L 18 AS 1641/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 142 AS 3435/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1641/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2019 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesam-ten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts (Arbeitslosengeld II – Alg II) für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis 31. Juli 2019.

Der 1963 geborene, österreichische und seinerzeit alleinstehende sowie woh-nungslose Kläger reiste seinen Angaben zufolge am 28. Mai 2012 in die Bundesre-publik Deutschland zur Arbeitsuche ein. Vom 31. Mai 2012 bis 5. Juli 2013 war er in Berlin Neukölln bei Frau L V gemeldet. Er habe sich von Mitte November 2012 bis Anfang Mai 2017 in der Wohnung von Frau G S in B kostenfrei aufgehalten. Seit dem 4. Februar 2019 war er im Wohnheim "D " in B angemeldet. Mit seinem Antrag vom 18. Februar 2019 gab er gegenüber dem Beklagten an, in den vergangenen Monaten vom Flaschensammeln und Betteln gelebt zu haben und im Übrigen mit-tellos und ohne Beschäftigung zu sein.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei von Leistun-gen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Ein Daueraufent-haltsrecht sei nicht nachgewiesen (Bescheid vom 21. Februar 2019, Widerspruchs-bescheid vom 3. März 2019).

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat den Beklagten mit Beschluss vom 3. April 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Kläger ab dem 22. März 2019 längstens bis zum 31. Juli 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren (S 142 AS 2983/19 ER; Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 20. Mai 2019 – L 31 AS 627/19 B ER –).

Auf die nachfolgende Klage hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des ange-fochtenen Bescheides verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts vom 1. Februar 2019 bis 31. Juli 2019 – dem streitgegenständlichen Zeitraum – in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Urteil vom 21. August 2019). Der Kläger sei anspruchsberechtigt, insbesondere hilfebedürftig, und habe im streitigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Er sei – anders als vom Beklagten entschieden – nicht vom Alg II-Leistungsbezug ausgeschlossen. Dahinstehen könne, ob er im gegenständlichen Zeitraum seit mindestens fünf Jah-ren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, mit der Folge, dass hier die gesetzliche Rückausnahme eingreife. Denn er könne sich als österreichi-scher Staatsangehöriger jedenfalls auf das Gleichbehandlungsgebot des bilatera-len Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ös-terreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17. Januar 1966 (DÖFA) berufen.

Mit seiner Berufung vom 6. September 2019 macht der Beklagte geltend, seine Leis-tungsverpflichtung ergebe sich weder aus dem DÖFA, wie aus dem zutreffenden Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 16. August 2013 – L 5 AS 2112/13 B ER – folge, noch aus einer Aufenthaltsverfestigung. Die erstmalige Anmeldung des Klägers vom 31. Mai 2012 bis 5. Juli 2013 in Berlin bei Frau L V sei zumindest teil-weise angesichts der eidesstattlichen Versicherung von Frau S vom 21. November 2017 falsch gewesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil sei zutreffend. Konstitutiv für die Aufenthaltsverfestigung sei lediglich die Erstanmeldung bei der Meldebehörde; sodann sei lediglich das Vor-liegen eines tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts im Inland erforderlich.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen sowie auch im Übrigen auf die Gerichtsakte und die Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem angefochtenen Urteil des SG Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch So-zialgesetzbuch – SGB II – für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis zum 31. Juli 2019. Der Kläger verfolgt dieses Begehren für den gegenständlichen Zeitraum ab Beginn des Antragsmonats (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) mit der statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGB).

Die Zulässigkeit der Klage wird nicht dadurch berührt, dass der Kläger in Ausfüh-rung des entsprechenden sozialgerichtlichen Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – S 142 AS 2983/19 ER / L 31 AS 627/19 B ER – bereits für einen Teilzeitraum in reduzierter Höhe Grundsicherungsleistungen erhalten hat (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R – juris Rn. 12).

Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Das SG hat den Beklagten zu Recht und mit zutreffenden Gründen verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Feb-ruar 2019 bis 31. Juli 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in ge-setzlicher Höhe zu gewähren. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im gegen-ständlichen Zeitraum Anspruch auf Alg II in Höhe der im Streitzeitraum zutreffen-den Regelleistung zuzüglich der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der aufgrund der Zuweisung in die Unterkunft für Wohnungslose "D " ent-standenen Tagessätze.

Der Kläger erfüllte die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 [BGBl. I S. 3155 ff.]). Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II dagegen noch nicht, war mangels ausreichender Mittel hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Auf-enthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ist, soweit wie hier kein Feststellungsverfahren (vgl. § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (stRspr. vgl. BSG, Urteil vom 5. August 2015 – B 4 AS 9/15 R – juris Rn. 14 m.w.N.).

Der wohnungslose Kläger hat seit seiner Anmeldung zum 31. Mai 2012 in B – wel-ches mit dem vom Kläger angegebenen Zeitpunkt der Ersteinreise Ende Mai 2012 übereinstimmt – seinen gewöhnlichen und nicht nur vorübergehenden Aufenthalt im Inland begründet mit der Folge, dass er nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Fas-sung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezem-ber 2016 (BGBl. I 3155), wonach abweichend von Satz 2 Nummer 2 Ausländerin-nen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie – wie der Kläger – seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Auf-enthalt im Bundesgebiet haben, nicht von Leistungen ausgeschlossen sind, es sei denn, der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU wurde – welches beim Kläger nicht der Fall ist – festgestellt. Für einen Leistungs-ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (für die ersten drei Monate des Auf-enthalts) bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Solche sind auch vom Beklag-ten nicht geltend gemacht worden. Nach der Gesetzesbegründung, ist von einem längeren, verfestigten Aufenthalt i.S.d. der Neufassung in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen. Weiter heißt es, durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde dokumentierten die Betroffenen ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung in Deutschland (vgl. BT-Drs. 18/10211 S. 14). Dementsprechend regelt § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II (des Gesetzes vom 22. Dezember 2016), dass die Frist nach Satz 4 mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde beginnt. Die erstmalige Anmeldung des Klägers im Inland erfolgte zum 31. Mai 2012. Dass für den Lauf der Fünfjahres-frist eine durchgehende Meldung erforderlich ist, hat dagegen keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden und ist auch nach Sinn und Zweck dieses Gesetzes in Verbindung mit der bundeseinheitlich geltenden Meldepflicht nicht anzunehmen. Zwar regelt § 17 Bundesmeldegesetz (BMG), dass derjenige, der eine Wohnung bezieht, sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Einzug bei der Meldebehörde anzumelden hat (Absatz 1). Dieser Verpflichtung ist der Kläger zunächst mit der Er-stanmeldung in B nachgekommen. Eine persönliche Abmeldung ins Ausland ist zwischenzeitlich bis zum Ende des Streitzeitraums nicht erfolgt (vgl. 23 Abs. 7 BMG). Eine entgegen seinem eigenen Vortrag, von November 2012 bis Mai 2017 in einer anderen Wohnung als der gemeldeten gewohnt zu haben, nicht erfolgte Um-meldung könnte zwar ein Anhalt für eine Ordnungswidrigkeit sein, nicht indes ein Beleg für einen tatsächlich nicht im Inland inngehabten Aufenthalt. Der Kläger, der sodann unbestritten vorträgt, wohnungslos gewesen zu sein, hatte aufgrund der jedenfalls seit Mai 2017 bestehenden Obdachlosigkeit weder die Pflicht, sich zu melden, noch eine entsprechende Möglichkeit. Denn die Meldepflicht besteht, wie ausgeführt, nur im Falle des Bezugs einer Wohnung (vgl. § 17 BMG) im Sinne von § 20 BMG, die seitens des Klägers offensichtlich bis zur Zuweisung ins Wohnheim "D " zum 4. Februar 2019 nicht vorhanden war. Wer eine Wohnung dagegen nicht tatsächlich in Anspruch nimmt, sondern sie nur zum Schein begründet oder auf-recht erhält, erfüllt, wie schon erwähnt, den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. § 54 Abs. 2 Nr. 1 BMG. Als eine solche Scheinwohnung müsste mithin auch eine sog. meldefähige Anschrift für wohnungslose Personen qualifiziert werden, die nicht von vornherein den Status der Wohnungslosigkeit erkennen lassen soll (vgl. Süßmuth in Bundesmeldegesetz, 2014 § 17 Rn. 13). Schließlich hat der Ge-setzgeber, welches ebenfalls gegen die Notwendigkeit einer durchgehenden An-meldung spricht, selbst Ausnahmen vom Lauf der Frist geregelt, zu denen eine Un-terbrechung der Meldung nicht gehört. Nach § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II (Gesetz vom 22. Dezember 2016) werden Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht ange-rechnet. Mithin ist eine durchgehende Anmeldung keine Voraussetzung für die Be-gründung einer mindestens fünfjährigen Aufenthaltsverfestigung, sondern nur das Vorliegen eines entsprechenden mindestens fünfjährigen gewöhnlichen Aufent-halts nach erstmaliger Anmeldung im Inland. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle So-zialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen beson-deren Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I), welches für Leistungen der Grund-sicherung für Arbeitsuchende nicht der Fall ist. Im Übrigen ist der Begriff des ge-wöhnlichen Aufenthalts nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, in erster Linie nach den objektiv ge-gebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Ent-scheidend ist danach, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll – maßgeb-lich im Sinne einer Missbrauchsabwehr – ausgeschlossen werden, dass ein Wohn-sitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris Rn. 18 f. m.w.N.). Hierfür beste-hen vorliegend bei dem obdach- und mittellosen Kläger keine Anhaltspunkte und wurden auch vom Beklagten nicht geltend gemacht. Ergänzend ist darauf hinzu-weisen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwiderliefe, wenn dem Gesetzeswort-laut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfor-dernissen zum Aufenthaltsstatus – hier das Erfordernis einer ununterbrochenen melderechtlichen Anmeldung – aufgestellt würde und damit einzelnen Personen-gruppen – wie etwa Obdachlosen – der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt würde (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 19).

Im Ergebnis muss jedoch, wie auch vom SG ausgeführt, nicht abschließend im We-ge weiterer Amtsermittlung (vgl. § 103 SGG) geklärt werden, ob der Kläger im vorste-henden Sinn bereits zu Beginn des Streitzeitraums seinen gewöhnlichen Aufent-halt seit mehr als fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Denn selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, woran konkret zu zweifeln der Senat in-des, wie ausgeführt, keinen Anlass sieht, umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II zwar erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaa-ten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und die nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (stRspr., vgl. nur BSG, Ur-teil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 25/15 R – juris Rn. 24). Auf eine materielle Frei-zügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungs-ausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Kläger im streitigen Zeitraum nicht berufen; eine solche hat er selbst nicht geltend gemacht, welches zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist. Insofern ist insbesondere weder eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FreizügG/EU in Ermangelung einer seit 2012 in Deutschland ausgeübten Erwerbstätigkeit des Klägers bis zum Ablauf des gegenständlichen Zeitraums gegeben, noch liegen die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nach der Nr. 3 oder 4 (Er-bringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr. 7 (Inhaber eines Dauer-aufenthaltsrechts) oder als Familienangehöriger nach § 2 Abs. 2 Nr. 6, § 3 Frei-zügG/EU vor. Bereits aufgrund seiner geltend gemachten Hilfebedürftigkeit i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II scheidet schließlich eine Freizügigkeitsberechtigung als nicht Erwerbstätiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU aus. Von den mate-riellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, wegen der der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden muss, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt und damit die Ausreisepflicht begründet hat. Diese generelle Freizügig-keitsvermutung allein eröffnet weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegen (vgl. BSG zuletzt mit vom 21. März 2019 – B 14 AS 31/18 R – juris Rn. 17 m.w.N.). Der Leistungsausschluss ist nach herrschender Rechtsprechung auch mit EU- und Verfassungsrecht vereinbar (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rn. 27 ff. m.w.N.).

Der Kläger kann sich jedoch – wie ebenfalls zutreffend vom SG ausgeführt worden ist – als österreichischer Staatsangehöriger auf das – vor Beitritt Österreichs zur Eu-ropäischen Union und seither fortgeltenden (vgl. Art. 351 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon [AEUV] – ehem. Art. 307 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV]) – DÖFA berufen mit der Folge, dass der Leistungsausschluss für ihn nicht anzuwenden ist. Nach Art. 2 Abs. 1 DÖFA wird Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt. Nach entsprechender Ratifika-tion am 28. Dezember 1968 (BGBl. II 1969 S. 1) handelt es sich um unmittelbar gel-tendes Bundesrecht, dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall kein jüngeres und deshalb gegebenenfalls vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (vgl. zum vergleichbaren Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeab-kommens – EFA – BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – juris Rn. 21 ff., 23 ff. m.w.N., zu dessen Unterzeichnerstaaten Österreich nicht gehört; wie hier: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. März 2012 – L 8 B 489/10 ER – juris Rn. 30 ff.; a.A. noch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2013 – L 5 AS 2112/13 B ER – juris Rn. 11 ff.; vgl. im Übrigen Urteil des Senats vom 11. Mai 2020 – L 18 AS 1812/19 – vorgesehen zur Veröffentlichung in juris). Völker-vertragsrecht wird gemäß Art. 59 Abs. 2 GG im Range von Bundesgesetzen umge-setzt mit der Folge, dass deutsche Gerichte das DÖFA (wie das EFA) wie andere Bundesgesetze anzuwenden haben, und zwar ohne dass ein Konflikt mit völker-rechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entsteht (vgl. BVer-fGE 111, 307 ff. zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)). Dem aus Art. 23 Abs. 1 Grundgesetz und der Präambel folgenden Verfassungsauftrag ist in-sofern der Grundsatz der Völkerrechts- und Europarechtsfreundlichkeit zu entneh-men (vgl. BVerfG, "Lissabon-Vertrag", Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – juris Rn. 219 ff.). Darüber hinaus folgt aus dem einfachen (Sozial-)Recht in § 30 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I), dass Regelun-gen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben; die Vorschrift gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 14 KG 1/00 – juris Rn. 18 m.w.N.). Schließlich ist Art. 1 DÖFA im Hinblick auf den per-sönlichen Anwendungsbereich spezieller, weil sich die Vorschrift gerade nicht, wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, an alle Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, richtet, sondern nur an Staatsangehörige der beiden Vertragsstaaten. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesre-publik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermög-lichen will. Ein Vorbehalt, wie ihn die Bundesregierung für das SGB II zum EFA am 19. Dezember 2011 erklärt hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rn. 18), ist zum DÖFA ebenso wenig erklärt worden wie die Kündi-gung dieses Abkommens (vgl. Art. 17 DÖFA). Schließlich ist mit Art. 3 DÖFA ein ggf. entstehender Konflikt durch den Bezug von Fürsorgeleistungen bereits dahinge-hend geregelt, dass Fürsorgeleistungen eines Staates im Hoheitsgebiet des ande-ren bei der Festsetzung von Art und Maß der Fürsorge sowie bei der Gewährung von Leistungen aus der Sozialversicherung außer Betracht zu bleiben haben, es sei denn, sie beeinflussen die wirtschaftliche Lage des Hilfsbedürftigen so günstig, dass daneben Fürsorge des Aufenthaltsstaates ungerechtfertigt wäre.

Die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 DÖFA lie-gen vor. Gemäß Art. 1 Nr. 4 DÖFA sind "Fürsorge" alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach- Beratungs- Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen, die keine an-deren Voraussetzungen als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben. So liegt es bei dem steuerfinanzierten (und nachrangigen) Alg II nach §§ 20 ff. SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 5/07 R – juris Rn. 35). Es handelt sich um eine gesetzlich begründete Geldleistung aus öffentlichen Mitteln zur De-ckung und Sicherung des existentiellen Lebensbedarfs von Hilfebedürftigen. Jene haben im Sinne des Abkommens keine anderen Voraussetzungen als diejenige der "Hilfsbedürftigkeit" zu erfüllen. Insbesondere ist keine andere Voraussetzung dieje-nige der Erwerbsfähigkeit i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, mit der maßgeblich die Abgrenzung zur (ebenfalls steuerfinanzierten und nachrangigen) Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII – erfolgt (vgl. § 5 Abs. 2 SGB II, § 21 SGB XII) und die ihrerseits zweifellos unter "Fürsorge" im Sinne des Abkom-mens zu subsumieren sein dürfte, ohne dass etwa die besondere Voraussetzung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung der Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung (vgl. §§ 19 Abs. 2, 41 Abs. 1 SGB XII) eine die Gleichbehandlung nach dem DÖFA ausschließende "andere Voraussetzung" sein dürfte. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Ad-ressatenkreis. Das SGB II, insbesondere mit der Regelung des Alg II, verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz. Dementsprechend ist höchstrichterlich in ständiger Rechtsprechung ausgeführt worden, dass es sich bei der Regelleistung nach dem SGB II um "Fürsorge" im Sinne von Art. 1 EFA handle. Denn auch nach jenem Abkommen meint "Fürsorge" jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stelle ein solches, im Falle der Bedürf-tigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 5/07 R – a.a.O.: "steuerfinanzierte Fürsorgeleistung"; Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 32 f.; vgl. auch BT-Drucks. 15/1516 S. 56: "nachrangige Fürsorgeleistung). Zwar wird im Anhang I zum DÖFA (Liste der die Rechtsgebiete der Fürsorge und der Jugendwohlfahrtspflege regelnden gesetz-lichen Rechtsvorschriften der beiden Vertragsparteien) noch das bereits zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getretene Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30. Ju-ni 1961 (BGBl. I S. 815) genannt. Indes ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bun-desrepublik Deutschland nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (i.d.R. i.V.m. § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt, sondern wird darüber hinaus mit dem SGB II, und zwar anders als ebenfalls bis 31. Dezember 2004 aufgrund der Arbeitslosenhil-fe als Lohnersatzleistung (vgl. zuletzt § 195 SGB III), als ein – ebenfalls – bedarfs-abhängiges Leistungssystem gewährleistet (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Im Übrigen folgt aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DÖFA, dass neu in Kraft tretende gesetzliche Rechtsvorschriften, die in Anhang I aufgeführt wären, wenn sie beim Inkrafttreten des Abkommens bereits gegolten hät-ten, der anderen Vertragspartei unter Bezugnahme auf Anhang I mitzuteilen sind. Hiervon geht der Senat auch vorliegend aus. Die Aufzählung der Fürsorgesetze in der Anlage I ist in diesem Sinne nicht konstitutiv (vgl. zum EFA BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 34).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved