S 44 KR 6/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
44
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 6/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KR 64/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit Lichtschutzmitteln zu versorgen bzw. ihm die durch die Selbstbeschaffung von Lichtschutzmitteln entstandenen Kosten zu erstatten.

Der 1983 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an der Hauterkrankung Xeroderma pigmentosum und befindet sich deswegen seit 1988 in kontinuierlicher ärztlicher Behandlung.

Bei der Xeroderma pigmentosum handelt es sich um eine seltene genetisch bedingte Erbkrankheit, die auf einer Überempfindlichkeit der Haut gegenüber ultravioletten Strahlen beruht. Charakteristisch für die Erkrankung ist das Auftreten von Sonnenbränden schon nach sehr kurzen Sonnenlichtexpositionen. Eine Heilung der Erkrankung ist bisher nicht möglich. Die Therapiemaßnahmen beschränken sich bisher auf die Vermeidung von Sonneneinwirkung sowie eine frühzeitige Diagnose und Therapie bösartiger Tumore. Bei mehr als zwei Dritteln der Betroffenen verläuft die Erkrankung bereits im Kindesalter tödlich. Da die Betroffenen jeden Kontakt mit Sonnenlicht meiden müssen und andererseits vom Mondlicht keine Gefährdung ausgeht, so dass die Betroffenen zumindest nach dem Sonnenuntergang ins Freie können, spricht man auch von Mondscheinkindern. In Deutschland leben schätzungsweise 90 Betroffene (Quelle: www.m-ww.de/Krankheiten).

Der den Kläger behandelnde Dermatologe Dr. T wies mit ärztlichem Attest vom 03.07.2003 darauf hin, dass die Erkrankung einen permanenten UVA-und UVB-Schutz erfordere, da ansonsten lebenslang die Gefahr der Entstehung von bösartigen Neubildungen der Haut, insbesondere von malignen Melanomen bestehe. Der Kläger beantragte durch Dr. T im Juli 2003 die Versorgung mit dem Lichtschutzpräparat "Daylong 25 ultra". Laut Anwenderinformation des Herstellers handelt es sich bei "Daylong 25 ultra" um ein "Spezialpräparat für den besonders guten Sonnenschutz".

Mit Bescheid vom 10.07.2003 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da Hautpflegemittel wie die vom Kläger begehrte Sonnenschutzcreme, auch bei medizinischem Hintergrund nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürften.

Mit Schreiben vom 08.09.2003 wandte sich die Fachklinik I an die Beklagte und wies darauf hin, dass der behandelnde Dermatologe dem Kläger 7 Jahre lang das von ihm benötigte Sonnenschutzpräparat rezeptiert habe. Das Sonnenschutzmittel sei medizinisch in jeder Weise indiziert. Sollte der Sonnenschutz vom Kläger vernachlässigt werden, würde sich das Risiko von Folgeerkrankungen durch die vorgeschädigte Haut durch UV-Einwirkungen drastisch erhöhen. Folgeerkrankungen seien hauptsächlich zum Wohle des Patienten aber auch zur Vermeidung zusätzlicher Kosten durch weitere Operationen zu verhindern.

Die Beklagte befragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der unter dem 25.09.2003 feststellte, absoluter Lichtschutz sei auf jeden Fall indiziert. Das vom Kläger begehrte Präparat sei aber ein Kosmetikum und kein Arzneimittel, so dass nach den Arzneimittelrichtlinien (AMR) eine Kostenübernahme ausscheide.

Mit Bescheid vom 03.11.2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers erneut ab, da Kosmetika in den privaten Verantwortungsbereich des Versicherten fielen. Dem Kläger wurde zugleich geraten, sich beim zuständigen Sozialhilfeträger zu erkundigen, ob nach den Bestimmungen des Sozialhilferechts eine Kostenübernahme möglich sei.

Mit Widerspruch vom 14.11.2003 verwies die gesetzliche Betreuerin des Klägers auf die medizinischen Stellungnahmen des Dermatologen Dr. T sowie der Fachklinik I. Im Zusammenhang mit der Erkrankung des Klägers könne das begehrte Lichtschutzmittel nicht als kosmetisches Mittel bezeichnet werden. Es sei dem Kläger daher im ärztlich verordneten Umfang zu gewähren.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2003 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf Abschnitt F Nr. 17.1 Abs. 1 der AMR, wonach Mittel, die auch zur Reinigung und Pflege oder Färbung der Haut, des Haares, der Nägel, der Zähne, der Mundhöhle usw. dienten einschließlich medizinischer Haut- und Haarwaschmittel sowie medizinischer Haarwässer und kosmetischer Mittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürften.

Mit seiner am 08.01.2004 beim Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und führt zur Begründung aus, international sei die Verwendung hochwirksamer Lichtschutzpräparate bei der Xeroderma pigmentosum längst Standard. Diese schwerwiegende Erkrankung stehe einer Einordnung des Lichtschutzmittels als kosmetisches Mittel im Sinne der AMR entgegen. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 10.05.1990 (Az.: 6 RKa 15/89) ausgeführt, Versicherte hätten ausnahmsweise dann einen Anspruch auf Versorgung etwa mit Sonnenschutzmitteln, wenn ihr zugleich auf Heilung gerichteter Einsatz den Versicherten (wirtschaftlich) übermäßig und unzumutbar belaste, wenn zugleich die gewöhnlichen Kosten des Lebensbedarf überschritten würden. Der Kläger hat hierzu zuletzt angegeben, wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nunmehr ein Lichtschutzmittel mit einem Sonnenschutzfaktor von 60 zu benötigen und hierfür bereits in den Wintermonaten etwa 80,00 EUR aufwenden zu müssen, ohne dass ihm adäquate Einkünfte zur Verfügung stünden. Der Kläger hat eine Stellungnahme des Dermatologen Professor Dr. B aus N vom 07.03.2004 überreicht, der die Auffassung vertrat, es handele sich bei dem vom Kläger begehrten Lichtschutzmittel zwar nicht um ein Arzneimittel, gleichwohl komme dem Präparat im Falle des Klägers quasi Arzneimittelcharakter zu. Schutz vor UV-Strahlung bedeute für den Kläger Herauszögerung des Auftretens von Karzinomen. Der Kläger ist zudem der Auffassung, dass bei Ausscheiden eines Anspruchs gemäß geltender einfachgesetzlicher Regelungen ein Versorgungsanspruch aus dem verfassungsrechtlich normierten Sozialstaatsgebot folge.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 10.07.2003 und 03.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2003 zu verurteilen, ihm die seit Juli 2003 für die Lichtschutzmittel "Daylong 25 ultra" und "Daylong 60 ultra" entstandene Kosten zu erstatten und die ihm zukünftig entstehenden Kosten für diese Lichtschutzmittel zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht keine rechtliche Grundlage für die Kostenübernahme. Auch sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 10.05.1990 (a.a.O.). Das Bundessozialgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass Sonnenschutzmittel zum allgemeinen Lebensbedarf gehören und daher nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden dürften. Seit dem 01.01.1997 umfasse der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) alleine apothekenpflichtige Arzneimittel.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 10.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2003 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt, da ein Anspruch auf Versorgung mit dem Lichtschutzpräparat "Daylong 25 ultra", aber auch mit einem Sonnenschutzmittel mit einem höheren Sonnenschutzfaktor selbst dann nach geltendem Recht nicht besteht, wenn eine schwerwiegende Erkrankung deren permanente Verwendung erforderlich macht.

Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte dem Grundsatz nach Anspruch auf Krankenbehandlung, der unter anderem auch die ärztliche Behandlung (Satz 2 Nr. 1 a.a.O.) sowie die Versorgung mit Arzneimitteln ( Satz 2 Nr. 3 a.a.O.) einschließt. Ein Anspruch des Klägers gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht aber nicht. Denn bei den begehrten Lichtschutzmitteln handelt es sich unter Zugrundlegung der Anwenderinformation bereits nicht um Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der aktuellen aber auch der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung), sondern um Sonnenschutzmittel, die – nach der Anwenderinformation insbesondere auch Urlaubern - einen längeren gefahrlosen Verbleib in der Sonne ermöglichen sollen.

Maßgeblich für die Qualifikation als Arzneimittel ist nicht der konkrete Verwendungszweck (subjektive Zweckbestimmung). Maßgebend ist die überwiegende objektive Zweckbestimmung (vgl. Rehmann, AMG, Stand 2003, RdNr. 25). Auch die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Professor Dr. B erkennt an, dass es sich bei dem vom Kläger benötigten Präparat nicht um ein Arzneimittel handelt.

Aber selbst wenn es sich bei den Sonnenschutzmitteln um Arzneimittel handelte, scheiterte ein Anspruch auf Versorgung daran, dass die begehrten Sonnenschutzmittel nicht apothekenpflichtig sind. Diesem Umstand hat auch der behandelnde Arzt Rechnung getragen, indem er die über Jahre geübte Praxis der Rezeptierung dieser Präparate aufgab.

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. den danach vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu erstellenden Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ("AMR"). Die AMR enthalten keine Ausnahmeregelungen für Lichtschutzmittel. Auch liegen die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V jedenfalls in Ermangelung einer Apothekenpflichtigkeit der begehrten Präparate nicht vor.

Das Bundessozialgericht hat bereits mit Urteil vom 10.05.1990 (a.a.O.) festgestellt, dass Haarwaschmittel und Sonnenschutzmittel als zum allgemeinen Lebensbedarf gehörend auch dann nicht verordnungsfähig sind, wenn sie zugleich therapeutischen Zwecken dienen. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Kosten der Lichtschutzmittel belasteten ihn wirtschaftlich unzumutbar im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Zur Überzeugung der Kammer kann dahinstehen, ob die im Einzelnen vom Bundessozialgericht in dieser Entscheidung aufgestellten Voraussetzungen im Falle des Klägers erfüllt sind. Denn das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung aufgegeben und zur Begründung u.a. ausgeführt, der Wortlaut des bis zum 31.12.1988 geltenden § 182 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) habe die Gewährung etwa von Krankenkost in den vom Bundessozialgericht genannten Ausnahmefällen als eine besondere Leistung der Krankenpflege neben den in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO ausdrücklich genannten Leistungsarten möglich gemacht. § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V regele den Umfang der Krankenbehandlung aber bewusst abschließend. Die bisherige Rechtsprechung könne deshalb für das geltende Recht nicht aufrecht erhalten werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997, Az.: 1 RK 23/95 sowie BSG, Urteil vom 28.01.1999, Az.: B 8 KN 1/98 KR R). Auch wenn das Bundessozialgericht in den genannten Urteilen lediglich Aussagen zu Diät- oder Krankenkost gemacht hat, sind die Schlussfolgerungen auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt zu übertragen.

Die vom Kläger begehrten Lichtschutzpräparate sind zudem weder Heil- noch Hilfsmittel, so dass ein Anspruch auch nicht auf §§ 32, 33 SGB V gestützt werden kann. Sächliche Mittel unterfallen insbesondere von vornherein nicht dem Heilmittelbegriff (vgl. etwa Höfler in: KassKomm § 32 RdNr. 9 m.w.N.).

Der Kläger vermag seinen Anspruch auch nicht auf das in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerte Sozialstaatgebot oder auf Art. 3 Abs. 1 GG zu stützen. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (BSGE 76, 40, 42 ff = SozR 3-2500 zu § 30 Nr. 5 Seite 14; BSGE 86, 54, 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 14 Seite 71 jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass eine Einbeziehung etwa von Sonnenschutzmitteln in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung angesichts des Erfordernisses typisierender und abstrakter Rechtsnormen zu kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen führen würde. Ohne die besondere Schwere der Erkrankung des Klägers zu verkennen, stellt sich die Frage, wie eine Abgrenzung zur mittlerweile durchgängig auch Gesunden empfohlenen Verwendung hochwirksamer Sonnenschutzmitteln zur Vermeidung von Hauterkrankungen und -schädigungen erfolgen sollte. Ein Abstellen auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Betroffenen ist kein praktikables und einleuchtendes Kriterium für die Abgrenzung und damit die Bestimmung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Insbesondere die Einstufung als Arzneimittel kann nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängig gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997 a.a.O.). Der besonderen finanziellen Belastung des Klägers kann daher durch die Regelungen des SGB V nicht Rechnung getragen werden.

Eine Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach dem SGB XII (vgl. etwa die Mehrbedarfsregelung des § 30 SGB XII) ist zu überprüfen.

Mangels Sachleistungsanspruch scheidet auch ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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