L 19 AS 742/20 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 49 AS 1015/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 742/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers zu 1) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.04.2020 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 15.11.2018 in Fassung des Änderungsbescheides vom 09.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2019, mit welchem der Beklagte dem Kläger zu 1) Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.10.2018 bis 31.12.2018 i.H.v. 558,02 Euro (374,00 Euro Regelbedarf + 8,60 Euro Mehrbedarf Warmwasser + 175,42 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung (kopfteilig)) gewährt und Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Klägerin zu 2) wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II abgelehnt hat.

1. Die Beschwerde ist statthaft. Gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt (§ 172 Abs. 1 SGG). Die Beschwerde ist ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte (§ 172 Abs. 3 b) SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Vorliegend wenden sich die Kläger im Wege der subjektiven und objektiven Klagehäufung mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den streitigen Bescheid des Beklagten. Dabei besteht die Besonderheit, dass der von dem Kläger zu 1) geltend gemachte Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung nur bestehen kann, wenn der Anspruch der Klägerin zu 2) nicht besteht. Insoweit handelt es sich um zwei selbständig erhobene Klagen, wobei die Klage der Klägerin zu 2) für das Verfahren des Klägers vorgreiflich ist. Insoweit wird das Sozialgericht zu prüfen haben, ob es den Rechtsstreit des Klägers zu 2) nicht nach § 114 Abs. 2 SGG aussetzt.

Werden innerhalb eines Klageverfahrens mehrere Streitgegenstände im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht, so ist die Zulässigkeit von Rechtsmitteln hinsichtlich jedes Streitgegenstandes grundsätzlich eigenständig zu beurteilen (BSG Urteil vom 07.01.2020 - B 14 AS 137/19 B - Rn. 5). Daher ist die Berufung nicht automatisch hinsichtlich aller Streitgegenstände als zulässig anzusehen, wenn nur einer von mehreren Streitgegenständen nicht unter die Ausschlussregelung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 SGG fällt, wohl aber die anderen. Von dem Grundsatz, dass die Berufungsfähigkeit mehrerer prozessualer Ansprüche voneinander unabhängige Entscheidungen erfordert, hat das BSG dann eine Ausnahme zugelassen, wenn von zwei in einer Klage zusammengefassten Ansprüchen der vorgreifliche (präjudizielle) Anspruch berufungsfähig ist, der davon abhängige Anspruch hingegen nicht (BSG, Urteil vom 22.04.1998 - B 9 VG 6/96 R - Rn. 15; Urteil vom 29.10.1986 - B 7 Rar 89/85 - Rn. 21). In diesem Fall bewirkt die Berufungsfähigkeit des ersteren auch die des letzteren Anspruchs, nicht jedoch im umgekehrten Fall.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der potentielle Anspruch des Klägers zu 1) auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung hängt davon ab, ob der Klägerin zu 2) Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren sind, dieser Anspruch ist daher präjudiziell. Da der Anspruch der Klägerin zu 2) nicht dem Beschwerdeausschluss unterliegt, gilt dies auch für den Anspruch des Klägers zu 1), dessen Wert unter 750,00 Euro liegt.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht, den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit - neben weiteren Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 114 ZPO besteht, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt unübersichtlich ist oder weiterer Klärung bedarf und das Gericht den Rechtstandpunkt des Antragstellers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88).

Dies zugrunde gelegt, besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht für das Klageverfahren des Klägers zu 1). Zwar kann ein Rechtsschutzbegehren schon dann hinreichende Erfolgsaussichten haben, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits dann zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2020 - 2 BvR 2151/17 m.w.N.).

Nach summarischer Prüfung das Sach- und Rechtslage hat der Beklagte zutreffend die Bedarfe des Klägers zu 1) für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur in Höhe eines Kopfteils von der Hälfte für die von ihm und der Klägerin zu 2) bewohnten Wohnung berücksichtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 14.06.2018 - B 4 AS 23/17 R m.w.N.) zielt das Kopfteilprinzip bei gemeinsamer Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen auf die grundsicherungsrechtliche Zuweisung individueller Bedarfe für alle Personen, so dass Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht nur für Personen anerkannt werden, die zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung schuldrechtlich gegenüber Dritten verpflichtet sind, sondern ebenso für rechtlich hierzu nicht Verpflichtete. Durch die Aufteilung der Aufwendungen nach Kopfteilen für alle gemeinsam eine Wohnung nutzenden Personen wird die Zuweisung eines individuellen Bedarfs für Unterkunft und Heizung in grundsätzlich gleicher Höhe erreicht. Diese bedarfsbezogene Herleitung zur Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen und die Aufteilung der Aufwendungen pro Kopf und im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität gilt unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Die individuelle Bedarfszuweisung nach Kopfteilen ist verwaltungspraktikabel und folgt der Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt. Bei der Bedarfszuweisung durch Aufteilung der Aufwendungen nach Kopfteilen handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme, von der Abweichungen möglich und notwendig sind.

Entscheidend für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip ist nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts, dass im streitbefangenen Zeitraum die Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen des Leistungsempfängers nur über seine Ansprüche sichergestellt werden kann (vgl. Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 55/06 R: keine Abweichung, wenn BAföG-Leistungen beziehende Tochter die Wohnung mitbenutzt (§ 7 Abs. 5 SGB II); Urteil vom 27.01.2009 - B 14/7b AS 8/07 R: keine Abweichung bei Aufnahme von Kindern zur Vollzeitpflege; Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R: Abweichung bei Ortsabwesenheit (§ 7 Abs. 4a SGB II); Urteil vom 16.04. 2013 - B 14 AS 71/12 R: Abweichung bei im Pflegeheim lebenden Ehemann (§ 7 Abs. 4 SGB II); Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R: Abweichung, wenn bei einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft aufgrund einer Sanktion nach §§ 31 ff SGB II die Leistungen für Unterkunft und Heizung weggefallen sind; Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 40/15 R: keine Abweichung, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zeitweise internatsmäßig untergebracht ist; Urteil vom 14.02.2018 - B 14 AS 17/17 R: keine Abweichung, wenn die Leistungen nach dem SGB II einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wegen fehlender Mitwirkung versagt wird; Urteil vom 14.06.2018 - B 4 AS 23/17 R: keine Abweichung, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eine Antragstellung nach dem SGB II unterlässt). Verfügt das Bedarfsgemeinschaftsmitglied - vorliegend die Klägerin zu 2) - , für das Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht erbracht werden, über Einkommen oder Vermögen, aus dem es seinen Kopfteil - oder ggf Teile davon - bestreiten kann, ist nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen nicht geboten (siehe Urteile vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 55/06, vom 27.01.2009 - B 14/7b AS 8/07 R, vom 19.10. 2016 - B 14 AS 40/15 R; vom 14.02.2018 - B 14 AS 17/17 R und vom 14.06.2018 - B 4 AS 23/17 R).

Die geltend gemachten Ansprüche des Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) stehen insoweit in einem Alternativverhältnis, als bei einem Obsiegen der Klägerin zu 2) eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei der Berechnung des Bedarfs des Klägers zu 1) nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geboten ist. Ebenfalls ist eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen nicht geboten, wenn zu Ungunsten der Klägerin zu 2) der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eingreift. In diesem Fall kommt die Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII in der ab 22.12.2016 geltenden Fassung in Betracht. Der Gesetzgeber hat die Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht bzw. nur mit einem Recht zur Arbeitsuche nicht gänzlich aus den existenzsichernden Leistungssystemen ausgeschlossen, sondern für diesen Personenkreis in § 23 Abs. 3 S. 3 - 6 SGB XII einen eigenständigen, differenziert ausgestalteten Anspruch auf Erhalt von existenzsichernden Leistungen, die in der Höhe und im zeitlichen Umfang von existenzsichernden Leistungen für Unionsbürger mit einem materiellen Aufenthaltsrecht abweichen, geschaffen. Dieser Anspruch ist gegenüber dem zuständige Sozialhilfeträger geltend zu machen. Er stellt ein aliud gegenüber den Ansprüchen auf Leistungen nach § 27ff. SGB XII dar und ist damit nicht im vorliegenden Verfahren zu klären (Urteil des Senats vom 05.12.2019 - L 19 AS 1608/18).

Die Ungewissheit, ob und in welchem Umfang das Leistungssystem des SGB XII im Fall des Eingreifens des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II zu Gunsten der Klägerin zu 2) eingreift, rechtfertigt keine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen. Diese Konstellation unterscheidet sich von Sanktionen, weil bei dieser (nur) vorübergehend trotz Leistungsberechtigung des Dritten nach SGB II dessen Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht übernommen wird. Ist die Leistungsberechtigung eines dritten Haushaltsmitglieds, bei deren Vorliegen dessen Kopfteil als Bedarf anerkannt und übernommen würde, ungeklärt, lässt dies den Bedarf der anderen Mitglieder unberührt (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.2018 - B 14 AS 17/17; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.05.2018 - L 29 AS 939/16). Denn andernfalls würde der Leistungsträger nach dem SGB II mittelbar Kosten für den Lebensunterhalt einer von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossenen Person übernehmen. Damit würde von dem Grundsatz abgewichen, dass die zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts bestimmten existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich nicht dazu bestimmt sind, den Empfänger in die Lage zu versetzen, Unterhalts- oder Unterstützungspflichten gegenüber Dritten nachzukommen. Derartige Verpflichtungen gehören nicht zu dem von Leistungen des SGB II im Fall der Hilfebedürftigkeit zu deckenden Bedarf nach §§ 19 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/11b AS 55/06 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.05.2018 - L 29 AS 939/16). Mit dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft im SGB II als typisierte Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft ist verbunden, dass die häusliche familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen sein kann, weil anzunehmen ist, dass deren Mitglieder in besonderer Weise füreinander einstehen und bereit sind, ihren Lebensunterhalt auch jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu sichern. Werden diese rechtlichen Erwartungen tatsächlich nicht erfüllt, führt dies grundsätzlich nicht zu höheren Leistungsansprüchen für einzelne Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Doch berechtigt dies zur Auflösung des gemeinsamen Haushalts und damit der Bedarfsgemeinschaft, selbst wenn das im Einzelfall zu höheren individuellen Leistungsansprüchen führen kann (BSG, Urteile vom 14.02.2018 - B 14 AS 17/17 R und vom 14.06.2018 - B 4 AS 23/17 R).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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