Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 381/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 228/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2003 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1995 und 1990 geborenen Kinder V. und Z. streitig.
Die 1968 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche sich seit 1989 in M. berechtigt aufhält, lebte in den ersten Lebensjahren mit ihren Kindern und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog die Kinder und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Der am 07.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg für das Kind Z. wurde durch Bescheid vom 15.07.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1990 geborene Kind hätte spätestens am 22.09.1992 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Die Leistung scheitere daran, dass der Leistungszeitraum vor dem 04.05.1999 ende. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte erneut mit dem Argument zurück, dass das Ende des möglichen Leistungszeitraumes vor dem 04.05.1999 liege.
Mit identischer Begründung wurde der Antrag der Klägerin vom 07.02.2002 betreffend ihr Kind V. mit Bescheid vom 28.06.2002 abgelehnt.
Die gegen die ablehnenden Bescheide erhobenen Widersprüche, mit denen vorgetragen wurde, das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 enthalte keine zeitliche Begrenzung, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 23.08.2002).
Mit den beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klagen vom 23.09.2002 verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf LErzg für ihre beiden Kinder weiter. Nach Anhörung der Klägerin zur vorgesehenen Entscheidung wies das SG die Klagen mit den Gerichtsbescheiden vom 19.05.2003 ab. Ein Anspruch auf LErzg bestehe seitens der Klägerin nicht. Zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates (ARB) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzung sei bei der Klägerin aber nicht erfüllt.
Mit den am 17.12.2003 eingelegten Berufungen, die nicht näher begründet wurden, vertritt die Klägerin die Ansicht, die Entscheidungen des SG München seien nicht haltbar. Die Verfahren L 9 EG 228/03 und L 9 EG 229/03 wurden mit Beschluss vom 19.01.2006 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Az.: L 9 EG 228/03 verbunden.
Die Beteiligten haben sich im Rahmen eines am 19.01.2006 durchführten Erörterungstermins mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt und auf Ladung verzichtet. Die mündliche Verhandlung wurde öffentlich durchgeführt.
Die Klägerin beantragt, die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 19.05.2003 sowie die Bescheide vom 28.06.2002 und 15.07.2002 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.08.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für das 1990 geborene Kind Z. und das 1995 geborene Kind V. LErzg zu gewähren.
Der Beklagte stellt den Antrag, die Berufungen zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München sowie die Akten des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozi- algerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthaften, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten, und insgesamt zulässigen Berufungen der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweisen sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zu- lässig erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen abgewiesen.
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin alleine ergehen, da die Beteiligten darin eingewilligt hatten (§ 155 Abs.3, Abs.4 SGG).
Rechtsgrundlage für die Gewährung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206). Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 an geltenden Fassung (GVBl.1995 S.818, 820), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besaß (Nr.5).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes ge- währt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Be- ginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Be- trag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzg ge- kürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz zumindest seit 1989 in Bayern, lebte im jeweiligen Anspruchszeitraum mit ihren beiden Kindern, für die ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute die Kinder selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr.5 des Art.1 LErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften abhängig gemacht wurde.
Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäi- sches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Alg Nr.4) verbietet es Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr.3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türki- schen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art.4 Abs.1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bun- dessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserzie- hungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R) für das BayLErzg angeschlossen.
Der Klägerin steht aber das beanspruchte LErzg dennnoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskriminierungsverbot nach Art.3 Abs.1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschränkung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim LErzg, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB gestützt werden. Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemeinschaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend infrage zu stellen (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wieder infrage gestellt werden sollten. Überdies war zu berücksichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleistung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der finanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.
Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf LErzg für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vorgesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH angesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Geltendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs.3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht gestellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterverfolgt worden sind.
Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05.1999 einen auf LErzg gerichteten Rechtsbehelf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art.3 Abs.2 BayLErzGG in der Fassung 12.06.1989 rückwirkend höchstens für zwei Monate bei dem am 23.09.90 bzw. sechs Monate bei dem am 25.09.95 geborenem Kind vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist (Art.9a Abs.1 Buchst.a LErzGG 1995 i.V.m. Art.3 Abs.2 LErzGG vom 12.06.1989).
Die Klägerin hat erst im Februar 2002 einen Antrag auf LErzg für ihre Kinder gestellt und demnach die beiden genannten Fristen nicht eingehalten.
Es hilft ihr auch die Regelung des § 27 SGB X nicht weiter. Nach dessen Abs.1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wieder- einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine derartige Wiedereinsetzung ist zwar nicht nach § 27 Abs.5 SGB X unzuläs- sig, da sich aus Art.3 Abs.2 BayLErzGG nämlich nicht ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs.3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im Februar 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob ihr die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Er- eignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffe- nen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Aus den Akten ist kein Hinweis ersichtlich, dass die Klägerin von dem Beklagten falsch beraten worden wäre; dies wird auch von ihr nicht behauptet. Aber selbst wenn die Klägerin wegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsansicht von der Antragstellung abgehalten worden wäre, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des LErzg hatte, könnte sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.
Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Ge- walt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB begründen würden, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.
Auch aufgund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichfen Herstellungsanspruchs steht der Kläge- rin kein LErzg für ihre Söhne zu. Es kann offen bleiben, inwieweit dieser Anspruch, der gegenüber gesetzlichen Regelungen grundsätzlich subsidiär ist, bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden neben der in § 27 SGB X geregelten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingreifen kann. Jedenfalls sind die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs hier nicht erfüllt. Dessen Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.
Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entschei- dung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsan- trag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Ebenso wenig ist die Verletzung einer Pflicht des Beklagte anzunehmen, die Klägerin auf einen sich abzeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es auf- grund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. Vor 04.05.1999 kann eine solche Hinweispflicht sicher nicht bejaht werden. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begrün- det, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen konnte.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1995 und 1990 geborenen Kinder V. und Z. streitig.
Die 1968 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche sich seit 1989 in M. berechtigt aufhält, lebte in den ersten Lebensjahren mit ihren Kindern und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog die Kinder und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Der am 07.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg für das Kind Z. wurde durch Bescheid vom 15.07.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1990 geborene Kind hätte spätestens am 22.09.1992 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Die Leistung scheitere daran, dass der Leistungszeitraum vor dem 04.05.1999 ende. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte erneut mit dem Argument zurück, dass das Ende des möglichen Leistungszeitraumes vor dem 04.05.1999 liege.
Mit identischer Begründung wurde der Antrag der Klägerin vom 07.02.2002 betreffend ihr Kind V. mit Bescheid vom 28.06.2002 abgelehnt.
Die gegen die ablehnenden Bescheide erhobenen Widersprüche, mit denen vorgetragen wurde, das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 enthalte keine zeitliche Begrenzung, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 23.08.2002).
Mit den beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klagen vom 23.09.2002 verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf LErzg für ihre beiden Kinder weiter. Nach Anhörung der Klägerin zur vorgesehenen Entscheidung wies das SG die Klagen mit den Gerichtsbescheiden vom 19.05.2003 ab. Ein Anspruch auf LErzg bestehe seitens der Klägerin nicht. Zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates (ARB) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzung sei bei der Klägerin aber nicht erfüllt.
Mit den am 17.12.2003 eingelegten Berufungen, die nicht näher begründet wurden, vertritt die Klägerin die Ansicht, die Entscheidungen des SG München seien nicht haltbar. Die Verfahren L 9 EG 228/03 und L 9 EG 229/03 wurden mit Beschluss vom 19.01.2006 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Az.: L 9 EG 228/03 verbunden.
Die Beteiligten haben sich im Rahmen eines am 19.01.2006 durchführten Erörterungstermins mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt und auf Ladung verzichtet. Die mündliche Verhandlung wurde öffentlich durchgeführt.
Die Klägerin beantragt, die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 19.05.2003 sowie die Bescheide vom 28.06.2002 und 15.07.2002 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.08.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für das 1990 geborene Kind Z. und das 1995 geborene Kind V. LErzg zu gewähren.
Der Beklagte stellt den Antrag, die Berufungen zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München sowie die Akten des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozi- algerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthaften, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten, und insgesamt zulässigen Berufungen der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweisen sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zu- lässig erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen abgewiesen.
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin alleine ergehen, da die Beteiligten darin eingewilligt hatten (§ 155 Abs.3, Abs.4 SGG).
Rechtsgrundlage für die Gewährung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S.206). Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 an geltenden Fassung (GVBl.1995 S.818, 820), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besaß (Nr.5).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes ge- währt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen war. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Be- ginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Be- trag von fünf Sechstel des Betrages des maßgeblichen BErzg ge- kürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz zumindest seit 1989 in Bayern, lebte im jeweiligen Anspruchszeitraum mit ihren beiden Kindern, für die ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute die Kinder selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.
Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr.5 des Art.1 LErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften abhängig gemacht wurde.
Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäi- sches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Alg Nr.4) verbietet es Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr.3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türki- schen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art.4 Abs.1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bun- dessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserzie- hungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R) für das BayLErzg angeschlossen.
Der Klägerin steht aber das beanspruchte LErzg dennnoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskriminierungsverbot nach Art.3 Abs.1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschränkung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim LErzg, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB gestützt werden. Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemeinschaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend infrage zu stellen (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art.3 Abs.1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wieder infrage gestellt werden sollten. Überdies war zu berücksichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleistung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der finanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.
Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf LErzg für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vorgesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH angesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Geltendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs.3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht gestellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterverfolgt worden sind.
Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05.1999 einen auf LErzg gerichteten Rechtsbehelf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art.3 Abs.2 BayLErzGG in der Fassung 12.06.1989 rückwirkend höchstens für zwei Monate bei dem am 23.09.90 bzw. sechs Monate bei dem am 25.09.95 geborenem Kind vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist (Art.9a Abs.1 Buchst.a LErzGG 1995 i.V.m. Art.3 Abs.2 LErzGG vom 12.06.1989).
Die Klägerin hat erst im Februar 2002 einen Antrag auf LErzg für ihre Kinder gestellt und demnach die beiden genannten Fristen nicht eingehalten.
Es hilft ihr auch die Regelung des § 27 SGB X nicht weiter. Nach dessen Abs.1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wieder- einsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine derartige Wiedereinsetzung ist zwar nicht nach § 27 Abs.5 SGB X unzuläs- sig, da sich aus Art.3 Abs.2 BayLErzGG nämlich nicht ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs.3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im Februar 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob ihr die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Er- eignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffe- nen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Aus den Akten ist kein Hinweis ersichtlich, dass die Klägerin von dem Beklagten falsch beraten worden wäre; dies wird auch von ihr nicht behauptet. Aber selbst wenn die Klägerin wegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsansicht von der Antragstellung abgehalten worden wäre, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des LErzg hatte, könnte sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.
Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Ge- walt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art.3 Abs.1 ARB begründen würden, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.
Auch aufgund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichfen Herstellungsanspruchs steht der Kläge- rin kein LErzg für ihre Söhne zu. Es kann offen bleiben, inwieweit dieser Anspruch, der gegenüber gesetzlichen Regelungen grundsätzlich subsidiär ist, bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden neben der in § 27 SGB X geregelten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingreifen kann. Jedenfalls sind die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs hier nicht erfüllt. Dessen Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.
Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entschei- dung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsan- trag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Ebenso wenig ist die Verletzung einer Pflicht des Beklagte anzunehmen, die Klägerin auf einen sich abzeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es auf- grund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. Vor 04.05.1999 kann eine solche Hinweispflicht sicher nicht bejaht werden. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begrün- det, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen konnte.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
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