L 3 AR 38/05 AL

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AR 38/05 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Ablehnung der Vorsitzenden der 20. Kammer des Sozialgerichtes Dresden, Richterin am SG H ..., wegen Besorgnis der Befangenheit, ist nicht begründet.

Gründe:

I.

Die Klägerin und Antragstellerin (Ast.) führt seit dem 02.05.2002 vor der 20. Kammer des Sozialgerichtes Dresden, deren Vorsitzende Richterin am SG H ... ist, ein Klagever-fahren, in welchem die Rechtmäßigkeit einer Aufhebung der Bewilligung von Lohnkos-tenzuschüssen sowie deren Rückforderung seitens der Beklagten streitig ist.

Nach Durchführung umfangreicher Ermittlungen bestimmte die Vorsitzende der Kammer mit Verfügung vom 03.03.2005 in der Sache die Anberaumung eines Termins zur mündli-chen Verhandlung auf den 12. April 2005 und ordnete dazu das persönliche Erscheinen der Klägerin zu diesem Termin an. Nach Zugang der Terminsladung beantragte der Prozessbevollmächtigte der Ast. mit Schreiben vom 09.03.2005, den vorgesehenen Verhandlungstermin aufzuheben, da er an diesem Tage bereits zu einem vor drei Monaten festgelegten Termin vor dem Amtsgericht Frankfurt/Main geladen sei. Auch an anderen Tagen dieser Woche sei er durch anderweiti-ge Gerichtstermine blockiert. In Anbetracht des Alters des Verfahrens rege er an, einen neuen Termin vorab mit ihm telefonisch abzustimmen.

Mit Schreiben vom 15.03.2005 forderte die Geschäftsstelle des Gerichts daraufhin auf richterliche Anordnung den Prozessbevollmächtigten der Ast. auf, Unterlagen vorzulegen, "aus denen (seine) Verhinderung am 12.04.05 ersichtlich" sei. Gleichzeitig wurde eine vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in einem Schriftsatz vom 29.07.2004 auf ent-sprechende Anforderung des Gerichts angekündigte, in der Folgezeit aber nicht eingereich-te Stellungnahme der Klägerin angemahnt.

Nachdem eine Reaktion auf das Schreiben des Gerichts vom 15.03.2005 bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingegangen war, lehnte die Kammervorsitzende mit Beschluss vom 31.03.2005 die beantragte Terminsverlegung ab, da trotz Aufforderung Verhinderungs-gründe nicht nachgewiesen worden seien.

Mit einen beim SG Dresden am 11.04.2005 um 17.29 Uhr eingegangenen Telefax hat der Prozessbevollmächtigte der Ast. die Vorsitzende der 20. Kammer, Richterin am SG H ..., wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das an ihn gerichtete Verlangen, einen Nachweis für die Ladung zu einem anderen Gerichtstermin am selben Tage vorzule-gen, stelle eine unangebrachte "rein bürokratische Betrachtungsweise" der Richterin dar. Bei einer Mitteilung eines (entsprechenden) Sachverhaltes durch einen Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege habe das Gericht von der Richtigkeit dieser Mitteilung auszuge-hen. Etwas Anderes sei nur bei begründeten Zweifeln an dem Vorbringen des Anwalts angebracht, was hier jedoch "erklärtermaßen nicht der Fall" sei. Die Verfahrensweise des Gerichts setze die Klägerin in eine Situation, ggf. ohne ihren verhinderten Prozessbevoll-mächtigten alleine vor Gericht erscheinen zu müssen. Dies sei der Klägerin nicht nur nicht zuzumuten, wecke vielmehr bei ihr den Verdacht, dass die Richterin gegen sie in der Sa-che voreingenommen sei und nicht nach Recht und Gesetz entscheiden werde. Ein solcher Verdacht zwinge sich geradezu auf, wenn die Richterin "schon in einer Nebenfrage auf die Gepflogenheiten und allgemeinen rechtlichen Vorschriften keine Rücksicht" nehme. In Anbetracht der von der Klägerin nicht negativ beeinflussten Dauer des Rechtsstreits hätte eine Verlegung des Termins den Verfahrensablauf nicht geschadet. Das Verhalten der Richterin sei unverständlich. Der Richterin sei bekannt, dass die Ast. "der deutschen Spra-che nur unzureichend mächtig" sei und sich "allein schon dadurch in eine nachteilige Posi-tion gebracht" fühle, dass sie "gezwungen werden soll(e) alleine ohne ihren Prozessbe-vollmächtigten, der den Streitstoff kenn(e), vor Gericht erscheinen und am Verfahren mit-wirken zu müssen". Daraus ergebe sich die Besorgnis der Ast., dass die Richterin ihr An-liegen nicht unbefangen betrachten und beurteilen wolle. Die "dargelegte Gefühlslage der Klägerin" werde anwaltlich versichert. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte zur Glaubhaftmachung auf den Akteninhalt und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Mit Beschluss der Vorsitzenden vom 12.04.2005 wurde der Verhandlungstermin aufgeho-ben, nachdem die Ast. um 09.30 Uhr desselben Tages in der Geschäftsstelle erschienen und dort die Sachlage u. a. unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich dort eingegange-nen Telefax des Prozessbevollmächtigten vom Vortage erörtert worden war. In ihrer dienstlichen Äußerung zum Befangenheitsgesuch hat sich Richterin am SG H ... für nicht befangen erklärt und im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten ver-wiesen. Ein Abdruck der dienstlichen Äußerung der Richterin wurde dem Prozessbevollmächtigten der Ast. zur Kenntnis und freigestellter Stellungnahme übersandt. Eine weitere Äußerung hierzu ist nicht erfolgt.

II.

Der 3. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG) i. V. m. mit dem richterlichen Geschäftsverteilungsplan A - Rechtspre-chung – (2005) des Sächsischen Landessozialgerichts zur Entscheidung über Ablehnungs-gesuche gegen Richter der Sozialgerichte zuständig. Er entscheidet darüber durch Be-schluss ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§§ 33, 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 42 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung der Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiver Einstellung des für die Bearbeitung und Entscheidung des Verfahrens zuständigen Richters zu zweifeln. Das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters muss jedoch aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich und nachvollziehbar sein.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundlagen geht der Senat zunächst von einem zuläs-sigen Gesuch der Ast. aus. Zwar steht nach allgemeiner Ansicht das Ablehnungsrecht nach den genannten Vorschriften grundsätzlich allein den Verfahrensparteien bzw. –beteiligten und nicht auch deren Prozessbevollmächtigten oder Vertretern zu (vgl. Günther, DÖD 1989, S. 73 (75) m. w. N.). Im vorliegenden Fall erscheint dem Senat nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass einerseits bereits in dem Telefax des Prozessbevollmächtigten vom 11.04.2005 die darin "dargelegte Gefühlslage der Klägerin" im Sinne einer Befürchtung der Befangenheit anwaltlich versichert werden konnte, von der Ast. selbst, welche aus-weislich der Niederschrift über deren persönliche Vorsprache beim SG Dresden am 12.04.2005 von der nicht zutreffenden Informationslage ausgegangen ist, der Verhand-lungstermin sei bereits aufgehoben worden, im Rahmen dieses Gesprächs keine Äußerun-gen im Sinne eines Ablehnungsgesuchs gemacht worden ist. Nach Sachlage ist jedoch da-von auszugehen, dass sich die Ast. spätestens nach Rücksprache und entsprechender Bera-tung mit ihrem Prozessbevollmächtigten dessen Gesuch zu eigen gemacht hat und dieses damit als ihr eigenes zu werten ist.

Dem Ablehnungsgesuch ist in der Sache jedoch nicht stattzugeben, da es nicht begründet ist. Aus den oben wiedergegebenen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Besorgnis der Befangenheit folgt, dass ein vom Standpunkt einer ruhig und besonnen den-kenden Verfahrensbeteiligten – also objektiviert – nachvollziehbarer Grund für das gegen-über dem betroffenen Richter gehegte Misstrauen vorliegen muss. Für die Begründetheit eines Ablehnungsgesuches reicht demgemäß ebenso wenig allein der subjektive Eindruck bzw. die subjektive Wertung der Sachlage durch den Ablehnenden aus, wie andererseits dieser nicht davon abhängt, ob sich der abgelehnte Richter selbst für befangen hält oder auch tatsächlich befangen ist. Ausgehend von diesen Prämissen und unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks der Ablehnungsbestimmungen ist bei der Prüfung von Ablehnungsgesuchen nach überein-stimmender Rechtssprechung zu beachten, dass einzelne Verfahrensverstöße oder prozes-sual fehlerhafte Entscheidungen eines Richters für sich allein genommen und ohne konkre-te Inhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung gegenüber den Verfahrensbeteiligten kei-nen hinreichenden Ablehnungsgrund darstellen (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 05.02.1993 – I B 116/92 -, JURIS Rechtssprechung Nr. STRE 935039860; LSG Nieder-sachsen, Beschluss vom 26.06.2001 – L 3 B 133/01 KA m. w. N., JURIS Rechtssprechung Nr. KSRE 04481 1527; ebenso ständige Rechtssprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 19.06.2001 – L 3 AR 23/01 KN; Beschluss vom 09.01.2004 – L 3 AR 77/03 RA). Dementsprechend hat der Senat bereits entschieden, dass die bloße Verweigerung einer beantragten Terminsverlegung für sich allein und ohne entsprechende weitergehende An-haltspunkte selbst dann keine begründete Besorgnis der Befangenheit i. S. v. § 42 Abs. 2 ZPO zu wecken vermag, wenn sie verfahrensrechtlich zweifelhaft oder fehlerhaft ist (vgl. ebenso OLG Brandenburg, FamRZ 2000 S. 897). Irgendwelche Gesichtspunkte, die im konkreten Verfahren der Ast. davon abweichend die Annahme begründen könnten, die abgelehnte Richterin würde die Sache der Ast. nicht unparteiisch bearbeiten, sind nicht vortragen worden. Der Senat lässt hierbei ausdrücklich dahingestellt, ob aus der von Prozessbevollmächtigten der Ast. zitierten Stellung des Rechtsanwaltes als selbstständiges Organ der Rechtspflege sich zwingend das Postulat ergibt, dass die Gerichte verpflichtet seien, bei Terminsverlegungsanträgen unter Hinweis auf anderweitige Termine ohne jegliche eigene Überprüfung "davon auszugehen, dass das stimmt, was (ihnen) mitgeteilt worden ist". Gegen die Existenz von "allgemeinen rechtli-chen Vorschriften" bzw. von Gepflogenheiten im Sinne der Auffassung des Prozessbe-vollmächtigten der Ast. sprechen ganz allgemein die im Beschluss des Landessozialgerich-tes Niedersachsen vom 26.06.2001 (a.a.O.) wiedergegebenen rechtlichen Erwägungen (im Übrigen vgl. dazu auch Hartmann, in Baumbach et.al., ZPO, 58.Aufl. 2000, § 227 Rdnr.23 m.w.N.). In der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit bestehen nach Kenntnis des Senats sol-che Gepflogenheiten, auf welche die abgelehnte Richterin im Falle der Klägerin keine Rücksicht genommen hätte, nicht. Durch keine konkreten Anhaltspunkte belegt und nicht nachvollziehbar ist auch der Vor-halt, dass Verhalten der Richterin bei der Ablehnung der Terminsverlegung sei unverständ-lich, weil eine Terminsverlegung den Verfahrensablauf in Anbetracht der nicht von der Ast. negativ beeinflussten Dauer des Rechtsstreits nicht geschadet hätte. Ganz abgesehen davon, dass die Verfahrensentwicklung ausweislich der Klageakte auch dadurch beein-flusst wurde, dass Anfragen des Gerichts beim Prozessbevollmächtigten der Ast. seit An-fang August 2004 trotz ausdrücklicher Erinnerung in keiner Weise mehr beantwortet wur-den, lässt dieses Vorbringen außer Acht, dass die Anberaumung und Aufhebung von Sit-zungsterminen nicht nur einen erheblichen organisatorischen und personellen Aufwand beim Gericht selbst bedeuten, sondern dabei darüber hinaus insbesondere auch die Interes-senslage der anderen Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen ist. Dementsprechend bestimmen die maßgeblichen Verfahrensregelungen in § 110 SGG und § 227Abs. 1 ZPO ausdrücklich, dass eine Vertagung eines anberaumten Sitzungstermins nur aus erheblichen Gründen in Betracht kommt. Eine generelle, vorausgehende Abstimmung von Gerichts-terminen mit den jeweiligen Verfahrensbeteiligten ist weder gesetzlich vorgeschrieben, noch generell aus praktischen Gründen durchführbar.

Bei ruhiger und besonnener Betrachtungsweise verständliche und nachvollziehbare weitere Gründe für eine Besorgnis der Befangenheit sind für die Ast. nicht aufgezeigt worden. So-weit hierzu vorgetragen wird, die Vorgehensweise der abgelehnten Richterin sei nicht nur für die Ast. unzumutbar, sondern erwecke darüber hinaus die Besorgnis der Befangenheit, weil die Ast. durch die Ablehnung der Terminsabsetzung dazu gezwungen würde, alleine ohne ihren mit dem Streitstoff vertrauten Prozessbevollmächtigten und ungeachtet ihrer unzureichenden Sprachkenntnisse vor Gericht auftreten müssen, handelt es sich um reine Spekulationen. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Ast. nach Bekanntgabe des Beschlusses über die Ablehnung der Terminsverlegung vom 31.03.2005 (nach Aktenlage vorab per Telefax am 31.03.2005) erst mit einem beim SG am 11.04.2005 um 17.29 Uhr, also nach Schluss der Regelbürozeit, eingegangenen und dem-entsprechend erst am Sitzungstag selbst der Geschäftsstelle der 20. Kammer zugeleiteten Telefax zu dieser Entscheidung geäußert hat. Für die Annahme, die Kammer würde trotz des erst ab diesem Zeitpunkt bekannten definitiven Ausbleibens des Prozessbevollmächtig-ten der Ast. und ungeachtet evtl. unzureichender Sprachkenntnisse den Verhandlungster-min "durchziehen" und nicht stattdessen bei dieser Sachlage diesen -in gewisser Weise gezwungenermaßen - absetzen, ist für die Ast. nichts Konkretes vortragen worden.

Diese Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 193 SGG). Sie ist nicht anfechtbar (§ 177 SG
Rechtskraft
Aus
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