Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 146/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 24/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1993 geborene Tochter G. streitig.
Die 1970 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 16.07.1986 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, ist die Mutter des 1993 geborenen Kindes. Sie lebte seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog es und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der AOK Bayern krankenversichert.
Am 03.03.1993 beantragte sie die Gewährung von Bundeserziehungsgeld (BErzg) und erhielt mit Bescheid der Familienkasse beim Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) M. vom 08.03.1993 für die Zeit vom 27.01.1993 (Zahlung ab 27.02.2003 ) bis 26.01.1995 BErzg.
Der am 14.02.2002 beim AVF M. gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg, wurde durch Bescheid vom 11.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, ("Sürül"- Urteil) könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1993 geborene Kind hätte spätestens am 26.07.1995 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne.
Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf wurde geltend gemacht, es sei der Klägerin durch mündlichen Verwaltungsakt das Recht auf Antragstellung vereitelt worden. Es habe keine Antragsmöglichkeit bestanden. Es seien keine Antragsformulare ausgehändigt bzw ausgefüllte Formulare nicht angenommen worden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.07.2002).
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies nach Anhörung der Beteiligten die Klage vom 08.08.2002 durch Gerichtsbescheid vom 08.01.2003 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 - ARB - fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen auf die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor.
Mit der am 03.02.2003 beim Landessozialgericht eingelegten Berufung wendet die Klägerin ein, dass sich das " Sürül"-Urteil des EuGH nur auf das Kindergeld und nicht auf das Erziehungsgeld beziehe. Darüber hinaus ergebe sich auch aus dem Urteil des BSG vom 29.01.2002, Az.: B 10 EG 02/01 R, keine zeitliche Begrenzung für den Anspruch auf LErzg.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 08.01.2003 und des Bescheides des Beklagten vom 11.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2002 zu verpflichten, der Klägerin Landeserziehungsgeld für das 1993 geborene Kind G. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen, auf die verwiesen wird.
Entscheidungsgründe:
Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozi- algerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Be- rufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zu- lässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ab- gewiesen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) in der Fassung vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206), da das Kind vor dem 01.07.1993 geboren ist.
Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG, wer sei- ne Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder des EWR besaß (Nr. 5 ).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren zwölf Lebensmonaten des Kindes ge- währt (Abs.1). Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3) Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzg gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie wohnte seit 16.7.86 mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis in Bayern, lebte im Anspruchszeitraum mit ihrem Kind, für das ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr.5 des Art.1 BayLErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR abhängig gemacht wurde. Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Allg Nr.4) verbietet es Art.3 Abs.1 ARB einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art.4 Abs.1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserziehungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R) für das Bayerische Landeserziehungsgeld angeschlossen.
Der Klägerin steht aber das beanspruchte Landeserziehungsgeld dennoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskri- minierungsverbot nach Art.3 Abs.1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschrän- kung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim Landeserziehungsgeld, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB gestützt werden. Die Argumentation der Klägerin, die Sürül-Entscheidung betreffe nur das Kindergeld, trägt deswegen nicht.
Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemein- schaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glau- ben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend in Frage zu stel- len (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Aus- wirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittel- bare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wie- der in Frage gestellt werden sollten. Überdies war zu berück- sichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleis- tung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der fi- nanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.
Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vor- gesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt ge- richtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Auch die Entscheidung des BSG vom 29.01.02 hilft der Klägerin nicht weiter. Zwar hat sich das BSG im diesem Urteil nicht zur Frage der Rückwirkung geäußert; da aber im zu entscheidenden Fall am 04.05.99 das Verfahren noch offen gewesen war, stellte sich diese Problematik nicht. Es lag der vom EuGH angenommene Ausnahmefall vor.
Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfer- tigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH an- gesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Gel- tendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs.3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht ge- stellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterver- folgt worden sind.
Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05.1999 einen auf Landeserziehungsgeld gerichteten Rechtsbe- helf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art.3 Abs.2 Bayerisches LErzGG in der Fassung vom 12.06.1989 rückwirkend höchstens für zwei Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist (Art.9a Abs.1 Buchst.a Landeserziehungsgeldgesetz 1995 i.V.m. Art.3 Abs.2 LErzGG vom 12.06.1989).
Die Klägerin hat erst im Februar 2002 einen Antrag auf LErzG für ihre Kinder gestellt und demnach die beiden genannten Fristen nicht eingehalten.
Es hilft ihr auch die Regelung des § 27 SGB X nicht weiter. Nach dessen Abs.1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wieder- einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine derartige Wiedereinsetzung ist zwar nicht nach § 27 Abs.5 SGB X unzuläs- sig, da sich aus Art.3 Abs.2 BayLErzGG nämlich nicht ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs.3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im Februar 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob ihr die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Er- eignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffe- nen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Aus den Akten ist kein objektiver Hinweis ersichtlich, dass die Klägerin persönlich aus konkretem Anlass von dem Beklagten falsch beraten worden wäre. Aber selbst wenn die Klägerin wegen der vom Beklagten bei Vorsprachen und insbesondere in den von ihm verteilten Merkblättern vertretenen Rechtsansicht von der Antragstellung abgehalten worden wäre, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des LErzg hatte, könnte sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.
Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Ge- walt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB begründen würden, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.
Auch aufgund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Kläge- rin kein LErzg für ihre Tochter G. zu. Nach den Urteilen des BSG vom 02.02.2006 (u.a. Az.: B 10 EG 9/05) kann zwar das Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs neben der in § 27 SGB X geregelten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Tragen kommen, es sind aber die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs hier nicht erfüllt. Dessen Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.
Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entschei- dung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsan- trag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Ebenso wenig ist die Verletzung einer Pflicht des Beklagten anzunehmen, die Klägerin auf einen sich abzeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es auf- grund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. Vor 04.05.1999 kann eine solche Hinweispflicht sicher nicht bejaht werden. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begrün- det, dass die Klägerin mit ihrem Begehen nicht durchdringen konnte.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1993 geborene Tochter G. streitig.
Die 1970 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 16.07.1986 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, ist die Mutter des 1993 geborenen Kindes. Sie lebte seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog es und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der AOK Bayern krankenversichert.
Am 03.03.1993 beantragte sie die Gewährung von Bundeserziehungsgeld (BErzg) und erhielt mit Bescheid der Familienkasse beim Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) M. vom 08.03.1993 für die Zeit vom 27.01.1993 (Zahlung ab 27.02.2003 ) bis 26.01.1995 BErzg.
Der am 14.02.2002 beim AVF M. gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg, wurde durch Bescheid vom 11.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, ("Sürül"- Urteil) könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1993 geborene Kind hätte spätestens am 26.07.1995 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne.
Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf wurde geltend gemacht, es sei der Klägerin durch mündlichen Verwaltungsakt das Recht auf Antragstellung vereitelt worden. Es habe keine Antragsmöglichkeit bestanden. Es seien keine Antragsformulare ausgehändigt bzw ausgefüllte Formulare nicht angenommen worden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.07.2002).
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies nach Anhörung der Beteiligten die Klage vom 08.08.2002 durch Gerichtsbescheid vom 08.01.2003 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 - ARB - fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen auf die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor.
Mit der am 03.02.2003 beim Landessozialgericht eingelegten Berufung wendet die Klägerin ein, dass sich das " Sürül"-Urteil des EuGH nur auf das Kindergeld und nicht auf das Erziehungsgeld beziehe. Darüber hinaus ergebe sich auch aus dem Urteil des BSG vom 29.01.2002, Az.: B 10 EG 02/01 R, keine zeitliche Begrenzung für den Anspruch auf LErzg.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 08.01.2003 und des Bescheides des Beklagten vom 11.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2002 zu verpflichten, der Klägerin Landeserziehungsgeld für das 1993 geborene Kind G. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen, auf die verwiesen wird.
Entscheidungsgründe:
Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozi- algerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Be- rufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zu- lässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ab- gewiesen.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) in der Fassung vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206), da das Kind vor dem 01.07.1993 geboren ist.
Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG, wer sei- ne Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder des EWR besaß (Nr. 5 ).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren zwölf Lebensmonaten des Kindes ge- währt (Abs.1). Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3) Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzg gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie wohnte seit 16.7.86 mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis in Bayern, lebte im Anspruchszeitraum mit ihrem Kind, für das ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr.5 des Art.1 BayLErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR abhängig gemacht wurde. Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Allg Nr.4) verbietet es Art.3 Abs.1 ARB einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art.4 Abs.1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserziehungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R) für das Bayerische Landeserziehungsgeld angeschlossen.
Der Klägerin steht aber das beanspruchte Landeserziehungsgeld dennoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskri- minierungsverbot nach Art.3 Abs.1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschrän- kung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim Landeserziehungsgeld, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB gestützt werden. Die Argumentation der Klägerin, die Sürül-Entscheidung betreffe nur das Kindergeld, trägt deswegen nicht.
Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemein- schaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glau- ben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend in Frage zu stel- len (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Aus- wirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittel- bare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wie- der in Frage gestellt werden sollten. Überdies war zu berück- sichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleis- tung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der fi- nanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.
Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vor- gesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt ge- richtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Auch die Entscheidung des BSG vom 29.01.02 hilft der Klägerin nicht weiter. Zwar hat sich das BSG im diesem Urteil nicht zur Frage der Rückwirkung geäußert; da aber im zu entscheidenden Fall am 04.05.99 das Verfahren noch offen gewesen war, stellte sich diese Problematik nicht. Es lag der vom EuGH angenommene Ausnahmefall vor.
Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfer- tigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH an- gesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Gel- tendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs.3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht ge- stellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterver- folgt worden sind.
Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05.1999 einen auf Landeserziehungsgeld gerichteten Rechtsbe- helf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art.3 Abs.2 Bayerisches LErzGG in der Fassung vom 12.06.1989 rückwirkend höchstens für zwei Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist (Art.9a Abs.1 Buchst.a Landeserziehungsgeldgesetz 1995 i.V.m. Art.3 Abs.2 LErzGG vom 12.06.1989).
Die Klägerin hat erst im Februar 2002 einen Antrag auf LErzG für ihre Kinder gestellt und demnach die beiden genannten Fristen nicht eingehalten.
Es hilft ihr auch die Regelung des § 27 SGB X nicht weiter. Nach dessen Abs.1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wieder- einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine derartige Wiedereinsetzung ist zwar nicht nach § 27 Abs.5 SGB X unzuläs- sig, da sich aus Art.3 Abs.2 BayLErzGG nämlich nicht ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs.3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im Februar 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob ihr die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Er- eignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffe- nen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Aus den Akten ist kein objektiver Hinweis ersichtlich, dass die Klägerin persönlich aus konkretem Anlass von dem Beklagten falsch beraten worden wäre. Aber selbst wenn die Klägerin wegen der vom Beklagten bei Vorsprachen und insbesondere in den von ihm verteilten Merkblättern vertretenen Rechtsansicht von der Antragstellung abgehalten worden wäre, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des LErzg hatte, könnte sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.
Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Ge- walt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB begründen würden, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.
Auch aufgund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Kläge- rin kein LErzg für ihre Tochter G. zu. Nach den Urteilen des BSG vom 02.02.2006 (u.a. Az.: B 10 EG 9/05) kann zwar das Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs neben der in § 27 SGB X geregelten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Tragen kommen, es sind aber die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs hier nicht erfüllt. Dessen Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.
Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entschei- dung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsan- trag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Ebenso wenig ist die Verletzung einer Pflicht des Beklagten anzunehmen, die Klägerin auf einen sich abzeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es auf- grund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. Vor 04.05.1999 kann eine solche Hinweispflicht sicher nicht bejaht werden. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begrün- det, dass die Klägerin mit ihrem Begehen nicht durchdringen konnte.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
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