsgemeinschaft ehemaliger 999er in DRAFD hat auf das Anhörungsschreiben nicht reagiert.

Mit Beschluss vom 14.Dezember 1998 schlug die Beigeladene zu 1) der Antragsgegnerin die vollständige Aberkennung der Rente vor. Dabei wurde dem Antragsteller die Teilnahme als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in folgenden Fällen zur Last gelegt:

1. Aktenzeichen ...:
Das Militärobergericht Berlin hatte in diesem Verfahren am ... 1963 den damaligen Angeklagten H. P. wegen Spionage in Tateinheit mit Fahnenflucht und Beiseiteschaffen einer Waffe und Munition, Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft der Kampftechnik und wegen staatsgefährdender Hetze zu einer Gesamtstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Das Urteil entsprach dem Antrag des Antragstellers. Der Verurteilte wurde nach eigenen Angaben am 6. April 1966 aus der Strafhaft entlassen.

2. Aktenzeichen ...:
Das Militärobergericht Berlin hatte in diesem Verfahren den damaligen Angeklagten P.K. am ... 1964 wegen fortgesetzter Verletzung militärischer Geheimnisse in Tateinheit mit Verletzung der Vorschriften über den Grenzdienst, Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft der militärischen Ausrüstung und Beihilfe zum illegalen Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Auch dieses Urteil entsprach dem Antrag des Antragstellers als Sitzungsvertreter des Militärstaatsanwaltes. Der Verurteilte befand sich noch bis zum 16. März 1965 in Haft. Das Urteil wurde durch Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 1992 aufgehoben und der Verurteilte rehabilitiert.

3. Aktenzeichen ...:
In diesem Fall hatte das Militärobergericht Berlin mit Urteil vom ... 1964 den damaligen Angeklagten H.A. wegen Beihilfe zur Fahnenflucht zu 1 Jahr und 5 Monaten Zuchthaus verurteilt. Der damalige Angeklagte R.T. wurde wegen Spionage in Tateinheit mit Fahnenflucht und wegen fortgesetzten Diebstahls von persönlichem Eigentum zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Auch in diesem Fall entsprach das Gericht dem Strafantrag des Sitzungsvertreters der Militärstaatsanwaltschaft. Der Verurteilte H.A. befand sich nach seiner Verurteilung noch bis zum 14. Oktober 1964 in Strafhaft. Über die Dauer der Haft des R.T. ist nichts bekannt. Die Verurteilung des H.A. wurde durch das Landgericht Berlin am 23. Februar 1993 aufgehoben.

4. Aktenzeichen ...:
In diesem Verfahren hatte das Militärobergericht Berlin den damaligen Angeklagten F.A.B. am ... 1966 wegen des Unternehmens der Spionage in Tateinheit mit der Vorbereitung des ungesetzlichen Verlassens der DDR zu 3 Jahren und 2 Monaten Zuchthaus verurteilt. Auch dieses Urteil entsprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Nach seiner Verurteilung befand sich F.A.B. noch bis 20. August 1968 in Haft.

5. Aktenzeichen ...:
In diesem Falle hatte das Militärobergericht Berlin am ... 1967 den damaligen Angeklagten K.K. wegen Spionage zu 4 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Auch dieses Urteil entsprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die durch den Antragsteller vertreten war. K. K. befand sich nach seiner Verurteilung noch bis zum 16. Juli 1969 in Haft.

6. Aktenzeichen ...:
In diesem Falle hatte das Militärobergericht Berlin den damaligen Angeklagten H. Z. am 28. Juli 1968 wegen eines Verbrechens der staatsgefährdenden Propaganda und Hetze in Tatmehrheit mit Wehrdienstentziehung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hatte der Militärstrafsenat des Obersten Gerichts der DDR am 30. August 1968 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsteller war in dem zuletzt genannten Verfahren der Sitzungsvertreter der Militäroberstaatsanwaltschaft, welchen Antrag er gestellt hat, ist nicht bekannt. Der damalige Angeklagte befand sich in dieser Sache noch bis zum 18. Dezember 1969 in Strafhaft. Die Verurteilung ist durch Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. September 1992 aufgehoben und der Betroffene rehabilitiert worden.

Im Beschluss der Beigeladenen zu 1) vom 14. Dezember 1998 heißt es weiter: Die Verurteilungen durch DDR-Gerichte aufgrund der im Regelaufhebungskatalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bis i StrRehaG genannten politischen Straftatbestände einschließlich der jeweiligen Vorläufervorschriften seien regelmäßig rechtsstaatswidrig gewesen. Damit sei zugleich auch das Unwerturteil eines Grundsatzverstoßes nach § 5 Abs. 1 ERG verbunden. Denn nach der grundgesetzlichen Ordnung könne die Rechtsstaatswidrigkeit von Entscheidungen der DDR- Justiz nach dem StrRehaG nicht anders als nach § 5 Abs. 1 ERG bewertet werden. Der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit durch Entscheidungen von DDR-Gerichten beinhalte auch zwingend einen Verstoß gegen den Grundsatz der Menschlichkeit. Dies ergebe sich daraus, dass bei Verurteilungen aufgrund des politischen Strafrechts der DDR die Verurteilten zwangsläufig zugleich in ihrem Menschenrecht auf Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug verletzt worden seien.

Hinsichtlich der Frage, ob das Recht auf den Bezug der Entschädigungsrente (nur) zu kürzen oder abzuerkennen sei, führte die Beigeladene zu 1) aus, es komme insoweit auf die Intensität und das Ausmaß der Grundsatzverletzung an. In den ersten fünf genannten Verfahren habe das auf Antrag des Antragstellers verhängte Strafmaß rund 21 Jahre und 6 Monate betragen. Es stehe fest, dass sich nach Verkündung der Urteile fünf der sechs Verurteilten noch rund 8 Jahre in Haft befunden hätten. Zudem sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass der in dem unter Ziffer 3 genannten Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilte R. T. sich nach Urteilsverkündung noch über einen längeren Zeitraum in Haft befunden habe. Darüber hinaus habe der Antragsteller als Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft in dem unter Ziffer 6 genannten Verfahren mitzuverantworten, dass die Berufung des damaligen Verurteilten zurückgewiesen worden sei und er im Anschluss daran noch rund 15 Monate inhaftiert gewesen sei. Allein in den sechs (von insgesamt elf) aufgegriffenen Verfahren hätten sich die sieben Verurteilten nach den Entscheidungen der DDR-Militärjustiz, an denen der Antragsteller beteiligt gewesen sei, zumindest noch 10 Jahre in Unfreiheit befunden. Sowohl wegen der Schwere als auch wegen des Ausmaßes der Grundsatzverletzungen habe der Totalentzug zu erfolgen. Trotz des mehrjährigen Bezuges der Entschädigungsrente stünden Vertrauensgesichtspunkte dem nicht entgegen.

Daraufhin erkannte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. März 1999 das gegen die Beigeladene zu 2) gerichtete Recht des Antragstellers auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung ab.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 8. April 1999 Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Zugleich hat er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 16. August 1999 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Die angefochtene Entscheidung erweise sich nach der gebotenen summarischen Überprüfung als rechtmäßig. Die Klage habe damit keine Aussicht auf Erfolg. In diesem Fall könne eine Aussetzung des Vollzuges regelmäßig nicht erfolgen, da das öffentliche Interesse an der Vollziehung grundsätzlich überwiege.

Die angefochtene Entscheidung leide nicht an einem Verfahrensfehler. Die Tatsache, dass die beiden Verfolgtenorganisationen in dem Verfahren nicht Stellung genommen hätten, sei unschädlich, weil diese genügend Zeit zu einer Stellungnahme gehabt hätten. Auch ein Anhörungsmangel bezogen auf den Antragsteller liege nicht vor, weil ihm im Laufe des Verfahrens deutlich gemacht worden sei, dass von den elf beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren nur die im Bescheid erwähnten sechs Verfahren Grundlage der Aberkennungsentscheidung geworden seien. Zu diesen Verfahren habe der Antragsteller hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, da er von der Beigeladenen zu 1) zu diesen Verfahren angehört worden sei. Einer erneuten Anhörung durch die Beklagte habe es nicht bedurft.

Der angefochtene Bescheid sei nach summarischer Prüfung auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Die Strafanträge des Antragstellers in den im Bescheid genannten Verfahren, denen die jeweiligen Gerichte gefolgt seien, seien ebenso wie die nachfolgenden Verurteilungen nach Überzeugung des Gerichts rechtswidrig und hätten daher gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Darüber hinaus hätten sie die seinerzeitigen Angeklagten in ihrem Menschenrecht auf Freiheit verletzt. Die Rechtsstaatswidrigkeit der dem Antragsteller vorgehaltenen Verurteilungen ergebe sich schon aus dem Katalog des § 1 Abs. 1 Nr. a bis i StrRehaG. Zur Überzeugung des Gerichts könne das Urteil über die Rechtsstaatswidrigkeit eines Urteils der DDR-Justiz im Rahmen des StrRehaG nicht anders ausfallen als im Rahmen des § 5 Abs. 1 ERG. Dem Antragsteller könne nicht dahingehend gefolgt werden, dass aus der Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung gegen ihn zwingend folge, dass er stets, also auch in den ihm zum Vorwurf gemachten Verfahren, rechtmäßig gehandelt habe. Wenn es vorliegend nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers gekommen sei, so lasse dies nicht den Rückschluss auf ein stets rechtmäßiges Verhalten zu. Das ERG habe im Unterschied zum Strafgesetzbuch keinen Strafcharakter, dem Betroffenen werde nicht wegen eines in der Vergangenheit liegenden Verbrechens oder Vergehens ein individueller Tatvorwurf gemacht, der zur Auferlegung einer der Tat angemessenen Sanktion führe, sondern vielmehr solle nach dem ERG nur dann das grundsätzlich weiter gewährte Recht auf Wiedergutmachung aberkannt werden, wenn der Betroffene zugleich Täter von Menschenrechtsverletzungen sei und sich somit des Wiedergutmachungsrechts unwürdig erwiesen habe. Daher vermöge auch der Hinweis des Antragstellers auf das Recht der DDR, welches er immer zutreffend angewandt habe und der Hinweis darauf, dass die Maßstäbe des Grundgesetzes für ihn in der DDR keine Geltung gehabt hätten, dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Antragsteller verkenne, dass die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit zur Überzeugung des Gerichts jeden Staat bänden und ihre Verletzung niemals durch ein Gesetz legitimiert sein könne. Gerade der Antragsteller als Opfer des Nationalsozialismus hätte für diese elementaren rechtlichen Grundsätze in besonderer Weise sensibilisiert sein müs-sen. Der Antragsteller habe auch gegen den Grundsatz der Menschlichkeit verstoßen, denn es folge aus der absoluten und universalen Geltungsanordnung des Artikel I Grundgesetz, dass es jedem Machthaber sowie dem Machtsystem, dem er angehöre, schlechthin untersagt sei, die Würde des Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen “Werten” soweit unterzuordnen, dass sie im Kern vernichtet würden. Dem Antragsteller seien die aufgezeigten Verstöße auch subjektiv zuzurechnen. Ihm seien die Tatsachen bekannt gewesen, aus denen sich die Unvereinbarkeit der von ihm gestellten Strafanträge mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergeben habe. Aufgrund seiner Tatsa-chenkenntnis sei es für ihn evident gewesen, dass seine Strafanträge mit den vorgenannten Grundsätzen unvereinbar gewesen seien. Bei einer ihm zumutbaren Gewissensanspannung hätte er die Unmenschlichkeit und Rechtsstaatswidrigkeit/Unverhältnismäßigkeit unschwer erkennen können.

Die Beklagte habe auch zu Recht die vollständige Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente verfügt. Entscheidend komme es insoweit auf die Schwere und Intensität der Unrechtshandlungen des Betroffenen in der DDR an. Die Folgen der Strafanträge des Antragstellers hätten zu langjährigen Freiheitsstrafen der seinerzeitigen Angeklagten mit beigetragen. Die Schwere dieser Unrechtshandlungen rechtfertige daher die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Recht auf eine Entschädigung für die dem Antragsteller von den Nationalsozialisten zugefügten Menschenrechtsverletzungen in vollem Umfange abzuerkennen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der der Antragsteller weiterhin geltend macht, dass die Mitwirkung an einem rechtlich nicht zu beanstandenden Verfahren, das nicht zu einer Rechtsbeugung durch das erkennen-de Gericht geführt habe, keinesfalls als Menschenrechtsverletzung und Verletzung der Rechtsstaatlichkeit qualifiziert werden könne. Insbesondere deshalb nicht, weil die DDR weder wegen ihrer Strafgesetze noch ihrer Rechtsprechung von zuständigen internationalen Gremien jemals gerügt worden sei.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 1999 aufzuheben und den Vollzug des Bescheides vom 10. März 1999 bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1) und zu 2) haben sich dem Antrag der Antragsgegnerin angeschlossen.

Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts zum Aktenzeichen S 7 RA 1495/99 ER und S 7 RA 1495/99 haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.

Mögliche Rechtsgrundlage für das von der Beklagten in Anspruch genommene Recht auf Aberkennung der dem Kläger bestandskräftig zuerkannten Entschädigungsrente ist allein § 5 Abs. 1 ERG. Für das Aberkennungsverfahren verweist § 5 Abs. 3 ERG auf die Vorschriften des Versorgungsruhensgesetzes (VersRuhG). § 6 VersRuhG eröffnet für Streitigkeiten aufgrund dieses Gesetzes den Rechtsweg zu den Sozialgerichten und erklärt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 die Vorschrift des § 97 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG für entsprechend anwendbar. Demzufolge war gemäß § 172 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 97 Abs. 2 Satz 1 SGG zu entscheiden.

Nach der zuletzt genannten Vorschrift kann das Gericht auf Antrag des Klägers nach Anhörung des Beklagten anordnen, dass der Vollzug eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, wenn ein Verwaltungsakt angefochten wird, der eine laufende Leistung herabsetzt oder entzieht. Dabei hat das Sozialgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Aussetzung der Vollziehung nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGG in erster Linie dann in Betracht kommt, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Ist dies der Fall, dann ist in der Regel dem Antrag stattzugeben (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage 1998, Rdnr. 17 b zu § 97 SGG).

So liegt der Fall hier. Die Klage hat voraussichtlich Aussicht auf Erfolg, so dass dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Bescheide bis zur Entscheidung in der Hauptsache stattzugeben war. § 5 Abs. 1 ERG rechtfertigt bei der im einstweiligen Verfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht die in den angefochtenen Bescheiden vorgenommene Aberkennung, zumindest nicht die vollständige Aberkennung des Rechts des Antragstellers auf Entschädigungsrente. Da eine sogenannte geltungserhaltende Reduktion des Entziehungsaktes den Gerichten nicht erlaubt ist (BSG vom 30. Januar 1997, 4 RA 23/96 = SozR 3-8850 § 5 Nr. 1), hat die Klage auch in dem zuletzt genannten Fall, dass lediglich die vollständige Entziehung des Rechts auf Entschädigungsrente nicht gerechtfertigt wäre, Aussicht auf vollen Erfolg.

§ 5 Abs. 1 ERG, der nicht gegen das Grundgesetz verstößt (vgl. BSG vom 30. Januar 1997 4 RA 99/95 = SozR 3-8850 § 5 Nr. 2), setzt in einer sogenannten Unwürdigkeitsklausel voraus, dass der Betroffene durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Die in § 5 Abs. 1 ERG genannte zweite Alternative, dass der Betroffene in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat, steht hier nicht in Rede und wird dem Antragsteller nicht vorgeworfen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) setzt ein Verstoß gegen die oben genannten Grundsätze voraus, dass dem Betroffenen ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, vorgeworfen werden kann, mit dem er gegen die Inhalte der oben genannten Grundsätze vorge-gangen ist oder Verstößen gegen sie - obwohl ihm möglich und zumutbar - nicht entgegengetreten ist. Es genügt dafür eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtlichen Teilnahmeformen begrenzt ist (unter Verweis auf BVerfGE 31, 337, 342). Vor diesem Hintergrund reicht die Teilnahme des Antragstellers als Vertreter des Militärstaatsanwaltes an den ihm vorgehaltenen Verfahren als “Teilnahme” an den im Ergebnis vorgenommenen Verurteilungen aus, zumal das Urteil in fünf der dem An-tragsteller vorgehaltenen Fällen nachweisbar dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprach. Dabei kann im Hinblick auf den vorgenannten Teilnahmebegriff außer Acht bleiben, dass auch in der Justiz der DDR eine faktische Bindung des Gerichts an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht festgestellt werden konnte (vgl. Hubert Rottleuthner in ders., Das Havemann-Verfahren, Baden-Baden 1999, S. 377 f.).

Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die Teilnahme des Antragstellers an den genannten Strafverfahren der DDR-Justiz als schwerwiegender Verstoß gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit anzusehen ist, der es rechtfertigt, die dem Antragsteller zustehende Entschädigungsrente abzuerkennen.

Das Bundessozialgericht hat bisher zu der Frage, inwieweit die Teilnahme von Richtern und Staatsanwälten an Strafurteilen der DDR-Justiz im Zusammenhang mit Ausreisedelikten die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 ERG erfüllt, noch nicht Stellung genommen. In den bisher bekannt gewordenen einschlägigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts ging es ausschließlich um Fälle, in denen die Mitwirkung an Beschlüssen zur Einrichtung bzw. Aufrechterhaltung des Grenzregimes der DDR mit Selbstschussanlagen und Schießbefehl für die Grenzsoldaten den Vorwurf charakterisierten (BSG vom 30. Januar 1997 - 4 RA 23/96, 4 RA 99/95 -, vom 24. März 1998 - B 4 RA 78/96 R = SozR 3-8850 § 5 Nr. 1-3). Ein solches Verhalten wird dem Antragsteller nicht vorgeworfen. Auch wenn die Teilnahme an der Strafjustizpraxis der DDR letztlich ebenso wie das Grenzregime dazu diente, die freie Ausreise der DDR-Bürger zu verhindern, so kann die Mitwirkung an solchen Strafurteilen nicht gleichgesetzt werden mit dem Grenzregime selbst, das darauf abzielte, den Bürgern das Menschenrecht auf Ausreise auch um den Preis der Vernichtung von Menschenleben zu verwehren.

Für den Bereich des Strafrechts hat der Bundesgerichtshof zur Beurteilung der Strafbarkeit von Richtern und Staatsanwälten, die wegen ihrer Mitwirkung an der Strafjustiz der DDR angeklagt waren, auf die sogenannte Radbruchsche Formel abgestellt (vgl. Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht). Danach kann sich ein Richter oder Staatsanwalt auf die Tatsache, dass er seinerzeit geltendes Recht der DDR angewandt hat, dann nicht berufen, wenn in diesem Recht ein offensichtlich grober Verstoß gegen den Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zum Ausdruck kommt; der Verstoß muss so schwer wiegen, dass er die allen Völkern gemeinsamen auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung verletzt. Der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit muss so unerträglich sein, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen habe (BGH, Urteil vom 15. September 1995 - 5 Str 713/94 in NJW 1995 3324, 3326). Einen solchen schlechthin unerträglichen Verstoß gegen die elementaren Gebote der Gerechtigkeit und die Menschenrechte und damit gegen den Kernbereich des Rechts hat der BGH in den Vorschriften des politisch motivierten Strafrechts der DDR nicht gesehen (BGH a.a.O.). Die Anwendung dieser Strafvorschriften durch Richter und Staatsanwälte der DDR begründe deshalb für sich allein noch nicht den Vorwurf der gesetzwidrigen Entscheidung zu Ungunsten eines Beteiligten. Ungeachtet des Gewichts möglicher Eingriffe in die persönliche Freiheit durch die Verhängung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen wegen entsprechender Zuwiderhandlungen komme den betreffenden Rechtspositionen nicht die elementare Bedeutung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens zu, die in der allen zivilisierten Völkern gemeinsamen Grundüberzeugung vom allgemeinen Tötungsverbot wurzele, und das Maß der Rechtsbeeinträchtigung gehe nicht bis zum unwiederbringlichen Verlust eines höchsten Rechtsguts. Anders als eine Legalisierung der Tötung unbewaffneter Flüchtlinge sei ein Gesetz, auch wenn es zu empfindlicher Bestrafung politisch Andersdenkender führen könne, bei der erforderlichen Gesamtabwägung der widerstreitenden Gebote von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit noch kein schlechthin unerträgliches Unrecht (BGH a.a.O.). Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung könne daher bei Richtern und Staatsanwälten der ehemaligen DDR nur dann angenommen werden, wenn sie die einschlägigen Vorschriften des DDR-Strafgesetzbuches und der DDR-Strafprozessordnung exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet oder bei Verfolgung dieser Taten Menschenverachtung an den Tag gelegt hätten, etwa wenn die von ihnen angeordneten oder beantragten Rechtsfolgen auch auf der Grundlage des damals geltenden DDR-Strafrechts im groben Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat gestanden hätten (BGH a.a.O.).

Das Vordergericht hat zwar in diesem Zusammenhang zu Recht eingewandt, dass es vorliegend nicht darauf ankomme, ob der Antragsteller sich strafbar gemacht habe, sondern dass im Rahmen des § 5 Abs. 1 ERG lediglich darüber zu entscheiden sei, ob der Antragsteller unterhalb der Strafbarkeit durch sein Verhalten sich als unwürdig erwiesen habe, Entschädigungsleistungen zu erhalten. In seiner Argumentation, dass im Falle des Antragstellers die Unwürdigkeit festzustellen sei, folgt das Gericht jedoch ebenfalls der Radbruchschen Formel, wenn es ausführt, dass es jedem Machthaber sowie jedem Machtsystem schlechthin untersagt sei, die Würde des Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen “Werten” soweit unterzuordnen, dass sie im Kern vernichtet würden. Ein solcher Vorwurf ist dem Antragsteller aber, worauf noch einzugehen sein wird, nicht zu machen.

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung zu § 7 Nr. 5 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAGO), der die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbietet, wenn ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit vorliegt, ausgeführt, dass unwürdig für den Rechtsanwaltsberuf insbesondere derjenige sei, der bei der Bearbeitung politischer Strafsachen (Bezug auf den Katalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG) gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit verstoßen habe. Dies werde vor allem dann anzunehmen sein, wenn er die einschlägigen Vorschriften des DDR-StGB und der DDR-StPO exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet oder bei der Verfolgung dieser Taten Menschenverachtung an den Tag gelegt habe (Beschluss vom 21. November 1994 DtZ 1995, 294). Damit wendet der BGH im Bereich des anwaltlichen Standesrechts für den Begriff des Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit die gleichen Kriterien an, die er auch für die Annahme einer Rechtsbeugung durch Richter und Staatsanwälte zugrunde legt. Es kann angenommen werden, dass auch das Bundessozialgericht in diese Richtung tendiert, wenn es in der Entscheidung vom 30. Januar 1997 - 4 RA 99/95 - heißt, dass nur ein solcher Verstoß gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit im Rahmen des § 5 Abs. 1 ERG beachtlich sei, der sich als offensichtlich schweres und unerträgliches Unrecht darstelle. “Demgemäß kann aber derjenige faktische Mitinhaber der Macht (auch im SED-Regime) den Tatbestand der Unwürdigkeitsklausel des § 5 Abs. 1, Regelung 2 und 3 ERG nicht erfüllen, der - trotz aller Verstrickungen in das Unrechtsregime - bei seiner Machtausübung jene minimale Rechtsorientierung praktiziert hat”. Der Senat schließt sich dem an und hält eine Unwürdigkeitsentscheidung im Rahmen des § 5 Abs. 1 ERG nur dann für geboten, wenn bei Richtern und Staatsanwälten gleichzeitig die Voraussetzungen der Rechtsbeugung vorliegen, wenn also die einschlägi-gen Vorschriften des DDR-StGB und der DDR-StPO exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet worden sind, oder bei Verfolgung dieser Taten Menschenverachtung an den Tag gelegt wurde.

Damit steht der Senat nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 3 Nr. 3 a des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Arti-kel 131 GG fallenden Personen (G 131), in der das Bundesverwaltungsgericht betont hatte, dass vorsätzliche Rechtsbeugung nicht notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei. In dieser Entschei-dung hatte das Bundesverwaltungsgericht lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass auch solche Richter von der Unwürdigkeitsklausel des § 3 Nr. 3 a G 131 erfasst würden, denen nach der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Vorsatz im Sinne des Rechtsbeugungsdeliktes nicht nachzuweisen war, weil sie vom nationalsozialistischen Unrechtsdenken durchdrungen waren (BVerwGE 6, 82, 89 - Mitwirkung an einem Todesurteil des Volksgerichtshofs -). Der Senat steht mit dieser Rechtsprechung nicht im Widerspruch, weil nach seiner Auffassung die exzessive Anwendung des politischen DDR-Strafrechts im Rahmen der Unwürdig-keitsentscheidung des § 5 Abs. 1 ERG auch dann nicht zu rechtfertigen wäre, wenn der Richter oder Staatsanwalt hierzu aus politischer Verblendung veranlasst worden wäre.

Im vorliegenden Fall steht jedoch eine exzessive Anwendung des DDR-Strafrechts und der DDR-Strafprozessordnung nicht in Rede. Wie die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft in den dem Kläger vorgehaltenen Verfahren belegen, kann dies dem Antragsteller in keinem Fall vorgehalten werden.

Der Senat sieht sich an der gefundenen Auslegung auch nicht durch die Tatsache gehindert, dass in fünf der dem Kläger vorgehaltenen Strafverfahren zwischenzeitlich die Rehabilitierung der Angeklagten nach dem StrRehaG erfolgt ist. Die von der Beklagten und dem Vordergericht herangezogene Automatik, wonach die Teilnahme an Strafverfahren, in denen die Verurteilten nach dem StrRehaG rehabilitiert wurden, in jedem Fall auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 ERG erfülle, wird weder der Bedeutung des StrRehaG noch derjenigen des § 5 Abs. 1 ERG gerecht. Das am 4. November 1992 in Kraft getretene StrRehaG stand unter dem Gebot, möglichst umfassend und in überschaubarer Zeit politische Verfolgung in der ehemaligen DDR zu entschädigen sowie dabei gleichzeitig zu vermeiden, dass eine Rückabwicklung der DDR-Strafjustiz im Gewande der Rehabilitierung vorgenommen werden musste (vgl. Keck/Schröder/Tappert, Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz im Überblick, DtZ 1993, 2, ff.). Unter strengen rechtsstaatlichen Kriterien waren nämlich Zweifel an jedem Strafurteil der DDR erlaubt, allein wegen mangelnder Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Gerichte (vgl. Roggemann in Rottleuthner a.a.O. S. 244). Das Gesetz hat diese Aufgabe durch die Einführung eines sogenannten Regelaufhebungskataloges in § 1 Nr. 1 Buchst. a bis e neben der Generalklausel für politische Verfolgung gelöst. Insbesondere der genannte Regelaufhebungskatalog, der der Beschleunigung und Entlastung der Gerichte dienen sollte, steht der Übertragung von Grundsätzen des StrRehaG auf § 5 Abs. 1 ERG entgegen. Während der Regelaufhebungskatalog die Gerichte von der Prüfung des Einzelfalles entlasten sollte (vgl. Keck u.a. a.a.O. S. 5), ist im Rahmen des § 5 Abs. 1 ERG die Prüfung des Einzelfalles unabdingbar (vgl. BSG vom 24. März 1998 - B 4 RA 78/96 R - = SozR 3-8850 § 5 Nr. 3).

Schließlich ist der Senat der Auffassung, dass selbst wenn es gerechtfertigt wäre, generell aus einer Teilnahme an Strafverfahren, die schließlich zur Rehabilitierung durch das StrRehaG geführt haben, auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 ERG zu schließen, es wegen des elementaren Unterschieds zwischen dem Rechtsgut des menschlichen Lebens, das durch das Grenzregime der DDR und den Schießbefehl bedroht war, und dem dem Antragsteller allenfalls vorzuwerfenden Angriff auf das Menschenrecht der Ausreisefreiheit bzw. das Grundrecht der Freiheit der Person nicht gerechtfertigt wäre, die Rechtsfolgen nach § 5 Abs. 1 ERG in jedem Fall in gleicher Weise durch völligen Entzug des Anspruches auf die Entschädigungsrente auszusprechen. Auch in diesem Falle hätte die Klage Aussicht auf Erfolg, so dass dem Antrag auf Aussetzung des Vollzuges statt-zugeben wäre, allerdings mit der Maßgabe, dass die Antragsgegnerin nicht gehindert wäre, erneut eine anderslautende Entscheidung im Sinne einer Kürzung des Entschädigungsrentenanspruchs des Antragstellers zu treffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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