S 8 AL 187/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 AL 187/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 68/20
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei Anwendung von § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist auf die materielle Gesamtschutzquote abzustellen.
2. Bei dem Begriff der Erwartung eines dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalts handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, für die hinsichtlich der maßgeblichen Tatsachen bis zum 31.07.2019 auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung - regelmäßig dem Widerspruchsbescheid - abzustellen ist.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2018 verurteilt, dem Kläger Berufsausbildungsbeihilfe dem Grunde nach ab dem 10.07.2019 bis zum 31.01.2020 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten i. H. v. 7/18 zu erstatten.

Die Berufung wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe.

Der 1991 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 27.11.2015 nach Deutschland und stellte am 20.09.2016 einen Antrag auf Asyl. Er bezog Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Mit Schreiben vom 23.04.2018 stellte der für dieses Gesetz zuständige Träger einen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe und meldete einen Erstattungsanspruch an. Der Kläger stellte am 17.05.2018 einen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe für die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker beim Autohaus D.; diese Ausbildung sollte am 01.08.2018 beginnen und am 31.01.2022 enden. Er würde seitens des auszubildenden Betriebs eine Ausbildungsvergütung erhalten, welche für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 30.09.2018 740,-EUR, für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 31.07.2019 765,-EUR und vom 01.08.2019 bis 31.07.2020 821,-EUR betragen würde. Daneben würde er Einmalzahlungen im November 2018 i. H. v. 149,67 EUR, im Dezember 2018 i. H. v. 229,05 EUR, im Juni 2019 i. H. v. 546,43 EUR und im November 2019 i. H. v. 234,54 EUR erhalten. Vater und Mutter des Klägers würden in Afghanistan leben. Der Ausbildungsvertrag sei am 19.12.2017 unterzeichnet worden. Im Antrag gab der Kläger an, dass er seit mindestens 15 Monate eine Aufenthaltsgestattung besitze und nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohne. Die von ihm zu zahlende Miete betrag einschließlich der Nebenkosten 425,-EUR.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.05.2018 ab, da sich der Kläger nur im Besitz einer Aufenthaltsgestattung sei. Berufsausbildungsbeihilfe könne in einem solchen Fall nur geleistet werden, sofern sich der Ausländer fünf Jahre in Deutschland aufgehalten habe.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 05.06.2018 Widerspruch dagegen ein und verwies auf das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25.03.2018 (richtig 22.02.2018). Die Gesamtschutzquote für Geflüchtete aus Afghanistan hätte über 52 % gelegen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2018 zurück. Nach § 59 Abs. 2 SGB III würden geduldete Ausländer, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, während einer betrieblich durchgeführten Berufsausbildung gefördert, wenn sie sich seit mindestens 15 Monaten ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erteile Asylantragstellenden, die sich noch im Asylverfahren befinden, eine Aufenthaltsgestattung. Diese berechtige sie bis zum Abschluss des Asylverfahrens (=Entscheidung über den Asylantrag) in Deutschland zu leben und unter bestimmten Bedingungen zu arbeiten. Die Aufenthaltsgestattung sei kein Aufenthaltstitel und begründe selbst keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Aufenthaltsgesetzes. Das Anwesenheitsrecht zur Durchführung des Asylverfahrens beruhe bereits unmittelbar auf Art. 16a GG. Personen, die sich nicht (mehr) im Asylverfahren befinden bzw. einen negativen Bescheid erhalten, haben, aber bei denen die Abschiebung ausgesetzt wurde, würden von der Ausländerbehörde einen "Bescheinigung für die Aussetzung einer Abschiebung" (=Duldung) erhalten. § 59 Abs. 2 SGB III gelte nur für geduldete Ausländer, sodass im Falle des Klägers § 59 Abs. 2 SGB III nicht erfüllt sei. Auch die Voraussetzungen des § 59 Abs. 3 Nr. 1 SGB III seien nicht erfüllt, da sich der Kläger erst seit November 2015 und damit noch keine fünf Jahre in Deutschland aufhalte.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 19.07.2018 Klage dagegen erhoben. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Berufsbildungsmaßnahme für Flüchtlinge gefördert werden, aber der Zugang zu Berufsausbildungsbeihilfe verwehrt werden soll. Er verweist zudem auf die neuen Richtlinien der UNHCR; auf den entsprechenden Vortrag wird verwiesen.

Der Kläger reichte im Klageverfahren eine Kopie seines Aufenthaltstitels ein. Danach gestattete die zuständige Ausländerbehörde ihm während des Asylverfahrens den Aufenthalt und erlaubte ihm die Aufnahme der Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker (Aufenthaltsgestattung vom 10.04.2018).

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2018 Berufsausbildungsbeihilfe dem Grunde nach zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Der Kläger könne auch keinen Anspruch aus der Sonderregelung in § 132 SGB III herleiten. Gesetzgeberisches Ziel sei es, Personen mit Aufenthaltsgestattung und zugleich guter Bleibeperspektive zu ermöglichen, eine Ausbildung über die ersten 15 Monate ihres Aufenthalts hinaus fortzuführen oder aufzunehmen und durch Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld den Lebensunterhalt zu sichern. Darüber habe die Beklagte eine Prognose zu treffen. Ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt sei unabhängig vom Einzelfall dann zu erwarten, wenn die Person aus einem Herkunftsland stamme, bei denen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass eine Schutzberechtigung erteilt wird. Es sei bei dieser abstrakten Prognose maßgebend, dass die Gesamtschutzquote über 50 % liege. Dies sei eine sachgerechte Vorgehensweise, da die Beklagte für Fragen des Aufenthalts nicht zuständig. Gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt habe sie zudem Berufung eingelegt.

Entscheidungsgründe:

A. Streitgegenstand der Klage ist die Ablehnung von Berufsausbildungsbeihilfe für die Durchführung einer Berufsausbildung in dem Zeitraum vom 01.08.2018 bis 31.01.2020.

B. Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Es fehlt der Klage zudem nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn unzweifelhaft die begehrte gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Antragstellers nicht verbessern würde (Bieresborn in Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 1. Auflage 2014). Zwar werden die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angerechnet, sodass es fraglich erscheint, ob der Kläger Zahlungen der Beklagten erhalten wird. Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich aber jedoch aus der durch die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe veränderten rechtlichen Stellung des Klägers, welcher bei Erfolg der Klage ausbildungsfördernde Leistungen und keine steuerfinanzierten Leistungen erhält.

Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht einen Beteiligten auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilen, soweit nach § 54 Abs. 4 oder 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Einerseits begehrt der Kläger eine Leistung nach § 54 Abs. 4 SGG, andererseits besteht auf die von ihm begehrte Berufsausbildungsbeihilfe ein Rechtsanspruch nach § 56 Abs. 1 SGB III. Es ist insofern wahrscheinlich, dass der Höhe nach ein Geldbetrag zu zahlen sein wird (Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, § 130 Rn. 2c).

C. Die Klage ist auch teilweise begründet. Die Beklagte hat teilweise zu Unrecht die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2018 abgelehnt, sodass der Kläger in seinen Rechten verletzt wurde. Dem Kläger steht insoweit teilweise ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe zu.

Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung förderungsfähig ist, sie zum förderungsberechtigten Personenkreis gehören und ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen (dazu unter I. – III.). Es besteht allerdings kein Anspruch für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 09.07.2019 (dazu unter IV.).

I. Das Gericht hat keine Zweifel, dass es sich bei der vom Kläger durchgeführten Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung handelt, die betrieblich im Autohaus D. in D-Stadt durchgeführt wird. Es handelt sich zudem um einen anerkannten staatlichen Ausbildungsberuf. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger vor Beginn der Ausbildung einen Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen hat; der Beklagte hat jedenfalls den Abschuss eines solchen Vertrages nicht bestritten, sodass das Gericht keine Veranlassung gesehen hat, in der Hinsicht von Amts wegen zu ermitteln.

II. Auch im Hinblick auf die Bedürftigkeit hat das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger bedürftig gewesen war. Dies gilt sowohl für den anteiligen Monat Juli 2019 als auch für die Zeit von August 2019 bis Januar 2020, wonach gemäß § 61 Abs. 1 SGB III der jeweils geltende Bedarf nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (im Weiteren BaföG) angewendet wird. Der entsprechende Bedarf betrug 399,-EUR, da die Änderung des BaföG erst zum 16.07.2019 und somit erst ab diesem Zeitpunkt ein höherer Bedarf von 419,-EUR zu Grunde zu legen war. Ausweislich seines Antrags wohnt der Kläger nicht in einer Aufnahmeeinrichtung. Zudem hatte er eine Bestätigung über den Bezug einer Wohnung vorgelegt, woraus sich ergab, dass er nicht bei seinen Eltern wohnte. Dies ergab sich zudem daraus, dass er im Antrag angab, dass seine Eltern in Afghanistan leben. Insofern waren zu dem Bedarf zum Lebensunterhalt von 399 EUR im Juli 2019 bzw. 419,-EUR, der jedenfalls ab August 2019 zugrunde zu legen ist, noch Wohnkosten i. H. v. 250,-EUR bzw. 325,-EUR zu addieren. Hinzu kamen zudem Fahrtkosten sowie Kosten für die Berufskleidung von 13,-EUR bzw. 14,-EUR. Diesem Gesamtbedarf von wenigstens 662,-EUR bzw. 758,-EUR stand ein Bruttoeinkommen von 765,-EUR bzw. 820,-EUR gegenüber. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ergab sich dabei jeweils ein Nettobetrag unterhalb des ermittelten Bedarfs, sodass dem Kläger die erforderlichen Mittel zur Deckung des Gesamtbedarfs nicht zur Verfügung standen. Dies gilt insbesondere nicht bezüglich der seitens des Kreises A-Stadt gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, da dieser Sozialleistung alle weiteren Einkommen grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 AsylbLG vorgehen und auch keine Ausnahme nach § 7 Abs. 2 AsylbLG gegeben ist.

III. Der Kläger erfüllt zwar die maßgeblichen persönlichen Anspruchsvoraussetzungen nach § 59 SGB III nicht, diese werden jedoch nach § 132 SGB III modifiziert, welche der Kläger ab dem 10.07.2019 erfüllt (dazu unter 1. + 2.).

1. § 59 Abs. 1 SGB III bestimmt der förderungsfähigen Personenkreis für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe. Im Falle des Klägers liegen die dort einzeln bestimmten Voraussetzungen nicht vor. Der Kläger ist als afghanischer Flüchtling weder ein Deutscher im Sinne des Grundgesetzes noch ein Unionsbürger mit einem Daueraufenthaltsrecht. Er stand auch nicht vor Beginn der Berufsausbildung in einem Beschäftigungsverhältnis. Er ist auch kein Staatsangehöriger eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Er ist zudem auch nicht außerhalb des Bundesgebietes als Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt und im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht nur vorübergehend zum Aufenthalt berechtigt. Bei dem Kläger handelt es sich zudem nicht um einen heimatlosen Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet. Der Kläger verfügt auch über § 8 Abs. 2, 4 und 5 des Berufsausbildungsförderungsgesetzes über keine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 22, 23 Abs. 1, 2 oder 4, §§ 23a, 25 Abs. 1 – 4 Satz 2, Abs. 5, §§ 25a, 25b, 38, 31, 37, 38 Abs. 1 Nr. 2 oder § 104a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Da der Kläger sich auch nicht vor Beginn der Berufsausbildung fünf Jahre im Inland aufgehalten hat und rechtmäßig erwerbstätig war, greift zu Gunsten des Klägers auch diese Ausnahme nicht. Zudem hat sich kein Elternteil des Klägers während den letzten sechs Jahre insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten und ist nicht rechtmäßig erwerbstätig gewesen.

2. Der Kläger gehört jedoch nach § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III zum förderungsfähigen Personenkreis. Nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III gehören bei Ausländern, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, gehören zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für Leistungen nach § 56 SGB III, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet ist. Eine Förderung ist zudem nach § 132 Abs. 1 Satz 3 SGB III möglich, soweit der Auszubildende – wie im vorliegenden Fall der Kläger – nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt.

a) Die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts und damit eine gute Bleibeperspektive besteht insofern nicht, sofern der Asylantrag des Asylbewerbers rechtskräftig abgelehnt wurde (Anschluss an SG Karlsruhe, Urteil vom 24.01.2018, Az.: S 2 AL 3795/17). Der Kläger hat indes in der mündlichen Verhandlung am 22.02.2018 erklärt, dass er gegen die Ablehnung seines Asylantrags mit Bescheid vom 19.01.2017 Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden erhoben hat, sodass sein Asylantrag noch nicht rechtskräftig abgelehnt wurde. Diese Erklärung war glaubhaft, sodass das Gericht auf Vorlage weiterer Nachweise verzichtet hat.

b) Nach der Gesetzesbegründung zur Neuregelung des Zugangs zu Integrationskursen wird zu der wortgleichen Voraussetzung in § 44 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG ausgeführt, dass Asylbewerber erfasst seien, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht (BR-Drs. 446/15, S. 64). Anders gewendet besteht die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts, sofern eine gute Bleibeperspektive besteht. Es muss insofern eine überwiegend wahrscheinliche Aussicht darauf bestehen, dass die jeweilige Person den Status als Flüchtling nach § 3 ff. AsylG oder einen subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG erlangt. Die Beklagte folgt dabei der Auffassung der Bundesregierung, dass als Maßstab eine Gesamtschutzquote für Flüchtlinge aus einem bestimmten Herkunftsland von 50 % oder mehr anzulegen ist und wendet diesen Maßstab bei Anträgen auf Berufsausbildungsbeihilfe von Asylbewerbern an.

Das Gericht ist jedoch nicht an die administrative Gesetzesauslegung gebunden, da es sich dabei lediglich um verwaltungsinterne Richtlinien und Anwendungshilfen handelt, welche das Gericht nicht bindet (so auch Schmidt-De Caluwe in Mutschler/ Schmidt-De Caluwe / Coseriu, Sozialgesetzbuch III, Großkommentar, 6. Auflage 2016, § 132 Rn. 10).

Das Gericht hat in seiner Entscheidung vom 22.02.2018, Az.: S 32 AL 315/16, entschieden, dass es sich bei der Frage der Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher gerichtlich voll überprüfbar ist, handeln soll (so auch Dr. Roman Lehner, https://verfassungsblog.de/gehen-oder-bleiben-der-gesetzgeber-kann-sich-nicht-entscheiden, Seite 2). Nach erneuter Überprüfung ist das Gericht allerdings zu der Ansicht gekommen, dass es sich nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, sondern um eine Prognoseentscheidung handelt. Es handelt sich bei der Frage, ob der Ausländer sich dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland aufhalten wird, insofern um eine Vorhersage für die Zukunft.

Dabei hat das Gericht zu überprüfen, ob die Beklagte alle abwägungsrelevanten Tatsachen richtig erfasst hat. Dafür ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, regelmäßig des Widerspruchsbescheides, abzustellen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Neuregelung des § 448 Satz 2 SGB III, da nach Auffassung des Gerichts diese Vorschrift nur auf Anträge auf Berufsausbildungsbeihilfe Anwendung findet, die nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes gestellt werden. Vorliegend ist somit auf die Verhältnisse im Monat Juni 2018 und nicht auf die halbjährige Gesamtschutzquote (so noch SG Darmstadt, Urteil vom 22.02.2018, Az.: S 32 AL 315/16) abzustellen. Dazu ist festzustellen, dass die Beklagte dazu keine Erwägungen in ihren Bescheiden angestellt hat. Offensichtlich hat sie trotz Hinweises des Klägers auf das Urteil der 32. Kammer dieses Gerichts eine Anwendung von § 132 SGB III im Fall des Klägers nicht geprüft.

Das schematische Abstellen der Beklagten auf die formelle Gesamtschutzquote eines Herkunftslandes hält das Gericht vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG für rechtlich bedenklich (so auch Schmidt-De Caluwe in Mutschler/ Schmidt-De Caluwe / Coseriu, aaO).

Unabhängig von dieser Fragestellung ist nach Ansicht des Gerichts – wie bereits im Verfahren S 32 AL 315/16 – auf die materielle Gesamtschutzquote abzustellen. Diese materielle Gesamtschutzquote ergibt sich bei Herausrechnung der förmlichen Entscheidungen, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, beispielsweise wegen Antragsrücknahme und Zuständigkeitsübernahme durch einen anderen Dublin-Staat, keine inhaltliche Entscheidung trifft. Insofern können bei der Berechnung der Gesamtschutzquote solche Entscheidungen keine Berücksichtigung finden, in denen eine materielle Prüfung der Schutzbedürftigkeit der Antragsteller im Asylverfahren nicht erfolgt ist. Im Juni 2018 ergaben sich dabei 3.899 positive Anträge und 4.453 negative Anträge für Asylbewerber aus Afghanistan, somit insgesamt 8.352 Entscheidungen, sowie 2.132 weitere sonstige Verfahrenserledigungen. Somit waren 46,68 % der Asylentscheidungen positiv und 53,31 % negativ.

Damit ist zunächst festzustellen, dass damit nicht die von der Beklagten vorausgesetzten 50 % im Juni 2018 überschritten wurden. Dabei fordern allerdings weder der Gesetzeswortlaut des § 132 Abs. 1 SGB III noch die diesbezügliche Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8615, S. 31f.), das Abstellen auf eine Gesamtschutzquote von mindestens 50 Prozent. Die Gesetzesbegründung erschöpft sich in einer allgemeinen Darlegung des Zieles der Regelung und nimmt nur an einer Stelle Bezug darauf, dass Gestattete mit einer "guten Bleibeperspektive" von der Norm erfasst sein sollen. Was sich der Gesetzgeber hierunter genau vorstellt, lässt er jedoch offen (so auch SG Dortmund, Urteil vom 13. Juli 2018, Az.: S 22 AL 927/16 – juris – Rn. 22). Zur weiteren Ausfüllung dieser Kriterien ist daher die ausführlichere Gesetzesbegründung zum wortgleichen § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG heranzuziehen, in dem es um die Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs geht. Nach dieser Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6185, S. 48f.) ist ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nur bei den Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu erwarten, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht (so auch SG Dortmund, Urteil vom 13. Juli 2018, Az.: S 22 AL 927/16 – juris – Rn. 23). Weiterhin ist aber zu beachten, dass Klagen von Personen aus Ländern mit hoher Gesamtschutzquote gerichtsbekannter Maßen häufiger Erfolg haben als Klagen von Personen aus Ländern mit geringer Gesamtschutzquote (so auch SG Karlsruhe, Urteil vom 24. Januar 2018, Az.: S 2 AL 3795/17 – juris – Rn. 51).

Insofern handelt es sich auch bei der Anerkennungsquote von 46,68 % um eine hohe Anerkennungsquote. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Klagen von Personen aus Ländern mit hoher Gesamtschutzquote häufiger Erfolg haben, ist davon auszugehen, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt des Klägers zu erwarten ist und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass er den Status als Flüchtling oder einen subsidiären Schutz erhält. Eine gute Bleibeperspektive ist damit zu bejahen, sodass der Kläger auch die persönlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt.

IV. Im Übrigen war die Klage jedoch einerseits aus dem Grund abzuweisen, weil der Kläger erst am 10.04.2018 eine Aufenthaltsgestattung erhalten habe. Nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III besteht ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe erst ab dem 15. Monat nach der Gestattung und somit erst ab dem 10.07.2019. Andererseits ist die Dauer einer Bewilligung bei Erstantrag nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB III regelmäßig auf die ersten 18 Monate der Berufsausbildung beschränkt, sodass die Verurteilung entsprechend zu begrenzen war.

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang der jeweiligen Verfahren Rechnung. Entgegen der Auffassung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung ist die Berufung für den Kläger nach §§ 143, 144 SGG zulässig. Der Kläger hat unter Berücksichtigung der Fahrkosten einen Bedarf i. H. v. 716,-EUR für den Zeitraum August 2018 bis Juli 2019. Dem stand ein Nettoeinkommen i. H. v. ungefähr 588,12 EUR für die Monate August bis Oktober 2018 bzw. 607,98 EUR für den Zeitraum von November 2018 bis Dezember 2018 und 611,43 EUR für den Zeitraum von Januar bis Juni 2019 gegenüber. Der Wert des diesbezüglichen Beschwerdegegenstands beträgt damit 1.227,10 EUR zuzüglich des anteiligen Betrags für Juli 2019, sodass der Wert des Beschwerdegegenstands den maßgeblichen Betrag von 750,-EUR überschreitet. Entgegen der Auffassung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung ist auch die Berufung der Beklagten zulässig. Die Beklagte hatte in ihrer Mitteilung vom 24.06.2020 insoweit unberücksichtigt gelassen, dass sich zum 01.08.2019 die Bedarfe nach § 13 BaföG erhöht hatten (Bedarf für den Lebensunterhalt: 419,-EUR, Kosten der Unterkunft: 325 EUR, Arbeitskleidung: 14,-EUR). Bei einem Bedarf von 812,-EUR und einem Netto-Einkommen von ca. 665,00 EUR ergibt sich für sechs Monate ein Leistungsanspruch i. H. v. 882,-EUR, sodass auch diesbezüglich die maßgeblichen Wertgrenzen überschritten sind. Insofern war die seitens des Gerichts ausdrücklich erfolgte Zulassung der Berufung nicht erforderlich. Zum jetzigen Zeitpunkt geht das erkennende Gericht allerdings davon aus, dass es sich auf Grund der Übergangsregelung des § 448 SGB III um die in diesem Verfahren aufgeworfene Rechtsfrage noch um eine Rechtsfrage mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus handelt.
Rechtskraft
Aus
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