L 9 KR 70/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 KR 1171/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 70/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2000 aufgehoben. Die der Berufung zugrunde liegende Klage sowie die in der Berufungsinstanz erhobene Klage werden abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt, ihr die Kosten für eine Behandlung mit dem außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzten Immunglobulinpräparat Octagam zu erstatten sowie sie auch zukünftig von den Kosten für eine Behandlung mit außerhalb ihrer Zulassung eingesetzten Immunglobulinen freizustellen.

Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Sie leidet seit Ende 1998/Anfang 1999 an einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS), die zunächst mit einer hochdosierten Kortikosteroidtherapie behandelt wurde. Seit März 1999 lässt sie in unregelmäßigen Abständen eine intravenöse Schubprophylaxe mit dem Immunglobulinpräparat Octagam durchführen, das arzneimittelrechtlich für die Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen, zur Prophylaxe und Therapie von Infektionen, die bei diesen Erkrankungen auftreten, bei kongenitaler HIV-Infektion bei Kindern mit rezidivierenden Infekten, zur Behandlung des Kawasaki-Syndroms, bei allogener Knochenmarkstransplantation sowie zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort zugelassen ist. Nicht zugelassen ist das Präparat demgegenüber - ebenso wie die übrigen zum Verkehr zugelassenen Immunglobuline - zur Behandlung von MS.

Für den Einsatz des Immunglobulinpräparates Octagam wandte die Klägerin teilweise eigene finanzielle Mittel auf. Sie beliefen sich für die von ihr im Juli 1999, Januar 2000, März 2000, Mai 2000 und Januar 2003 durchgeführten Behandlungen auf 1.158,14 DM, 1.140,77 DM, 1.140,77 DM, 1.158,14 DM und 716,07 Euro und wurden durch Privatrezepte der Chefärztin der Abteilung Neurologie des J Krankenhauses B Prof. Dr. H veranlasst, die zur vertragsärztlichen Versorgung weder zugelassen noch ermächtigt ist.

Bereits im März 1999 beantragte die Klägerin über Prof. Dr. H die Übernahme der Kosten für die von ihr im selben Monat begonnene Immunglobulintherapie. Zur Begründung gab sie an: Immunglobuline stellten in ihrem Fall das Mittel der Wahl dar. Da sie sich seit geraumer Zeit ein Kind wünsche, komme der Einsatz von Betainterferonpräparaten, die zur Behandlung der - schubförmig verlaufenden - MS zwar zugelassen, bei Kinderwunsch jedoch kontraindiziert seien, nicht in Betracht.

Nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme mit ihren Bescheiden vom 12. April und 28. Juli 1999 mit der Begründung ab: Eine Verordnung der für die Behandlung von MS nicht zugelassenen Immunglobuline zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nicht möglich, weil hinsichtlich ihrer Wirkweise noch zu viele Fragen offen seien. Hinzu komme, dass Betainterferone mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine genotoxischen und mutagenen Eigenschaften besäßen, so dass ihre Anwendung auch bei bestehendem Kinderwunsch nicht ausgeschlossen erscheine.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 23. November 1999 als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus: Die Wirksamkeit der beantragten immunprophylaktischen Therapie mit Immunglobulinen sei nach den vorliegenden Stellungnahmen des MDK nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen. Zudem fehle es hinsichtlich der Behandlung mit Immunglobulinen bei MS an einer allgemein gültigen Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Entgegen der Auffassung der Beklagten habe sich der Einsatz von Immunglobulinen zur Schubprophylaxe bei MS mittlerweile sowohl in der Fachdiskussion als auch in der Praxis durchgesetzt. Dies werde insbesondere durch die von der MS-Therapie Konsensus Gruppe im Jahre 1999 herausgegebenen Rahmenempfehlung zur Immunmodulatorischen Stufentherapie der MS hinreichend belegt. Danach bestünden an der Wirksamkeit der Immunglobulintherapie keine Zweifel. Sie verursache zudem keine ins Gewicht fallenden Nebenwirkungen und sei ferner auch kostengünstiger als eine Behandlung mit Betainterferonen. Zumindest in den Fällen, in denen Betainterferone kontraindiziert seien, sei die Gabe von Immunglobulinen unerlässlich. Dies sei in ihrem Fall wegen des bereits seit Jahren bestehenden Kinderwunsches, den sie trotz ärztlicher Maßnahmen bislang nicht habe realisieren können, anzunehmen. Hinzu komme, dass sie - wie von Prof. Dr. H in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 9. März 2000 bestätigt - an Reizleitungsstörungen des Herzens leide, die dem Einsatz von Betainterferonen ebenfalls entgegenstünden.

In der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 26. Mai 2000 hat die dort nicht vertretene Klägerin erklärt, ihr seien auf der Grundlage von Privatrezepten von Prof. Dr. H bislang Aufwendungen in Höhe von ca. 4.600,-- DM entstanden, hinsichtlich derer sie sich eine Kostenerstattung gegenüber der Beklagten vorbehalte. Im Anschluss hat sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ihr die Behandlung der MS mit einer Immunglobulinmedikation zu gewähren. Diesem Antrag ist das Sozialgericht mit seinem Urteil vom 26. Mai 2000 gefolgt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei der Klägerin sei aus medizinischer Sicht eine Schubprophylaxe erforderlich. Sie könne allein mit Immunglobulinen durchgeführt werden, weil die zur Schubprophylaxe zugelassenen Standardpräparate wegen des nach wie vor bestehenden Kinderwunsches sowie der ärztlich bestätigten Herzerkrankung im Fall der Klägerin nicht zur Verfügung stünden. Der Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung der schubförmig verlaufenden MS sei in der medizinischen Praxis überwiegend anerkannt. Der Nutzen einer solchen Behandlung sei hinreichend gesichert.

Gegen dieses ihr am 13. Juni 2000 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 22. Juni 2000. Gestützt auf eine nochmalige Stellungnahme des MDK trägt sie zur Begründung im Wesentlichen vor: Wie sich aus der im Laufe des Berufungsverfahrens ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. März 2002 (BSGE 89, 184) zum so genannten Off-Label-Use von Fertigarzneimitteln ergebe, die zwar zum Verkehr, nicht jedoch indikationsbezogen zugelassen seien, dürfe ein außerhalb seines Anwendungsgebietes eingesetztes Medikament - abgesehen von weiteren Voraussetzungen - zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur verordnet werden, wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit diesem Medikament ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Insoweit müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das Präparat für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Dies lasse sich hier nicht feststellen.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. April 2003 erklärt hatte, sie begehre die Erstattung der ihr bisher durch den Einsatz des Immunglobulinpräparates Octagam entstandenen Kosten sowie die Übernahme aller zukünftig durch die Behandlung mit Immunglobulinen anfallenden Kosten, beantragt die Beklagte,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2000 aufzuheben und die zugrunde liegende Klage sowie die in der Berufungsinstanz erhobene Klage auf Erstattung der Kosten für die im Juli 1999, Januar 2000, März 2000, Mai 2000 und Januar 2003 durchgeführten Behandlungen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und ihr die Kosten für die im Juli 1999, Januar 2000, März 2000, Mai 2000 und Januar 2003 durchgeführten Behandlungen zu erstatten, hilfsweise ein Sachverständigengutachten, vorzugsweise durch die Chefärztin der Neurologie des J Krankenhauses B, Frau Prof. Dr. H, zum Beweise der Behauptung einzuholen, dass sich die Behandlung mit Immunglobulin bei schubförmig verlaufender Multipler Sklerose in der medizinischen Praxis als Konsens durchgesetzt hat, weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt sie vor: Die geltend gemachten Ansprüche stünden ihr zu. Die vom BSG in seiner Entscheidung vom 19. März 2002 aufgestellten Kriterien seien erfüllt. Insbesondere bestehe aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit den in Rede stehenden Immunglobulinen ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Dies ergebe sich aus zahlreichen Veröffentlichungen, in denen Erkenntnisse publiziert worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit der Präparate bei der Behandlung der schubförmig verlaufenden MS wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Zu nennen seien insoweit vor allem die 1999 herausgegebene und im Dezember 2000 sowie März 2002 ergänzte Rahmenempfehlung der MS-Therapie Konsensus Gruppe, die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten von September 2002, die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur MS von April 2002 sowie die Konsensusempfehlungen zu Diagnostik und Therapie des Arbeitskreises Multiple Sklerose Berlin e.V. von November 2002. Dass Prof. Dr. H den Einsatz der Immunglobuline in der Vergangenheit auf Privatrezepten verordnet habe, schließe den sich auf diese Verordnungen beziehenden Kostenerstattungsanspruch nicht aus. Da nach Auffassung der Beklagten ein Kassenrezept nicht habe ausgestellt werden dürfen, hätten Privatrezepte verwandt werden dürfen. Ferner sei unerheblich, dass Prof. Dr. H keine Vertragsärztin sei. Denn abgesehen davon, dass sie als Ärztin eines Vertragskrankenhauses nicht ganz außerhalb des Kassensystems gehandelt habe, dürften notwendige medizinische Leistungen nicht an der fehlenden Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung scheitern. Für den in die Zukunft gerichteten Kostenfreistellungsanspruch stelle sich das Problem nicht mehr. Denn nunmehr liege eine ärztliche Verordnung einer Vertragsärztin vor. Insoweit verweise sie auf die dem Gericht entsprechend seiner Auflage vom 29. Januar 2003 übersandte „Ärztliche Verordnung über den Einsatz einer Immunglobulintherapie“ der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G vom 24. Februar 2003. In dieser Verordnung halte auch Dr. G eine weitere Anwendung des Medikaments für angezeigt bzw. sehe die vorgeschlagene Immunglobulintherapie als die derzeit einzig mögliche Alternative an.

Ergänzend zu den bereits von der Klägerin zu den Gerichtsakten gereichten Veröffentlichungen (Rahmenempfehlung der MS-Therapie Konsensus Gruppe von 1999, Konsensusempfehlungen zu Diagnostik und Therapie des Arbeitskreises Multiple Sklerose Berlin e.V., Stand 2. November 2002, Aufsatz von Sörensen, Fazekas und Lee in englischer Sprache aus: European Journal of Neurology 2002, S. 557 bis 563) hat der Senat beigezogen die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer (Stand September 2002), S. 181 bis 186, 189 und 190, die Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts zur Therapie der MS mit Immunglobulinen (Stand 31. Januar 2003), die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur MS (Stand April 2002), die I. und II. Ergänzung zur Rahmenempfehlung der MS-Therapie Konsensus Gruppe von Dezember 2000 und März 2002, einen Aufsatz von Prof. Dr. Hohlfeld, Dr. med. Ziemssen zum Wirkstoff Glatiramerazetat aus: Aktiv 2001, S. 5, sowie Diskussionsbeiträge von Prof. Dr. Haas in Forum MS und Schwangerschaft der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft von Oktober 2002.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, die Gerichtsakte S 88 KR 1171/99 ER 00 sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das mit ihr angegriffene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2000 ist unzutreffend.

Mit diesem Urteil hat das Sozialgericht lediglich über den von der Klägerin mit ihrer Klage vorrangig geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten für die zeitlich nach dem Urteil liegenden Behandlungen mit Immunglobulinen entschieden. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2000 abgegebenen Erklärungen. In dieser Verhandlung hat die Klägerin zwar beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ihr die Behandlung der MS mit einer Immunglobulinmedikation zu gewähren, was für sich allein genommen auch die bis zum 26. Mai 2000 angefallenen Kosten erfassen könnte. Eine solche Auslegung scheidet hier jedoch mit Rücksicht darauf aus, dass die Klägerin vor ihrer Antragstellung zu Protokoll erklärt hatte, sie behalte sich hinsichtlich der ihr bereits entstandenen Aufwendungen in Höhe von ca. 4.600,-- DM eine Kostenerstattung gegenüber der Beklagten vor. Diese Erklärung erhellt, dass der im Anschluss formulierte Antrag nur die Kosten für die aus damaliger Sicht zukünftig beabsichtigten Behandlungen erfassen sollte. Diesem Antrag ist das Sozialgericht mit seinem stattgebenden Urteil gefolgt. Da dieses Urteil seinem Inhalt nach keine andere Auslegung gebietet, bezieht es sich folglich nur auf die Kosten nach dem 26. Mai 2000.

Auf die Berufung der Beklagten war dieses Urteil aufzuheben und die ihm zugrunde liegende Klage, die nach den vorstehenden Ausführungen auch die - in den Anträgen der Beteiligten irrtümlich der Zeit vor dem 26. Mai 2000 zugeordneten - Kosten für die Behandlung von Januar 2003 erfasst, war abzuweisen. Abzuweisen war darüber hinaus auch die weitere von der Klägerin in das Berufungsverfahren einbezogene Klage, die den von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausdrücklich ausgenommenen Teil ihrer ursprünglich erhobenen Klage betrifft. Diesen Teil hat die Klägerin vor dem Sozialgericht mit dem Hinweis auf die ihr seinerzeit bereits entstandenen Aufwendungen in Höhe von ca. 4.600,-- DM umschrieben. Wie sie mit ihrem in der Berufungsinstanz gestellten - um den Monat Januar 2003 zu bereinigenden - Antrag bestätigt hat, handelt es sich hierbei um die Aufwendungen für die von ihr im Juli 1999, Januar 2000, März 2000 und Mai 2000 durchgeführten Behandlungen, für die sie ausweislich der von ihr vorgelegten Rechnungen finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt 4.597,82 DM aufbringen musste. Über die hierauf bezogene Klage, die von der Klägerin im Einverständnis mit der Beklagten in das Berufungsverfahren eingeführt worden ist, hatte der Senat mangels sozialgerichtlicher Entscheidung erstinstanzlich zu befinden. Hierbei war - anders als der sprachlich missverständlich gefasste Tenor nahe zu legen scheint - nicht von einer in der Berufungsinstanz neu erhobenen Klage, sondern lediglich von einem so genannten Heraufholen von Prozessresten auszugehen. Denn die in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht abgegebene Erklärung der dort nicht sachkundig vertretenen Klägerin, sie behalte sich hinsichtlich der bislang entstandenen Aufwendungen in Höhe von ca. 4.600,-- DM eine Kostenerstattung gegenüber der Beklagten vor, lässt sich nicht als teilweise Klagerücknahme verstehen. Da eine solche Klagerücknahme angesichts ihrer einschneidenden prozessualen Folgen ausdrücklich hätte erklärt werden müssen, ist in der Erklärung vielmehr der Antrag zu sehen, eine Entscheidung hinsichtlich der bereits angefallenen Kosten zunächst noch zurückzustellen. Da sich die Beklagte mit dem der Prozessökonomie dienenden Heraufholen des beim Sozialgericht zurückgestellten Klagerestes auf Empfehlung des Senats einverstanden erklärt hat, bestehen gegen die gewählte Verfahrensweise keine prozessualen Bedenken.

Beide in der Berufungsinstanz zur Entscheidung gestellten Klagen, die die Klägerin nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1999 ursprünglich gemeinsam verfolgt hat, sind zulässig, aber unbegründet. Denn die Bescheide der Beklagten vom 12. April und 28. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1999 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder einen Anspruch darauf, dass ihr die Beklagte die bereits entstandenen Kosten für eine Behandlung mit dem außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzten Immunglobulinpräparat Octagam erstattet, noch kann sie mit Erfolg verlangen, dass die Beklagte sie auch zukünftig von den Kosten für eine Behandlung mit außerhalb ihrer Zulassung eingesetzten Immunglobulinen freistellt.

Hinsichtlich des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs, der sich in der Berufungsinstanz auf alle bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats entstandenen Kosten erstreckt, mithin die Kosten für die im Juli 1999, Januar 2000, März 2000, Mai 2000 und Januar 2003 durchgeführten Behandlungen erfasst, ist allein denkbare Anspruchsgrundlage § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach sind dem Versicherten die Kosten für notwendige, von ihm selbst beschaffte Leistungen zu erstatten, wenn die Kosten dadurch entstanden sind, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (so genanntes Systemversagen). Demgegenüber kommt für den Kostenübernahmeanspruch, der sich auf alle zeitlich nach der Entscheidung des Senats anfallenden Kosten bezieht, als Anspruchsgrundlage entweder § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V oder ebenfalls § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, was hier dahinstehen kann. Denn unabhängig davon, ob ein Medikament nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V zur Erfüllung des Sachleistungsanspruchs auf die notwendige Versorgung mit Arzneimitteln gewährt werden muss oder hierfür nach § 13 Abs. 3 SGB V eine Kostenerstattung zu leisten ist, weil das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung versagt hat, hängt der in die Zukunft gerichtete Kostenübernahmeanspruch - ebenso wie der im vorliegenden Fall zumindest für die bereits entstandenen Aufwendungen maßgebliche - Kostenerstattungsanspruch jedenfalls davon ab, dass für das in Rede stehende Medikament eine vertragsärztliche Verordnung vorliegt.

Das Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung ergibt sich bezogen auf den Sachleistungsanspruch vor dem Hintergrund, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V keine unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche auf Versorgung schlechthin mit irgendwelchen Arzneimitteln begründet, sondern lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht. Dieses Rahmenrecht wird unter Beachtung des systematischen Zusammenhangs der §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V mit § 15 Abs. 1 SGB V (Arztvorbehalt) und § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V (Verordnung von Arzneimitteln) erst dadurch konkretisiert, dass ein Arzt den Eintritt eines Versicherungsfalls durch Diagnose einer Krankheit feststellt, dem Versicherten ein nach Zweck und Art bestimmtes Medikament als ärztliche Behandlungsmaßnahme „verschreibt“ und damit die Verantwortung für den Einsatz dieses Arzneimittels übernimmt. Dass es sich bei dem die Verordnung ausstellenden Arzt, der insoweit als „Schlüsselfigur“ der Arzneimittelversorgung bezeichnet werden kann, um einen Vertragsarzt handeln muss, ist in § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V dadurch klargestellt, dass alle ärztlichen Verordnungen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung erklärt werden. Nur in deren Rahmen sind die gesetzlichen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten mit entsprechenden Mitteln verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 13 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt für den - im Falle des Systemversagens an die Stelle des an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs tretenden - Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V grundsätzlich nichts anderes. Denn das Recht zur Selbstbeschaffung reicht nur so weit, wie es zur Überwindung der den Anspruch begründenden Lücke in der Versorgung des Versicherten erforderlich ist (vgl. BSG ebenda). Dies bedeutet, dass auch bei einem Versagen des Beschaffungsweges grundsätzlich nicht darauf verzichtet werden kann, dass ein Vertragsarzt ein bestimmtes Arzneimittel verordnet, nachdem er zuvor eine Diagnose gestellt, und - innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung - unter Ausschluss eventueller Kontraindikationen nach geeigneten Therapiemöglichkeiten gesucht hat. Lediglich in begrenzten Ausnahmefällen, nämlich bei Notfällen im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V oder bei einem kompletten Systemversagen, ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes möglich. Anhaltspunkte hierfür liegen indes im Fall der Klägerin nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin, die sich für die Zukunft gerade darauf beruft, dass ihr die Vertragsärztin Dr. G zur Behandlung der MS ein Immunglobulinpräparat verordnet habe, keinen Vertragsarzt hätte finden können, der ihr in eigener Verantwortung die erforderliche ärztliche Verordnung ausgestellt hätte.

An einer von einem Vertragsarzt ausgestellten ärztlichen Verordnung fehlt es hier sowohl für den in die Zukunft gerichteten Kostenübernahmeanspruch als auch für den die Vergangenheit betreffenden Kostenerstattungsanspruch. Für die Zukunft hat die Klägerin zwar, nachdem ihr der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2003 die Vorlage einer ärztlichen Verordnung eines niedergelassenen Vertragsarztes aufgegeben hatte, eine als „Ärztliche Verordnung“ überschriebene Stellungnahme der Vertragsärztin Dr. Gvom 24. Februar 2003 vorgelegt. Diese Stellungnahme erfüllt jedoch nicht die an eine ärztliche Verordnung im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V zu stellenden Anforderungen. Denn unabhängig davon, dass sie nicht zur Vorlage in Apotheken bestimmt, sondern an das Landessozialgericht Berlin adressiert ist, lässt sie nicht erkennen, dass Dr. G die ärztliche Verantwortung für den Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung der bei der Klägerin bestehenden MS übernehmen will. Dies ergibt sich aus den von ihr gewählten Formulierungen, wonach sie eine weitere Anwendung des Medikaments „für angezeigt“ halte und meine, dass die „vorgeschlagene Immunglobulintherapie“ die derzeit einzig mögliche Alternative darstelle. Zudem lässt sich der Stellungnahme selbst nicht entnehmen, um welches Immunglobulinpräparat in welcher Menge es überhaupt geht, so dass die Klägerin unter Vorlage des Schreibens ein solches Präparat in keiner Apotheke erhalten könnte.

Für die Vergangenheit fehlt es demgegenüber an einer von einem Vertragsarzt ausgestellten ärztlichen Verordnung. Denn die von der Klägerin insoweit vorgelegten Privatrezepte, die zur Erfüllung des in § 13 Abs. 3 SGB V geregelten Kostenerstattungsanspruchs grundsätzlich genügen, sind ihr von Prof. Dr. H erteilt worden, die keine Vertragsärztin ist und entgegen der Auffassung der Klägerin als in einem Vertragskrankenhaus tätige Ärztin bezogen auf den ambulanten Leistungsbereich einer Vertragsärztin auch nicht gleichgestellt werden kann.

Davon abgesehen, scheitern der Kostenerstattungs- und der Kostenfreistellungsanspruch aber auch daran, dass ein Fertigarzneimittel, wie das bei der Klägerin eingesetzte Immunglobulinpräparat Octagam bzw. die ihm vergleichbaren sonstigen Immunglobulinpräparate, auch dann, wenn es eine Zulassung besitzt, grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsbereich verordnet werden darf, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (vgl. BSGE 89, 184). Wie das BSG in dieser Entscheidung, der sich der Senat anschließt, ausgeführt hat, wird die Zulassung eines Arzneimittels stets anwendungsbezogen erteilt. Für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete fehlt dem Präparat die Verkehrsfähigkeit, d.h. es darf für andere Indikationen nicht in den Handel gebracht oder verkauft werden. Das Arzneimittelrecht enthält allerdings kein generelles Anwendungsverbot, so dass der Arzt rechtlich nicht gehindert ist, auf eigene Verantwortung ein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel für eine Therapie einzusetzen, für die es nicht zugelassen ist. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei einem solchen „Off-Label-Gebrauch“ aber deshalb nicht, weil für das neue Anwendungsgebiet weder die Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels in dem nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Zulassungsverfahren geprüft worden sind. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen erfordert nach deutschem wie nach europäischem Arzneimittelrecht eine neue, erweiterte Zulassung. Die Zulassungsvorschriften verlören zu einem erheblichen Teil ihre Bedeutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwendungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V erreicht werden könnte. Die Anwendungsbezogenheit der arzneimittelrechtlichen Zulassung bestünde dann im Wesentlichen nur noch auf dem Papier.

Andererseits besteht im medizinischen Alltag offenkundig ein dringendes Bedürfnis nach einem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln, was zeigt, dass das geltende Arzneimittelrecht seiner Aufgabenstellung teilweise nicht gerecht wird. Für den pharmazeutischen Hersteller besteht trotz der Hinweise auf einen therapeutischen Nutzen seines Arzneimittels außerhalb der bisherigen Indikation womöglich kein wirtschaftlicher Anreiz, eine Erweiterung der Zulassung zu beantragen. Es bleibt dann dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament - oftmals ohne ausreichende pharmakologische Kenntnisse - in eigener Verantwortung und mit dem Risiko der Haftung für daraus entstehende Gesundheitsschäden außerhalb der Zulassung anzuwenden. Findet der „Off-Label-Gebrauch“ in der Praxis Verbreitung, erübrigt sich ein Zulassungsantrag des Herstellers.

Die aufgezeigten Defizite des Arzneimittelrechts dürfen nicht dazu führen, dass den Versicherten unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten bleiben. Solange gesetzliche Regelungen fehlen, die eine Zulassung für weitere Anwendungsgebiete erleichtern und gegebenenfalls einen kontrollierten „Off-Label-Gebrauch“ ermöglichen, kann die Leistungspflicht der Krankenkassen für eine Arzneitherapie außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete deshalb nicht von vornherein verneint werden. Sie kommt jedoch aus den dargestellten Gründen nur ausnahmsweise unter engen Voraussetzungen in Betracht.

Nachstehende Bedingungen müssen erfüllt sein:

1. Es handelt sich um eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung, bei der

2. keine andere Therapie verfügbar ist und

3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen ist.

Das Letztere bedeutet: Es müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder

a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder

b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Im Fall der Klägerin sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn es fehlt jedenfalls an der dritten der vorgenannten Voraussetzungen. Aufgrund der Datenlage besteht keine begründete Aussicht, dass mit den in Rede stehenden Immunglobulinpräparaten, insbesondere dem bislang eingesetzten Präparat Octagam, ein Behandlungserfolg zu erzielen ist. Denn es liegen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass die Präparate zur Behandlung der schubförmig verlaufenden MS zugelassen werden können. Die Erweiterung der Zulassung ist nicht beantragt und es liegen auch keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Ferner fehlt es an außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen und veröffentlichten Erkenntnissen, die über Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestünde. Insbesondere ist ein Konsens der die MS behandelnden Ärzte nicht feststellbar. Hierzu müsste sich nämlich auf der Grundlage hinreichender Statistiken über den Nutzen und die Risiken der in Rede stehenden Immunglobulintherapie in der Praxis die nahezu einhellige Meinung herausgebildet haben, dass die Therapie als wirksam und unbedenklich zu betrachten ist. Dies ist hier jedoch nicht zu erkennen, weil sich gerade die in speziellen MS-Therapiegruppen zusammengeschlossenen Ärzte gegenüber dem Einsatz von Immunglobulinen bei der Behandlung der schubförmig verlaufenden MS kritisch geäußert haben.

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich der erforderliche Konsens zunächst nicht aus der Rahmenempfehlung der MS-Therapie Konsensus Gruppe zur Immunmodulatorischen Stufentherapie der MS von 1999 herleiten, die auf der österreichischen Immunglobulin-Studie (AIMS) von Fazekas u.a. von 1997, der israelischen Studie von Achiron u.a. von 1998 sowie der dänischen Studie von Sörensen u.a. von 1998 beruht. In dieser Rahmenempfehlung ist zwar betont worden, dass die Wirksamkeit von Immunglobulinen für die Schubreduktion durch mindestens eine randomisierte kontrollierte klinische Studie mit einer so genannten Klasse-I-Evidenz nachgewiesen sei. Zugleich ist jedoch darauf hingewiesen worden, dass dies nicht für die Postpartalzeit gelte, weil die insoweit festgestellte Schubreduktion dem natürlichen Krankheitsverlauf entsprechen dürfte. Hinsichtlich der Krankheitsprogression ist lediglich eine eingeschränkte Beeinflussung beschrieben, hinsichtlich des remyelinisierenden Effekts ein überwiegendes Datenmaterial sogar verneint worden. Darüber hinaus ist hervorgehoben worden, dass die optimale Dosierung sowie die chargenabhängige Wirksamkeit der Immunglobuline klärungsbedürftige Fragen darstellten. Dies hat letztlich dazu geführt, dass der Einsatz der Immunglobulinpräparate lediglich mit einer so genannten Klasse-III-Evidenz und nur für ausgewählte Indikationen nach Rücksprache mit einem in der MS-Therapie erfahrenen Zentrum empfohlen worden ist. Ferner ist die Überprüfung der Immunglobulingabe in klinischen Studien für notwendig erachtet worden, so dass hier keine Rede davon sein kann, dass sich die Behandlung der - schubförmig verlaufenden - MS mit Immunglobulinen in der Praxis durchgesetzt hätte. Dies ergibt sich auch nicht aus der im Dezember 2000 bzw. März 2002 herausgegebenen I. und II. Ergänzung zu der vorgenannten Rahmenempfehlung von 1999. Denn in diesen Ergänzungen ist ausgeführt worden, dass sich die Studienlage zum Einsatz von Immunglobulinen bei der Behandlung der schubförmig verlaufenden MS nicht verändert habe; die Empfehlungen von 1999 hätten deshalb weiterhin Gültigkeit.

Auch durch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von April 2002 wird ein Konsens im oben beschriebenen Sinne nicht belegt. Danach kommt der Einsatz von Immunglobulinen nämlich nur in Abhängigkeit von der individuellen Situation des Patienten in Frage, wobei die Gabe dieser Präparate zur Schubprophylaxe während der Schwangerschaft und der Stillperiode unter Berufung auf eine Studie von Goodin u.a. von 2002 sogar nur als „möglicherweise effektiv“ eingestuft worden ist.

Die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (Stand September 2002) führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Dort heißt es zwar, dass bei schubförmig verlaufender MS unter langfristiger Immunglobulintherapie eine Verbesserung der Symptomatik und eine Reduktion der Schubrate habe beobachtet werden können. Zugleich wird jedoch darauf hingewiesen, dass eine Bestätigung durch weitere multizentrische Studien noch ausstehe; vor allem sei die Dosierung nicht standardisiert.

Ein Konsens ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus den Konsensusempfehlungen zur

Diagnostik und Therapie des Arbeitskreises Multiple Sklerose Berlin e.V. (Stand 2. November 2002), weil dort darauf hingewiesen worden ist, dass es sich bei der Immunglobulinbehandlung um eine nachrangige Basistherapie handele, die ihrerseits mit bestimmten Risiken behaftet sei.

Schließlich lässt sich ein Konsens auch nicht aus den Auskünften des Paul-Ehrlich-Instituts vom 31. Januar 2003 herleiten. Soweit es dort heißt, dass die derzeitig vorliegenden Studien und Fallberichte zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit der Immunglobulinanwendung bei MS noch nicht ausreichten und noch viele ungelöste Fragen bestünden, können diese Auskünfte vielmehr umgekehrt als Beleg dafür angeführt werden, dass der Nutzen der in Rede stehenden Therapie nach wie vor kontrovers diskutiert wird.

Auf der Grundlage der vorgenannten Erkenntnisquellen steht für den Senat fest, dass ein wissenschaftlicher Konsens im Sinne der Rechtsprechung des BSG bisher nicht besteht, weil von einer nahezu einhelligen Meinung über die Wirksamkeit und die Risikofreiheit des Immunglobulineinsatzes bei schubförmig verlaufender MS (noch) keine Rede sein kann. Einer weiteren Beweiserhebung bedurfte es aus seiner Sicht zu diesem Punkt nicht. Insbesondere war in diesem Zusammenhang dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass sich die Behandlung mit Immunglobulinen bei schubförmig verlaufender MS in der medizinischen Praxis als Konsens durchgesetzt habe, nicht zu folgen. Denn die Klägerin übersieht insoweit, dass es sich bei der Frage, welche Anforderungen an das Konsenserfordernis zu stellen sind, um eine Rechtsfrage handelt. Diese Rechtsfrage ist einer Beweiserhebung nicht zugänglich. Sie ist durch den Senat dahingehend beantwortet worden, dass sich auf der Grundlage hinreichender Statistiken über den Nutzen und die Risiken der in Rede stehenden Therapie in der Praxis die nahezu einhellige Meinung herausgebildet haben muss, dass die Therapie als wirksam und unbedenklich zu betrachten ist. An einer nahezu einhelligen Meinung fehlt es aus seiner Sicht insbesondere dann, wenn sich gerade die in speziellen Therapiegruppen zusammengeschlossenen Ärzte gegenüber der Behandlung kritisch geäußert haben. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist - anders als die Frage, welche Anforderungen an das Konsenserfordernis zu stellen sind - eine Tatsachenfrage. Über sie müsste gegebenenfalls Beweis erhoben werden, was hier jedoch nicht notwendig war. Denn dem Senat liegen die Stellungnahmen der führenden Therapiegruppen vor, die er angesichts der darin enthaltenen allgemein verständlich formulierten Aussagen ohne Inanspruchnahme eines Sachverständigen kraft eigener Sachkunde bewerten konnte.

Davon abgesehen, war eine weitere Beweiserhebung hier aber auch deshalb nicht erforderlich, weil die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Kostenfreistellung bzw. Kostenerstattung unabhängig von den Fragen zum Off-Label-Use bereits daran scheitern, dass die Klägerin weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit über vertragsärztliche Verordnungen verfügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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