L 6 SB 3153/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 4700/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3153/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von wenigstens 70.

Die Klägerin ist 1938 geboren. Seit 1982 ist sie als behinderter Mensch anerkannt, zunächst mit einem GdB von 30 (Bescheid vom 8. Februar 1982), dann 40 (Bescheid vom 16. April 1985 bzw. 11. Dezember 1986). Den Neufeststellungsantrag vom November 1987 lehnte das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) mit Bescheid vom 20. Juni 1988 zunächst ab und stellte mit Teil-Abhilfebescheid vom 29. August 1988 ab 28. Dezember 1987 einen GdB von 50 sowie das Merkzeichen "G" fest. Auf den Neufeststellungsantrag vom Dezember 1988 stellte das VA mit Bescheid vom 2. Oktober 1989 den GdB ab 30. Dezember 1988 mit 60 fest (bei Fortbestehen des Merkzeichens "G") und erließ im Rahmen des daran anschließenden Widerspruchsverfahrens den Rücknahme- und Berichtigungsbescheid vom 25. Februar 1991, mit dem die Behinderungen neu gefasst und das Merkzeichen "G" entzogen wurde. Als der GdB-Feststellung zugrunde liegende Behinderungen wurden aufgeführt: "Postcholecystektomie-Syndrom (Teil-GdB 10), vegetative Labilität und Neigung zu Extrasystolie, Blutunterdruck (Teil-GdB 20), degenerative Veränderung der Wirbelsäule mit Folgen von Bandscheibenvorfall (Teil-GdB 30), neurotische Fehlentwicklung (Teil-GdB 30), Fettstoffwechselstörung, Zustand nach Kropfentfernung (Teil-GdB 0)". Mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 1991 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Den weiteren Neufeststellungsantrag vom November 1991 lehnte das VA mit Bescheid vom 12. Juni 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 1993 ab. In dem daraufhin vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) geführten Klageverfahren (Az.: S 3 Vs 285/93) schlossen die Beteiligten am 20. Juni 1994 einen Teilvergleich, wonach der Beklagte sich bereit erklärte, die angefochtenen Bescheide abzuändern und als zusätzliche Behinderung "Brustschmerzen nach Thoraxprellung" festzustellen (Ausführungsbescheid vom 13. Juli 1994). Mit Urteil vom 20. Juni 1994 wies das SG die Klage im Übrigen ab. Das dagegen durchgeführte Berufungsverfahren (Az.: L 11 Vs 1484/94) wurde wegen eines ebenfalls in der Berufungsinstanz anhängigen Verfahrens wegen der Folgen eines im Oktober 1989 erlittenen Arbeitsunfalls (Az.: L 2 U 1130/94) mit Beschluss vom 21. Dezember 1994 für ruhend erklärt. Während des Ruhens des Verfahrens stellte die Klägerin im Januar 1996 einen weiteren Verschlimmerungsantrag. Mit Bescheid vom 18. März 1996 stellte das VA einen GdB von weiterhin 60 fest, dem als Behinderungen zugrunde lagen: "Postcholecystektomie-Syndrom, vegetative Labilität und Neigung zu Extrasystolie, Blutunterdruck, Spannungskopfschmerz, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfall, neurotische Fehlentwicklung, Brustschmerzen nach Thoraxprellung, Fettstoffwechselstörung, Zustand nach Kropfentfernung". Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1996 zurückgewiesen, die hiergegen erhobene Klage zum SG mit Hinweis auf das ruhende Verfahren nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an das LSG abgegeben.

Im wiederangerufenen Verfahren (Az.: L 11 Vs 188/97) machte die Klägerin geltend, durch den 1989 erlittenen Arbeitsunfall habe sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Sie habe wegen der erlittenen Thoraxprellung Herzbeschwerden und wegen der ebenfalls erlittenen Gehirnerschütterung dauernde Kopfschmerzen und leide unter Lähmungserscheinungen im linken Arm bis in die Hände. Hinzu kämen unfallbedingte Kniebeschwerden links. Mit Urteil vom 17. Juni 1999 wurde die Berufung zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 18. März 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 1996 abgewiesen.

Am 18. Dezember 2002 beantragte die Klägerin erneut die Erhöhung des GdB wegen einer Verschlimmerung der bereits festgestellten Behinderungen. Das VA holte den Befundschein vom 21. Januar 2003 bei Dr. F. ein, der Wirbelsäulenleiden (Cervicobrachialgie, Lumboischialgie, Metatarsalgie, Zustand nach Bandscheibenvorfall) sowie als Funktionseinschränkungen starke Schmerzen bei der Hausarbeit, beim Gehen und Bücken ohne neurologische Ausfälle aufführte. Der Orthopäde Dr. H. beschrieb im Befundschein vom Februar 2003 eine "Bewegungseinschränkung der Schulter-Nackenpartie, Schmerzen nach rechts ausstrahlend, Schwindelgefühl, Rotationseinschränkung 1/3, Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, Bewegungseinschränkung Abduktion bei 90 Grad, Rotation 1/3. Bewegungseinschränkung im Lendenbereich bei Lumboischialgie ins rechte Bein. FBA 20 cm. Seitneigung und Rotation 1/3 eingeschränkt. Gelegentlich Parästhesie und Wurzelreizung. Degenerative Bandscheibenschäden im HWS-Bereich bekannt sowie Bandscheibenvorfall im Bereich der LWS in Höhe L 5". Er beschrieb den Röntgenbefund vom 4. Mai 2001 (im Bereich der rechten Schulter altersentsprechender Normbefund, im linken Sprunggelenk ohne Befund nach Sprunggelenkszerrung) sowie den CT-Berfund der LWS vom 6. September 2001 (Osteoporose 0,2 Standardabweichung unterhalb des Medianwerts der Altersgruppe).

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme lehnte das VA mit Bescheid vom 26. März 2003 den Neufeststellungsantrag ab, da keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten sei. Den dagegen erhobenen aber nicht begründeten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2003 zurück.

Dagegen erhob die Klägerin am 16. Dezember 2003 Klage zum SG mit der Begründung, als weitere Behinderungen seien Herzrhythmusstörungen, funktionelle Kreislaufstörungen und Osteoporose hinzugetreten. Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. F. berichtete unter dem 15. April 2004 über die bei der Klägerin schon seit vielen Jahren bestehenden Beschwerden aufgrund einer Daumengrundgelenksarthrose, Polyarthrose, Osteoporose, Geschmacksstörung, Lumboischialgie, Cervikobrachialgie sowie Varizen-OP. Dr. H. führte unter dem 16. April 2004 aus, er habe schmerzhafte Muskelverspannungen im Nacken-Schulterbereich, besonders im Bereich C 4/5 ohne neurologische Ausfälle festgestellt. Der Arzt für Chirurgie Dr. M. berichtete in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 20. April 2004, er habe die Klägerin im Wesentlichen nur wegen eines schnellenden Daumens behandelt, der am 31. März 2003 operiert worden sei. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. führte unter dem 18. April 2004 aus, dass zusätzlich zu den vom VA aufgeführten Erkrankungen ein ausgeprägtes Karpaltunnelsyndrom beidseits vorliege, das Schmerzen und Parästhesien an den Händen sowie eine Daumenballenatrophie verursache. Das SG hat weiter die Akten des Rentenversicherungsträgers, der Unfallkasse Baden-Württemberg sowie die gerichtlichen Vorakten S 3 VS 285/93, S 10 J 2036/90 sowie vom LSG die Akte L 2 U 1130/94 und L 11 Vs 188/97 beigezogen. Im Auftrag des Gerichts erstellte am 21. März 2005 Prof. Dr. C., Arzt für Orthopädie und Rheumatologie ein orthopädisches Sachverständigengutachten, im November 2004 Prof. Dr. B., Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik Abteilung Innere Medizin VII, Universitätsklinikum H., ein Zusatzgutachten. Prof. Dr. B. führte als Gesundheitsstörungen eine Hypercholesterinämie auf. Es bestehe kein Anhalt für eine organische Herzerkrankung, insbesondere kein Anhalt für eine koronare Herzerkrankung, höhergradige Herzrhythmusstörungen oder eine Kreislaufdysregulation. Die Ursache des angegebenen Schwindels sei unklar. Die neurologische Untersuchung sei trotz des am Untersuchungstag angegebenen starken Schwindels unauffällig verlaufen. Die im Bescheid vom 2. Oktober 1989 noch aufgeführte Neigung zur Extrasystolie habe sich nicht bestätigen lassen. Weder unter körperlicher noch pharmakologischer Belastung hätten sich wesentliche Herzrhythmusstörungen provozieren lassen. Gleiches gelte für das Langzeit-EKG. Es habe sich auch kein Hinweis auf eine arterielle Hypertonie gefunden. Berücksichtige man allerdings die bei der Klägerin nach wie vor bestehende vegetative Labilität, die wohl auch bei früheren Begutachtungen im Vordergrund gestanden habe, sei insoweit unter Berücksichtigung des Leidensdrucks der Klägerin nach wie vor von einem Teil-GdB von 20 auszugehen. Auf orthopädischem Fachgebiet diagnostizierte Prof. Dr. C. im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) radiologisch deutliche degenerative Veränderungen in den Bewegungssegmenten zwischen dem 1. und 7. Halswirbelkörper (HWK), bei uneingeschränkter Beweglichkeit der HWS. Die radiologisch beschriebenen Veränderungen seien funktionell vollständig kompensiert, Nervenwurzelreizerscheinungen lägen nicht vor. Hierfür sei ein Teil-GdB von 10 angemessen. Radiologisch und kernspintomographisch bestünden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) degenerative Veränderungen, vor allem in den Segmenten L 3/4 und L 5/S 1. Im Segment L 4/5 zeige sich ein degenerativ bedingtes Wirbelgleiten, das bereits seit den 80er Jahren bekannt sei. Die Beweglichkeit der LWS sei daher eingeschränkt (Teil-GdB von 20). Die von der Klägerin beschriebenen Gefühlsstörungen des gesamten linken Beines seien dadurch aber nicht erklärbar. Es bestehe weiter ein Thorax-Druckschmerz (Teil-GdB von weniger als 10) sowie eine leichte Kraftminderung im Bereich des linken Handgelenks (Teil-GdB von weniger als 10) bei seitengleicher Bemuskelung der Ober- und Unterarme. Ein Karpaltunnelsyndrom liege nicht vor. Aufgrund des Computertomogramms vom 6. September 2001 sei eine Osteoporose bei der Klägerin festgestellt worden (Teil-GdB von 10). Insgesamt habe sich im Vergleich zu den im Bescheid vom Oktober 1989 festgestellten Erkrankungen eine Besserung eingestellt. Soweit der Diagnoseblock "Degenerative Veränderungen der WS, Bandscheibenschaden, Osteoporose" mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden sei, sei bei den zugrunde liegenden Erkrankungen keine Besserung oder Verschlechterung eingetreten, so dass es auch aus seiner Sicht bei einem Teil-GdB von 30 verbleibe. Auf internistischem Fachgebiet sei anstelle des bisherigen Teil-GdB von 20 nicht mehr von funktionellen Störungen auszugehen, die einen GdB von wenigstens 10 begründen könnten. Unter Berücksichtigung der auf psychiatrischem Fachgebiet im Bescheid vom 17. Februar 2003 aufgeführten Erkrankungen (neurotische Fehlentwicklung), die mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden seien, sowie einem Teil-GdB von 10 für die Thoraxschmerzen sei insgesamt nur noch von einem GdB von 50 auszugehen. Die Klägerin legte u.a. den Arztbrief des Rheuma-Zentrums B.-B. vom 27. April 2004 (OA Dr. M.) vor, wonach bei ihr ein Fibromyalgie-Syndrom sowie ein Cervikal- und Lumbalsyndrom bestehe.

Mit Urteil vom 8. Juni 2005 wies das SG die Klage ab, gestützt im Wesentlichen auf die Gutachten des Prof. Dr. B. und Prof. Dr. C ... Eine wesentliche Verschlechterung der Behinderungen sei nicht nachgewiesen.

Gegen das am 17. Juni 2005 als Übergabe-Einschreiben zur Post gegebene Urteil hat die Klägerin am 18. Juli 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Untersuchung bei Prof. Dr. C. habe gerade sieben Minuten gedauert, so dass das Gutachten nicht als Beweismittel herangezogen werden dürfe. Er habe sich auch im Übrigen nicht unbefangen ihr gegenüber verhalten. Sie hat den Bericht über die Kernspintomographie der HWS am 27. Juli 2005 sowie den Entlassungsbericht der A.klinik vom 14. November 2005 vorgelegt, in der sie sich vom 11. Oktober bis 8. November 2005 in einer Rehabilitationsmaßnahme befunden hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Juni 2005 sowie den Bescheid vom 26. März 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr ab dem 18. Dezember 2002 einen GdB von wenigstens 70 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Vorakten L 11 Vs 188/97 und L 11 Vs 1484/94 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Verfahrensrechtlich beurteilt sich der Rechtsstreit nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (§ 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Vergleichsmaßstab für die Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist der letzte bestandskräftige Bescheid, mit dem der GdB der Klägerin festgestellt worden ist. Insoweit ist auf den Bescheid vom 2. Oktober 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 1991 abzustellen, da nur über Höhe des GdB im Verfügungssatz entschieden wurde. In diesem hat das VA einen GdB von weiterhin 60 festgestellt, dem als Behinderungen zugrunde lagen: "Postcholecystektomie-Syndrom, vegetative Labilität und Neigung zu Extrasystolie, Blutunterdruck, Spannungskopfschmerz, degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfall, neurotische Fehlentwicklung, Brustschmerzen nach Thoraxprellung, Fettstoffwechselstörung, Zustand nach Kropfentfernung".

Materiell-rechtlich sind maßgeblich seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).

Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).

Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall der Klägerin kein GdB von mehr als 60 festzustellen.

Dabei sind die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Erkrankungen mit einem Teil-GdB von 30 weiterhin zutreffend bewertet. Ausweislich des Entlassberichts der A.klinik, der sich bezüglich der darin mitgeteilten Befunde auf orthopädischem Fachgebiet mit den Diagnosen von Prof. Dr. C. deckt, bestehen bei der Klägerin radiologisch deutliche degenerative Veränderungen in den Bewegungssegmenten zwischen dem 1. und 7. HWK. Die radiologisch beschriebenen Veränderungen sind funktionell allerdings im Wesentlichen kompensiert, Nervenwurzelreizerscheinungen liegen nicht vor. Des Weiteren bestehen im Bereich der LWS degenerative Veränderungen, vor allem im Segment L 3/4 und L 5/S 1 sowie ein degenerativ bedingtes Wirbelgleiten im Segment L 4/5. Unabhängig davon, inwieweit die von der Klägerin geklagte Fußheberschwäche rechts, die im Entlassbericht der A.klinik beschrieben wird (nicht aber die noch bei Prof. Dr. C. beschriebenen Gefühlsstörungen des gesamten linken Beines) tatsächlich organisch erklärbar ist, wird im Entlassbericht eine gute Kompensation bei normaler Belastung sowie ein harmonisches Gangbild aufgeführt. Funktionelle Ausfälle sind dadurch also nicht bedingt. Im Entlassbericht sind weiter beschrieben ein Nackengibbus sowie eine verstärkte BWS-Kyphose, verbunden mit protrahierter HWS sowie protrahierten Schultern und verspannter Schulter-Nacken-Muskulatur, diese wiederum verbunden mit deutlich eingeschränkter Beweglichkeit der WS und muskulären Verspannungen des Rumpfes. Die Beweglichkeit der oberen Extremitäten wies jedoch keine Einschränkungen auf. Die Bewegungseinschränkungen der WS waren durch krankengymnastische Behandlungen einer deutlichen Besserung zugänglich, so dass bei der Entlassung der Klägerin aus der Rehabilitationsmaßnahme sowohl die Beweglichkeit der HWS wie auch die der BWS/LWS verbessert war. Weitere orthopädische Erkrankungen, die funktionelle Auswirkungen besitzen, bestehen bei der Klägerin nicht. Auch die im Arztbrief von Dr. S. vom 22. Januar 2006 zuletzt mitgeteilten Diagnosen vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen, da es für die Beurteilung, welcher GdB angemessen ist, nicht auf die Ursächlichkeit eventueller Erkrankungen ankommt, sondern ausschließlich auf die dadurch bedingten funktionellen Auswirkungen. Entsprechende, nicht bereits vorbekannte funktionelle Auswirkungen hat auch Dr. S. nicht mitgeteilt. Insbesondere ergab die von ihm durchgeführte Neurographie der Beine beidseits regelrechte distale motorische Latenzen sowie eine regelrechte motorische Nervenleitgeschwindigkeit, so dass auch insoweit keine weitergehenden funktionellen Einschränkungen als im Entlassbericht bzw. durch Prof. Dr. C. beschrieben begründbar sind. Die damit auf orthopädischem Fachgebiet allein festzustellenden funktionellen Einschränkungen der WS-Beweglichkeit rechtfertigen nach den AP maximal einen Teil-GdB von 30. Denn nach den AP Nr. 26.18 S. 116 sind Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Teil-GdB von 30 zu bemessen, erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Teil-GdB von 30 bis 40. Dafür liegen aber auch unter Berücksichtigung der keine funktionelle Einschränkung bedingenden Osteoporose keinerlei Anhaltspunkte vor.

Die von der Klägerin weiter vorgebrachte Fibromyalgie wurde von keinem der sie behandelnden Ärzte diagnostiziert. Aber selbst wenn eine solche Erkrankung vorliegen würde, wäre sie nur dann für die Höhe des GdB von Bedeutung, wenn sie funktionelle Einschränkungen bewirken würde, die über die bereits festgestellten hinausgehen würden. Dies ist aber nicht der Fall.

Soweit die Klägerin vorbringt, eine bei ihr des Weiteren bestehende Hepatitis sei nicht in die Feststellung des GdB eingeflossen, gilt das zur Fibromyalgie Ausgeführte entsprechend. Im Übrigen wäre der Einwand der Klägerin, da die Hepatitis nach ihren eigenen Angaben und den Ausführungen im Entlassbericht bereits seit 1988 bekannt ist, nicht im Rahmen des § 48 SGB X, sondern allenfalls im Rahmen eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X zu berücksichtigen. Nur ergänzend weist der Senat jedoch insoweit auf die gerichtliche Verfügung vom 4. November 2005 und die darin enthaltenen Hinweise zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für eine darauf gerichtete Klage hin.

Was die im Vergleichsbescheid des Weiteren erfassten und in die GdB-Bewertung eingeflossenen Behinderungen auf internistischem bzw. psychiatrischem Fachgebiet anbelangt, liegen keine Anhaltspunkte für eine im Sinne der Klägerin günstige wesentliche Änderung vor. Insoweit weist der Senat insbesondere darauf hin, dass die noch als Teil-Behinderung in die Gesamt-Bewertung eingeflossene Herzerkrankung von Prof. Dr. B. nicht mehr festgestellt werden konnte und auch in keinem der neueren Arztbriefe oder Befundberichte, die von der Klägerin vorgelegt worden sind, erwähnt wird. Selbst wenn also - wofür es allerdings keine Anhaltspunkte gibt - die Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet möglicherweise etwas stärker ausgeprägt wären als noch bei Erteilung des Bescheids vom 2. Oktober 1989, wäre dies durch den GdB-relevanten Wegfall der Herzerkrankung mehr als kompensiert und damit jedenfalls ohne - im Sinne der Klägerin - positiven Einfluss auf den Gesamt-GdB. Bezüglich der Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet (neurotische Fehlentwicklung - mit einem Teil-GdB von 30 bewertet) liegen ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlechterung vor.

Da somit auf keinem der maßgeblichen medizinischen Fachgebiete Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlechterung vorliegen und der GdB von 60 somit nach wie vor angemessen hoch ist, hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Daher war auch die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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