S 8 KR 38/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 38/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Untersuchung und Behandlung der ..., geboren am ..., verstorben am ..., 1.556,02 Euro nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.06.2000 zu zahlen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der der Klägerin anlässlich der vollstationären Behandlung der bei der Beklagten versicherten zustehenden Behandlungskosten.

Die bei der Beklagten Versicherte wurde am 17.05.2000 mit der Diagnose Cholelythiasis mit Cholezystitis im Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Nach Durchführung einer offen-chirurgischen Cholezystektomie verstarb die o.g. Patientin am 20.05.2000.

Mit Rechnung vom 07.06.2000, bei der Beklagten eingegangen am 09.06.2000, machte die Klägerin einen Betrag von 6.046,19 DM geltend; sie rechnete insoweit die Fallpauschale 12.03 ab.

Die Beklagte zahlte hierauf einen Betrag von 3.011,88 DM und erläuterte mit Schreiben vom 12.07.2000, dass die Voraussetzungen der Fallpauschale 12.03 nicht erfüllt seien, vielmehr von dem Sonderentgelt 12.10 und tagesgleichen Pflegesätzen auszugehen sei.

Mit weiteren Schreiben vom 12.07. und 26.07.2000 vertrat sie gegenüber der Klägerin die Auffassung, dass die Fallpauschale gemäß § 14 Abs. 5 Nr. 2 Bundespflegesatzverordnung (BPflV) mangels Erbringung der Hauptleistung nicht berechnet werden könne. Hinter dem Begriff der Hauptleistung verberge sich nicht allein die Operationsleistung, sondern auch die präoperative und postoperative (pflegerische) Leistung. Bei vorzeitiger Beendigung des bestimmten Krankheitsfalles durch Tod sei statt der Fallpauschale das Sonderentgelt dann anzusetzen, wenn offensichtlich ist, dass wesentliche und zur Fallpauschale gehörende Leistungsinhalte gar nicht mehr erbracht werden konnten.

Die Klägerin wies sodann unter dem 17.09.2000 darauf hin, dass eine Legaldefinition des Begriffs "Hauptleistung" zwar nicht bestehe, maßgeblich aber die Hauptleistungsbeschreibung im Katalog der Anlage 1 zur BPflV sei. Mithin definierten die OPS-301, ICD-Codes und die textliche Beschreibung die Hauptleistung.

Die Beklagte erwiderte abschließend, dass in Ermangelung einer Legaldefinition des Terminus "Hauptleistung" ein Vergleich der Bewertungsrelationen der Fallpauschale mit dem korrespondierenden Sonderentgelt und der für die Kalkulation der Fallpauschale maßgeblichen Verweildauer mit den tatsächlichen Belegungstagen erforderlich sei. Vorliegend sei die für die Fallpauschale maßgebende Verweildauer (11,38 Tage) bei drei Belegungstagen deutlich unterschritten, die durchschnittliche Verweildauer der mit der Fallpauschale 12.03 abgerechneten stationären Leistungen unterschreite die Bewertungsrelation hingegen nicht.

Mit der am 13.02.2001 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 1.556,02 Euro. Sie ist der Auffassung, dass bei operativen Leistungen Hauptleistung die Operation sei, mithin ein Ausschlusstatbestand im Sinne des § 14 Abs. 5 Satz 1 BPflV nicht vorliege.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, für die Untersuchung und Behandlung der Patientin ..., 1.556,02 Euro nebst 2 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.06.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass neben dem Fehlen einer Legaldefinition der "Hauptleistung" auch keine Aussage des Gesetzgebers vorliege, dass die Hauptleistung einer Fallpauschale mit einer Operation gleichzusetzen sei. Aufgrund einer Minderleistung von mehr als 8 Tagen zwischen tatsächlichem Behandlungsaufwand (drei Tage) und der für die maßgebliche Fallpauschale ausgewiesenen Bewertungsrelation (11,38 Tage) seien wesentliche Behandlungsleistungen nicht erbringbar gewesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als sogenannte echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, da die Beteiligten einander im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.08.1996, Az. 3 RK 2/96). Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung weiterer 1.556,02 Euro aus Anlass der stationären Behandlung der Versicherten.

Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 10 Abs. 1 Nr.1, 11 Abs. 1, 14 Abs. 4 der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Bundespflegesatzverordnung -BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl I S 2750) in der Fassung der vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) in Verbindung mit der Fallpauschale 12.03 des bundesweiten Fallpauschalen-Katalogs für Krankenhäuser nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 4 BPflV.

Als Behandlungsfall der Fallpauschale 12.03 findet sich die offen-chirurgische Cholezystektomie als Therapie einer diagnostizierten Cholezystitis bzw. Cholezystolithiasis. Die Leistungsbeschreibung des Entgeltkataloges findet sich im zu beurteilenden Behandlungsfall einschließlich Operationsschlüssel (OPS-301) und Diagnose (ICD- 10 SGB V) vollständig abgebildet.

Dem Anspruch der Klägerin steht die Regelung des § 14 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BPflV nicht entgegen. Danach wird eine Fallpauschale nicht berechnet, wenn eine Behandlung vor Erbringung der Hauptleistung beendet wird.

Die Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes liegen nicht vor, da die Klägerin die Hauptleistung erbracht hat. Eine Legaldefinition existiert, wie von den Beteiligten übereinstimmend dargetan, nicht. Das Gericht sieht mit der Durchführung der Operation (Cholezystektomie) die Hauptleistung als erbracht an.

Dies ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass die Fallpauschale 12.03 in der Leistungsbeschreibung neben der Operation keine weiteren die zu erbringende (Gesamt-) Leistung näher qualifizierende Merkmale oder (Einzel-) Leistungen nennt (z.B. keinen Mindestaufenthalt und keine anderen Bedingungen für den Abschluss des Behandlungsfalls). Auch nach dem Willen der Beteiligten dürfte die Operation als solche unzweifelhaft im Mittelpunkt der stationären Behandlung gestanden haben.

Die Argumentation der Beklagten verkennt, dass § 14 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BPflV nicht verlangt, dass die (Gesamt-) Leistungen überwiegend erbracht wurden. Dies würde im Übrigen bei konsequenter Weiterführung der Argumentation dazu führen, dass nur solche Fälle von einer Fallpauschale erfasst würden, in denen mindestens 50% aller Leistungen erbracht wurden. Die sodann erforderliche Berechnung im Einzelfall würde dem Willen einer pauschalierenden Betrachtung zuwider laufen.

Die Beklagte legt zwar nachvollziehbar dar, dass grundsätzlich auch präoperative und postoperative Maßnahmen einen Behandlungsfall charakterisieren, macht aber schon durch diese Wortwahl deutlich, dass die Operation Ziel- bzw. Ausgangspunkt sämtlicher weiterer Leistungsinhalte ist.

Offenbar hat der Verordnungsgeber im Übrigen in Konstellationen wie der diesem Verfahren zu Grunde liegenden keinen Bedarf für eine Ausnahmeregelung gesehen. Die Regelung des § 14 Abs. 7 BPflV mit der Möglichkeit einer über die Fallpauschale hinausgehenden Abrechnung bei die Grenzverweildauer überschreitenden Verweildauern im Einzelfall macht deutlich, dass der Verordnungsgeber besondere Konstellationen in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Eine die Abrechenbarkeit von Fallpauschalen einschränkende Vorschrift wäre ebenso denkbar wie möglich gewesen, ohne dass sich der Verordnungsgeber zu einer solchen Regelung entschieden hätte, obgleich es sich um eine in der Praxis immer wieder vorkommende Situation handeln dürfte, dass Patienten alsbald nach Durchführung einer Operation versterben. Die Argumentation der Beklagten findet somit weder im Wortlaut der BPflV noch im erkennbaren Willen des Verordnungsgebers eine hinreichende Stütze.

Es sei ergänzend darauf verwiesen, dass in der einschlägigen Kommentarliteratur (vgl. etwa Scheinert u.a., Handbuch zur Abrechnung von Krankenhausleistungen, Fallpauschalen und Sonderentgelten, Teil I, Kapitel 2.3.1.2.1 und das abgebildete Abrechnungsbeispiel sowie Dietz/Bofinger u.a., Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, Anm. 5 zu § 14 BPflV) regelmäßig davon ausgegangen wird, dass bei operativen Leistungen Hauptleistung die Operation selbst ist.

Auch das Bundessozialgericht geht im Fall einer Cholezystektomie ohne weitere Problematisierung davon aus, dass Hauptleistung die Gallenblasenoperation war, wenn es ausführt: " ... Da die Abrechnung mit einer Fallpauschale nach den in § 14 Abs 5 Satz 1 und 2, Abs 11 Satz 1 BPflV geregelten Fallgestaltungen immer davon abhängt, ob bzw in welchem Krankenhaus die Hauptleistung erbracht wird, ist grundsätzlich deren Zeitpunkt - hier der Zeitpunkt der Gallenblasenoperation - maßgebend ..."

Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem maßgeblichen Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Forderungen sind nach dessen § 15 Abs. 1 Satz 4 mit 2 v.H. über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen. Ab 1. Januar 1999 ist die Vertragsbestimmung aufgrund der geänderten währungsrechtlichen Rechtslage in modifizierter Weise anzuwenden. Seit dem 1. Januar1999 gibt es keinen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank mehr. Der Diskontsatz ist durch § 1 Diskontsatz-Überleitungs-Gesetz (DÜG = Art 1Euro-Einführungsgesetz (EuroEG) vom 9. Juni 1998, vgl. BGBl 1998 I S 1242 und BGBl 2000 I S 901) zum 1. Januar 1999 durch den sog Basiszinssatz ersetzt worden, der von der Deutschen Bundesbank - ebenso wie bis dahin der Diskontsatz - jeweils im Bundesanzeiger veröffentlicht wird (§ 1 Abs. 1 Satz 6 DÜG). Jede Bezugnahme auf den Diskontsatz der Deutschen Bundesbank im Rahmen von Regelungen über Zinsen oder andere Leistungen wird ab 1. Januar 1999 durch eine Bezugnahme auf den Basiszinssatz von Gesetzes wegen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 DÜG) ersetzt. Bezugsgröße für den Basiszinssatz ist nach der Basiszinssatz-Bezugsgrößen-Verordnung vom 10. Februar 1999 (BGBl I 139) der Zinssatz für längerfristige Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (LRG-Satz); vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl. 2000, § 245 RdNr. 9.

Der Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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