L 3 R 69/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 23 R 266/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 69/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.12.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Wiederherstellung von erstatteten Beitragszeiten.

Die Klägerin ist 1961 geboren. Sie legte von September 1978 bis Oktober 1982 insgesamt 42 Kalendermonate mit Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück. Mit Wirkung vom 01.11.1982 wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Verwaltungsinspektoranwärterin bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen ernannt. Sie beantragte am 16.04.1991 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Beitragserstattung nach § 82 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung (a.F.), die ihr mit Bescheid vom 08.05.1991 über einen Erstattungsbetrag von 3.530,02 DM gewährt wurde.

Am 18.11.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Rückgängigmachung der Beitragserstattung. Sie sei seit dem 01.11.1982 Beamtin und wolle die Beitragserstattung rückgängig machen, damit diese Zeiten bei der Beamtenversorgung als Dienstjahre berücksichtigt werden könnten. Der Bescheid vom 08.05.1991 sei nach § 210 Abs 1 Nr 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) rechtswidrig und müsse zurückgenommen werden.

Mit Bescheid vom 22.12.2016 lehnte die Beklagte eine Aufhebung des Bescheides vom 08.05.1991 ab. Dieser sei nicht rechtswidrig gewesen. Eine Wiederherstellung der Beitragszeiten sei nicht möglich.

Dagegen legte die Klägerin am 28.12.2016 Widerspruch ein und bezog sich zur Begründung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.07.2012 - Az.: B 13 R 26/10 R.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Erstattungsbescheid vom 08.05.1991 sei nicht rechtswidrig gewesen. Das Urteil des BSG vom 10.07.2012 - Az. B 13 R 26/10 R - beziehe sich lediglich auf Beitragserstattungen nach § 210 SGB VI im Zeitraum vom 01.01.1992 bis 10.08.2010.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.04.2017 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Die in der Entscheidung des BSG vom 10.07.2012 - Az. B 13 R 26/10 R - vertretene Rechtsauffassung sei auch auf Bescheide, die vor dem 01.01.1992 ergangen seien, zu übertragen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 08.05.1991 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, die erstatteten Beitragszeiten wiederherzustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 verwiesen.

Mit Urteil vom 12.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Bescheid vom 08.05.1991 sei nicht nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) zurückzunehmen, da die Beklagte bei seinem Erlass das Recht nicht unrichtig angewandt habe. Gem. § 82 Abs 1 Satz 1 AVG a.F. seien der Klägerin auf ihren Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten gewesen. Das von der Klägerin angeführte Urteil des BSG vom 10.07.2012 - Az.: B 13 R 26/10 R - beziehe sich auf die Anwendung von § 210 Abs 1 SGB VI, welcher erst mit Wirkung vom 01.01.1992 eingeführt worden sei. Mangels Vergleichbarkeit mit den Regelungen des AVG könnte die Rechtsauffassung des BSG auch nicht hierauf übertragen werden.

Gegen das ihr am 23.01.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.01.2019 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, die im Urteil des BSG vom 10.07.2012 - Az.: B 13 R 26/10 R - vorgenommene Unterscheidung zwischen den Begriffen "Versicherungspflicht", "nicht versicherungspflichtig", "Entfallen der Versicherungspflicht" und "Entstehen von Versicherungsfreiheit" sei auf die ältere Rechtslage vor dem 01.01.1992 gleichermaßen zu übertragen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 12.12.2018 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017 zu verurteilen, den Bescheid vom 08.05.1991 zurückzunehmen und die Beitragserstattung rückgängig zu machen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Entscheidung des SG sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, den Bescheid vom 08.05.1991 zurückzunehmen und die Beitragserstattung rückgängig zu machen.

I.

Eine Rechtsgrundlage für die begehrte Rückgängigmachung der Beitragserstattung ist nicht vorhanden. Durch die mit Bescheid vom 08.05.1991 durchgeführte Beitragserstattung wurde gem. § 82 Abs 7 AVG a.F. das bisherige Versicherungsverhältnis aufgelöst. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr. Anders als bei gesetzlich geregelten Sachverhalten - wie etwa der Nachzahlung von Beiträgen nach durchgeführter Heiratserstattung gem. § 282 Abs 1 SGB VI in der vom 01.01.1992 bis 31.12.1997 geltenden Fassung - fehlt es im Falle der Klägerin an einer gesetzlichen Regelung, die die Nachzahlung der erstatteten Beiträge ermöglicht.

II.

Die Bestandskraft des Bescheides vom 08.05.1991 schließt die Rückgängigmachung der Beitragserstattung aus. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017 eine Rücknahme des Bescheides vom 08.05.1991 nach der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 44 SGB X abgelehnt. Dieser Bescheid ist schon nicht rechtwidrig.

Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 08.05.1991 wäre jedoch sowohl nach § 44 Abs 1 SGB X als auch nach § 44 Abs 2 SGB X Voraussetzung für eine Rücknahme. Erforderlich ist eine rückschauende Betrachtungsweise der Sach- und Rechtslage bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes, bewertet aus heutiger Sicht (vgl. BSG Urteil vom 26.10.2017, B 2 U 6/16 R, juris Rn 17).

Wie das SG zutreffend und mit richtiger Begründung ausgeführt hat, richtet sich die Rechtmäßigkeit der Beitragserstattung nach § 82 AVG a.F.

Gem. § 82 Abs 1 Satz 1 AVG a.F. waren einem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfiel, ohne dass das Recht zur freiwilligen Versicherung bestand.

Die Versicherungspflicht entfiel i.S.d. § 82 Abs 1 Satz 1 AVG a.F., wenn eine bestandene Versicherungspflicht in Wegfall gekommen war, wobei es auf den Grund des Wegfalls nicht ankam. Neben der Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kamen auch die Ausnahmen von der Versicherungspflicht nach §§ 1229 - 1231 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. bzw. §§ 6 - 8 AVG a.F. in Betracht (vgl. VDR-Komm. zur RVO, Stand 01.07.1984, § 1303 Rn 3). Danach entfiel nach bei Erlass des Bescheides vom 08.05.1991 bestehendem Verständnis von § 82 AVG a.F. im Jahre 1991 für die Klägerin, die als Beamtin der LVA Westfalen seit dem 01.11.1982 gem. § 6 Abs 1 Nr. 2 AVG a.F. versicherungsfrei war, die Versicherungspflicht.

Die Klägerin hatte gem. § 10 Abs 1a AVG a.F. auch nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung, da dieses Recht gem. § 10 Abs 1 Satz 1 AVG a.F. für nach § 6 AVG a.F. versicherungsfreie Personen nur galt, wenn diese für sechzig Kalendermonate Beiträge entrichtet hatten. Dies war bei der Klägerin, die lediglich für 42 Kalendermonate Beiträge entrichtet hatte, jedoch nicht der Fall.

Auch die heutige Sicht führt zu keiner anderen Bewertung der Rechtslage. Insbesondere ergibt sich aus dem von der Klägerin zur Begründung herangezogenen Urteil des BSG vom 10.07.2012 - Az.: B 13 R 26/10 R - nichts anderes, denn diese Entscheidung ist auf die hier vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar.

Dieses Urteil des BSG bezieht sich nicht auf das Recht auf Beitragserstattung für versicherungsfreie Beamte, sondern auf einen Beitragserstattungsanspruch eines nicht versicherungspflichtigen Arztes. Maßgeblich ist dort nicht die Rechtslage nach § 82 AVG a.F. im Jahre 1991, sondern diejenige nach § 210 SGB VI im Jahre 2007.

Bereits der Wortlaut von § 210 SGB VI entspricht nicht dem von § 82 AVG a.F. In § 82 Abs 1 Satz 1 AVG a.F. war Voraussetzung, dass die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfiel, ohne dass das Recht zur freiwilligen Versicherung bestand. Demgegenüber wird in § 210 SGB VI auf Versicherte abgestellt, die nicht versicherungspflichtig sind.

Der Wortlaut von § 82 AVG a.F. ist vereinbar mit der tatbestandlichen Einbeziehung des Eintritts von Versicherungsfreiheit in das "Entfallen von Versicherungspflicht" (vgl. VDR-Komm. zur RVO, Stand 01.07.1984, § 1303 Rn 3). Denn auch das Eintreten eines Tatbestands der Ausnahme von der Versicherungspflicht - wie der der Versicherungsfreiheit - bedeutet einen "Wegfall" der Versicherungspflicht.

Auch die im Urteil des BSG vom 10.07.2012 - Az.: B 13 R 26/10 R - vorgenommene Auslegung von § 210 SGB VI nach Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck führt zu keinem anderen Ergebnis (BSG a.a.O., juris Rn. 36). Danach ergibt sich mit Einführung von § 210 SGB VI eine Neuregelung gegenüber dem Recht des AVG bzw. der RVO. Das Recht zur Beitragserstattung vor Vollendung der Regelaltersgrenze sollte nur noch für Ausländer gelten, die den Geltungsbereich des SGB verlassen und deshalb das Recht auf freiwillige Versicherung verlieren. Darüber hinaus sollten Versicherte erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres (bzw. der Vollendung der Regelaltersgrenze) das Recht zur Beitragserstattung bekommen (vgl. auch BT-Drucks. 11/4124 S 192).

Auch die systematische, historische und teleologische Auslegung des § 10 Abs. 1a AVG a.F. spricht nicht für die Auffassung der Klägerin. Diese hatte zum Zeitpunkt der durchgeführten Beitragserstattung im Jahre 1991 als versicherungsfreie Beamtin nicht die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern und - bei Fortbestehen der Versicherungsfreiheit - einen Regelaltersrentenanspruch zu erwerben. Deswegen bestand gerade das Recht aus §§ 82 Abs 1 Satz 1, 10 Abs 1a, 6 Abs 1 Nr. 2 AVG a.F. auf Beitragserstattung, unabhängig von einer Altersgrenze.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1, 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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