L 11 AS 111/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 156/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 111/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.08.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Alg II), die auf Grund des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten zu erbringen sind.

Der 1948 geborene, verheiratete Kläger bezog Arbeitslosenhilfe. Seine Ehefrau erhält eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Erwerbsminderungsrente in Höhe von 913,91 EUR und eine Betriebsrente in Höhe von 85,00 EUR monatlich. Neben der gesetzlichen Krankenversicherung haben sie eine private Krankenzusatzversicherung abgeschlossen. Zudem haben die Eheleute weitere private Versicherungen (Privathaftpflicht, Kfz-Haftpflicht, Hausrat, Rechtsschutz). Für die Mietwohnung wenden sie 540,06 EUR auf (Kaltmiete: 348,19 EUR, Nebenkosten: 36,35 EUR, Stellplatz/Garage: 5,11 EUR, Heizung und Warmwasser: 18,41 EUR, Kosten für Gas: 91,00 EUR, Stromkosten: 41,00 EUR). Zu berücksichtigendes Vermögen war nicht vorhanden.

Auf Grund seines Antrages vom 13.08.2004 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 23.12.2004 Alg II in Höhe von 147,58 EUR für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005. Auf den Widerspruch hiergegen erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 24.02.2005 die Berechnung der Leistung, insbesondere die Berechnung der zu erbringenden Leistungen für Unterkunft und Heizung, die Anrechnung der von der Ehefrau bezogenen Einkommen und die dabei zu berücksichtigenden Abzugs- und Freibeträge. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2005 zurück. Im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft sei die von der Ehefrau bezogene Rente als Einkommen anzurechnen. Für private Versicherungen sei eine Pauschale in Höhe von 30,00 EUR abzuziehen, ein weiterer Abzug für Erwerbstätige sei mangels einer solchen nicht vorzunehmen. Zusätzliche Krankheitsaufwendungen (Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlungen) erhöhten den Bedarf nicht, allenfalls käme die Befreiung bei Erreichen der Belastungsgrenze durch die Krankenkasse in Betracht. Ebenso sei die private Krankenzusatzversicherung nicht zu berücksichtigen, der krankheitsbedingte Bedarf sei durch die Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt, in der beide Eheleute pflichtversichert seien. Weitere Kosten (Kfz-Steuer, Teilkasko, Finanzierung des Kfz) seien nicht bedarfssteigernd anzusetzen. Die Kaltmiete sei zunächst in voller Höhe als Bedarf anzusehen, Heizkosten seien nach einer Auskunft des Gaslieferanten 81,00 EUR monatlich zu zahlen. Nebenkosten fielen in Höhe von 36,35 EUR an. Der mit Bescheid vom 23.12.2004 angesetzte Betrag in Höhe von 478,78 EUR für Unterkunft und Heizung sei daher - selbst unter Berücksichtigung von Kosten für den Stellplatz - auf jeden Fall zutreffend.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Es bestehe ein höherer Bedarf. Die Krankheitsvorsorge der Ehefrau und die Kosten für das Kfz seien in die Berechnung mit einzubeziehen. Der Regelsatz in Höhe von 345,00 EUR monatlich sei verfassungswidrig, er entspreche nicht Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG), das soziokulturelle Existensminimum sei - wie verschiedene Stimmen aus der Literatur darlegen würden - nicht gedeckt.

Das SG hat mit Urteil vom 17.08.2005 die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Berechnung des Bedarfes und der Berücksichtigung des Rentenbezuges der Ehefrau als Einkommen sowie der hiervon abzuziehenden Beträge hat das SG auf die Ausführung in dem Schreiben vom 24.02.2005 sowie im Widerspruchsbescheid vom 06.05.2005 Bezug genommen. Der nach dem Statistikmodell vom Gesetzgeber in transparenter Weise festgestellte Regelsatz sei verfassungsgemäß, wobei sich der Gesetzgeber sowohl an empirische Daten und Stellungnahmen fachkundiger Verbände gehalten hat, aber auch eigene Fachkenntnisse und Lebenserfahrung mit einbringen konnte und durfte. Dem Gesetzgeber stehe ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger vorgetragen, das SG habe sich nicht ausreichend mit seinem Sachvortrag auseinandergesetzt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 17.08.2005 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 23.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2005 zu verurteilen, Alg II unter Berücksichtigung eines höheren Regelsatzes zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 23.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf höheres Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005.

Gemäß § 19 Abs 1 Nr 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Dabei umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf für das tägliche Leben sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB II). Die monatliche Regelleistung beträgt für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, in den alten Bundesländern einschl. Berlin (Ost) 345,00 EUR (§ 20 Abs 2 SGB II). Haben zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, beträgt der Regelsatz jeweils 90 vH der Regelleistung nach Abs 2 (§ 20 Abs 3 Satz 1 SGB II), somit je 311,00 EUR.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II).

Hinsichtlich der Berechnung der Kosten für Unterkunft und Heizung unter Anrechnung des mit der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigenden Einkommens der Ehefrau wird auf die Ausführungen der Beklagten im Rahmen des Schreibens vom 24.02.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2005 Bezug genommen. Zur Ergänzung wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Rentenleistungen, die die Ehefrau bezieht, als Lohnersatzleistungen gemäß § 11 Abs 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen sind. Es handelt sich dabei um Leistungen, die ebenfalls der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. Diese Leistungen sind nicht als zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs 3 Nr 1 a SGB II anzusehen. Eine Nichtberücksichtigung würde auch zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Beziehern von tatsächlichem Erwerbseinkommen führen. Für eine solche Ungleichbehandlung gibt es keine rechtfertigende Gründe.

Die Kosten für die Unterkunft und Heizung sind von der Beklagten zutreffend berechnet worden, wobei die Kosten für die Erwärmung von Wasser - laut Angaben des Klägers: 18,41 EUR - bereits im Regelsatz berücksichtigt sind, sich also nicht zusätzlich als bedarfserhöhend bei den Kosten für Unterkunft und Heizung auswirken können (vgl hierzu ua: BayLSG, Beschluss vom 27.06.2005 L 11 B 227/05 AS ER; Schmidt in Oestreicher, SGB XII, SGB II, § 20 RdNr 25 und 50, Stand Dezember 2005).

Die Zuzahlung zu Medikamenten und die Praxisgebühr führt ebenfalls nicht zu einer Erhöhung des Bedarfes, zumal die Möglichkeit zur Befreiung bei Überschreiten der gesetzlich vorgesehenen Grenze durch die Krankenversicherung besteht.

Auch durch die Krankheitszusatzversicherung der Ehefrau wird der Bedarf nicht erhöht, denn die - besondere - Notwendigkeit einer solchen - auch der Kläger hat eine Krankheitszusatzversicherung abgeschlossen - ist für den Senat nicht erkennbar, wobei die notwendige medizinische Behandlung über die gesetzliche Krankenversicherung sichergestellt wird.

Die Kosten für die Versicherung des Kfz, die Kfz-Steuer und die Teilkaskoversicherung sind mit dem Regelsatz abgegolten.

Die Festlegung des Regelsatzes selbst - hier: 311,00 EUR je Mitglied der Bedarfsgemeinschaft - ist verfassungsgemäß.

Durch diesen vom Gesetzgeber festgelegen Regelsatz wird weder gegen die Menschenwürde (Art 1 Abs 1 Grundgesetz - GG -) noch gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) verstoßen. Tragendes Grundprinzip ist dabei der Bedarfsdeckungsgrundsatz im Sinne einer Deckung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Dieser Grundsatz gilt auch im SGB II (vgl. hierzu: Brünner in LPK-SGB II § 20 RdNr 18 mit Hinweis auf BVerfGE 82, 60; Rothkegel in SGb 2006, 74). Unter einem menschenwürdigen Dasein ist dabei nicht nur das physische Existenzminimum, sondern das sozio-kulturelle Existenzminimum zu verstehen. Dem Hilfeempfänger muss es möglich sein, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (vgl. Brünner aaO RdNr 21 mit Hinweis auf BVerwGE 97, 376; 94, 336; 92, 6). Orientierungspunkt ist dabei der Lebensstandard wirtschaftlich schwächerer Bevölkerungskreise (vgl. Brünner aaO; BVerwGE 94, 336). Dabei darf der Gesetzgeber jedoch eine den Anforderungen einer Massenverwaltung Rechnung tragende, typisierende Regelung unter Vernachlässigung der Besonderheiten einzelner Fälle treffen (vgl. BVerfGE 40, 121); eine pauschalierende Leistungsbemessung ist zulässig (BVerwGE 94, 326), wobei das SGB II dem Individualisierungsgrundsatz (vgl Rothkegel aaO) durch § 23 SGB II ausreichend Rechnung trägt. Eine durch eine Darlehensrückzahlung evtl. auftretende Unterdeckung anderer Bedarfe kann dadurch entgegengetreten werden, dass eine Rückzahlung in entsprechenden niedrigen prozentualen Raten zu erfolgen hat (vgl. hierzu: Brünner aaO RdNr 24).

Bei der Festlegung des Regelsatzes ist es Aufgabe des Gesetzgebers, den Mindestbedarf anhand o.g. Vorgaben einzuschätzen (BVerfGE 87, 153; Brünner aaO RdNr 25). Seine Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (BVerwGE 102, 366; 94, 326), denn es handelt sich um einen Akt wertender und gestaltender sozialpolitischer Entscheidung. Die Gerichte haben daher lediglich zu prüfen, ob sich die Festlegung auf ausreichende Erfahrungswerte stützt und die Wertungen vertretbar sind (vgl. BVerwGE 102, 366; Brünner aaO RdNr 25). Diese zur Regelsatzverordnung entwickelten Grundsätze sind auch auf die Regelsatzfestlegung im SGB II anzuwenden (vgl. Brünner aaO RdNr 26; Rothkegel aaO).

Der Gesetzgeber hat die Festlegung des Regelsatzes auf die statistischen Erfahrungswerte gestützt. Dies ist nicht allein deswegen zu beanstanden, weil es auch andere Bedarfsermittlungsmöglichkeiten gibt.

Im Rahmen seiner wertenden Entscheidungen hat der Gesetzgeber bei diesen ihm vorliegenden statistischen Werten entsprechende Zu- und Abschläge vorgenommen und die Tatsache, dass die Erfahrungswerte aus 1998 stammen, dadurch berücksichtigt, dass er diese mit Hilfe der Rentenwerte auf den Zeitpunkt 01.01.2005 hochgerechnet hat (vgl. Gehrenkamp in Merkler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 20 RdNr 17). Sogenannte Einmalleistungen hat er durch eine Erhöhung des Regelsatzes in diesen einbezogen.

Nachdem es nicht Aufgabe der Gerichte ist, eigene Erfahrungswerte anstelle der vom Gesetzgeber herangezogenen zu setzen, und die vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidungen vertretbar sind, hat der Senat keine Bedenken bzgl. der Verfassungsmäßigkeit des vom Gesetzgeber festgelegten Regelsatzes. Allein die Möglichkeit, einen höheren Regelsatz auf Grund anderer Berechnungsmethoden und Wertentscheidungen festzulegen, macht diesen Regelsatz noch nicht verfassungswidrig.

Vorliegend führt der Kläger auch keine Gründe an, die diesen Regelsatz bei ihm als verfassungswidrig erscheinen lassen. Der Kläger und seine Ehefrau haben unter Berücksichtigung des Renteneinkommens der Ehefrau mehr als 1.100,00 EUR monatlich zur Verfügung.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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