L 11 KR 865/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 39 KR 2379/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 865/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 7. Dezember 2020 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird vorläufig verpflichtet, den Antragsteller für die Zeit ab Zustellung des vorliegenden Beschlusses bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, spätestens bis zum 31. Juli 2021 mit regelmäßigen, extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Antragstellers mit regelmäßigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen.

Der 1966 geborene, bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller leidet u.a. an einer koronaren 1-Gefäßerkrankung bei Zustand nach Myokardhinterwandinfarkt im Mai 2017, einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) im Stadium IIb bei Zustand nach aortobifemoraler Y-Prothesen-Implantation im August 2017 mit Verschluss der Prothese mit mehrfachen Thrombektomien der Prothesenschenkel im September/Oktober 2019 sowie einer gemischten Hyperlipidämie mit Lp(a)-Erhöhung.

Der Antragsteller wandte sich erstmalig Ende des Jahres 2019 an die Antragsgegnerin und stellte über seinen behandelnden Nephrologen Dr. W zudem bei der Sachverständigen-Kommission Apherese der Kassenärztlichen Vereinigung (KVWL) einen Erstantrag zur Beratung der Indikationsstellung zur Apherese-Behandlung für die Lp(a)-Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung. Die Kommission befürwortete den Einsatz der LDL-Apherese/Lp(a)-Apherese bei dem Antragsteller nicht (Beratungsergebnis vom 17. Januar 2020). Sie habe keine Indikation zur Senkung des Lp(a) zur Verhinderung von Rethrombosierung und Restenosierung in künstlichen Gefäßregionen erkennen können. Eine Apheresenindikation werde daher nicht gesehen.

Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin den Antrag des Antragstellers ab (Bescheid vom 29. Januar 2020), wogegen sich der Antragsteller mit dem Widerspruch wandte. Diese Ablehnung war sodann Gegenstand des unter dem Aktenzeichen S 39 KR 276/20 ER vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund geführten Eilverfahrens. Das SG verpflichtete in diesem Rahmen die Antragsgegnerin nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte rechtskräftig vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, längstens jedoch bis zum 20. Oktober 2020, den Antragsteller mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen (Beschluss vom 17. April 2020).

Die Apherese-Behandlung wurde sodann durch den behandelnden Nephrologen Dr. W durchgeführt.

Der durch die Antragsgegnerin parallel beauftragte Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) stellte unter Auswertung der im gerichtlichen Eilverfahren beigezogenen Unterlagen fest (Gutachten vom 4. Mai 2020), dass sowohl eine Gefäßsklerose mit Manifestation als pAVK, eine koronare 1-Gefäßerkrankung und Carotis-Stenosen als auch eine gemischte Hyperlipidämie sowie Lp(a)-Erhöhung bei dem Antragsteller vorlägen. Allerdings seien die Kriterien für die gewünschte Behandlung gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (MVV-RL) nicht erfüllt. Gemäß den vorliegenden Laborbefunden sei die gemischte Hyperlipidämie mittels der Applikation von Statinen medikamentös behandelt worden und habe weitgehend den Zielbereich erreicht. Ausweislich der gefäßchirurgischen Befunde zeige sich in der Zeit von 2017 bis Ende 2019 keine Veränderung der Lokalbefunde der Gefäße. Die gefäßchirurgische Intervention im September/Oktober 2019 habe allein auf dem thrombotisch bedingten Verschluss innerhalb der künstlichen Y-Prothese ohne Nachweis von Progredienz der Gefäßerkrankung beruht. Die vorliegenden kardiologischen Befunde bildeten gleichfalls keine Progredienz der koronaren 1-Gefäßerkrankung ab.

Der den Antragsteller seit Ende November 2019 behandelnde Nephrologe, Dr. W, stellte einen Folgeantrag bei der Sachverständigen-Kommission Apherese der KVWL hinsichtlich der Indikationsstellung zur Apheresebehandlung. In ihrer Stellungnahme vom 18. September 2020 kam diese erneut zu dem Ergebnis, dass die LDL-Apherese/Lp(a)-Apherese nicht befürwortet werde, da dem Antrag Angaben über einen Progress oder eine klinische Veränderung nicht beilägen, ein Progress werde vielmehr verneint.

Unter Verweis auf das Beratungsergebnis der Sachverständigenkommission lehnte die Antragsgegnerin die streitgegenständliche Behandlung mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 ab, wogegen der Antragsteller sich mit seinem Widerspruch wandte. Das Widerspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Am 16. Oktober 2020 hat der Antragsteller zudem bei dem SG Dortmund erneut einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Die Voraussetzungen für die Lipid-Apherese seien weiterhin gegeben. Sowohl die Antragsgegnerin als auch der MDK verkenne, dass es sich vorliegend um einen Folgeantrag handele. Das Vorliegen eines progredienten Krankheitsverlaufs könne nur bei einem Erstantrag gefordert werden, während bei einem Folgeantrag, d.h. nach Durchführung der Lipid-Apheresen, zu berücksichtigen sei, dass die Unterbrechung der Progredienz gerade der Benefit dieser Behandlung sei. Würde man weiterhin einen progredienten Krankheitsverlauf fordern, so müsste letztlich das Scheitern der Apherese dokumentiert werden, damit man diese fortsetzen könne. Zudem sei die Versorgung nicht von der Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), sondern von einem Leistungsbescheid der zuständigen Krankenkasse (KK) abhängig. Dies folge aus § 7 der Anlage I der MVV-RL.

Der Antragsteller hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn mit regelmäßigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen.

Die Antragsgegnerin hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sie hat darauf verwiesen, dass die Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erst nach Erteilung der Genehmigung durch die KV zulässig sei, § 2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage I der MVV-RL. In § 3 der Anlage I der MVV-RL seien die Indikationen einer LDL-Apherese geregelt. Zur Beratung der Indikationsstellung gemäß § 3 diene die durch die KV einzurichtende fachärztliche Kommission, § 6 Abs. 1 der Anlage I der MVV-RL. Diese habe den Fall des Antragstellers geprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die notwendigen Voraussetzungen nicht vorlägen. Die Begutachtung durch den MDK, die sich nicht als Parteigutachten qualifizieren lasse, da der Sozialversicherungsträger im Rahmen der geltenden Amtsermittlungspflicht zur Objektivität verpflichtet sei (Verweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87), sei nicht zugunsten des Antragstellers ausgefallen. Der Anordnungsanspruch sei insofern ausgeschlossen.

Im Rahmen weiterer Gutachten vom 17. September 2020 und 26. Oktober 2020 hat der MDK an seiner Auffassung festgehalten. Er hat seine Ausführungen dahin ergänzt, dass auch von einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder einer damit gleichgestellten Erkrankung i.S.e notstandsähnlichen Situation nicht auszugehen sei. Darüber hinaus gebe es Behandlungsoptionen. Zudem sei auch der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt.

Das SG hat von Amts wegen Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Der Gefäßchirurg Dr. C (Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie, B-Kranken-Anstalt gGmbH C1) hat mitgeteilt, dass sich der Antragsteller zuletzt vor einem Jahr vorgestellt habe (Befundbericht vom 10. November 2020). Der Arzt für Innere Medizin und Nephrologie Dr. W hat unter Vorlage weiterer Unterlagen berichtet, dass die LDL-Hypercholesterinämie medikamentös ausreichend therapiert werden konnte (LDL-Cholesterin seit 2017 immer ( 100mg/dl), es sei aber erwartungsgemäß der Lp(a) weiterhin deutlich erhöht () 60mg/dl: November 2019: 150 mg/dl, April 2020: 177 mg/dl; Mai 2020: 178 mg/dl. [Befundbericht vom 11. November 2020]). Der Antragsteller leide unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Zudem existiere eine ausreichende Datengrundlage, die für einen Behandlungserfolg spreche. Auch die aktuell gültigen Empfehlungen des GBA würden eine Apherese bei Lp(a)-Erhöhung über 60mg sowie gleichzeitiger progredienter arteriosklerotischen Erkrankung empfehlen. Eine andere Behandlungsoption gebe es nicht. Der Kardiologe Dr. C2 hat einen stabilen klinischen Status bei hohem Bluthochdruck angenommen (Befundbericht vom 11. November 2020). Auch er hat das Vorliegen einer regelmäßig lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht, bei der jederzeit schwere Komplikationen eintreten könnten. Es existierten keine spezifischen Behandlungsmethoden gegen Lp(a)-Erhöhung. Die Hausärztin des Antragstellers, Dr. Adolph-Schüller, hat diese Einschätzung im Wesentlichen geteilt (Befundbericht vom 17. November 2020). Der Kardiologe und Angiologe Priv.-Doz. Dr. C3 (Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie, B-Kranken-Anstalt gGmbH C1) hat auf die Befundberichtsanfrage medizinische Behandlungsberichte übersandt.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 14. Dezember 2020 zugestellten Beschluss hat sich der Antragsteller mit seiner am 15. Dezember 2020 eingelegten Beschwerde gewandt. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und verweist zur Erforderlichkeit eines "kardiovaskulären Progress" auf den Standard der Therapeutischen Apherese 2019 der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (S. 24), wonach, wenn zum Zeitpunkt der Erstvorstellung - wie vorliegend - bereits ein fortgeschrittenes Stadium der arteriosklerotischen Erkrankung vorliege, deren Progress vital gefährdend sei, auf den Nachweis der Progredienz verzichtet werden solle. Sein Lp(a)-Wert sei auf 202 mg/dl (Stand: 7. Dezember 2020) angestiegen und liege jetzt bei 185 mg/dl (Stand: 7. Januar 2021).

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Dortmund vom 7. Dezember 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihn mit extrakorporalen Lipid-Apherese-Behandlungen zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte im Verfahren SG Dortmund S 39 KR 276/20 ER sowie auf den der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat im tenorierten Umfang Erfolg.

I. Sie ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) sowie form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG) am 15. Dezember 2020 durch den Antragsteller gegen den ihm am 14. Dezember 2020 zugestellten Beschluss des SG Dortmund vom 7. Dezember 2020 eingelegt worden.

II. Die Beschwerde ist auch begründet. Die begehrte einstweilige Anordnung ist im tenorierten Umfang zu erlassen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 2019 - L 11 KR 442/18 B ER - KrV 2019, 126 m.w.N.). Der geltend gemachte (Anordnungs-) Anspruch und der Anordnungsgrund, mithin die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

Die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zu stellenden Anforderungen korrespondieren dabei mit den glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteilen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren verfolgten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -; Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12. August 2013 - L 11 KA 92/12 B ER -), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -). Die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht eingedenk der aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) folgenden Anforderungen an den Eilrechtsschutz dennoch nur ausnahmsweise (hierzu BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12 -). So müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen (Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -). Die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin sind hierzu umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -; hierzu auch Senat, Beschluss vom 28. Juni 2013 - L 11 SF 74/13 ER -; Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 KR 473/12 B ER -).

Grundsätzlich ist die Sach- und Rechtslage desto eingehender zu prüfen, je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Findet eine - gemessen am Gewicht der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen - genügend intensive Durchdringung der Sach- und Rechtslage statt, kann es unschädlich sein, wenn das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens gleichwohl als offen einschätzt und die von ihm vorgenommene Prüfung selbst als summarisch bezeichnet, ohne deswegen allein auf eine Folgenabwägung abzustellen, sofern nur deutlich wird, dass das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens für weitgehend zuverlässig prognostizierbar hält (so BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -). Ist hiernach eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, zu welchen Konsequenzen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 14. Januar 2015 - L 11 KA 44/14 B ER -). Die einstweilige Anordnung darf allerdings grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Anordnungsanspruch - mithin das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf eine wöchentliche extrakorporale Lipid-Apherese-Therapie - zwar gegenwärtig nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht [dazu unter 1.]; angesichts des Gesundheitszustandes des Antragstellers ist ihm die begehrte Leistung nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen jedoch im Rahmen einer Folgenabwägung zuzusprechen [dazu unter 2.].

1. Das Begehren kann im Grundsatz auf § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 3 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL [dazu unter a)] bzw. auf § 2 Abs. 1a SGB V [dazu unter b)] gestützt werden. Nicht entscheidungserheblich ist, ob die streitige Behandlung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt [dazu unter c)].

a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 SGB V wird Krankenbehandlung in Form ärztlicher Behandlung durch einen Vertragsarzt oder Krankenhausbehandlung erbracht. Dieser Anspruch unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Eine Krankenbehandlung ist in diesem Sinne notwendig, wenn durch sie ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können. Dabei sind Krankenkassen (und damit hier die Antragsgegnerin) nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten oder seiner behandelnden Ärzte positiv verläuft bzw. wenn einzelne Ärzte die Therapie befürworten (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R). Die betreffende Therapie ist, wenn es - wie hier unstreitig - um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (vgl. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V) geht, nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr legen diese Richtlinien auch den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich fest (vgl. BSG a.a.O.).

Vorliegend hat der GBA in der MVV-RL die ambulante Durchführung der Lipid-Apheresen als anerkannte Behandlungsmethode aufgenommen. Hiernach sollen Apheresen nach § 1 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden. Nach § 3 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL können LDLApheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).

Ob diese Voraussetzungen bei dem Antragsteller vorliegen, ist derzeit offen. Eine isolierte Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich liegen vor [dazu unter aa)]. Zwar bestehen Bedenken, ob ein klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter Verlauf einer kardiovaskulären Erkrankung [zu den entsprechenden Voraussetzungen unter bb)] hinsichtlich der kononaren Herzerkrankung hinreichend glaubhaft gemacht ist [dazu unter cc)]. Zumindest besteht jedoch die Möglichkeit einer dokumentierten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit [dazu unter dd)].

aa) Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen kann bei dem Antragsteller von einer isolierten Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich ausgegangen werden. In seinem Befundbericht vom 11. November 2020 berichtete der behandelnde Nephrologe Dr. W, dass die LDL-Hypercholesterinämie medikamentös ausreichend therapiert werden konnte (LDL-Cholesterin seit 2017 immer ( 100mg/dl), der Lp(a)-Wert aber deutlich erhöht sei () 60mg/dl: November 2019: 150 mg/dl, April 2020: 177 mg/dl; Mai 2020: 178 mg/dl.). Zuletzt hat der Antragsteller aktuelle Laborwerte vorgelegt, die auf dem Boden eines normalen LDL-Cholesterins einen Lp(a)-Wert von 202 mg/dl (Stand: 7. Dezember 2020) und aktuell bei 185 mg/dl (Stand: 7. Januar 2021) ausweisen. Dies wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt.

bb) Soweit darüber hinaus der dokumentierte progrediente Verlauf einer kardiovakulären Erkrankung vorausgesetzt wird, ist der Begriff "progredient" ausgehend von seinem Wortsinn (sich in einem bestimmten Verhältnis allmählich steigernd) und seiner grammatischen Herleitung (Partizip Präsenz von progredi) im Sinne von fortschreitend (und nicht etwa von fortgeschritten) zu verstehen (so zutreffend m.w.N. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - L 5 KR 677/18 B ER - juris). Es muss also über einen gewissen Zeitraum (klinisch oder durch bildgebende Verfahren) eine Verschlechterung der kardiovaskulären Erkrankung festgestellt sein (Senat, Beschluss vom Beschluss vom 3. Juli 2020 - L 11 KR 181/20 B ER - juris). Hintergrund der Voraussetzung ist, dass die Höhe des Lp(a)-Blutspiegels allein nicht ausreicht, um die Indikation zur Lp(a)-Apherese stellen zu können, da er keinen sicheren Krankheitswert besitzt. Deshalb müsse - so der GBA - neben dem Überschreiten des definierten Schwellenwerts gleichzeitig die Progredienz einer kardiovaskulären Erkrankung gefordert werden. Zudem ging der GBA nur im Rahmen der durch ihn strikt umrissenen Voraussetzungen davon aus, dass der zu erwartende Nutzen der Apherese bei isolierter Erhöhung des Lp(a) das Schadenspotenzial überwiege. Angesichts der Einschätzung, dass in der beschriebenen Konstellation eine als lebensbedrohlich einzustufende Erkrankung vorliege, für die keine Therapiealternativen bestünden, ist nach Auffassung des GBA für die betroffenen Patienten die Therapieoption mittels Apherese zu eröffnen (Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in Anlage I: Apheresebehandlung bei isolierter Lp(a)-Erhöhung vom 19. Juni 2008, Ziff. 2.5).

Soweit dagegen eingewandt wird, diese Ansicht verkenne, dass es sich um einen Folgeantrag handele und bei dem Antragsteller aufgrund des Beschlusses im Eilverfahren bereits seit Ende April 2020 bis Oktober 2020 entsprechende Behandlungen durchgeführt worden seien, ist dem nicht zu folgen. Zunächst fordert der GBA einen progredienten Verlauf nicht nur bei Erst-, sondern auch bei Folgeanträgen. So verweist § 5 der Anlage I der MVV-RL, der die erforderliche Dokumentation zur Indikationsstellung regelt, in sämtlichen Fallgestaltungen daraufhin, dass die Voraussetzungen auch im "Wiederholungsfall" gelten (vgl. § 5 Abs. 1, 2, 3 der Anlage I der MVV-RL). Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 5 der Anlage I der MVV-RL erst im Jahr 2013 eingeführt worden ist (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Dokumentationsvorgaben zur Indikationsstellung der Lp(a)-Apherese vom 17. Januar 2013; zum Hintergrund: Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung MVV-RL: Dokumentationsvorgaben zur Indikationsstellung der Lp(a)-Apherese vom 17. Januar 2013, S. 2ff.). Wie zuvor bereits, verblieb es sowohl bei der geforderten Progredienz (zuvor Ziff. 3.2. Spiegelstrich 2 der Anlage I der MVV-RL a.F.) als auch bei der Indikationsforderung im Wiederholungsfall (Ziff. 3.3 der Anlage I der MVV-RL a.F.). Auch im Rahmen des § 8 der Anlage I der MVV-RL wird bezüglich der Dauer der Anwendung der Wiederholungsfall betrachtet. So regelt § 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Anlage I der MVV-RL, dass einerseits bei Fortbestehen dieser Behandlungsindikationen zugleich mit einer erneuten, ergänzenden ärztlichen Beurteilung gemäß § 4 der Anlage I der MVV-RL nach Ablauf eines Jahres eine erneute Beratung bei der Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung einzuleiten ist. Anderseits bestimmt Satz 3, dass die Fortführung der LDL-Apherese von einer nochmaligen Befürwortung der beratenden Kommission der KV gemäß § 6 der Anlage I der MVV-RL und einer erneuten Genehmigung der leistungspflichtigen Krankenkasse gemäß § 7 der Anlage I der MVV-RL abhängig ist.

Der vorliegende Sachverhalt ist mit demjenigen, welchen der Senat in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2020 (a.a.O.) zu beurteilen hatte, in diesem Punkt vergleichbar. Denn auch dort war bei der Antragstellerin bereits seit dem 27. Februar 2020 wöchentlich eine Lipid-Apherese-Behandlung durchgeführt worden (zudem bereits angedeutet für einen Wiederholungsfall, da Zuspruch über Folgenabwägung: Senat, Beschluss vom 6. Februar 2017 - L 11 KR 884/16 B ER; so auch für den Fall einer zuvor ergangenen Verpflichtung iRe Eilverfahrens: SG Hannover, Urteil vom 18. September 2019 - S 86 KR 2589/18 - jeweils juris).

cc) Im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen Prüfung bestehen Bedenken, dass die nach § 3 Abs. 2 der Anlage I der MVV-RL ausdrücklich geforderte Dokumentation einer Progredienz der koronaren 1-Gefäßerkrankung klinisch und durch bildgebende Verfahren nach derzeitiger Aktenlage glaubhaft gemacht ist. Zunächst sprechen die bislang vorgelegten Unterlagen gegen einen progredienten Verlauf. Bei der stationär im Juni 2019 stattgefundenen koronaren Verlaufskontrolle stellte der Kardiologe Priv.-Doz. Dr. C3 eine deutliche Befundverbesserung im Vergleich zu 2017 mit nunmehr nur noch leichtgradig eingeschränkter Pumpfunktion fest (vorläufiger Entlassungsbericht vom 28. Juni 2019). In seinem Befundbericht vom 25. Februar 2020 bestätigte er, dass die KHK stabil, die pAVK in Behandlung sei (SG Dortmund, S 39 KR 276/20 ER). Der den Antragsteller zuletzt am 7. September 2020 untersuchende Kardiologe Dr. C2 sicherte demgegenüber zwar eine schwere KHK und pAVK mit Progress, bescheinigte aber gleichzeitig einen stabilen klinischen Status (Befundbericht vom 11. November 2020). Worauf er den angenommenen progredienten Verlauf stützt, ist nicht erkennbar. Dr. C2 hat dies weder begründet noch hat ein regelmäßiger Patientenkontakt stattgefunden, wie sich aus dem Befundbericht vom 25. Februar 2020 zeigt (zuletzt im Dezember 2017; SG Dortmund, S 39 KR 276/20 ER). Auch zum damaligen Zeitpunkt schätzte er den kardialen Befund des Antragstellers als stabil ein (Arztbericht vom 7. Dezember 2017). Dass die damals empfohlene kardiologische Kontrolle nach sechs Monaten wahrgenommen wurde, ist den Unterlagen mithin nicht zu entnehmen.

dd) Offen ist demgegenüber, ob ein progredienter Verlauf der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit vorliegt.

(1) Der Antragsteller leidet unter einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium IIb bei einem hohen Aortenverschluss (Leriche) sowie Komplettverschluss der Beckenschlagadern beidseitig. Angesichts dessen wurde ihm im August 2017 eine aorto-bifemorale Y-Prothese implantiert, die im September 2019 einer Revision bedurfte. Zusätzlich wurde eine Revision beider Leisten mit Thrombendarteriektomie und Patchverlängerung notwendig. Nach Ansicht des Chefarztes der Klinik für Gefäßchirurgie der B-Kranken-Anstalt - Dr. C - ist der innerhalb von zwei Jahren aufgetretene Verschluss der aorto-bifemoralen Y-Prothese auf einen deutlichen Progress der Grunderkrankung zurückzuführen. Es hätten sich erhebliche Veränderungen der Aorta sowie der Leistenschlagadern gezeigt (Befundbericht vom 10. März 2020, SG Dortmund, S 39 KR 276/20 ER). Diese Sichtweise wird auch seitens des behandelnden und die Apherese durchführenden Nephrologen Dr. W geteilt (Befundberichte vom 21. März 2020 und 11. November 2020). Obgleich die LDL-Hypercholesterinämie seit 2017 mit einer hochdosierten Atorvastin-Therapie ausreichend therapiert sei, sei es zu einem Progress der arteriosklerotischen Gefäßerkrankung mit Leriche-Syndrom, aortobifemoraler Y-Prothese (8/2017) und Revision der Y-Prothese (9/2019) gekommen.

Allerdings können den vorliegenden Unterlagen die Durchführung farbkodierter Dopplersonographien (FKDS) nur im August/September 2017 prä- und post-operativ, im November 2017 und sodann erst wieder im September/Oktober 2019 prä- und post-operativ entnommen werden. Ob die nach sechs Monaten empfohlene Kontrolle durch den Antragsteller in der Klinik für Gefäßchirurgie wahrgenommen wurde (Arztbericht vom 28. November 2017) bzw. im weiteren Verlauf Kontrollen stattfanden, ist nicht erkennbar. Dagegen könnte sprechen, dass der Gefäßchirurg Dr. C am 10. November 2020 mitteilte, dass die letzte Vorstellung des Antragstellers vor einem Jahr gewesen sei.

(2) Der MDK zweifelt hingegen die Progredienz in seinem Gutachten vom 4. Mai 2020 an und verweist darauf, dass die durchgeführten FKDS in der Zeit von 2017 bis Ende 2019 keine Veränderung der Lokalbefunde der Gefäße auswiesen. Soweit Dr. W die gefäßchirurgische Intervention im September/Oktober 2019 zur Begründung des progredienten Verlaufs heranziehe, sei die erforderliche Kausalität nicht erkennbar. Diese Intervention beruhe nach Auswertung des MDK allein auf einem thrombotisch bedingten Verschluss innerhalb der künstlichen Y-Prothese ohne Nachweis der Progredienz der Gefäßerkrankung.

Auch die zur Beratung der Indikationsstellungen zur Apherese eingerichtete fachkundige Kommission gemäß § 6 Abs. 1 der Anlage I der MVV-RL kam im Fall des Antragstellers bereits zweimalig zu dem Ergebnis, dass der Einsatz der LDL-Apherese/Lp(a)-Apherese bei dem Antragsteller nicht zu befürworten sei (Beratungsergebnis vom 17. Januar 2020 und 18. September 2020). So sei zunächst keine Indikation zur Senkung des Lp(a) zur Verhinderung von Rethrombosierung und Restenosierung in künstlichen Gefäßregionen erkennbar. Zudem monierte sie, dass dem Antrag die - nach dortiger Ansicht auch im Wiederholungsfall erforderlichen - Angaben über einen Progress oder eine klinische Veränderung nicht beilagen. Ein Progress sei insofern zu verneinen.

(3) Die eingedenk dessen noch erforderlichen Ermittlungen verbleiben aber im Hinblick auf die besondere Eilbedürftigkeit dem Hauptsacheverfahren überlassen. Besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren; in diesem Fall, der in der Regel vorliegen wird, hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (dazu sogleich; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2015 - L 9 KR 99/15 B ER - juris; Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236f.).

b) Gleichfalls noch offen ist, ob der Antragsteller aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zum Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation, die der Gesetzgeber inzwischen in § 2 Abs. 1a SGB V normiert hat, einen Anordnungsanspruch herleiten kann.

Nach § 2 Abs 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

aa) Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann, und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der GKV regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen Verlaufs genügt hierfür nicht (BSG, Urteil vom 20. März 2018 - B 1 KR 4/17 R - SozR 4-2500 § 2 Nr. 12 - IVIG-Therapie). Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG, Urteil vom 20. März 2018 - a.a.O.; BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 - B 1 KR 3/19 R; BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R, jeweils m.w.N). Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung zählt auch dann nicht dazu, wenn sie die körperliche Unversehrtheit und die Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtigt (vgl. BSG a.a.O.). Nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf einer Stufe steht dabei selbst ein Krankheitsbild, das ("nur") zu allgemeiner Leistungsminderung und eingeschränkter Lebenserwartung führt (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - Kardiomyopathie; Senat, Beschluss vom 3. Juli 2020, a.a.O.).

Es spricht zunächst einiges dafür, dass auch von einer derzeit lebensbedrohlichen Erkrankung bei dem Antragsteller ausgegangen werden könnte.

Zunächst können kardiovaskuläre Erkrankungen durchaus den Charakter einer lebensbedrohlichen Erkrankung haben (so etwa ausdrücklich die tragenden Gründe zu dem Beschluss des GBA vom 19. Juni 2008 - a.a.O. unter Ziff. 2.3 sowie BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06). Vorliegend bejahte zunächst der Kardiologe Dr. C2, der den Antragsteller zuletzt am 7. September 2020 untersuchte, die Möglichkeit eines jederzeitigen Eintritts eines lebensbedrohlichen Zustandes. Er führte dies auf die schwere arterielle Gefäßerkrankung zurück (Attest vom 15. September 2020). Der Nephrologe Dr. W bestätigte dies. Da die Gefäßerkrankung aufgrund des hohen Lp(a) offensichtlich voranschreite, drohe ein erneuter Herzinfarkt, der zum Tod führen könne, sowie ein erneuter Gefäßverschluss am Bein mit einer dann erforderlichen Amputation. Diese Gefährdungslage könne sich kurzfristig realisieren. Auch der Gefäßchirurg Dr. C sah diese in seinem Befundbericht im vorangegangenen Eilverfahren als gegeben an.

Demgegenüber verneint der MDK in seiner gutachterlichen Bewertung eine lebensbedrohliche Situation, ohne dies allerdings zu begründen.

bb) Nach derzeitiger Aktenlage nicht abschließend zu bewerten ist allerdings maßgeblich, ob eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Dafür bedarf es gleichfalls weiterer Ermittlungen, die aus den o.g. Gründen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.

Der Lp(a)-Wert des Antragstellers ist indes weiterhin deutlich erhöht () 60mg/dl: November 2019: 150 mg/dl, April 2020: 177 mg/dl; Mai 2020: 178 mg/dl, 7. Dezember 2020: 202 mg/dl, 7. Januar 2021: 185 mg/dl). Derzeit durch den Senat nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Wert trotz der von Mai bis Oktober 2020 durchgeführten Apherese-Behandlung gestiegen ist. Die Sachverständigen-Kommission Apherese war in ihrer bereits dargestellten ersten Stellungnahme von einem positiven Nutzen bei dem Krankheitsbild des Antragstellers nicht überzeugt. Auch der MDK sieht keinen Zusammenhang zu der Lp(a)-Erhöhung, die durch die Behandlung gesenkt werden soll. Demgegenüber wird seitens der den Antragsteller behandelnden Ärzte in den in beiden Eilverfahren eingeholten Befundberichten die positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durchgängig bestätigt.

c) Ein (Anordnungs-)Anspruch auf Bewilligung der streitigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V kommt nicht in Betracht. Jedenfalls begründet eine gesetzlich fingierte Genehmigung nicht den - hier jedoch geltend gemachten - Anspruch auf Versorgung mit einer Sachleistung, sondern nur die vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt und ggf. im Nachhinein zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung führt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteile vom 18. Juni 2020 - B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R - jeweils juris).

2. Indes ist vorliegend der Anordnungsanspruch (bei unterstelltem offenem Verfahrensausgang) aus den Grundsätzen der Folgenabwägung herzuleiten.

Dazu sind vor allem die Folgen zu berücksichtigen, die die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller hätte. Je schwerer die Belastungen hieraus wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, desto weniger kann das Interesse an einer vorläufigen Regelung zurückgestellt werden. Angesichts der überragend hohen Bedeutung, die dem Leben als Rechtsgut in der grundgesetzlichen Ordnung zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - juris), sind in Verfahren wie dem vorliegenden an die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hohe Anforderungen zu stellen (Senat, Beschluss vom 6. Februar 2017 - a.a.O., m.w.N.).

Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Verwaltungs- bzw. Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht aufgrund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert oder der Einsatz mit dem Risiko behaftet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Januar 2008 - L 5 B 1074/07 KR ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2014 - L 9 KR 293/13 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2015 - a.a.O. - jeweils juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Folgenabwägung der Anspruch auf Bewilligung der von ihm begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen zu. Danach kann ihm nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung im Verwaltungs- bzw. ggf. Hauptsacheverfahren auf die Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlungen kann nach der durchgängig durch seine behandelnden Ärzte vertretenen Ansicht nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis kommt. Dementsprechend erachtenden die ihn behandelnden Ärzte ausweislich der vorliegenden Befundberichte die Apherese-Behandlung für medizinisch absolut geboten, um Gefahr für Leib und Leben des Klägers des Antragstellers abzuwehren. Das gegenläufige finanzielle Risiko für die Antragsgegnerin erachtet der Senat derzeit als hinnehmbar (Senat, Beschluss vom 30. Mai 2016 - L 11 KR 152/16 B ER - juris, m.w.N.).

3. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Aufgrund der bereits festgestellten Erkrankungen und der dadurch bestehenden Gefährdung für Leib und Leben ist es ihm nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Zudem kann der Antragsteller auch nach seiner vorgetragenen finanziellen Lage nicht auf ausreichende eigene Mittel zurückgreifen, was ihm ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung als zumutbar erscheinen ließe und daher einem Anordnungsgrund entgegenstehen würde (Senat, Beschluss vom 20. Mai 2020, L 11 KR 166/20 B ER - juris; zu den anzunehmenden Kosten einer Apherese-Behandlung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Mai 2019 - L 16 KR 121/19 B ER - juris).

4. Der Senat hat die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungsgewährung im tenorierten Umfang befristet. Eine solche Befristung ist deshalb geboten, weil die begehrte Leistung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Anlage I zur MVV-RL im Hauptsacheverfahren grundsätzlich zunächst nur für einen Zeitraum von einem Jahr gewährt werden könnte. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die Leistungspflicht deshalb auf ein halbes Jahr zu beschränken, um dem vorläufigen Charakter der Entscheidung Rechnung zu tragen. Die Befristung ist aber auch deshalb geboten, um es der Antragsgegnerin zu ermöglichen, die Feststellung der Fortdauer der Indikation sowie die Ergebnisse der Behandlung der Erkrankung unter Kontrolle zu halten und dadurch den Vorbehalt einer Überprüfung des Anspruchs im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2015 - a.a.O. - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seiner Kostenentscheidung berücksichtigt, dass der Antragsteller eine unbefristete Versorgung im Eilverfahren beantragt hat.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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