S 9 KR 3526/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3526/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Die monatlichen Beiträge zur Kranken- wie auch zur Pflegeversicherung sind selbst dann zu entrichten, wenn tatsächlich überhaupt keine Einkünfte erzielt werden.

2. Die Bemessung der Beiträge zur Kranken- wie auch zur Pflegeversicherung erfolgt in diesem Fall anhand der Mindesteinnahmegrenze

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Beitragsverpflichtung sind bereits deswegen ausgeschlossen, da bei Hilfebedürftigkeit die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen des Leistungsbezugs nach dem SGB II vom Grundsicherungsträger getragen werden.
1. Die Klage wird abgewiesen 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Beitragshöhe zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1982 geborene Kläger war seit dem 03.03.2009 als Künstler versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) endete zum 31.05.2017. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 01.06.2017 darauf hin, dass er die Möglichkeit habe sich im Krankheitsfall anderweitig abzusichern. Da der Kläger ab dem 01.06.2017 keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hatte, setzte sie dessen Versicherung zur Kranken- und Pflegeversicherung bei ihr als freiwillige Mitgliedschaft fort.

Weil der Kläger der Beklagten am 04.08.2017 mitteilte, dass er keinerlei Einkommen erziele, berechnete die Beklagte dessen Beiträge ab dem 01.06.2017 aus der gesetzlich vorgegebenen monatlichen Mindesteinnahme (2017: 991,67 EUR, 2018: 1.015,00 EUR, 2019: 1.038,33 EUR). Unter anderem hatte er laut Bescheid vom 18.12.2018 ab Januar 2019 einen monatlichen Beitrag in Höhe von 186,90 EUR zu entrichten. Zudem wies die Beklagte den Kläger auf einen Beitragsrückstand aus vorherigen Zeiträumen in Höhe von 3.335,24 EUR hin.

Während der Dauer des Versicherungsverhältnisses sprach sich der Kläger durchgehend gegen die Höhe der Beiträge aus. Daher informierte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 21.01.2019, dass sie die Mindesteinnahmegrenze von 1.038,33 EUR zur Beitragsbemessung nicht unterschreiten könne.

Gegen den Bescheid vom 18.12.2019 – zugegangen am 13.01.2019 – erhob der Kläger am 27.01.2019 Widerspruch. Er war im Wesentlichen unter Berufung auf Verfassungs- und Völkerrecht der Meinung, er habe gegen das "Krankenversicherungszwangssystem" einen Anspruch auf den Notlagentarif nach § 153 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) sowie auf Streichung der bisher angelaufenen Beitragsrückstände in Höhe von nunmehr 3.573,90 EUR. Die Beklagte könne ihn nicht "durch staatliche Repression zum Jobcenter nötigen".

Den Widerspruch vom 27.01.2019 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2019 als unbegründet zurück. Sie stützte ihre Entscheidung darauf, dass die monatlichen Beiträge zur Kranken- wie auch zur Pflegeversicherung selbst dann zu entrichten seien, wenn tatsächlich geringere oder überhaupt keine Einkünfte erzielt werden würden. § 153 VAG sei in der Person des Klägers nicht einschlägig.

Dagegen hat der Kläger am 28.10.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er im Wesentlichen sein Widerspruchsbegehren wiederholt. Ergänzend trägt er vor, die Beitragsschulden beliefen sich mittlerweile auf 3.788,56 EUR, das könne so nicht weitergehen. Statt der gesetzlichen Mindestbeitragsgrenze hätte die Beklagte zur Beitragsbemessung die Einkommenssteuerbescheide heranziehen müssen, die durchgängig ein Einkommen von 0,00 EUR ausweisen würden. Er fühle sich als "Solo-Selbständiger" diskriminiert. § 193 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) sei dergestalt zu interpretieren, dass jeder Deutsche selbst das Recht habe, einen Vertrag mit einem Versicherungsunternehmen seiner Wahl abzuschließen oder auch nicht.

Der Kläger beantragt – sinngemäß –,

den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2019 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, die bisher angelaufenen Beitragsschulden und Säumniszuschläge zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erachtet die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig und verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 10.10.2019.

Mit Schreiben vom 29.11.2019 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Der Kläger hat hiergegen mit Schriftsatz vom 04.12.2019 Einwendungen vorgebracht. Danach sei § 193 VVG verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe zwar seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, dies aber nur, weil er bisher den Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Insbesondere war der Sachverhalt von seiner Komplexität her leicht zu überschauen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, zu § 105 Rn. 6a). Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen nur dann vor, wenn der Fall komplizierte Rechtsfragen aufwirft, die höchstrichterlich noch nicht entschieden sind (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, zu § 105 Rn. 6b). Auch wenn der Kläger die Schwierigkeit rechtlicher Art anhand des Umfangs seiner Schriftsätze bestimmen möchte, so ist die dem Rechtsstreit zentral zugrundeliegende Frage der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbeitragsbemessungsgrenze längst höchstrichterlich geklärt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 10.03.1994, Az.: 12 RK 4/92; BSG, Urteil vom 19.12.2012, Az.: B 12 KR 20/11 R).

Die Klage ist zwar in Form der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine geringere monatliche Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, als die Beklagte bereits rechtsfehlerfrei festgesetzt hat. Die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Rechtsnormen sind nicht verfassungswidrig. Vor dem Hintergrund der seit 01.06.2017 rechtmäßig erhobenen aber vom Kläger nicht entrichteten Beiträge war auch der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung angelaufene Beitragsrückstand nicht zu erlassen.

1. Der Kläger ist im Sinne von § 188 Abs. 4 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) bei der Beklagten im Wege der Anschlussversicherung freiwilliges Mitglied der Krankenversicherung und nach § 20 Abs. 3 des Elften Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflichtmitglied in der sozialen Pflegeversicherung.

Für Personen, deren Versicherungspflicht endet, setzt sich die Versicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt. Der Austritt wird nur wirksam, wenn das Mitglied das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachweist. Der Kläger hat solch einen Nachweis trotz ordnungsgemäßen Hinweis der Beklagten vom 01.06.2017 nicht fristgemäß erbracht.

Nach § 240 Abs. 1 S. 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV Spitzenverband) geregelt. Dabei ist nach § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitgliedes zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB V). Der GKV Spitzenverband hat mit den "Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge" (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler – im Folgenden: BVGS) eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Festsetzung der jeweiligen Beiträge geschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.12.2012, Az.: B 12 KR 20/11 R). Dieser Vorgabe folgend gelten als beitragspflichtige Einnahme freiwilliger Mitglieder alle Einnahmen und Geldmittel, die zum Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung (vgl. § 3 BVGS) mindestens jedoch ein monatlicher Betrag in Höhe von 991,67 EUR im Jahr 2017, von 1.015,00 EUR im Jahr 2018 und von 1.038,33 EUR im Jahr 2019 (vgl. § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V).

Die Beklagte ermittelte die Beiträge des Klägers für den streitumfangenen Zeitraum rechtsfehlerfrei aus den gesetzlichen Mindesteinnahmegrenzen von monatlich 991,67 EUR für das Jahr 2017, von monatlich 1.015,00 EUR für das Jahr 2018 und von monatlich 1.038,33 EUR für das Jahr 2019, da der Kläger in diesen Zeiträumen nach eigenen Angaben keinerlei Einkommen erzielt hat. Diese Mindesteinnahmegrenzen sind selbst dann nicht zu unterschreiten, wenn die klägerischen Einnahmen geringer oder gar null betragen sollten (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, Az.: 12 RK 4/92).

Dies gilt analog auch für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung (§ 57 Abs. 4 S. 1 SGB XI in Verbindung mit § 1 Abs. 2 BVGS).

Seit dem 01.01.2009 besteht nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) eine nachrangige Pflicht zur Versicherung auch in der Privaten Krankenversicherung. Nur hier gilt der Versicherungsnehmer als im Notlagentarif nach § 153 VAG versichert, so lange der Vertrag wegen Nichtzahlung der Beiträge ruht. Da der Kläger kein Mitglied einer Privaten Krankenversicherung ist, steht ihm die Option der Inanspruchnahme eines Notlagentarifs bereits dem Grunde nach nicht zur Verfügung.

2. Die Krankenversicherungsbeiträge werden spätestens am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den sie bestimmt sind (vgl. § 23 des Vierten Sozialgesetzbuchs (SGB IV) in Verbindung mit § 10 BVGS). Dieser Grundsatz gilt nach § 11 der Satzung der Beklagten auch für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung. Für Beiträge, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von einem Prozent des rückständigen, auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Zahlungspflichtige, die mit der Beitragszahlung in Rückstand sind, werden gemahnt. Mit der Mahnung wird eine Mahngebühr erhoben. Die Höhe richtet sich nach den Bestimmungen des § 19 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG). Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages. mindestens jedoch 5,00 EUR und höchstens 150,00 EUR. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts hat die Beklagte laut § 76 Abs. 1 SGB IV ihre Einnahmen vollständig zu erheben.

Wegen fehlender Beitragszahlung unter anderem für den Monat Dezember 2018 sind kraft Gesetzes Säumniszuschläge entstanden und mit der Mahnung vom 22.01.2019 wurden zutreffend Mahngebühren erhoben. Ein Erlass nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV kommt nicht in Betracht, da die Einziehung der Beiträge durch die Beklagte nicht unbillig war bzw. ist. Weder hat der Kläger eine wirtschaftliche Notlage im Sinne einer persönlichen Unbilligkeit nachgewiesen, noch empfindet das Gericht die vorliegende Konstellation als sachlich unbillig (vgl. Brandt in: Kreikebohm, SGB IV, 3. Auflage 2018, zu § 76, Rn. 21 f.).

3. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des § 240 SGB V hat die Kammer jedenfalls für die Gruppe der tatsächlich freiwillig Versicherten nicht. Diese hatten und haben jederzeit die Möglichkeit, eine private Krankenversicherung abzuschließen und sind deshalb nicht in gleichem Umfang wie Pflichtversicherte auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen. Dem Gesetzgeber steht deshalb ein weiter Gestaltungsspielraum zu, bezüglich welcher beitragsrechtlichen Konditionen er die Möglichkeit der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglicht (vgl. Sozialgericht Speyer, Urteil vom 03.03.2017, Az.: S 16 KR 563/15; Sozialgericht Mannheim, Urteil vom 11.04.2017, Az.: S 6 KR 38/17).

Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es dem einkommenslosen Kläger weiterhin freisteht, einen Antrag bei dem zuständigen Träger der Grundsicherung zu stellen. Würde der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) beziehen, so würden die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen des Leistungsbezugs vom Grundsicherungsträger getragen werden. Somit kann bereits das verfassungsrechtliche Bedürfnis eines geringeren monatlichen Beitragssatzes in Frage gestellt werden, da für diejenigen Personen, die keinerlei Mittel zur Tilgung der monatlichen Beiträge besitzen, stets die Grundsicherung als angemessenes Auffangnetz vorhanden ist. Sofern der Kläger von dieser Möglichkeit ausgehend von seiner inneren Überzeugung nicht Gebrauch machen möchte, kann er zwar nicht in den Leistungsbezug gezwungen werden. Er hat dann jedoch sämtliche mit seiner eigenverantwortlichen Entscheidung verbundenen Konsequenzen zu tragen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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