Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 242/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 KN 26/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1940 geborene und am 25.10.1998 aus der ehemaligen UdSSR/GUS in das Bundesgebiet übergesiedelte Kläger verlangt neben seiner Rente aus eigener Versicherung die ungekürzte Auszahlung einer Witwerrente nach seiner bereits am 27.08.1994 verstorben Ehefrau N. W ...
Der Kläger ist nach seiner Einreise als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt worden und erhielt von der Beklagten mit Bescheid vom 28.12.1999 ab 25.10.1998 große Witwerrente. Der Berechnung wurden - begrenzt nach § 22b FRG - 10,7809 Entgeltpunkte (EP) aus 13,3153 EP einer Anwartschaft nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu Grunde gelegt.
Seit dem 01.04.2003 bezog der Kläger von der Landesversicherungsanstalt Ober- und Mittelfranken eine Rente aus eigener Versicherung, in der insgesamt 25 Entgeltpunkte (EP) der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten berücksichtigt werden. Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 06.08.2003 ihren Bescheid vom 28.12.1999 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 01.04.2003 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X zurück, da sich kein Zahlbetrag mehr ergebe. Gleichzeitig machte sie für die Zeit vom 01.04.2003 bis 30.09.2003 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.168,82 Euro geltend. Zur Begründung war ausgeführt, dass die EP bei einer anspruchsberechtigten Person auf insgesamt 25 zu begrenzen seien und der Kläger bereits ab 01.04.2003 eine eigene Rente mit 25 EP beziehe. Dieser Bescheid wurde vom Kläger nicht angefochten.
Am 12.08.2004 stellte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.08.2001, Az.: B 4 RA 118/00 R, einen Antrag auf Neufeststellung seiner Hinterbliebenenrente, den die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.2004 ablehnte. Das BSG habe zwar entschieden, dass sich eine Begrenzung von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente auf zusammen 25 EP aus FRG - Zeiten weder unmittelbar aus der Vorschrift ergebe noch eine analoge Anwendung in Betracht komme. Dieser Entscheidung werde jedoch über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber Hinterbliebene anders behandeln wollte als andere Alleinstehende. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2004 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) und bestritt die Zulässigkeit der Begrenzung auf 25 EP und die Rechtmäßigkeit der Rückwirkung durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz.
Durch Urteil vom 18.05.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ab 01.04.2003 habe der Kläger nur einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zusammen mit der Rente aus eigener Versicherung, begrenzt auf insgesamt 25 Entgeltpunkte. Daher sei der Antrag im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X unbegründet. Aus § 44 Abs. 1 SGB X folge der Anspruch, rechtlich so gestellt zu werden, als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden. Der neue Bescheid habe die Sach- und Rechtslage bei Erlass des früheren Verwaltungsaktes aus heutiger Sicht zu berücksichtigen. Die Rücknahme richte sich nach der Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Bescheids in der Interpretation des BSG, auch wenn diese erst später erfolge ("geläuterte Rechtsauffassung"). Die maßgebliche Rechtslage in diesem Sinn ergebe sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gültigen und gem. § 300 Abs. 1 SGB VI zu beachtenden Rechtszustand, hier § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitgesetz - RVNG) vom 21.07.2004 mit seiner rückwirkenden Geltung zum 07.05.1996 (vgl. Art. 9 Nr. 2 RVNG). § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG in der ebenfalls rückwirkend zum 07.05.1996 in Kraft gesetzten Fassung des Art. 3 Nr. 5, Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG) vom 28.09.1996, geändert durch das Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997 (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F.) habe damit seine Gültigkeit verloren und sei von Anfang an durch § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. ersetzt worden.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 04.08.1998 habe damit § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG in der Fassung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes zu gelten. Dies bewirke, dass ein Verwaltungsakt als von Anfang an als rechtmäßig anzusehen sei mit der Folge, dass der Überprüfungsanspruch gem. § 44 Abs. 1 SGB X unbegründet sei. Damit werde eine Besserstellung desjenigen vermieden, der zunächst einen Verwaltungsakt bindend werden lasse und über § 44 SGB X eine Begünstigung vor einer rückwirkenden Änderung erreiche, gegenüber demjenigen, der den ursprünglichen Verwaltungsakt sofort anfechte und das Verfahren so lange offen halte, bis eine rückwirkende Änderung erfolgte. (Anmerkung des Verfassers: diese Sichtweise ist später vom BSG nicht geteilt worden; es hielt die ursprüngliche Rechtsanwendung für unzutreffend und sah lediglich das zweite Tatbestandsmerkmal in § 44 Abs. 1 SGB X nicht als gegeben an).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. und dessen rückwirkendes Inkrafttreten bestünden nicht. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht komme daher nicht in Betracht. Nach Ansicht des SG werde durch die rückwirkende Inkraftsetzung von § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. die bisher be-stehende Rechtslage nicht geändert.
Die Rückwirkung, die der Gesetzgeber der Neufassung des § 22b Abs. 1 FRG beigemessen habe, widerspreche nicht der Verfassung. Selbst das Rechtsstaatsprinzip erlaube in bestimmten Fallgruppen eine echte Rückwirkung. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn das bisherige Recht unklar und verworren gewesen sei und sich deswegen und auch sonst kein Vertrauensschutz gebildet habe. Der Kläger habe bis zum Urteil des BSG vom 30.08.2001 (Az.: B4 RA 118/00 R) schon kein Vertrauen in eine andere Rechtslage entwickeln können, weil er den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2003 als rechtmäßig akzeptiert habe. Nach besagter Entscheidung des BSG sei dessen Rechtsansicht massiv bestritten worden und es seien auch zahlreiche Landessozialgerichte davon abgewichen. Schließlich seien aus besagter Entscheidung unterschiedliche Rechtsfolgen hinsichtlich der Anzahl der zu ermittelnden Entgeltpunkte gezogen worden, was wiederum eine verworrene Rechtslage belege.
Demgemäß habe die Beklagte zu Recht in Anwendung von § 48 SGB X die bisherige Witwerrente entzogen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, und damit begründet, dass die Rechtslage allein durch die Entscheidungen des 8. Senats vom 21.06.2005 noch nicht endgültig geklärt sei.
Der Kläger stellt den Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 18.05.2005 sowie des Bescheides vom 02.09.2004 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.10.2004 zu verpflichten, den Bescheid vom 06.08.2003 aufzuheben und ihm ungekürzte Hinterbliebenenrente zu zahlen.
Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass ihr ablehnender Bescheid zumindest im Nachhinein durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz eine der Verfassung entsprechende Rechtsgrundlage erhalten habe. Die Rückwirkung sei zulässig gewesen, weil durch die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine unklare und verworrene Rechtslage ge-schaffen worden sei, auf die der Kläger nicht habe vertrauen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.
In der angefochtenen Entscheidung hat das SG zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt vom 02.09.2004 in der Gestalt, den er durch den Widerspruchsbescheid vom 07.10.2004 gefunden hat (§ 95 SGG) abgewiesen, weil dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente zusteht. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihren Neufeststellungsbescheid vom 06.08.2003 aufzuheben und dem Kläger ab 01.04.2003 eine monatliche Rente aus dem zuerkannten Recht auf Witwerrente weiter zu zahlen.
Der zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgte Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Zugunstenbescheids richtet sich nach § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzun-gen sind hier jedoch nicht erfüllt. Verfassungsmäßige Rechte der Klägerin werden dadurch nicht verletzt.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsakts anwendbaren Recht. Dieses ergab sich zum Zeitpunkt des Neufeststellungsbescheides vom 06.12.2003 hinsichtlich der Obergrenze der EP für FRG-Zeiten noch aus § 22b Abs. 1 FRG a.F., eingefügt durch Art. 3 Nr. 5 Abs. 3 WFG und rückwirkend ergänzt um Satz 3 durch Art. 12 Nr. 2 RRG 1999.
§ 22b Abs. 1 FRG a.F. gilt - entgegen der Auffassung des SG im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG - nicht für den Fall des Zusammentreffens einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente, wenn für beide Renten FRG-Zeiten berücksichtigt sind, wie sich aus den Urteilen des BSG vom 05.10.2005 (Az.: B 5 RJ 57/03 R), 21.06.2005 (Az.: B 8 KN 1/05 R), 07.07.2004 (Az.: B 8 KN 10/03 R), 11.03.2004 (Az.: B 13 RJ 44/03 R, Az.: B 13 RJ 52/03 R und Az.: B 13 RJ 56/03 R) und vom 30.08.2001 (Az.: B 4 RA 118/00 R) sowie des Bayer. Landessozialgerichts vom 19.02.2003 (Az.: L 13 RA 177/02) ergibt. Das BSG hat insoweit seine Rechtsprechung auch in den Urteilen vom 05.10.2005 und 21.06.2005 (s.o.) nicht geändert. Dennoch begründet die unrichtige Rechtsanwendung durch die Beklagte keinen Rücknahmeanspruch.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt als weiteres Tatbestandsmerkmal, dass wegen der unrichtigen Rechtsanwendung Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Diese Frage beantwortet sich nach der materiellen Rechtslage, wie sie sich für den ab 01.04.2003 streitigen Rentenanspruch des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung ergibt (vgl. BSG vom 21.06.2005 m.w.N.).
Für alle Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gilt, dass bis zur letzten mündlichen Verhandlung Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des anhängigen Rechtsstreits eintreten, zu beachten sind, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst. Das ist der Fall, weil § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG i.d.F. des WFG (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F.) durch Art. 9 Nr. 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz rückwirkend zum 07.05.1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F.) ersetzt worden ist. Dabei wird bestimmt, dass für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt werden. Dem steht auch § 300 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen (vgl. Urteil des BSG vom 21.06.2005, Ent-scheidungsgründe Abschnitt 2c). Denn im Verhältnis von § 300 Abs. 1 zu Abs. 2 SGB VI bezeichnet der Begriff "Aufhebung" in § 300 Abs. 2 SGB VI nicht den tatsächlichen Akt der Aufhebung im Sinne der Verkündung des Änderungsgesetzes, sondern den Zeitpunkt für das Außerkrafttreten des alten Rechts, wie er durch Gesetz ausdrücklich oder durch den Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem altes Recht ersetzende neue Vorschriften i.S. von Art. 82 Abs. 2 GG in Kraft treten - wie hier § 22b FRG n.F. ab 1996.
Die Rückwirkung, die der Gesetzgeber der geänderten Fassung des § 22 Abs. 1 FRG beigemessen hat, ist hier auch als echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen verfassungsrechtlich zulässig. In mehreren Fallgruppen kann trotz des Rechtsstaatsgebots des GG ausnahmsweise eine echte Rückwirkung er-folgen. Allen Fallgruppen gemeinsam ist, dass allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten eine Rückwirkung rechtfertigen. Das ist im vorliegenden Fall gegeben, weil das geltende Recht unklar und verworren war, so dass eine baldige Klärung erwartet werden musste (zuletzt BVerfGE 72, 200, 259). Der Senat schließt sich damit der Rechtsprechung des für die knappschaftliche Rentenversicherung ausschließlich zuständigen 8. Senats des BSG an, die zwischenzeitlich von dem für die Rentenversicherung der Arbeiter zuständigen 5. Senat des BSG bestätigt worden ist (Urteil vom 05.10.2005, Az.: B 5 RJ 57/03 R).
Bei einer unklaren Rechtslage ist Rechtssicherheit hinsichtlich des Normverständnisses erst ab der Klärung gegeben. Hier war durch die Rechtsprechung des 4. Senats erst ein Norminhalt erschlossen worden, der zuvor wegen der besonderen Auslegungsprobleme nicht erkannt wurde. Eine Klärung der Rechtslage war aber dadurch immer noch nicht eingetreten, da nach wie vor unklar war, wie die weitere Begrenzung vorzunehmen war (15 oder weitere 25 Entgeltpunkte etc.). Auch hatten andere Senate des BSG erst im Jahre 2004 entsprechende Entscheidungen getroffen (Urteile vom 11.03.2004, Az.: B 13 RJ 44/03 R, und vom 07.07.2004, Az.: B 8 KN 10/03 R), so dass bis zum Gesetzesbeschluss über das RV-Nachhaltigkeitsgesetz am 11.03.2004 immer noch kein Vertrauen aufgebaut werden konnte. Danach konnte ohnehin niemand mehr auf einen Weiterbestand der alten Rechtslage vertrauen. Daher bedurfte es auch keiner Übergangsregelung. Zwingende Belange des Gemeinwohls hinsichtlich der Einbeziehung der Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 FRG treten demgegenüber eher zurück. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass der Kläger individuell schon gar nicht auf eine günstige Rechtslage bis zum Jahre 2001 vertrauen konnte, weil er noch am 06.08.2003 einen aus seiner Sicht nicht der durch den 4. Senat des BSG geschaffenen Rechtslage entsprechenden Verwaltungsakt erhalten und akzeptiert hatte. Seinen Überprüfungsantrag (Zugunstenentscheidung) stellte er erst am 12.08.2004, als eben schon die unklare Rechtslage offensichtlich und deren Bereinigung durch den Gesetzesbeschluss vom 11.03.2004 für das RV Nachhaltigkeitsgesetz auf den Weg gebracht worden war.
An der Begrenzung in § 22b Abs. 1 FRG a.F. bzw. § 22b Abs. 3 FRG auf 25 bzw. 15 EP bestanden bis dahin keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei Spätaussiedlern ist es in Abkehr von dem das frühere Fremdrentenrecht beherrschenden Eingliederungsprinzip für den Gesetzgeber als zulässig erachtet worden, einen Systemwechsel hin zu einer an der Höhe der Eingliederungshilfe orientierten Rentenleistungen vorzunehmen (vgl. Urteile des BSG vom 30.08.2001, 03.07.2002, 19.05.2004 und 07.07.2004). Dies ist letztlich Folge des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (KfbG) vom 21.12.1992, BGBl. I S. 2094. Dabei ist neben dem Personenkreis der Vertriebenen und Aussiedlern ein eigener Rechtsstatus für Spätaussiedler (zum Begriff vgl. § 4 BVFG in der Fassung durch das KfbG) geschaffen worden. Der Status als Aussiedler wurde grundsätzlich begrenzt auf Zuzüge vor dem 01.01.1993 und erstreckt sich nicht mehr auf den nicht deutschen Ehepartner. Seit dem 01.01.2002 sind Hinterbliebe, die nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehören, von der Anwendung des FRG ausgeschlossen (vgl. § 14a FRG). In Fortführung dieses Programms des Gesetzgebers bestehen auch keine Bedenken gegen die weitere Verschärfung durch die jetzt vorgenommene, rückwirkende Änderung von § 22b Abs. 1 FRG durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz.
Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 44 Abs. 1 SGB X sind, wie angeführt, nicht gegeben.
Die Entscheidung des SG erging damit zurecht. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Kläger hat den Prozess verloren (§ 193 SGG).
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtslage ist durch zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts von verschiedenen Senaten nunmehr geklärt (Urteile vom 21.06.2005, Az.: B 8 KN 9/04 R und vom 05.10.2005, Az.: B 5 RJ 57/03 R). Die bloße Möglichkeit, dass ein anderer Senat des BSG zu einer von der Rechtsprechung des 5. und 8. Senats abweichenden Ansicht gelangt, reicht hierfür nicht aus. Der 8. Senat und 13. Senat des BSG haben sich in ihren vor Verkündung des RVNG ergangenen Urteilen (BSGE 93, 85 und 92, 248) lediglich mit der Zulässigkeit einer authentischen Interpretation des § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. auseinandergesetzt, die Zulässigkeit einer rückwirkenden In-Kraft-Setzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. unter dem Gesichtspunkt einer echten Rückwirkung aber ohne nähere Erörterung der Problematik dahinstehen lassen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1940 geborene und am 25.10.1998 aus der ehemaligen UdSSR/GUS in das Bundesgebiet übergesiedelte Kläger verlangt neben seiner Rente aus eigener Versicherung die ungekürzte Auszahlung einer Witwerrente nach seiner bereits am 27.08.1994 verstorben Ehefrau N. W ...
Der Kläger ist nach seiner Einreise als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt worden und erhielt von der Beklagten mit Bescheid vom 28.12.1999 ab 25.10.1998 große Witwerrente. Der Berechnung wurden - begrenzt nach § 22b FRG - 10,7809 Entgeltpunkte (EP) aus 13,3153 EP einer Anwartschaft nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu Grunde gelegt.
Seit dem 01.04.2003 bezog der Kläger von der Landesversicherungsanstalt Ober- und Mittelfranken eine Rente aus eigener Versicherung, in der insgesamt 25 Entgeltpunkte (EP) der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten berücksichtigt werden. Daraufhin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 06.08.2003 ihren Bescheid vom 28.12.1999 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 01.04.2003 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X zurück, da sich kein Zahlbetrag mehr ergebe. Gleichzeitig machte sie für die Zeit vom 01.04.2003 bis 30.09.2003 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.168,82 Euro geltend. Zur Begründung war ausgeführt, dass die EP bei einer anspruchsberechtigten Person auf insgesamt 25 zu begrenzen seien und der Kläger bereits ab 01.04.2003 eine eigene Rente mit 25 EP beziehe. Dieser Bescheid wurde vom Kläger nicht angefochten.
Am 12.08.2004 stellte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.08.2001, Az.: B 4 RA 118/00 R, einen Antrag auf Neufeststellung seiner Hinterbliebenenrente, den die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.2004 ablehnte. Das BSG habe zwar entschieden, dass sich eine Begrenzung von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente auf zusammen 25 EP aus FRG - Zeiten weder unmittelbar aus der Vorschrift ergebe noch eine analoge Anwendung in Betracht komme. Dieser Entscheidung werde jedoch über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber Hinterbliebene anders behandeln wollte als andere Alleinstehende. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2004 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) und bestritt die Zulässigkeit der Begrenzung auf 25 EP und die Rechtmäßigkeit der Rückwirkung durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz.
Durch Urteil vom 18.05.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ab 01.04.2003 habe der Kläger nur einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zusammen mit der Rente aus eigener Versicherung, begrenzt auf insgesamt 25 Entgeltpunkte. Daher sei der Antrag im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X unbegründet. Aus § 44 Abs. 1 SGB X folge der Anspruch, rechtlich so gestellt zu werden, als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden. Der neue Bescheid habe die Sach- und Rechtslage bei Erlass des früheren Verwaltungsaktes aus heutiger Sicht zu berücksichtigen. Die Rücknahme richte sich nach der Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Bescheids in der Interpretation des BSG, auch wenn diese erst später erfolge ("geläuterte Rechtsauffassung"). Die maßgebliche Rechtslage in diesem Sinn ergebe sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gültigen und gem. § 300 Abs. 1 SGB VI zu beachtenden Rechtszustand, hier § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitgesetz - RVNG) vom 21.07.2004 mit seiner rückwirkenden Geltung zum 07.05.1996 (vgl. Art. 9 Nr. 2 RVNG). § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG in der ebenfalls rückwirkend zum 07.05.1996 in Kraft gesetzten Fassung des Art. 3 Nr. 5, Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG) vom 28.09.1996, geändert durch das Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997 (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F.) habe damit seine Gültigkeit verloren und sei von Anfang an durch § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. ersetzt worden.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 04.08.1998 habe damit § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG in der Fassung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes zu gelten. Dies bewirke, dass ein Verwaltungsakt als von Anfang an als rechtmäßig anzusehen sei mit der Folge, dass der Überprüfungsanspruch gem. § 44 Abs. 1 SGB X unbegründet sei. Damit werde eine Besserstellung desjenigen vermieden, der zunächst einen Verwaltungsakt bindend werden lasse und über § 44 SGB X eine Begünstigung vor einer rückwirkenden Änderung erreiche, gegenüber demjenigen, der den ursprünglichen Verwaltungsakt sofort anfechte und das Verfahren so lange offen halte, bis eine rückwirkende Änderung erfolgte. (Anmerkung des Verfassers: diese Sichtweise ist später vom BSG nicht geteilt worden; es hielt die ursprüngliche Rechtsanwendung für unzutreffend und sah lediglich das zweite Tatbestandsmerkmal in § 44 Abs. 1 SGB X nicht als gegeben an).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. und dessen rückwirkendes Inkrafttreten bestünden nicht. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht komme daher nicht in Betracht. Nach Ansicht des SG werde durch die rückwirkende Inkraftsetzung von § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. die bisher be-stehende Rechtslage nicht geändert.
Die Rückwirkung, die der Gesetzgeber der Neufassung des § 22b Abs. 1 FRG beigemessen habe, widerspreche nicht der Verfassung. Selbst das Rechtsstaatsprinzip erlaube in bestimmten Fallgruppen eine echte Rückwirkung. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn das bisherige Recht unklar und verworren gewesen sei und sich deswegen und auch sonst kein Vertrauensschutz gebildet habe. Der Kläger habe bis zum Urteil des BSG vom 30.08.2001 (Az.: B4 RA 118/00 R) schon kein Vertrauen in eine andere Rechtslage entwickeln können, weil er den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2003 als rechtmäßig akzeptiert habe. Nach besagter Entscheidung des BSG sei dessen Rechtsansicht massiv bestritten worden und es seien auch zahlreiche Landessozialgerichte davon abgewichen. Schließlich seien aus besagter Entscheidung unterschiedliche Rechtsfolgen hinsichtlich der Anzahl der zu ermittelnden Entgeltpunkte gezogen worden, was wiederum eine verworrene Rechtslage belege.
Demgemäß habe die Beklagte zu Recht in Anwendung von § 48 SGB X die bisherige Witwerrente entzogen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, und damit begründet, dass die Rechtslage allein durch die Entscheidungen des 8. Senats vom 21.06.2005 noch nicht endgültig geklärt sei.
Der Kläger stellt den Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 18.05.2005 sowie des Bescheides vom 02.09.2004 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.10.2004 zu verpflichten, den Bescheid vom 06.08.2003 aufzuheben und ihm ungekürzte Hinterbliebenenrente zu zahlen.
Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass ihr ablehnender Bescheid zumindest im Nachhinein durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz eine der Verfassung entsprechende Rechtsgrundlage erhalten habe. Die Rückwirkung sei zulässig gewesen, weil durch die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine unklare und verworrene Rechtslage ge-schaffen worden sei, auf die der Kläger nicht habe vertrauen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.
In der angefochtenen Entscheidung hat das SG zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt vom 02.09.2004 in der Gestalt, den er durch den Widerspruchsbescheid vom 07.10.2004 gefunden hat (§ 95 SGG) abgewiesen, weil dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente zusteht. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihren Neufeststellungsbescheid vom 06.08.2003 aufzuheben und dem Kläger ab 01.04.2003 eine monatliche Rente aus dem zuerkannten Recht auf Witwerrente weiter zu zahlen.
Der zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgte Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Zugunstenbescheids richtet sich nach § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzun-gen sind hier jedoch nicht erfüllt. Verfassungsmäßige Rechte der Klägerin werden dadurch nicht verletzt.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsakts anwendbaren Recht. Dieses ergab sich zum Zeitpunkt des Neufeststellungsbescheides vom 06.12.2003 hinsichtlich der Obergrenze der EP für FRG-Zeiten noch aus § 22b Abs. 1 FRG a.F., eingefügt durch Art. 3 Nr. 5 Abs. 3 WFG und rückwirkend ergänzt um Satz 3 durch Art. 12 Nr. 2 RRG 1999.
§ 22b Abs. 1 FRG a.F. gilt - entgegen der Auffassung des SG im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG - nicht für den Fall des Zusammentreffens einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente, wenn für beide Renten FRG-Zeiten berücksichtigt sind, wie sich aus den Urteilen des BSG vom 05.10.2005 (Az.: B 5 RJ 57/03 R), 21.06.2005 (Az.: B 8 KN 1/05 R), 07.07.2004 (Az.: B 8 KN 10/03 R), 11.03.2004 (Az.: B 13 RJ 44/03 R, Az.: B 13 RJ 52/03 R und Az.: B 13 RJ 56/03 R) und vom 30.08.2001 (Az.: B 4 RA 118/00 R) sowie des Bayer. Landessozialgerichts vom 19.02.2003 (Az.: L 13 RA 177/02) ergibt. Das BSG hat insoweit seine Rechtsprechung auch in den Urteilen vom 05.10.2005 und 21.06.2005 (s.o.) nicht geändert. Dennoch begründet die unrichtige Rechtsanwendung durch die Beklagte keinen Rücknahmeanspruch.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt als weiteres Tatbestandsmerkmal, dass wegen der unrichtigen Rechtsanwendung Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Diese Frage beantwortet sich nach der materiellen Rechtslage, wie sie sich für den ab 01.04.2003 streitigen Rentenanspruch des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung ergibt (vgl. BSG vom 21.06.2005 m.w.N.).
Für alle Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gilt, dass bis zur letzten mündlichen Verhandlung Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des anhängigen Rechtsstreits eintreten, zu beachten sind, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst. Das ist der Fall, weil § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG i.d.F. des WFG (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F.) durch Art. 9 Nr. 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz rückwirkend zum 07.05.1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F.) ersetzt worden ist. Dabei wird bestimmt, dass für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt werden. Dem steht auch § 300 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen (vgl. Urteil des BSG vom 21.06.2005, Ent-scheidungsgründe Abschnitt 2c). Denn im Verhältnis von § 300 Abs. 1 zu Abs. 2 SGB VI bezeichnet der Begriff "Aufhebung" in § 300 Abs. 2 SGB VI nicht den tatsächlichen Akt der Aufhebung im Sinne der Verkündung des Änderungsgesetzes, sondern den Zeitpunkt für das Außerkrafttreten des alten Rechts, wie er durch Gesetz ausdrücklich oder durch den Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem altes Recht ersetzende neue Vorschriften i.S. von Art. 82 Abs. 2 GG in Kraft treten - wie hier § 22b FRG n.F. ab 1996.
Die Rückwirkung, die der Gesetzgeber der geänderten Fassung des § 22 Abs. 1 FRG beigemessen hat, ist hier auch als echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen verfassungsrechtlich zulässig. In mehreren Fallgruppen kann trotz des Rechtsstaatsgebots des GG ausnahmsweise eine echte Rückwirkung er-folgen. Allen Fallgruppen gemeinsam ist, dass allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten eine Rückwirkung rechtfertigen. Das ist im vorliegenden Fall gegeben, weil das geltende Recht unklar und verworren war, so dass eine baldige Klärung erwartet werden musste (zuletzt BVerfGE 72, 200, 259). Der Senat schließt sich damit der Rechtsprechung des für die knappschaftliche Rentenversicherung ausschließlich zuständigen 8. Senats des BSG an, die zwischenzeitlich von dem für die Rentenversicherung der Arbeiter zuständigen 5. Senat des BSG bestätigt worden ist (Urteil vom 05.10.2005, Az.: B 5 RJ 57/03 R).
Bei einer unklaren Rechtslage ist Rechtssicherheit hinsichtlich des Normverständnisses erst ab der Klärung gegeben. Hier war durch die Rechtsprechung des 4. Senats erst ein Norminhalt erschlossen worden, der zuvor wegen der besonderen Auslegungsprobleme nicht erkannt wurde. Eine Klärung der Rechtslage war aber dadurch immer noch nicht eingetreten, da nach wie vor unklar war, wie die weitere Begrenzung vorzunehmen war (15 oder weitere 25 Entgeltpunkte etc.). Auch hatten andere Senate des BSG erst im Jahre 2004 entsprechende Entscheidungen getroffen (Urteile vom 11.03.2004, Az.: B 13 RJ 44/03 R, und vom 07.07.2004, Az.: B 8 KN 10/03 R), so dass bis zum Gesetzesbeschluss über das RV-Nachhaltigkeitsgesetz am 11.03.2004 immer noch kein Vertrauen aufgebaut werden konnte. Danach konnte ohnehin niemand mehr auf einen Weiterbestand der alten Rechtslage vertrauen. Daher bedurfte es auch keiner Übergangsregelung. Zwingende Belange des Gemeinwohls hinsichtlich der Einbeziehung der Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 FRG treten demgegenüber eher zurück. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass der Kläger individuell schon gar nicht auf eine günstige Rechtslage bis zum Jahre 2001 vertrauen konnte, weil er noch am 06.08.2003 einen aus seiner Sicht nicht der durch den 4. Senat des BSG geschaffenen Rechtslage entsprechenden Verwaltungsakt erhalten und akzeptiert hatte. Seinen Überprüfungsantrag (Zugunstenentscheidung) stellte er erst am 12.08.2004, als eben schon die unklare Rechtslage offensichtlich und deren Bereinigung durch den Gesetzesbeschluss vom 11.03.2004 für das RV Nachhaltigkeitsgesetz auf den Weg gebracht worden war.
An der Begrenzung in § 22b Abs. 1 FRG a.F. bzw. § 22b Abs. 3 FRG auf 25 bzw. 15 EP bestanden bis dahin keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei Spätaussiedlern ist es in Abkehr von dem das frühere Fremdrentenrecht beherrschenden Eingliederungsprinzip für den Gesetzgeber als zulässig erachtet worden, einen Systemwechsel hin zu einer an der Höhe der Eingliederungshilfe orientierten Rentenleistungen vorzunehmen (vgl. Urteile des BSG vom 30.08.2001, 03.07.2002, 19.05.2004 und 07.07.2004). Dies ist letztlich Folge des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (KfbG) vom 21.12.1992, BGBl. I S. 2094. Dabei ist neben dem Personenkreis der Vertriebenen und Aussiedlern ein eigener Rechtsstatus für Spätaussiedler (zum Begriff vgl. § 4 BVFG in der Fassung durch das KfbG) geschaffen worden. Der Status als Aussiedler wurde grundsätzlich begrenzt auf Zuzüge vor dem 01.01.1993 und erstreckt sich nicht mehr auf den nicht deutschen Ehepartner. Seit dem 01.01.2002 sind Hinterbliebe, die nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehören, von der Anwendung des FRG ausgeschlossen (vgl. § 14a FRG). In Fortführung dieses Programms des Gesetzgebers bestehen auch keine Bedenken gegen die weitere Verschärfung durch die jetzt vorgenommene, rückwirkende Änderung von § 22b Abs. 1 FRG durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz.
Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 44 Abs. 1 SGB X sind, wie angeführt, nicht gegeben.
Die Entscheidung des SG erging damit zurecht. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Kläger hat den Prozess verloren (§ 193 SGG).
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtslage ist durch zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts von verschiedenen Senaten nunmehr geklärt (Urteile vom 21.06.2005, Az.: B 8 KN 9/04 R und vom 05.10.2005, Az.: B 5 RJ 57/03 R). Die bloße Möglichkeit, dass ein anderer Senat des BSG zu einer von der Rechtsprechung des 5. und 8. Senats abweichenden Ansicht gelangt, reicht hierfür nicht aus. Der 8. Senat und 13. Senat des BSG haben sich in ihren vor Verkündung des RVNG ergangenen Urteilen (BSGE 93, 85 und 92, 248) lediglich mit der Zulässigkeit einer authentischen Interpretation des § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. auseinandergesetzt, die Zulässigkeit einer rückwirkenden In-Kraft-Setzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. unter dem Gesichtspunkt einer echten Rückwirkung aber ohne nähere Erörterung der Problematik dahinstehen lassen.
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