L 19 AS 1426/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 44 AS 1546/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1426/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 58/20 R
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.08.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Dauer einer stationären Drogenentwöhnungstherapie.

Der am 00.00.1990 geborene Kläger wohnte in H, S-Straße 00, bevor er mit Urteil vom 29.10.2014 des Amtsgerichts B (00 Ds- Js xxx/14 – xxx/14) zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen (Bewährungsbeschluss vom 29.10.2014) widerrief das Amtsgericht B mit Beschluss vom 11.03.2015 die Strafaussetzung zur Bewährung. Ebenso widerrief das Amtsgerichts H mit Beschluss vom 01.05.2015 die mit Beschluss vom 22.05.20153 (00 VRJs /xxx12) bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung und ordnete die Vollstreckung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts B vom 05.11.2012 (00 Ls xxx/12) an. Die Strafen wurden vom 28.09.2015 bis 27.09.2016 in der Justizvollzugsanstalt R, B-Straße 00, R vollstreckt.

Am 30.03.2016 stellte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft B eine Anfrage auf Zurückstellung der Freiheitsstrafe nach § 35 BtMG, die er am 02.08.2016 beantragte. Er habe zum 27.09.2016 einen Aufnahmetermin nebst Kostenzusage des Beigeladenen vom 29.07.2016 im Haus B in O. Mit Beschluss vom 16.08.2016 des Amtsgerichts B wurde der Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts B vom 21.05.2016, 00 DS xxx/14 zwecks Durchführung einer Therapie gemäß § 35 BtMG zugestimmt. Die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seiner Aufenthalte in der Therapieeinrichtung B werde auf die Strafe(n) angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt seien (§ 36 Abs. 1 BtMG).

Mit Entlassungsanordnung vom 01.09.2016 der Staatsanwaltschaft B wurde der Kläger am 27.09.2016 unter Anwendung von § 35 BtMG einkommens- und vermögenslos - mit Ausnahme eines Überbrückungsgelds von 606,43 EUR - in die Therapieeinrichtung Fachklinik B, O entlassen. Falls es nicht zu einer Aufnahme in die Therapieeinrichtung komme, solle der Kläger wieder in Justizvollzugsanstalt aufgenommen und die Vollstreckung fortgesetzt werden. Die Zurückstellung erfolge zunächst für ein Jahr. Die Fachklinik B teilte der Staatsanwaltschaft B mit Schreiben vom 27.09.2016 mit, der Kläger sei am 27.09.2016 in die Einrichtung aufgenommen worden und die Behandlung daure voraussichtlich 24 Wochen; im Regelfall schließe sich eine 3-monatige Adaptionsphase an.

Mit Schreiben vom 01.09.2016 teilte die Staatsanwaltschaft B dem Kläger mit, dass mit Zustimmung des zuständigen Gerichts die Strafvollstreckung für die Zeit vom 27.09.2016 bis 26.09.2017 zurückgestellt sei, um ihm Gelegenheit zu geben, sich wegen seines Betäubungsmittelabhängigkeit einer Therapie zu unterziehen. Die Behandlung sei ab dem genannten Zeitpunkt in der Fachklinik B durchzuführen. Nach seiner Entlassung habe sich der Kläger unverzüglich in diese Einrichtung zu begeben. Er sei verpflichtet, unverzüglich den Nachweis über die Aufnahme der Behandlung zu erbringen und der Staatsanwaltschaft zum Ende des Monats den Nachweis darüber zuzusenden, dass die Therapie fortgeführt werde. Sollte die Therapie abgebrochen werden, sei dies unverzüglich zu melden, da ansonsten Zwangsmaßnahmen unvermeidbar seien. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung erfolge zunächst für ein Jahr. Falls die Behandlung danach fortgeführt werden solle, werde um Vorlage einer entsprechenden Stellungnahme der Therapieeinrichtung gebeten. Die Zurückstellung werde widerrufen, wenn der Kläger die Behandlung nicht beginne, nicht fortführe oder die oben genannten Nachweise nicht erbringe. Soweit die vom Kläger gewählte Therapieeinrichtung staatlich anerkannt sei und in ihr die freie Gestaltung der Lebensführung erheblichen Beschränkungen unterliege, werde die vom Kläger nachgewiesene Zeit seines Aufenthalts in der Einrichtung auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel erledigt seien. Bei erfolgreichem Verlauf der Therapie könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 36 BtMG).

Bei der Fachklinik B handelt es sich um eine Rehabilitationseinrichtung für von illegalen Suchtmitteln abhängige Männer ab 18 Jahren (www.fachklinik-B.de). Sie ist anerkannt nach § 107 SGB V. Die Fachklinik verkürzte im Einverständnis mit der Rheinischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2015 in ihrem Konzept die Dauer der der stationären medizinischen Rehabilitation von 26 Wochen auf 24 Wochen. Das Konzept sah vor, dass die Rehabilitationsdauer im Verlauf der Rehabilitation individuell überprüft wird.

Im Anschluss an die stationäre Entwöhnungsbehandlung bietet der Träger der Fachklinik - Fachklinik Drogenhilfe K - die Durchführung einer stationären Adaptionsbehandlung in der Adaption B an. Die Einrichtungen - Fachklinik B und Adaption B - sind als Einrichtung i.S.v. §§ 35 Abs. 1 S. 2, 36 Abs. 1 BtMG anerkannt (https://www.adaption-B.de/broschueren.html).

Den am 16.06.2016 gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung) leitete die Deutsche Rentenversicherung an den Beigeladenen weiter. Mit Bescheid vom 29.07.2016 bewilligte der Beigeladene dem Kläger Leistungen der stationären Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII sowie für seine persönlichen Ausgaben einen monatlichen Barbetrag i. H. v. 109,08 EUR. In dem Bescheid heißt es, dass der Barbetrag nur ausgezahlt werde, wenn keine Leistungen nach dem SGB II gewährt werden. Die Kostenzusage sei befristet auf sechs Monate ab dem Erstellungsdatum und gelte ab dem Aufnahmetag für die Therapiedauer von 20 Wochen. Im Bedarfsfalle solle der Kläger gemeinsam mit der Klinik einen Verlängerungsantrag stellen. Es werde dann geprüft, ob die Maßnahme verlängert werden könne. Der Kläger solle sich umgehend nach seiner Aufnahme in der Rehabilitationseinrichtung mit dem Jobcenter wegen der Antragstellung auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Verbindung setzen. Sollte der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gegenüber dem Jobcenter wider Erwarten scheitern, sei es darüber hinaus auch notwendig zu klären, ob der Kläger vielleicht über eine Familienversicherungsanspruch gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse nach § 10 SGB V verfüge.

Mit Schreiben vom 29.07.2016 mit der Überschrift " Zahlungsmitteilung über die Gewährung von Sozialhilfe/Leistungen nach dem AsylbLG" unterrichtete der Beigeladene die Fachklinik B über die Bewilligung von Sozialhilfe und forderte diese auf, an den Kläger ab Aufnahmetag den Barbetrag i.H.v. 109,80 EUR auszuzahlen. Eine Auszahlung solle nicht erfolgen, wenn Arbeitslosengeld II oder Haftentlassungsgeld gewährt werde. In dem Schreiben heißt es:

"Meine Zahlungsmitteilung lautet über eine Zusage der Kostenübernahme für bis zu 20 Wochen, auf Antrag wird eine Verlängerung gewährt. Nunmehr ist es für mich - zur Klärung der Frage, ob ein Anspruch auf SGB II - Leistungen und damit ein Krankenversicherungsschutz besteht - wichtig zu wissen, ob nach ihrem individuellen Behandlungskonzept, dass sie bei der Aufnahme eines jeden Klienten wohl konzipieren, auch vorliegend prognostisch davon auszugehen war, dass Herr T binnen einer Zeit von weniger als sechs Monaten ab Aufnahmetag therapiert werden kann. Ich benötige also eine kurze schriftliche Aussage darüber, welcher Zeitraum des Aufenthalts in ihrer Einrichtung prognostisch in diesem Einzelfall von Herrn T für erforderlich gehalten wurde."

Mit Schreiben vom 29.07.2016 beantragte der Beigeladene beim Beklagten nach § 95 SGB XII für den Kläger die Feststellung von Sozialleistungen nach dem SGB II zum nächst möglichen Zeitpunkt von Amts wegen.

Der Beigeladene übernahm die Kosten für Heimfahrten im Dezember 2016 und Januar 2017. Mit Bescheid vom 08.022017 bewilligte der Beigeladene dem Kläger eine Bekleidungsbeihilfe nach § 27b Abs. 2 SGB XII bis zu einem Betrag i.H.v. 487,30 EUR.

Mit Schreiben vom 30.01.2017 zeigte der Kläger der Staatsanwaltschaft an, dass er bis zum 14.02.2017 sich in der stationären Therapieeinrichtung B befinde und anschließend dort in die Adaption für 13 Wochen gehe. Am 14.02.2017 wurde der Kläger aus der Fachklinik B entlassen und am gleichen Tag zur stationären Adaption aufgenommen. Mit Bescheid vom 16.03.2017 bewilligte der Beigeladene dem Kläger Leistungen der stationären Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB II. Die Kosten der Adaption des Klägers in der stationären Betreuungseinrichtung würden ab dem 14.02.2017 jeweils monatlich längstens bis zum 08.05.2017 (max. 12 Wochen) als zuständiger Leistungsträger übernommen. Für die persönlichen Ausgaben erhalte der Kläger ab dem 01.03.2017 einem monatlichen Barbetrag i.H.v. zurzeit 110,43 EUR, wenn er kein Arbeitslosengeld II beziehe. Für den Kläger würden ab dem 07.03.2016 monatlich einmal die Fahrtkosten für die Heimfahrt zu seinen Großeltern übernommen.

Auf Anfrage der Staatsanwaltschaft teilte der Träger der Fachklinik B mit, dass der Kläger am 14.02.2017 die stationäre Entwöhnungsbehandlung regulär beendet habe. Der Kläger habe beabsichtigt im Anschluss eine Adaptionsbehandlung zu absolvieren, die er nach seiner Entlassung in der Adaption des Trägers begonnen habe. Nach Ansicht des Trägers sei es erforderlich, dass der Kläger bei der Umsetzung des begonnenen Entwicklungsprozesses therapeutisch weiter begleitet werde, damit er die neu erworbenen Fähigkeiten im Alltag erproben, reflektieren und ggfls. weiter verändern könne.

Ab dem 09.05.2017 wurde der Kläger im betreuten Wohnen des diakonischen Werks des Kirchenkreises B e.V. aufgenommen. Er beantragte die Gewährung von Hilfen nach §§ 53, 54 SGB XII.

Mit Beschluss vom 31.05.2017 rechnete das Amtsgericht B die Zeit des Aufenthaltes des Klägers in der staatlich anerkannten Therapieeinrichtung Fachklinik B auf die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts B vom 29.10.2014 - 00 Ds xxx/14 - an, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt ist (§ 36 Abs. 1 BtMG) und setzte den Rest der Strafe zur Bewährung aus. In den Gründen wird ausgeführt, dass sich der Kläger in der Zeit vom 27.09.2016 bis 14.02.2017 in der Therapieeinrichtung Fachklinik B aufgehalten habe und die Therapie nach Mitteilung dieser Einrichtung erfolgreich abgeschlossen worden sei. Es sei gemäß § 36 Abs. 1 BtMG zum einen die Therapiezeit anzurechnen und zum anderen die Vollstreckung des Restes der erkannten Strafe zur Bewährung auszusetzen, weil verantwortet werden könne, zu erproben, ob der Kläger keine weiteren Straftaten mehr begehen.

Am 04.10.2016 beantragte der Kläger die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und gab dabei an, sich vom 27.09.2016 bis 27.03.2017 in einer stationären Einrichtung zu befinden. Ihm sei vom Rehabilitationsträger noch nicht ein stationärer Aufenthalt zum Zwecke der Adaptionsbehandlung bewilligt worden. Es gebe noch keine Anschlusslösung nach der Rehabilitationsbehandlung. Dem Antrag war eine sozialmedizinische Prognose der Drogenhilfe K - Fachklinik B - vom 29.09.2016 beigefügt, wonach sich der Kläger seit dem 27.09.2016 in der Klinik befinde. Es liege eine Leistungszusage für 20 Wochen Rehabilitation vor. Bei Aufnahme könne aus fachärztlicher Sicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seine Rehabilitationsziele in diesem Zeitraum erreiche.

Mit Bescheid vom 25.10.2016 lehnte der Beklagte den Antrag ab und verwies darauf, dass der Kläger gemäß § 7 Abs. 4 SGB II wegen seiner Unterbringung in der Fachklinik nicht leistungsberechtigt sei und eine Rückausnahme nicht vorliege, weil angesichts der Regeltherapiedauer der Drogenentwöhnung in der Fachklinik B von 24 Wochen sowie der regelmäßig sich anschließenden 13-17 wöchigen Adaptionsphase nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Unterbringung weniger als sechs Monate dauert. Dem Konzept der Fachklinik B könne entnommen werden, dass in der Regel eine 24-wöchige Therapiephase dem Behandlungsprogramm der Klinik entspreche. Er habe zur Kenntnis genommen, dass die Fachklinik B ihr Konzept dahingehend geändert habe, dass die Drogenentwöhnungsbehandlung nunmehr auf lediglich 24 Wochen (anstatt 26 Wochen) ausgelegt werde. Da die Regeltherapiedauer jedoch 26 Wochen bzw. ein halbes Jahr für die Drogenentwöhnung betrage und sich nach seinen Erfahrungswerten bei dem überwiegenden Teil der Patienten eine adaptive Phase an die Drogenentwöhnung anschließe, die noch einmal zwischen 13 - 17 Wochen andauere und in der Klinik stattfinde, belaufe sich der medizinische Rehabilitationszeitraum auf insgesamt prognostisch mehr als sechs Monate.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und verwies darauf, dass sowohl die Kostenzusage der Beigeladenen lediglich 20 Wochen umfasse, als auch der ärztliche Leiter der Fachklinik B bei Aufnahme bestätigt habe, dass davon auszugehen sei, dass er seine Rehabilitationsziele in diesem Zeitraum erreichen könne.

Mit Widerspruchbescheid vom 23.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da angesichts des Konzepts der Fachklinik B, das eine 24-wöchige Therapiephase sowie eine 13-17 wöchige Adaptionsphase vorsehe, vorliegend nicht nachvollziehbar sei, wieso für den Kläger lediglich eine Therapiedauer von 20 Wochen prognostiziert worden sei. Für eine mögliche Verkürzung seien weder Argumente vorgebracht worden, noch könne eine solche in der Regel bereits zu Beginn angenommen werden, da sich das vorzeitige Erreichen der Therapieziele regelmäßig erst im Verlauf zeige, so dass diese Prognose als nicht realistisch einzuschätzen sei. Das Konzept der Fachklinik Augenblick beinhalte seit Ende 2015 eine reine Drogenentwöhnungstherapie von 24 Wochen und eine nahtlos anschließende Adoptionsbehandlung von 13 - 17 Wochen (Adaptionskonzept Fachklinik B, S. 26). Prognostisch sei somit von einem 30-wöchigen Aufenthalt auszugehen. Das Konzept der Fachklinik B sehe eine Drogenentwöhnungsbehandlung von lediglich 20 Wochen gar nicht vor. Nur bei Vorliegen strenge Voraussetzungen komme nach dem Konzept der Fachklinik B eine kompakte Therapie in Betracht, die nur 13 Wochen andauere. Von einer solchen kompakte Therapie, die nach dem Klinikkonzept auch nur für Patienten in Betracht komme, die bereits schon einmal eine Rehabilitationsbehandlung in der Fachklinik B erfolgreich durchlaufen hätten (Konzept der Fachklinik B - Langzeitentwöhnung S. 38). Nach dem Klinikkonzept sei die stationäre medizinische Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter auf zunächst 26 Wochen und nunmehr seit Ende November 2015 auf 24 Wochen ausgelegt. Die Therapiedauer für die Adaptionsbehandlung belaufe sich auf 13-17 Wochen. Erst im Verlauf der Rehabilitation werde die Rehabilitationsdauer nach dem Klinikkonzept individuell überprüft. Eine Verkürzung der Regelrehabilitationsdauer komme nach dem Konzept nur in Betracht, wenn der Patient die bisherigen Therapieziele vorzeitig erreicht habe (Konzept der Fachklinik B - Langzeitentwöhnung S. 32). Eine Verkürzung der vorgesehenen Regeltherapiezeit könne sich somit erst im Verlaufe der Behandlung ergeben und nicht zu Beginn bzw. bei Aufnahme in der Klinik feststehen. Es sei zu beachten, dass das Klinikkonzept der Fachklinik B, wie auch Klinikkonzepte anderer Kliniken, die eine Drogenentwöhnungsbehandlung anbieten, eine integrierte Adaptionsbehandlung vorsehe. Die Adaptionsbehandlung finde vollstationär statt. In Unterlagen, die sich allgemein mit Drogenentwöhnungsbehandlung befassten, werde stets betont, dass die Adaption grundsätzlich als letzte Phase der stationären Drogenentwöhnung anzusehen sei, die etwa weitere drei Monate in Anspruch nehme. Schon im dem Grundlagenpapier - der Verfahrensabsprache der Spitzenverbände der Kranken-und Rentenversicherungsträger zur Adaptionsphase bei Abhängigkeitskranken von 1994 - sei festgelegt, dass maßgeblich für die Adaptionsphase der Zusammenhang zur Entwöhnung sei. Die Adaption sei fester Bestandteil des Gesamttherapiekonzeptes. Als Adaption sei die letzte Phase einer stationären Entwöhnungsbehandlung zu verstehen. Dementsprechend sei sie integraler Bestandteil medizinische Rehabilitation i. S. der Suchtvereinbarung. Die Adaption könne sowohl in der Entwöhnungseinrichtung als auch in einer Einrichtung, die zwar räumlich getrennt von der Entwöhnungseinrichtung sein, aber in Kooperation mit dieser stehe, stattfinden. Diese Grundlagenentscheidung zu einer Drogenentwöhnungstherapie könne bei einer Prognoseentscheidung nicht außer Acht gelassen werden. Selbst wenn angenommen werde, die Adaptionsbehandlung sei eine von der reinen Drogenentwöhnung losgelöste Behandlungsform, wäre bei der Vornahme der Prognose für die Dauer des Klinikaufenthaltes die Adaptionsbehandlung mitzuberücksichtigen. Vorliegend sei abzusehen gewesen, dass der Kläger auch einer Adaptionsbehandlung bedürfe. Dieser sei arbeits-und wohnungslos, was laut Klinikkonzept klare Indikatoren für eine Adaptionsbehandlung sei. Insbesondere bei nach § 35 BtMG aus der Justizvollzugsanstalt Entlassenen werde eine Adaptionsbehandlung im Allgemeinen empfohlen. Das Bundessozialgericht habe einen drohenden Trägerwechsel bzw. ein Herausfallen aus dem Leistungssystem des SGB II aufgrund des Klinikaufenthalts als Voraussetzung genannt, um den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II während eines Klinikaufenthaltes überhaupt begründen zu können. § 7 Abs. 4 Nr. 1 SGB II solle lediglich Personen vor dem Herausfallen aus dem SGB II-Leistungssystem bewahren, die sich aus dem Leistungsbezug heraus in ein Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung begeben müssten. Diesen Personen solle nicht zugemutet werden, aufgrund des Krankenhausaufenthaltes bei einem anderen Leistungsträger Sozialleistungen beantragen zu müssen. Eine solche Konstellation sei beim Kläger nicht gegeben. Ein kurzzeitiger Trägerwechsel bzw. ein Herausfallen aus dem Leistungssystem des SGB II habe dem Kläger nicht gedroht, da er vor seiner Antragstellung aufgrund seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt nicht in einem Sozialleistungsbezug gestanden habe. Vielmehr seien dem Kläger vom Beigeladenen sogar vor Stellung des Antrages auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II Leistungen nach § 27b SGB XII bewilligt worden.

Der Kläger hat am 19.04.2017 Klage erhoben. Er ist der Auffassung gewesen, dass er prognostisch für weniger als sechs Monate in der Fachklinik B untergebracht gewesen und daher leistungsberechtigt nach dem SGB II sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.03.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 27.09.2016 bis 09.05.2017 Leistungen zur Grundsicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,

hilfsweise,

die Beigeladene zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für die Zeit vom 27.09.2016 bis 09.05.2017 zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass angesichts des Konzepts der Einrichtung und des Umstands, dass der Kläger erstmalig eine Entwöhnung absolviere und zudem wohnungs- und arbeitslos und ohne feste soziale Bindungen sei, von einer prognostischen Unterbringungsdauer von mehr als sechs Monaten ausgegangen werden müsse, so dass die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 SGB II nicht zum Tragen komme.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 08.06.2017 den Landschaftsverband Rheinland zum Verfahren notwendig beigeladen.

Der Beigeladene ist der Auffassung gewesen, dass aufgrund der Bescheinigung des ärztlichen Leiters der Einrichtung bei Aufnahme des Klägers von einem Aufenthalt von weniger als sechs Monaten ausgegangen werden musste, so dass der Kläger leistungsberechtigt nach den Vorschriften des SGB II sei. Er habe ein Interesse, das der Kläger Anspruch auf Grundsicherung Leistungen nach dem SGB II habe. Denn dieser sei über den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nach § 5 Abs. 1 Ziffer 2a SGB V gesetzlich krankenversichert. Hierüber könnten dann die Kosten der Entwöhnungsmaßnahme gegenüber der Krankenkasse geltend gemacht werden und fielen nicht der Sozialhilfe zur Last. Die Adaptionsphase könne nicht mit der Entwöhnungsphase zusammengerechnet werden. Die Drogenentwöhnung sei eine eigenständige Behandlungsform der medizinischen Rehabilitation, die in einer dafür spezialisierten Einrichtung durchgeführt werden müsse. Mit erfolgreichen Abschluss dieser Behandlung sei für die Mehrzahl der Patienten die stationäre medizinische Rehabilitation als Standard abgeschlossen. Die Adaptionsbehandlung sei ebenfalls einer abgeschlossenen Behandlungsform der medizinischen Rehabilitation. Sie erfordere ebenfalls eine spezialisierte Einrichtung und könne als eine - unter vielen anderen - ergänzende Maßnahmen durchgeführt werden. Grundsätzlich müsse der Sinn und Nutzen einer Adaptionsbehandlung individuell mit dem Patienten besprochen und bei seinem Einverständnis beim Leistungsträger mit einer personenbezogenen Begründung beantragt werden. Es sei im Jahr 2016 Handhabung gewesen, dass immer für 20 Wochen eine Kostenzusage erteilt worden sei, diese sei unabhängig von der ärztlichen Einschätzung erfolgt.

Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme der Fachklinik B eingeholt und den Ärztlichen Leiters der Fachklinik B Dr. S als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.08.2019 verwiesen.

Mit Urteil vom 07.08.2019 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.03.2017 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 27.09.2016 bis 09.05.2017 Leistungen zur Grundsicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 15.08.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.08.2019 Berufung eingelegt. Der Kläger habe im Zeitraum 27.09.2016 bis 09.05.2017 keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II während des Aufenthalts in der Therapieeinrichtung, da er gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei. Es sei bei Aufnahme des Klägers in die Klinik prognostisch davon auszugehen, dass er sich länger als mindestens sechs Monate in der Klinik aufhalte.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.08.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Er hat erklärt, den erstinstanzliche gestellten Hilfsantrag auf Verpflichtung des Beigeladenen nicht weiter aufrecht zu erhalten.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Beigeladene hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG stelle keinen Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II dar. Bei der Fachklinik B handele sich um eine Einrichtung i.S.v. § 107 Abs. 2 SGB V. Deshalb sei davon auszugehen, dass es sich bei der Entwöhnung des Klägers um einen Krankenhausaufenthalt i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II handle. Hierfür spreche auch, dass Strafgefangene grundsätzlich für die Dauer der Haft einen Anspruch auf freie Heilfürsorge hätten. Die Ansprüche von Strafgefangenen gegen die gesetzliche Krankenversicherung ruhten während der Inhaftierung. Strafgefangene erhielten während der Haftzeit die medizinische Behandlung durch den Justizvollzug. Wäre die Zurückstellung der Strafvollstreckung und die Aufnahme in eine Entwöhnungseinrichtung sozusagen eine Verlängerung des Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt und nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II als Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung zu werten, müssten die Kosten der Entwöhnung theoretisch über die freie Heilfürsorge getragen werden und bräuchten weder durch den Beklagten noch durch ihn überhaupt irgendwelche Kosten übernommen werden. Deshalb komme es aus seiner Sicht nach wie vor nur auf die Prognose bei Antritt der Entwöhnungsmaßnahme an. Er habe schon mit Schriftsatz vom 02.03.2020 in Bezug auf den Hilfsantrag des Klägers in der ersten Instanz mitgeteilt, dass er als Sozialhilfeträger alle Kosten im Rahmen der Entwöhnungsmaßnahme übernommen habe. Daraus ergebe sich, dass der Kläger von ihm nicht nur dem Barbetrag erhalten habe, sondern dass auch alle anderen Bedarfe wie die Kosten der Unterkunft und Verpflegung gedeckt worden seien. Es seien darüber hinaus keine weiteren Bedarfe nach dem SGB XII ersichtlich und bestehe somit kein Raum für den Hilfsantrag des Klägers.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Beigeladenen, der Justizvollzugsanstalt H, der Strafakte der Staatsanwaltschaft B 00 Js xxx/14 sowie das Vollstreckungsheft Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist begründet (A.). Eine Verurteilung des Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG hat nicht zu erfolgen (B.)

A. Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 25.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, mit welchem der Beklagte die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab dem 27.09.2016 abgelehnt hat. Der Kläger hat den Anspruch auf die Dauer der Therapiemaßnahme bis zum 09.05.2017 begrenzt.

Der Kläger verfolgt sein Begehren nach Gewährung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 27.09.2016 bis 09.05.2017 zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 SGG.

Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Beklagten zur Leistungsgewährung verurteilt.

Der angefochten Bescheid vom Bescheid vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23.03.2017 ist rechtmäßig. Der Kläger hat im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gegen den Beklagten.

Dahinstehen kann, ob der Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllt hat.

Jedenfalls ist der Kläger in den Zeiträumen vom 27.09.2016 bis 14.02.2017 und vom 15.02.2017 bis 08.05.2017 von Grundsicherungsleistungen nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen gewesen.

Danach erhält Leistungen nach dem SGB II u.a. nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist (Satz 1). Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Satz 2). In Ausnahme von diesem grundsätzlichen Leistungsausschluss erhält Leistungen nach dem SGB II gleichwohl, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 SGB V) untergebracht ist (Satz 3 Nr. 1). Eine Rückausnahme greift auch für den ein, der in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (Satz 3 Nr. 2).

Der Kläger hat sich bis zum 26.09.2016 in einer Justizvollzugsanstalt zur Vollstreckung einer Strafe, also in einer Einrichtung zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung aufgehalten. Diesen Aufenthalt hat der Kläger durch seinen Aufenthalt in der Zeit vom 27.09.20216 bis 14.02.2017 in der Fachklinik B zur Durchführung einer stationären Entwöhnungsbehandlung sowie in der Zeit vom 15.02.2017 bis 08.05.2017 in der Adaption B nicht beendet, sondern fortgesetzt. Denn bei diesen beiden Einrichtungen handelt es sich auch um Einrichtungen zum Vollzug eines richterlich angeordneten Freiheitsentziehung i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II.

Der Kläger hat sich in diesen beiden Einrichtungen aufgrund einer von der Staatsanwaltschaft B als Vollstreckungsbehörde verfügten Zurückstellung der Strafvollstreckung zwecks Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG aufgehalten. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen sind u.a. Justizvollzugsanstalten, Untersuchungsgefängnisse, Jugendarrestanstalten, psychiatrische Krankenhäuser, Entziehungsanstalten. Nach Auffassung des Senats sind sonstige Einrichtungen, auch wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II erfüllen, derartigen Einrichtungen gleich zu erachten, wenn die Zeit des Aufenthaltes auf die Strafhaft angerechnet wird, etwa Einrichtungen der Drogenhilfe nach §§ 35, 36 BTMG (vgl. a. A. LSG Sachsen, Beschluss vom 28.11.2012 - L 7 AS 244/12 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.06.2007 - L 3 ER 144/07 AS; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2006 - L 7 AS 1128/06 ER-B; bejahend zu dem in § 98 Abs. 4 SGB XII verwandten gleichlautenden Begriff "Aufenthalt zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung": Deckers in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 98 Rn. 33; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB, 08/19, § 98 SGB XII, Rn. 90; Schoch, in: LPK-SGB XII,10. Aufl. 2015, § 98 Rz. 56; Rabe: in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 98 Rz. 30; zur Vorgängervorschrift des § 98 BSHG: VG Kassel, Beschluss vom 18.01.1990 - VII/3 G 903/88).

Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung liegt nach der Gesetzesbegründung insbesondere bei dem Vollzug von Strafhaft, Untersuchungshaft und Maßregeln der Besserung und Sicherung vor (BT-Drs. 16/1410 S. 20). Die Durchführung einer Therapie in einer nach §§ 35,36 BtMG anerkannten Einrichtung anstelle der Vollstreckung einer Freiheitstrafe in einer Justizvollzugsanstalt nach den Vorschriften der StVollZG ist als Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung zu werten. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde bei einem wegen einer im Zusammenhang mit einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangenen Straftat Verurteilten mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrests oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt nach Satz 2 der Vorschrift auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken. Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung nach § 36 Abs. 1 S. 1 BtMG auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt ist. Ist durch die Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt oder eine Behandlung in der Einrichtung zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, so setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes der Strafe zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 36 Abs. 1 S. 3 BtMG).

Die Regelung des §§ 35, 36 BtMG ist eine vollstreckungsrechtliche Sonderreglung für Betäubungsmittelabhängige (vgl. Eberth/Müller/Schütrumpf, Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, 7 Aufl. 2018 Rn. 317) und ersetzt die Strafvollstreckung in einer Justizvollzugsanstalt nach den Vorschriften des StVollZG durch eine therapeutische Behandlung. Das Zurückstellen der Vollstreckung, also der Vollzug einer Freiheitstrafe in einer Justizvollzugsanstalt nach § 35 BtMG bewirkt eine vorläufige Herausnahme des Verurteilten aus dem Vollzug nach dem StVollZG (Bohnen: in. BeckOK, BtMG, 6. Ed. 15.3.2020, Vorbemerkung zu §§ 35 bis 38 BtMG Rn. 8). Sie stellt aber keine Aussetzung der Strafvollstreckung dar bzw. beendet die Strafvollstreckung nicht, sondern ist eine eigenständige Rechtsfolge der Verurteilung zu einer Freiheitstrafe (Trüg in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 56 Rn. 3; Kornprobst: in Münchner Kommentar, StGB, 3. Aufl. 2018, BtMG § 35 Rn. 5). Damit ergänzt § 35 BtMG als lex specialis (Kornprobst, a.a.O., BtMG § 35 Rn. 5) die Strafvollstreckungsvorschriften der StPO. Während der Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG ruht die Vollstreckungsverjährung, da die Therapie an Stelle der Strafe durchgeführt, später nach § 36 BtMG auf die Strafe angerechnet wird und damit gleichrangig neben der Strafvollstreckung steht (vgl. Fabricius in Körner/Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 35 Rn. 16). Der Vollzug der Freiheitstrafe wird in Form einer Therapie fortgesetzt, um drogenabhängige Verurteilten durch (vorläufige) Herausnahme aus dem Strafvollzug wie bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB (Maßregelvollzug) die Gelegenheit zu geben, ihre delinquenzursächliche Drogensucht zu bekämpfen (vgl. Trenckmann in: Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018, L. Vollstreckungsrecht L 384).

Allein die Tatsache, dass die Therapiebereitschaft und - fähigkeit des Verurteilten ein maßgebliches Kriterium für eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 35 BtMG ist, rechtfertigt nicht den Aufenthalt in einer stationären Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II, die nach §§ 35,36 BtMG - wie im vorliegenden Fall - anerkannt ist, nicht als Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung i.S.v. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II anzusehen. Die einzige Alternative zum Aufenthalt in einer solchen Therapieeinrichtung ist für den Verurteilten der Vollzug seiner Freiheitstrafe in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 18.01.1990 - VII/3 G 903/88). Nach § 35 Abs. 4 BtMG ist der Verurteilte verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen haben der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mitzuteilen. § 35 Abs. 5 BtMG ermöglicht der Vollstreckungsbehörde ohne Anhörung des Verurteilten die Zurückstellung der Strafvollstreckung zu widerrufen (Fabricius, a.a.O., § 35 Rn. 443). Der Widerruf hat zu erfolgen, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann nach § 35 Abs. 5 S. 2 BtMG abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, dass er sich in Behandlung befindet. Weiterhin sieht § 35 Abs. 6 BtMG den Widerruf der Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 Abs. 6 BtMG auch vor, wenn bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird (Nr. 1) oder eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist (Nr. 2). Durch die Widerrufsentscheidung der Vollstreckungsbehörde wird die Strafvollstreckung gemäß § 27 StVollstrO fortgesetzt (Fabricius, a.a.O., § 35 Rn.444). Die Vollstreckungsbehörde ist befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe einen Haftbefehl zu erlassen (§ 35 Abs. 7 BtMG).

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung erfolgt zwar allein auf Anordnung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die die Durchführung einer Therapie unter den Bedingungen des § 35 BtMG keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung iS von § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II ist. Denn zu einem hat das erstinstanzliche Strafgericht - vorliegend das Amtsgericht B - dieser Entscheidung zuzustimmen. Zum anderen sehen die vollstreckungsrechtlichen Vorschriften den Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitstrafe in dieser Form vor (vgl. hierzu (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R).

Dieses Ergebnis wird durch die Rechtsprechung des Bundesozialgerichts zum Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II bestätigt, wonach ein kurzfristiger Systemwechsel zwischen den Leistungssystemen SGB XII und SGB II vermieden werden soll. Danach greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II auch ein, wenn bei einer absehbar kurzzeitigen Unterbringung in einen Einrichtung i.S.v. § 13 Abs. 2 SGB XII der Antragsteller bereits unmittelbar zuvor in einer stationären Einrichtung i.S.v. § 13 Abs. 2 SGB XII untergebracht war und Leistungen nach dem SGB XII bezogen hatte (BSG, Urteil vom 12.11.2015 - B 14 AS 6/15 R). Die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 SGB II will nach Auffassung des Bundessozialgerichts nach ihrem Regelungszweck zur klaren Abgrenzung der Existenzsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII einen Wechsel aus dem Leistungssystem des SGB II in das des SGB XII bei einer nur absehbar kurzzeitigen Krankenhausunterbringung i.S.v. § 107 SGB V vermeiden. Deshalb ist bei der am Zeitpunkt der Aufnahme der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II begehrenden Person in ein Krankenhaus i.S.v. § 107 SGB V auszurichtenden Prognoseentscheidung auch zu berücksichtigen, ob die betreffende Person sich schon vor dieser Aufnahme im Leistungssystem des SGB XII befand, ob sich also die Frage der Vermeidung eines Wechsels zwischen den existenzsichernden Leistungssystemen überhaupt stellt. Dabei genügt es, dass beide Unterbringungen zeitlich nahtlos aneinander anschließen. Mit Blick auf die vorangegangene Unterbringung kommt es danach nicht darauf an, ob auch diese eine Krankenhausunterbringung war und ob sie in einem nicht nur zeitlichen, sondern auch sachlichen Zusammenhang mit der Krankenhausunterbringung stand. Denn zur Vermeidung eines Systemwechsels bei aneinander anschließenden Unterbringungen sind beide Unterbringungen schon dann in den Blick zu nehmen, wenn vor der Krankenhausunterbringung überhaupt eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung i.S. des § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II bestand. Entscheidend ist allein, ob während der vorangegangenen Unterbringung existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII bezogen wurden. Ob dieser Leistungsbezug mit Blick auf die Abgrenzung der Existenzsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII rechtmäßig war, ist für die Entscheidung über das SGB II-Leistungsbegehren während der Krankenhausunterbringung ohne Belang. Da es um die Vermeidung eines Wechsels zwischen den Leistungssystemen geht, genügt es, dass solche Leistungen nach dem SGB XII bezogen wurden.

Diese Situation ist mit der vorliegenden vergleichbar. Zwar hat der Kläger während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt keine Leistungen nach dem SGB XII bezogen. Er ist aber in dieser Zeit von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II ausgeschlossen gewesen. Damit unterfiel er während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt dem Grunde nach dem Leistungsregime des SGB XII (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14.12.2017 - B 8 SO 16/16 R). Würde die Aufnahme in eine Therapieeinrichtung unmittelbar aus der Strafhaft im Wege der Zurückstellung der Strafvollzugs zu einem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II führen, würde ein Systemwechsel stattfinden, obwohl der Kläger auch weiterhin nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünde. Das Leistungssystem des SGB XII ist auf die Situation des Aufenthaltes in einer Therapieeinrichtung angepasster, da der Kläger auch weiterhin in seiner Lebensführung vollständig kontrolliert worden ist.

Der Senat lässt daher dahinstehen, ob das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass bei Aufnahme des Klägers in die Therapieeinrichtung aufgrund einer individuellen Prüfung von einer prognostischen Aufenthaltsdauer von 20 Wochen auszugehen war. Insoweit besteht ein Widerspruch zwischen der in dem Konzept der Klinik und der auf der Homepage der Klinik (https://www.adaption-B.de/broschueren.html) enthaltenen Angabe, dass die stationäre Therapie in der Regel 24 Wochen dauert und der Bekundung des Zeugen S, dass in der Regel nur Patienten aufgenommen werden, die nach den zum Zeitpunkt der Aufnahme über den Patienten vorliegenden Drittinformationen erwarten lassen, das die Ziele der Therapie innerhalb von 20 Wochen erreicht werden. Auch ist die Angabe des Trägers der Klinik gegenüber der Staatsanwaltschaft im Schreiben vom 27.09.2016, dem Aufnahmetag des Klägers, über eine voraussichtliche Therapiedauer von 24 Wochen und der Bescheinigung des Trägers vom 29.09.2016, dass aus fachärztlicher Sicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger innerhalb von 20 Wochen, dem Zeitraum der Leistungszusage der Beigeladenen, seine Rehabilitationsziele erreichen könne, widersprüchlich. Auch kann dahinstehen, ob die Zeiten der stationären Entwöhnungstherapie und stationären Adaptionsbehandlung zusammen zu rechnen sind, weil es sich bei beiden Einrichtungen um Einrichtungen i.S.v. § 13 SGB XII handele (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.02.2019 - L 10 AS 711/16, Revision anhängig B 14 AS 41/19 R). Insofern ist augenfällig, dass sich der Kläger gegenüber der Staatsanwaltschaft schon im Sommer 2016 dahingehend eingelassen hat, dass er beabsichtigt, eine 24wöchige Entwöhnungsbehandlung mit anschließender 13 wöchiger stationärer Adaptionsbehandlung durchzuführen.

B. Der Beigeladene ist nicht nach § 75 Abs. 5 SGB XII zur Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu verurteilen.

Der Beigeladene ist zwar als überörtlicher Träger für die vom Kläger beanspruchten Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII örtlich und sachlich zuständig (vgl. zu Ansprüchen von Strafgefangenen nach dem SGB XII: BSG, Urteil vom 14.12.2017 - B 8 SO 16/16 R). Nach § 97 Abs. 4 SGB XII umfasst die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind, sowie für eine Leistung nach § 74 SGB XII. Der Beigeladene ist als überörtlicher Sozialhilfeträger gemäß § 97 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 2a des Landesauführungsgesetzes zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW) für die Leistungen der Unterbringung des Klägers in der Suchtklinik sachlich zuständig gewesen und hat die entsprechende Bewilligung und Kostenzusage abgegeben. Damit ist er auch für Leistungen zuständig, die nach anderen Kapiteln, hier dem Dritten Kapitel, zu erbringen sind. Die örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen ergibt sich bei stationären Aufenthalten aus § 98 Abs. 4 SGB XII i.V.m. § 106 SGB XII.

Der Kläger hat aber durch ausdrückliche Beschränkung seines Klagebegehrens auf Verurteilung des Beklagten im Berufungsverfahren eine Verurteilung des Beigeladenen abgelehnt (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 25/00 R). Zudem besteht auch kein Rechtschutzbedürfnis. Denn der Beigeladenen hat auf Antrag des Klägers diesem Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gewährt. Gegen die Höhe der bewilligten Leistungen hat der Kläger keine Einwände erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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