L 4 KR 45/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 222/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 45/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Krankengeld über den 27.03.1996 hinaus.

Die 1955 geborene Klägerin war bei der Firma V. M. als Küchenhilfe versicherungspflichtig bei 25.10.1995 beschäftigt. Seit Oktober 1998 lebt sie wieder in M ... Sie ist bei der Beklagten wieder pflichtversichert; derzeit arbeitet sie als Gebäudereinigerin.

Die Klägerin reiste am 25.10.1995 in ihre bosnische Heimat zurück und und ließ sich am Folgetag von den dortigen Ärzten Arbeitsunfähigkeit bescheinigen, insbesondere wegen Discopathie, Lumbago, Depressionen, Hypertensio arterialis. Die zahlreichen ärztlichen Bescheinigungen von Arbeitsunfähigkeit erfolgten auf dem Vordruck gemäß dem Abkommen über die Soziale Sicherheit durch die dortige Gesundheitsarbeitsorganisation (JU-4) durchgehend in monatlichen Abständen bis 06.10.1998. Die Beklagte zahlte im Anschluss an die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber Krankengeld bis 27.03.1996.

Die Klägerin wurde von der Beklagten zu zwei Kontrolluntersuchungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK), d.h. zum 20.03.1996 und 30.04.1996 vorgeladen; sie erschien zu den Untersuchungsterminen nicht. In der Stellungnahme vom 24.03.1996 ging der MDK von einer Reisefähigkeit der Klägerin aus. Die Beklagte nahm das Ende der Mitgliedschaft zum 28.03.1996 an (Schreiben vom 19.03.1998).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.04.1996 die Zahlung von Krankengeld wegen fehlender Mitwirkung bei den Untersuchungen durch den MDK vorläufig ab; der MDK habe Reisefähigkeit der Klägerin angenommen. Die Klägerin befand sich vom 11.09. bis 21.09.1996 wegen ihrer Rückenbeschwerden in stationärer Behandlung (ohne Operation) in ihrer bosnischen Heimat.

Mit Bescheid vom 16.09.1997 lehnte die Beklagte endgültig die Zahlung von Krankengeld über den 27.03.1996 hinaus ab, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, die weiteren Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen aus Bosnien würden nicht anerkannt. Hiergegen legte die Klägerin am 17.05.1999 Widerspruch ein; sie sei nicht reisefähig gewesen. Der von der Beklagten wieder gehörte MDK vertrat in den gutachtlichen Stellungnahme vom 29.10.1999, 25.02.2000 und 29.02.2000 die Auffassung, Arbeitsunfähigkeit habe über den 27.03.1996 hinaus mit Ausnahme der Zeit des stationären Aufenthalts vom 11.09. bis 21.09.1996 nicht vorgelegen; bereits die Arbeitsunfähigkeit vom 26.10.1995 bis 27.03.1996 sei bei den genannten Diagnosen nur zurückhaltend zu begründen und anzuerkennen gewesen. Nähere Angaben wie Röntgenbefunde, neurologische Befunde lägen nicht vor. Außer spärlichen Angaben über die depressive Entwicklung seien keine nervenärztlichen, psychopathologischen Befundberichte vorgelegt worden.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2000 den Widerspruch zurück, ohne auf den späteren Zeitpunkt seiner Erhebung einzugehen. Werde ein jugoslawischer Staatsangehöriger bzw. Angehöriger eines Nachfolgestaates während des Aufenthalts in seinem Heimatland arbeitsunfähig krank, sei die in der Bundesrepublik Deutschland zuständige Krankenkasse weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht an die vom jugoslawischen Versicherungsträger getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden. Der MDK sei aufgrund der vorgelegten ärztlichen Befunde zu dem Ergebnis gekommen, dass Arbeitsunfähigkeit über den 27.03.1996 hinaus nicht anerkannt werden könne. Er habe angesichts der vorgelegten Befunde auch Reisefähigkeit der Klägerin angenommen. Der Anspruch auf Krankengeld habe nur bis 27.03.1996 bestanden.

Die Klägerin hat hiergegen am 25.04.2000 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben; sie sei auch über den 27.03.1996 hinaus arbeitsunfähig krank gewesen und sei wegen ihrer Erkrankungen und des Krieges in Bosnien nicht in der Lage gewesen, zu den Untersuchungen durch den MDK zu erscheinen.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes L. beigezogen und ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. F. vom 24.07.2002 eingeholt. Der Sachverständige kommt dem Ergebnis, angesichts der vorliegenden Befunde sei bereits eine lange Arbeitsunfähigkeit von sechs Monaten anerkannt worden; eine darüber hinausgehende Arbeitsunfähigkeit sei mit Sicherheit aufgrund der mitgeteilten Befunde nicht mehr nachzuvollziehen.

Das SG hat mit Urteil vom 10.10.2002 die Klage abgewiesen. Es hat sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. angeschlossen. Auf die Frage der Reisefähigkeit nach Deutschland komme es nicht an. Entscheidend sei allein, ob der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit über den 27.03. 1996 hinaus erbracht worden sei. Dies sei aufgrund des Sachverständigengutachtens zu verneinen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 17.02.2003, mit der sie unter Bezugnahme auf ein Attest des bosnischen Arztes Dr. B. geltend macht, sie habe in der Zeit vom 26.10.1995 bis 06.10.1998 an einer Lumboischialgie, Hypertensio arterialis und Depression gelitten. Behandlung sei in Form von Blockaden, Arzneimitteln und psychologischer Hilfe geleistet worden. Fachärztliche Untersuchungen bzw. Laboruntersuchungen habe sie abgelehnt. Ihr Haus sei aufgrund des Krieges in Bosnien von anderen Personen besetzt gewesen, die sie bedroht hätten. Sie sei wegen des schweren psycho-physischen Zustandes nicht reisefähig gewesen.

Die Beklagte hat drei weitere gutachtliche Stellungnahmen des MDK vom 04.08., 06.08. und 11.08.2003 eingeholt; weder aus orthopädischer, noch psychiatrischer, noch internistischer Sicht sei Arbeitsunfähigkeit über den 27.03.1996 hinaus festzustellen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

1. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.10.2002 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.04.1996 sowie des Bescheides vom 16.09.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides und 27.03.2000 verurteilt, ihr Krankengeld über den 27.03.1996 bis 06.10.1998 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.

Die Berufung ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den 27.03.1996 hinaus, wobei schon offen bleiben kann, ob der geltend gemachte Anspruch mit Ablauf der Höchstbezugsdauer von 78 Wochen, d.h. vor Ablauf des in den Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen attestierten Verlaufs, beendet ist (§§ 44 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch V - SGB V).

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationeinrichtung behandelt werden. Nach der allgemeinen Begriffsbestimmung der Rechtsprechung liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin verrichten kann, seinen Zustand zu verschlimmern (Bundessozialgericht (BSG) vom 16.09.1986 USK 86133 m.w.N.; Kassler Kommentar-Höfler, § 44 SGB V, Rndnr. 10 m.w.N. der ständigen Rechtsprechung des BSG).

Gemäß § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V hängt der Anspruch auf Krankengeld davon ab, dass eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung im allgemeinen innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung und wird in einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dokumentiert. Mit der ärztlichen Feststellungen und Bescheinigung, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wird zwar der gesetzlichen Vorschrift Genüge getan; daraus ergibt sich aber noch nicht, ob ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Es handelt sich hier um eine rechtliche Entscheidung, die nicht der Arzt trifft, sondern stets die Krankenkasse. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist somit für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit eine wichtige Grundlage, sie ist jedoch nicht für die Krankenkasse verbindlich. Sie muss von der attestierten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abweichen, wenn sie erkennt, dass die attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht durch entsprechende medizinische Befunde belegt wird. Die Überprüfung der medizinischen Grundlagen der geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit ist Aufgabe des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG hat das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet. Krankenkasse und Gerichte sind an die ärztliche Bescheinigung nicht gebunden. Dies gilt auch für Versicherte, bei denen aufgrund des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens im Ausland Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird. Die deutschen Krankenkassen sind nicht aufgrund des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder Versicherungsträger gebunden; gleiches gilt für die Nachfolgestaaten. Den Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen kommt zwar nicht von vornherein ein geringerer Beweiswert als denen der an vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte zu. Die Krankenkassen sind aber gehalten, bei Zweifeln über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen oder wenn die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit wecken, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung heranzuziehen (BSG vom 26.02.1992 SozR 3-2200 § 182 Nr. 12; BSG vom 31.03.1998 B 1 KR 56/96 B). Dies gilt nach der Rechtsprechung auch für die Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen ausländischer Ärzte.

Wird die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit nicht durch die eingeholten Gutachten bestätigt, greift der Grundsatz der objektiven Beweislast ein. Er regelt, wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es gilt der Grundsatz, dass die Folgen der objektiven Beweislosigkeit einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Dieser Grundsatz ist hier anzuwenden, da durch die Beklagte und das SG alle geeigneten Beweismöglichkeiten ausgeschöpft wurden (BSG vom 26.02.1992, a.a.O.).

Sämtliche von der Beklagten eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen des MDK auf orthopädischem, nervenärztlichem und internistischem Gebiet sind zum Ergebnis gekommen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin spätestens am 27.03.1996 geendet hat. Die von den jugoslawischen Ärzten mitgeteilten Diagnosen und Befunde lassen die Feststellung einer über den 27.03.1996 hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht zu. Die Klägerin war zwar erkrankt wegen Lumboischialgie, Discopathie, Bluthochdruck und Depressionen. Mangels ausreichender Befunde ergab sich daraus keine Arbeitsunfähigkeit im geltend gemachten Zeitraum. Allein die Behandlungsbedürftigkeit dieser Erkrankungen genügt nicht zur Annahme der Arbeitsunfähigkeit. Dies gilt insbesondere für die arterielle Hypertonie und die Lumboischialgie. Das von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Attest ist sowohl bezüglich der geltend gemachten Krankheiten, als auch der Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht beweiskräftig. Hierzu hat die gutachtliche Stellungnahme des MDK vom 04.08.2003 ausgeführt, es fehle an nachvollziehbaren neurologischen und psychopathologischen Befunden, die eine Erkenntnis über die Dauer der streitigen Arbeitsunfähigkeit und die Schwere der zu Grunde liegenden Erkrankung zulassen.

Insbesondere der Sachverständige Dr. F. hat auf orthopädischem Gebiet darauf hingewiesen, dass die bereits für sechs Monate bis 27.03.1996 anerkannte Arbeitsunfähigkeit ungewöhnlich lang ist. Eine darüber hinausgehende Arbeitsunfähigkeit ist mit Sicherheit aufgrund der mitgeteilten Befunde nicht mehr nachzuvollziehen. Auch wenn eine chronische Rückenschmerzsymptomatik bestanden hat, sind Komplikationen wie neurologische Ausfallserscheinungen bzw. wesentliche Nervenwurzelirritationen nicht nachgewiesen worden. Der Sachverständige kommt gleichfalls wie die Ärzte des MDK zu dem Ergebnis, dass die mitgeteilten Krankheiten bzw. Befunde einer Reise nach Deutschland zur Untersuchung durch den MDK entweder mit dem Auto oder mit der Bahn nicht entgegengestanden haben.

Damit gilt nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast, dass die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld über den 27.03.1996 hinaus nicht hat. In diesem Zusammenhang spielen die kriegerischen Ereignisse in Bosnien sowohl bezüglich der geltend gemachten Depression, als auch der behaupteten Unmöglichkeit zur Untersuchung nach Deutschland zu fahren, keine Rolle und führen insbesondere nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Es ist allgemein anerkannt, dass Billigkeitsgesichtspunkte bzw. der Gedanke "im Zweifel für den Versicherten/Kranken" hier nicht gelten (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 103, Rndnr. 19d).

Da der Anspruch auf Krankengeld mangels Nachweises der Arbeitsunfähigkeit am 27.03.1996 geendet hat, ist auch die Mitgliedschaft mit Ablauf des 27.03.1996 beendet gewesen (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Für den stationären Aufenthalt der Klägerin im September 1996 in einem Krankenhaus in Bosnien kann die Klägerin daher nicht mit Recht Krankengeld verlangen, auch wenn der MDK insoweit eine Arbeitsunfähigkeit angenommen hat (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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