L 16 R 20/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 565/99 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 20/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 11/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juli 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1999 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Altersrente ab 1. Juli 1998 ohne Kürzung der Entgeltpunkte zu zahlen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob dem Kläger nur Auslandsrente zusteht.

Der 1934 geborene Kläger ist bosnischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in Bosnien-Herzegowina.

Am 27.07.1998 ging bei der Beklagten ein beim jugoslawischen Versicherungsträger in B. gestellter Rentenantrag vom 03.07.1998 ein. Beantragt wurde Alterspension nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die Staatsangehörigkeit bei Antragstellung sei bosnisch, 1956 sei der Kläger jugoslawischer Staatsangehöriger gewesen.

In einem Formblatt JU 205 wurden keine bosnischen Versicherungszeiten vermerkt. Es hieß dort: Angaben über jugoslawische Versicherungszeiten befinden sich in Z ... Der von der Beklagten angeforderte Versicherungsverlauf in Kroatien wies im Formblatt JU 205 vom 19.10.1998 33 Jahre, drei Monate 21 Tage Versicherungszeit aus.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 13.01.1999 gewährte die Beklagte Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.07.1998. Die Anspruchsvoraussetzungen seien zwar ab dem 15.07.1997 erfüllt, die Rente könne aber erst ab Antragsmonat geleistet werde, da der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wurde in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Die Wartezeit sei nur unter Zusammenrechnung der Versicherungszeiten, die in Jugoslawien bzw. im Nachfolgestaat Kroatien zurückgelegt sind, erfüllt. Da der Kläger bosnischer Staatsangehöriger sei und seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Staates habe, in dem die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungszeiten zurückgelegt seien, könne die Rente nur aus 70% der Entgeltpunkte aus den deutschen Versicherungszeiten berechnet werden. Es ergab sich ein monatlicher Rentenbetrag von 187,94 DM sowie eine Nachzahlung von 1.503,52 DM. Der Bescheid enthielt weiter den Hinweis, bei Vollendung des 65. Lebensjahres am 15.07.1999 Antrag auf Umwandlung der Rente nach § 35 SGB VI zu stellen, da die hierfür erforderliche Wartezeit von fünf Jahren allein aus deutschen Zeiten erfüllt sei und somit eventuell eine Rente in Höhe von 100% zahlbar wäre.

Dagegen richtet sich der Widerspruch des Klägers, den die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.1999 zurückgewiesen hat.

Dagegen richtet sich die Klage zum Sozialgericht Landshut zu deren Begründung ausgeführt wird, dass dem Kläger als bosnischem Staatsangehörigen, der sich in Bosnien aufhält, nach Art. 25 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen die in der früheren Teilrepublik Kroatien zurückgelegten Zeiten anzurechnen seien. Die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf einen Aufenthalt des Klägers in einem Drittstaat, denn aufgrund der Weitergeltungsvereinbarung der Bundesrepublik mit den jeweiligen Nachfolgestaaten seien bis zum Inkrafttreten neuer eigener Sozialversicherungsabkommen mit diesen Staaten keine materiellen Änderungen eingetreten, so dass der Aufenthalt im Drittstaat zu verneinen sei, solange sich der Versicherte im Hoheitsgebiet des ehemaligen Staatsgebiets der sozialistisch föderativen Republik Jugoslawien aufhalte. Die sogenannte Drittstaatenregelung scheide auch deshalb aus, da das deutsch-kroatische Sozialversicherungsabkommen erst zum 01.12.1998 in Kraft getreten sei. Im Übrigen stehe dem Kläger die begehrte Rente bereits am 01.08.1997 zu, denn die Beklagte hätte aufgrund des vorhergegangen Rentenantragsverfahren, das mit Bescheid vom 09.01.1991 endete, Kenntnis davon, dass der Kläger die 35-jährige Wartezeit erfülle und eine Altersrente begehre. Sie hätte ihn deshalb nach § 115 Abs. 6 SGB VI auf das Erfordernis der rechtzeitigen Rentenantragstellung hinweisen müssen und sei daran auch nicht gehindert gewesen. Da die Beklagte diese Hinweispflicht nicht erfüllt habe, sei der Kläger so zu stellen, als habe er den Rentenantrag innerhalb der Frist des § 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI nach Vollendung des 63. Lebensjahres gestellt.

Mit Urteil vom 30.07.2003 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass ein früherer Zeitpunkt des Rentenbeginns nicht in Betracht komme. Dahingestellt bleiben könne, ob die Beklagte eine Hinweispflicht gehabt habe, denn sie sei nicht in der Lage gewesen, die Hinweispflicht zu erfüllen. Im Frühjahr/Sommer 1997 hätte sie mit dem Kläger unter der aus dem früheren Verfahren bekannten Anschrift mit Wahrscheinlichkeit nicht korrespondieren können, da der Kläger seinen Wohnsitz zwischenzeitlich verlegt hatte und aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihm eine Nachricht nicht zugegangen wäre. Die neue Anschrift des Klägers sei der Beklagten erst durch das Schreiben der Bevollmächtigten bekannt geworden. Die Beklagte hätte deshalb nicht ohne unzumutbaren Aufwand über die Notwendigkeit des Rentenantrags belehren können. Es bestehe deshalb kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.

Auch habe der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung der Rente in voller Höhe, da nach dem Zerfall Jugoslawiens im Verhältnis zu den einzelnen Nachfolgestaaten zwar das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen von 1968 weiter gelte, er aber seinen Wohnsitz in einem Drittstaat habe, weil mit jedem der neu entstandenen Staaten aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung die Weitergeltung vereinbart worden sei.

Dagegen richtet sich die Berufung, mit der zunächst erneut der Beginn der Altersrente ab 01.08.1997 sowie eine Berechnung der Rente aus 100% der erzielten Entgeltpunkte begehrt wird. Zur Begründung des früheren Rentenbeginns wird ausgeführt, dass die Beklagte eine Hinweispflicht gehabt habe und deshalb aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs der Kläger Anspruch auf einen früheren Rentenbeginn geltend machen könne. Im Übrigen erfolgte die Anrechnung der Versicherungszeiten aufgrund des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens von 1968. Mit der Weitergeltungsvereinbarung sei keine ausdrückliche Beschränkung der Anwendbarkeit des Abkommens auf die Staatsangehörigen des Nachfolgestaates sowie eines Aufenthalts in den Staatsgebieten der Nachfolgestaaten getroffen worden. Deshalb komme die Gebietsgleichstellung allen Staatsbürgern der Nachfolgestaaten bei Aufenthalt in einem der Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien zu gute. Bei dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen handele es sich um ein sogenanntes offenes Abkommen, das inhaltlich nicht geändert wurde und bis zum Inkrafttreten des deutsch-kroatischen Sozialversicherungsabkommens also bis 01.12.1998 gegolten habe. Da das Abkommen also keine Abwehrklausel enthalte, seien die kroatischen Zeiten anrechenbar und der Kläger habe Anspruch auf Zahlung einer Rente aus 100% der von ihm erzielten Entgeltpunkte.

In der Erwiderung nahm die Beklagte ausführlich zur Frage der Anwendung der Abkommen bzw. der Weitergeltungsvorschriften Stellung. Sie kommt im Ergebnis zum Schluss, dass eine Berücksichtigung von Rentenversicherungszeiten in Jugoslawien insgesamt nicht zulässig sei, soweit ein Staat diese nicht in seine Versicherungslast übernehme. Dies sei im Falle des Klägers gerade nicht geschehen, so dass sich der Kläger in einem Drittstaat befinde und deshalb nur Anspruch auf Auszahlung seiner Rente zu 70% habe.

Mit dem Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid vom 23.01.2004 stellte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers ab 01.10.2003 neu fest und berechnete die Rente allein aus den nach deutschen Vorschriften anrechenbaren Zeiten. Es ergab sich damit ab 01.10.2003 ein monatlicher Zahlbetrag von 148,30 Euro, gegenüber 103,60 Euro bei Kürzung auf 70%. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass bereits im Bescheid vom 13.01.1999 auf die grundsätzlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres bestehenden Ansprüche auf Regelaltersrente, die dann allein aus deutschen Versicherungszeiten berechnet würden, hingewiesen worden sei. Deshalb sei eine Erweiterung des Antrags vom 03.07.1998 auf eine Regelaltersrente, wie im Schreiben vom 20.10.2003 gefordert, nicht möglich.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2006 begrenzte die Klägerbevollmächtigte den Antrag auf die ungekürzte Berechnung der Rente.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30.07.2003 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 13.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1999 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Altersrente ab 01.07.1998 ohne Kürzung der Endgeltpunkte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut und des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig und erweist sich als begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Berechnung seiner Rente aus 100% der Entgeltpunkte ab 01.07.1998.

Die Beklagte hat zwar zu Recht im Bescheid vom 23.01.2004, der während des Berufungsverfahrens ergangen ist, darüber belehrt, dass dieser Bescheid Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens nach § 96 SGG geworden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 13.01.1999 für den Zeitraum ab 01.10.2003 geändert und ab diesem Zeitpunkt die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung von 100% seiner deutschen Entgeltpunkte berechnet. Es ergab sich dadurch eine Rentensteigerung von 103,00 Euro auf rund 140,00 Euro. Durch diesen Bescheid ist der Kläger nicht beschwert.

Die Berufung hat Erfolg, da dem Kläger die Berechnung seiner Altersrente aus 100% der deutschen Entgeltpunkte zusteht. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die Anwendung des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens von 1968 (Abkommen vom 12.10.1968 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (BGBl (1969 II S. 1438 und 1975 II S. 390)) zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis. Die Weitergeltung dieses Abkommens erfolgte für die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien aufgrund der jeweiligen Vereinbarung über die Weitergeltung zwischen der Bundesrepublik und den Nachfolgestaaten. Zwischen der Republik Kroatien und der deutschen Bundesrepublik wurde in der Bekanntmachung vom 26.10.1992 (BGBl II 1992, S. 1146) die weitere Anwendung des Abkommens vereinbart. Mit Bosnien und Herzegowina gilt dies aufgrund der Bekanntmachung vom 16.11.1992 (BGBl II S. 1196) noch heute. Ohne Bedeutung für den streitigen Fall sind die Regelungen des Abkommens mit Kroatien (Abkommen vom 24.11.1997 BGBl. 1998 II S. 2034) da dieses erst am 01.12.1998 in Kraft getreten ist. Es können aus den im Abkommen getroffenen Regelungen auch keine Rückschlüsse auf die bisherige Rechtslage gezogen werden.

Entscheidend ist, dass eine Zusammenrechnung aller Versicherungszeiten für die Berechnung der Rente hier möglich ist, da nur dadurch der Schutz der Wanderarbeitnehmer erreichbar ist.

Dies wurde vom Bundessozialgericht zur Zusammenrechnung aller Versicherungszeiten, bzw. zur gleichzeitigen Anwendung mehrerer Abkommen bereits im Beschluss des Großen Senats (Beschluss vom 29.05.1984 GS 1 - 3/82) von 1984 ausgeführt. Dieser Beschluss befasste sich mit der Frage der Zusammenrechnung von mehreren Abkommenzeiten zur Erfüllung der Wartezeit von 60, 180 oder 240 Kalendermonaten. Gleiches muss aber auch für die Wartezeit von Altersrenten der langjährig Versicherte gelten. Ähnlich hat das BSG auch im Urteil vom 22.04.1990 (5 RJ 70/89) entschieden. Begründet wurde die Bejahung der Zusammenrechnung mit dem Schutz der Wanderarbeitnehmer und dem multilateralen Charakter des Abkommens. Das heißt, der sozialrechtlichen Schutz von Wanderarbeitnehmern Rente hätte entgegen dem Ziel der zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen nicht gewährleistet werden, wenn eine multilaterale Zusammenrechnung in Bezug auf die Wartezeiten nicht durchgeführt würde. Etwas anderes gilt nur, wenn die Abkommen dazu ausdrücklich eine Regelung treffen. Für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen von 1968 wurde eine solche Regelung, anders als in den neuen Abkommen, zum Beispiel dem deutsch-kroatischen Abkommen, nicht getroffen. Der Anspruch des Klägers auf vorgezogene Altersrente für langjährige Versicherte ist unter Anwendung des Art. 25 des deutsch-jugoslawischen Versicherungsabkommens von 1968 in der Fortgeltung mit Kroatien und Bosnien begründet, denn bei Zusammenrechnung der deutschen und der kroatischen Versicherungszeiten erfüllt der Kläger die Wartezeit von 35 Versicherungsjahren. Da er als bosnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Bosnien aber in einem Drittland wohnt, wäre gemäß § 113 Abs. 3 SGB VI eine Kürzung der persönlichen Entgeltpunkte auf 70 v.H. nur durchzuführen, wenn das Abkommen mit Bosnien, das heißt, das DJSVA die Gleichstellung nicht beinhalten würde oder eine Ausschlussklausel enthielte. Dies ist aber nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen sind im Hinblick auf die zwischenzeitlich in Kraft getretenen neuen Sozialversicherungsabkommen, die Regelungen dazu enthalten nicht ersichtlich. Der Frage wird aus diesem Grund keine grundsätzliche Bedeutung mehr beigemessen.
Rechtskraft
Aus
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