L 6 U 4952/05 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 562/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4952/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen des Berufungsverfahrens L 6 U 3145/04, in dem um die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie die Entschädigung von zwei geltend gemachten Arbeitsunfällen vom Dezember 1995 und Dezember 1996 gestritten wird.

Der 1951 geborene Kläger ist gelernter Maurer und hat in diesem Beruf die Meisterprüfung abgelegt. Zuletzt war er bis Ende 1998 Geschäftsführer der von ihm gegründeten W.G. Bauunternehmung GmbH. In den letzten acht Jahren handelte es sich um einen Einmannbetrieb.

Mit seinem am 07.01.2002 bei der damaligen Bau-Berufsgenossenschaft Rheinland und Westfalen eingegangen Schreiben vom 19.12.2001 bat der Kläger sinngemäß um Auskunft, unter welchen Voraussetzungen degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS) als BK anzusehen seien. Am 22.01.2002 beantragte er "eine Berufsunfähigkeitsrente wegen eines Arbeitsunfalles, der als BK anerkannt wird". Er legte zahlreiche Arztbriefe und sonstige medizinische Unterlagen vor, insbesondere von der Neurochirurgischen Klinik des Evangelischen und Johanniter Klinikums D., in der am 19.09.1997 eine die HWS-Segmente C 5/6 und C 6/7 betreffende Fusionsoperation nach Smith-Robinson nach präoperativer linksbetonter Brachialgie durchgeführt worden war. Im Fragebogen vom 25.02.2002 gab der Kläger an, er habe zum ersten Mal im Dezember 1996 unter Wirbelsäulenbeschwerden gelitten, die auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen seien. In seinem Schreiben vom 31.05.2002 gab der Kläger dagegen an, erstmals seien Schmerzen an der HWS im Dezember 1995 aufgetreten, als er beim Anbringen von Rigipsplatten als Deckenverkleidung vom Fußgerüst gefallen sei, wobei ihm die Rigipsplatte auf den Kopf gefallen sei. Er habe zunächst weiter gearbeitet und erst im Januar 1996 seinen Hausarzt aufgesucht, der ihm gesagt habe, es handle sich um Nackenverspannungen. Bei der Operation vom 19.09.1997 seien ihm die zwei Bandscheiben C 5/6 und C 6/7 entfernt, aber nicht mehr ersetzt worden. Dadurch sei ihm die HWS zweifach durchtrennt worden, deutlich gesprochen: Genickbruch! In seinen weiteren Schreiben vom 18.07.und 12.08.2002 verwies er auf die bei ihm vorliegende Lebensgefahr.

In seiner Stellungnahme vom 29.08.2002 kam der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten zu dem Ergebnis, der Kläger habe von 1965 bis 1996 zwar schwere Lasten auf der Schulter mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungener Kopfbeugehaltung getragen, jedoch nicht in überdurchschnittlichem Maße (mindestens 1/3 Zeitanteil/Schicht) im Sinne der BK nach Nr. 2109.

Mit Bescheid vom 04.11.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr. 2109 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers, den er vor allem mit den zwei geltend gemachten Arbeitsunfällen begründete, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002, dem Kläger frühestens am 12.02.2003 zugegangen).

Mit Bescheiden vom 10.01.2003 lehnte es die Beklagte ferner ab, dem Kläger Entschädigungsleistungen anlässlich der angegebenen Ereignisse vom Dezember 1995 und vom Dezember 1996 zu gewähren. Auch hiergegen erhob der Kläger Widersprüche, die mit dem Widerspruchsbescheid vom 28.08.2003 zurückgewiesen wurden.

Gegen beide Widerspruchsbescheide erhob der Kläger Klage (am 06.03.2003 gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002, am 08.09.2003 gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.08.2003) zum Sozialgericht F. (SG), das die Klagen mit Beschluss vom 22.09.2003 unter dem Aktenzeichen S 10 U 562/03 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verband. Es erhob Beweis durch Einholung des orthopädischen Gutachtens von Prof. Dr. B. von der M. F. vom 23.01.2004. Dieser führte aus, die beiden vom Kläger geschilderten Unfälle seien von ihrem Unfallmechanismus her identisch. Wenn es bei diesen Unfällen durch axiale Stauchung zu einer gravierenden Verletzung der Bandscheibe gekommen wäre, wären auch die angrenzenden Wirbelkörper in Mitleidenschaft gezogen worden mit dem Auftreten einer Fraktur. Eine solche sei jedoch mit Sicherheit auszuschließen. Der im Operationsbericht vom 19.09.1997 beschriebene harte Vorfall links mediolateral in Höhe C 6/7 sei auf normale degenerative Veränderungen zurückzuführen und nicht Folge eines Stauchungstraumas. Gegen eine nachhaltige traumatische Schädigung spreche schon, dass der Kläger nach dem ersten Unfall praktisch weiter gearbeitet habe ohne Meldung an die Beklagte sowie ohne längere Arbeitsunfähigkeit. Auch eine BK Nr. 2109 liege nicht vor. Radiologisch seien deutliche degenerative Veränderungen vor allem in den unteren Wirbelsäulensegmenten zu erkennen. Dies seien die typischen Prädilektionsstellen für relativ frühe degenerative Veränderungen. Die oberen Segmente hätten keine über das Altersmaß hinausgehenden Verschleißerscheinungen.

Mit Urteil vom 27.05.2004 wies das SG die verbundenen Klagen ab. Hinsichtlich der BK Nr. 2109 führte das SG in den Gründen aus, weder seien die hierfür erforderlichen arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, noch könnten die erheblichen Gesundheitsstörungen des Klägers von Seiten der HWS auf das geltend gemachte Tragen schwerer Lasten zurückgeführt werden. Hierfür stütze sich das SG auf das Gutachten von Prof. Dr. B ... Hinsichtlich der geltend gemachten Arbeitsunfälle ließ das SG offen, ob diese nachgewiesen seien, da - wiederum aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. B. - jedenfalls die regelwidrigen Befunde von seiten der HWS nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die behaupteten Arbeitsunfälle zurückgeführt werden könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 02.06.2004 (Eingang beim SG) Berufung eingelegt. In seinem Schriftsatz vom 16.03.2005 hat der Kläger erstmals sinngemäß beantragt, die Beklagte durch Erlass einer Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Verletztenrente sowie Heilbehandlung für die Folgen seiner BK bzw. die Folgen der beiden Unfälle vom Dezember 1995 und Dezember 1996 zu gewähren. Im Schriftsatz vom 20.09.2005 hat er erklärt, er beantrage als Eilantrag den Erlass eines Grundurteils. Ähnliche Formulierungen finden sich in seinen Schriftsätzen vom 17. und 24.10.2005. Auf die Rückfrage des Berichterstatters vom 03.11.2005 hat der Kläger unter dem 21.11.2005 ausgeführt, Prof. Dr. B. habe ihm in seinem Gutachten mitgeteilt, dass er wie auch seine Kollegen ihm die notwendige medizinische Versorgung weiterhin verweigern würden, obwohl sein jetziger Gesundheitszustand erheblich gebessert werden könnte. Damit sei die Frage der Eilbedürftigkeit schon beantwortet.

Die Beklagte trägt vor, sie verstehe den Antrag des Klägers so, dass er ein Zwischenurteil im Sinne des § 130 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) begehre. Ein solches Zwischenurteil sei nicht sachdienlich.

II.

Gem. § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Zunächst hat das Gericht zu klären, was gewollt ist und darauf hinzuwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (vgl. § 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist im vorliegenden Fall nicht vollständig gelungen. Offensichtlich verkennt der Kläger den Begriff des Grundurteils, wenn er meint, ein solches stehe im Zusammenhang mit den auch nach dem SGG möglichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmt jedoch: Wird gem. § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Wie sich aus dem klaren Wortlaut ergibt, kommt der Erlass eines Grundurteils nur bei Geldleistungen, insbesondere Rentenleistungen in Betracht, nicht dagegen bei dem Anspruch auf Heilbehandlung, um die es dem Kläger ebenfalls geht. Außerdem erlassen die Sozialgerichte in den Hauptsacheverfahren, in denen um Rentenleistungen gestritten wird, fast ausschließlich Grundurteile, da sie andernfalls die Rente umfassend berechnen müssten, obwohl meist nur der Eintritt eines Versicherungsfalls im Streit steht. Da der Kläger andererseits betont hat, dass er dringend auf Geldleistungen angewiesen ist und Heilbehandlung für seine Leiden von Seiten der HWS wünscht, legt der Senat seinen Antrag so aus, dass die Beklagte durch Erlass einer Einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Zahlung einer Verletztenrente und zur vorläufigen Gewährung von Heilbehandlung für seine Leiden von Seiten der HWS verpflichtet werden soll.

Nach § 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 des SGG kann, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt - was hier nicht der Fall ist, weil weder die aufschiebende Wirkung noch die Aufhebung oder Anordnung eines Sofortvollzugs im Streit ist - das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da § 86 b Abs. 2 SGG der Vorschrift des § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entspricht und die bisherige sozialgerichtliche Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des § 86b SGG in Vornahmesachen einstweiligen Rechtsschutz in analoger Anwendung von § 123 VwGO gewährt hat, kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (sog. Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht in der Lage wäre (sog. Anordnungsgrund). Ein Anordnungsanspruch setzt grundsätzlich voraus, dass der materiell-rechtliche Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. Binder, Handkommentar zum SGG, Rdnr. 32 zu § 86 b).

Weder hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Verletztenrente noch hinsichtlich der geltend gemachten Heilbehandlung besteht ein Anordnungsanspruch, da es unwahrscheinlich ist, dass bei dem Kläger eine BK nach der Nr. 2109 der Anlage zur BKV oder Folgen der behaupteten Arbeitsunfälle vom Dezember 1995 und Dezember 1996 vorliegen, für die gem. § 56 des 7. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Verletztenrente und gem. § 26 SGB VII Heilbehandlung zu leisten wäre. Zur Begründung verweist der Senat in analoger Anwendung des § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe seines Beschlusses vom selben Tage - L 6 U 3146/04 PKH-A - , mit dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wegen fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist.

Der Antrag des Klägers auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung war daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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