S 38 AS 3218/20 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 3218/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1585/20 ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Zusicherung zur Übernahme der laufenden Bedarfe der Unterkunft und Heizung für die Antragsteller hinsichtlich der Wohnung in der E.straße Hausnummer xxx in E. zu erteilen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Tatbestand:

In dem zu Grunde liegenden Eilverfahren begehren die Antragsteller die Übernahme der laufenden Mietkosten für die neue Wohnung der Antragsteller in der E.strasse in E.

Derzeit bewohnt die Antragstellerin zu 1. seit dem 01.11.2018 eine Wohnung in der M.-V.-Straße Hausnummer x in E. Der Sohn der Antragstellerin zu 1. ist am 26.12.20xx geboren worden. Für diese 49,04 m² große Wohnung müssen die Antragsteller jetzt eine Bruttokaltmiete i.H.v. 347,22 EUR (266,22 EUR Miete und 48 EUR Nebenkosten) zahlen; hinzu kommen noch Heizkosten i.H.v. 48 EUR.

Die am 01.11.2018 angemietete Wohnung besteht laut Mietvertrag aus 2 Zimmern sowie einer Küche, Diele, Bad und befindet sich im Dachgeschoss des Hauses. Es besteht im Hausflur wohl keine Möglichkeit, den Kinderwagen abzustellen, so dass Kind, Kinderwagen, Einkäufe von der Antragstellerin zu 1. hinaufgetragen werden müssen. Außerdem könnten wegen der teilweise geringen Deckenhöhe (Dachschrägen) in der Wohnung keine richtigen Schränke aufgestellt werden.

Die Antragsteller wollen in eine 3-Raum-Wohnung inklusive einer Küche in der E.straße Hausnummer xxx im 2. Geschoss ab 01.11.2020 umziehen. Für diese 65,21 m² große Wohnung fällt einer Bruttokaltmiete i.H.v. 445,80 EUR nebst 59 EUR Heizkosten an.

Die Mieterin hat erklärt, dass das den Antragsteller gegenüber erklärte Wohnungsangebot Nr. xxxxx vom 31.07.2020 nur gültig ist, wenn das Sozialamt die schriftliche Verhandlungsniederschrift über die Übernahme der Miete und der Leistungsbescheid vorliege. Es fiel eine Gesamtmiete von 504,80 EUR für diese Wohnung an.

Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die bewohnte Wohnung für 2 Personen jetzt zu klein sei. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Sohn (der Antragsteller zu 2.) der Antragstellerin zu 1. aufgrund seines jetzigen Alters und Bedarfes ein eigenes Kinderzimmer benötige. Die aktuell bewohnte Wohnung im Dachgeschoss sei wegen der dortigen Dachschrägen mit geringer Deckenhöhe nicht dafür bestimmt, den Wohnbedarf der Antragsteller zu decken. Es sei unmöglich alle zu gebrauchenden Möbel aufzustellen. Die Antragsteller hätten auch ein Anordnungsgrund, da der Vermieter ausweislich des Wohnungsangebotes vom 31.07.2020 nur bereit zum Abschluss eines Mietvertrages sei, wenn die Antragsteller zuvor eine schriftliche Zusicherung vorliegen, dass die laufende Miete übernommen werde.

Durch Bescheid vom 05.08.2020 hat die Antragsgegnerin die Erteilung der Zusicherung zur neuen Wohnung abgelehnt. Sie ist der Auffassung, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung für die neue Wohnung für einen 2-Personen-Haushalt zwar angemessen seien, aber der Umzug keine Erhöhung der Raumanzahl zur Folge habe. Aus diesem Grund sei die Erforderlichkeit des Umzuges in die neue Wohnung nicht gegeben.

Gegen den Bescheid vom 5.8.2020 haben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 19.08.2020 Widerspruch erhoben.

Die Antragsteller beantragen in dem am 22.09.2020 eingeleiteten Eilverfahren,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine Zusicherung zur Übernahme der laufenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Antragsteller hinsichtlich der Wohnung in der E.straße Hausnummer xxx in E. zu erteilen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass kein Anordnungsgrund vorliege und kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sei. Es sei der alleinerziehenden Antragstellerin zu 1. zuzumuten, den Wohnraum der aktuell bewohnten Wohnung von 49,04 m² als Schlafraum zu nutzen, sofern ihr Sohn zukünftig ein eigenes Zimmer nutzen soll. Sofern dort keine Schränke aufgestellt werden können, könnten kommoden angeschafft werden. Die Antragstellerin zu 1. habe bereits bei Bezug der aktuellen Wohnung am 01.11.2018 gewusst, als sie bereits schwanger war, gewusst, dass diese Dachgeschosswohnung nur 49 m² habe und von 2 Personen bewohnt werden muss. Der Umzug sei nicht vom kommunalen Träger veranlasst worden und sei auch aus anderen Gründen nicht notwendig.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der gemäß § 86b Abs. 2 SGG zulässige, einstweilige Rechtsschutzantrag ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist zum einen das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung, zum anderen ein Anordnungsgrund, das heißt die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der Anordnungsgrund, d.h. der materielle Anspruch, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit setzt voraus, dass bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden kann.

Grundsätzlich besteht im Eilverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erteilung einer Zusicherung (vorgelagert vor der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung der neuen Wohnung) für eine neue Wohnung, denn die Erteilung der Zusicherung ist keine Anspruchsvoraussetzung für den Bezug einer neuen Wohnung. In der Regel kann der Leistungsberechtigte die Unterkunft auch ohne die Zusicherung anmieten (Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 86b SGG, Rn. 315). Gemäß § 22 Abs. 4 SGB II ist die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme der angemessenen Kosten der neuen Unterkunft. Ist der Umzug im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erforderlich und sind die Kosten der neuen Unterkunft angemessen, sind diese Kosten vom Leistungsträger auch dann zu zahlen, wenn eine Zusicherung nicht vorliegt. Das in § 22 Abs. 2 SGB II normierte zu Sicherungsverfahren ist für den späteren Leistungsanspruch nicht damit nicht konstitutiv, sondern hat allein Aufklärungs- und Warnfunktion, deren Ziel es zu Gunsten des Leistungsberechtigten und der Allgemeinheit ist, den Leistungsberechtigten vor einem unüberlegten Folgen zu schützen, also zu verhindern, dass er in eine Notlage gerät, weil er eine neue Wohnung gemietet, deren Kosten der Leistungsträger gemäß § 22 Abs. 1 Buchst. s. 2 SGB II nicht übernimmt (BSG, Urteil vom 30.08.2010, B 4 AS 10/10 B R, Rn. 17, juris).

Wird im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine Zusicherung zu einem Umzug nach § 22 Abs 4 SGB 2 begehrt, sind allerdings besonders strenge Maßstäbe an den Anordnungsgrund anzulegen, da es sich bei einer positiven Entscheidung im Eilverfahren insoweit um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt (vgl. LSG Essen vom 23.3.2015 - L 19 AS 2347/14 B ER = juris RdNr 24; SG Gießen, Beschluss vom 16.8. 2018 – S 27 AS 531/18 ER –, juris)

Vorliegend ist die Situation aber so, dass ohne die tatsächliche Übernahmegarantie der Kosten für Unterkunft und Heizung der neuen Unterkunft durch die Antragsgegnerin keine Annahme des Wohnungsangebotes für die neue Wohnung durch die Antragsteller erfolgen kann, so dass hier ausnahmsweise ein Anordnungsgrund für die Zusicherung zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung vorliegt.

Können nämlich ohne die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Vorliegend scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, es ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005, Az. 1 BvR 569/05; Keller, in: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012 zu § 86b Rn. 29 a).

Auf das Hauptsacheverfahren können Leistungsberechtigte wegen der Dringlichkeit der Entscheidung über den Zusicherungsantrag regelmäßig nicht verwiesen werden, da ein Auszug aus der bisherigen Wohnung häufig kurzfristig erfolgen muss, vor allem aber Mietangebote regelmäßig nur für einen sehr begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen. Effektiver Rechtsschutz kann daher durch das Hauptsacheverfahren in aller Regel nicht gewährt werden. Auch können Leistungsberechtigte nicht darauf verwiesen werden, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur eine vorläufige Zusicherung zu beantragen. Denn einem hierauf gerichteten Eilantrag fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Eine einstweilige Anordnung zur Erteilung einer vorläufigen Verpflichtung würde, wie auch ein Ausführungsbescheid, nach einer gegenteiligen Hauptsacheentscheidung ihre Rechtswirkungen verlieren, so dass sich die durch das Zusicherungsverfahren nach § 22 Abs. 4 SGB II eigentlich intendierte Planungssicherheit für den Leistungsberechtigten durch eine einstweilige Regelung gerade nicht erreichen lässt (so zutreffend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.6.2019 – L 1 AS 1858/19 ER-B – juris Rn. 13 m. w. N.; (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.8.2020 – L 13 AS 143/20 B ER –, Rn. 8, juris).

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin besteht hier deshalb aufgrund der Tatsache, dass ohne die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Anordnung und der Vorwegnahme der Hauptsache, wäre es den Antragstellern unmöglich, die angemessene Wohnung auf der E.straße Hausnummer xxx in E. ab 01.11.2020 anzumieten. Es ist anzunehmen, dass der Vermieter die Wohnung nicht bis zum Ausgang des Hauptsacheverfahrens für die Antragsteller freihält.

Nach diesen Maßstäben kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine auf Erteilung der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung der neuen Wohnung auf der E.straße Hausnummer xxx E. in Betracht.

(so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.04.2019 - L 11 AS 72/19 B ER, Rn. 44, nach juris; Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22 Rn. 181 m.w.N; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.6.2019 – L 1 AS 1858/19 ER-B –, Rn. 13, juris)

Es ist für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anerkannt, dass durch gerichtliche Regelungsanordnung nicht lediglich eine Verpflichtung zu solchen Maßnahmen erfolgen kann, die später in Abhängigkeit vom Ausgang der Hauptsache rückgängig gemacht werden können. Vielmehr ist das Gericht im Anordnungsverfahren unter engen Voraussetzungen auch befugt, den in Anspruch genommenen Träger öffentlicher Verwaltung zu Maßnahmen zu verpflichten, die inhaltlich mit dem Klageziel der Hauptsache identisch und zugleich unumkehrbar sind, so dass durch die Anordnung des Gerichts die Rechtsbeziehungen der Beteiligten bereits mit endgültiger Wirkung geregelt werden (Vorwegnahme der Hauptsache im engeren Sinne, vgl. grundlegend Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Einstweiliger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2011, Rn. 176 f).

Voraussetzung für eine solche endgültige Vorwegnahme der Hauptsache ist stets, dass auf andere Weise effektiver Rechtsschutz nicht erlangt werden kann, weil durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens die Durchsetzung des geltend gemachten Rechts vereitelt würde (Dombert, a. a. O, Rn. 186, 193). Da im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht mehr zugesprochen werden darf, als in einem Hauptsachverfahren erreichbar wäre, hängt eine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung außerdem davon ab, dass bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit hoher, wenn nicht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass der geltend gemachte Anspruch dem Anspruchsteller materiell-rechtlich zusteht, sich die Streitsache also im Hauptsacheverfahren in seinem Sinne als spruchreif erweisen würde (vgl. Dombert, aaO, Rn. 191).

Nach diesen Maßstäben kommt ausnahmsweise die Zusicherung der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung auf der E.straße Hausnummer xxx in E. ab 01.11.2020 in Betracht.

Hier wären die Antragsteller in ihren Rechten beeinträchtigt, wenn keine einstweilige Anordnung zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung für die neue Wohnung in die E.strasse Hausnummer xxx in E. durch die Antragsgegnerin erfolgen könnte, weil insoweit überhaupt kein Rechtsschutz möglich wäre und nicht davon auszugehen ist, dass der Vermieter die begehrte Wohnung nach dem 01.11.2020 für die Antragsteller noch freihält. Dies würde gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen.

Es besteht auch ein Anordnungsanspruch für die Antragsteller, denn ein Umzug in eine ca. 20 m² größere Wohnung.

Ein Umzug ist dann erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.5. 2014, L 4 AS 169/14 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 23.1.2014, L 7 AS 1826/13 B, jeweils juris, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.9.2014 – L 4 AS 373/14 B ER –, Rn. 23, juris): Ein Umzug in einer Wohnung, die besser abgeschnitten ist und zudem nicht im Dachgeschoss liegt, ist auch nachvollziehbar, wenn die Anzahl der Räume dadurch nicht erhöht wird, aber der Zuschnitt und die Quadratmeterzahl sich verbessert. Insofern ist anzunehmen, dass auch ein Nichtleistungsempfänger mit einem Kleinkind aus dem Dachgeschoss auszieht und dafür Sorge trägt, dass Kind und Mutter einen eigenen Raum haben, indem Möbel aufgestellt werden können, haben. Auch der Zuschnitt der neuen Wohnung ermöglicht den Antragstellern eine andere Wohnnutzung. Die Äußerung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller zu 2. eigenständig vor Erreichen des 2. Lebensjahres die Treppen hinauf- und absteigen könne, lässt nicht den Schluss zu, dass die Antragstellerin zu 1. nicht die Hände frei haben muss, um den Antragsteller zu 2. vor einem Hinabfallen der Treppen zu bewahren. Dies dürfte aber mit Einkauf und Kinderwagen schwerfallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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