S 18 KR 534/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 534/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 31/06 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Nicht verschreibungspflichtige Mistelpräparate der anthroposophischen Therapierichtung sind in der adjuvanten Krebstherapie als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig (Anschluss an Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 01.03.2005, Az. S 8 KR 321/04).
2. Zur Feststellung des Therapiestandards bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V keine näheren Bestimmungen zur standardmäßigen Anwendung solcher Arzneimittel bei diesen Erkrankungen nach dem Erkenntnisstand der besonderen Therapierichtungen getroffen hat.
I. Die Bescheide vom 10.06.2005 und vom 13.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2005 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Beschaffung des Arzneimittels Helixor® A in Höhe von 281,04 EUR aufgewandten Kosten zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Berufung ist zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der an Brustkrebs erkrankten Klägerin die für das anthroposophische Mistelpräparat Helixor® A aufgewandten Kosten zu erstatten hat.

Die 1960 geborene Klägerin war vom 01.08.1997 bis zum 31.08.2005 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 10.01.2005 wurde bei ihr ein Mammakarzinom rechts diagnostiziert (Stadium nach TNM-Klassifikation: pT1c bN1mi 1/16 pM0 G2 R0; Östrogenrezeptoren positiv, Progesteronrezeptoren negativ; HER-2/neu 3+; außerdem wurde links ein Fibroadenom festgestellt).

Während ihres bis zum 21.01.2005 währenden stationären Klinikaufenthalts unterzog sich die Klägerin einer brusterhaltenden Tumorentfernung mit Axilladissektion, danach in den Monaten Februar bis Mai 2005 einer adjuvanten Chemotherapie und in den Monaten Juni und Juli 2005 einer adjuvanten Strahlentherapie. Dem schloss sich eine auf zwei Jahre veranschlagte Behandlung mit Östrogenhemmern (Tamoxifen, Trenantone®) sowie eine adjuvante Therapie mit Trastuzumab (Herceptin®) an.

Am 23.05.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2005 die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Medikament Helixor® A zur Unterstützung des Immunsystems während der noch laufenden Krebstherapie. Auf Grund des nach der Chemotherapie verschlechterten Immunstatus sei sie sehr anfällig gegen Infekte. Dem Antrag beigefügt waren ein Schreiben der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziales vom 21.04.2004 und ein an die behandelnde Frauenärztin der Klägerin gerichtetes Schreiben der HELIXOR Heilmittel GmbH & Co. KG von Mai 2004, wonach Helixor® gemäß Nr. 16.5 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinien - AMR) auch nach dem 01.04.2004 zur adjuvanten Tumortherapie und Rezidivprophylaxe auf Kassenrezept verordnet werden dürfe.

Auf Anfrage der Beklagten nahm der Sozialmedizinische Fachservice Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden/Arzneimittel beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg am 02.06.2005 zu dem Antrag dahin gehend Stellung, dass es sich bei dem Medikament um ein apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiges Präparat handele. Zugelassene Indikationen seien gemäß der anthroposophischen Therapierichtung bösartige und gutartige Geschwulsterkrankungen, bösartige Erkrankungen und begleitende Störungen der blutbildenden Organe, die Anregung der Knochenmarktätigkeit, die Vorbeugung gegen Rückfälle nach Geschwulstoperationen sowie definierte Präkanzerosen. Der Gemeinsame Bundesausschuss vertrete abweichend von der Position des Bundesgesundheitsministeriums die Rechtsauffassung, dass die Gleichstellung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit allopathischen bzw. diesen hinsichtlich der Standardisierung vergleichbaren phytotherapeutischen Arzneimitteln keine Besserstellung hinsichtlich des Anwendungsgebietes begründen könne. Danach sei die Versorgung mit anthroposophischen Mistelpräparaten entsprechend Nr. 16.4.27 AMR auf die palliative Therapie maligner Tumore beschränkt. Nach dieser Auffassung könne eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden, weil die Misteltherapie bei der Klägerin adjuvant eingesetzt werden solle.

Gestützt auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 10.06.2005 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) ab.

Die Klägerin beschaffte sich daraufhin nach Verordnung durch die behandelnde Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dipl.-Med. M. auf Privatrezept das beantragte Medikament auf eigene Kosten. Ihr sind für die Selbstbeschaffung der verordneten Mistelpräparate bis zum Ende der Mitgliedschaft bei der Beklagten folgende Aufwendungen entstanden:

- Verordnung vom 21.06.2005 über Helixor® A 5 mg, 8 Ampullen (Packungsgröße N1), eingelöst am 22.06.2005: 46,84 EUR

- Verordnung vom 01.07.2005 über Helixor® A 5 mg, 8 Ampullen (Packungsgröße N1), eingelöst am 01.07.2005: 46,84 EUR

- Verordnung vom 14.07.2005 über Helixor® A 5 mg, 8 Ampullen (Packungsgröße N1), eingelöst am 16.07.2005: 46,84 EUR

- Verordnung vom 08.08.2005 über Helixor® A 0,1 mg, 50 Ampullen (Packungsgröße N2), eingelöst am 12.08.2005 für 3 Packungen mit 8 Ampullen (Packungsgröße N1): 140,52 EUR

Mit am 07.07.2005 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 01.07.2005 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Arzneimittelkosten durch die Beklagte. Nach dem von der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland veröffentlichten Therapiestandard in der anthroposophischen Therapierichtung zu den in Abschnitt F der Arzneimittelrichtlinien aufgeführten Indikationsgebieten stelle die Anwendung anthroposophischer Mistelpräparate ohne Einschränkung auf die palliative Behandlung die Standardtherapie in der Behandlung maligner Tumore dar. Nr. 16.5 AMR fordere, dass die Anwendung der anthroposophischen Mistelpräparate für das Indikationsgebiet "maligner Tumor" den Grundsätzen der anthroposophischen Therapierichtung und nicht den in Nr. 16.4 AMR beschriebenen Vorgaben der allopathischen Medizin zu folgen habe. Ergänzend wies die Klägerin darauf hin, dass das Sozialgericht Düsseldorf durch rechtskräftiges Urteil vom 01.03.2005, Az. S 8 KR 321/04, die Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales bestätigt habe und dass ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, durch den die Arzneimittelrichtlinien im Sinne seiner gegenteiligen Rechtsauffassung geändert werden sollten, vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung beanstandet und die Änderung deshalb nicht wirksam geworden sei. Dem Antrag war darüber hinaus ein Attest vom 01.07.2006 beigefügt, in dem die behandelnde Frauenärztin Dipl.-Med. M. der Klägerin die Behandlungsbedürftigkeit mit Helixor® auf Grund der bei ihr vorliegenden Tumorerkrankung bescheinigte.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13.07.2005 auch diesen Antrag der Klägerin ab. Rezeptfreie Arzneimittel seien grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Im Übrigen komme eine Erstattung der Kosten von auf Privatrezept selbst beschafften Arzneimitteln schon deshalb nicht in Betracht, weil über die Voraussetzungen einer Ausnahmeindikation nach den Arzneimittelrichtlinien allein der Arzt entscheide.

Gegen die erneute Ablehnung ihres Antrags wandte sich die Klägerin mit ihrem am 22.08.2005 bei der Beklagten eingegangenem Widerspruch vom 16.08.2005. Die Anwendung von Mistelpräparaten stelle in jedem Stadium einer Tumorerkrankung, speziell auch zur Rezidivprophylaxe, den Therapiestandard in der anthroposophischen Medizin dar. Dies belege die Monografie Viscum album der Kommission C bei der Zulassungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, belege. Bei der Behandlung maligner Tumore sei die Anwendung anthroposophischer Mistelpräparate nicht auf die palliative Behandlung beschränkt. Indikationsgebiet im Sinne von Nr. 16.5 AMR seien hier "maligne Tumore", während die Worte "in der palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität" lediglich Aspekte der Therapie und spezifische Fragen der Anwendung der Präparate beschreibe. Die Weigerung der behandelnden Ärztin, eine Verordnung auf Kassenrezept auszustellen, lasse den Anspruch des Versicherten auf Kostenerstattung unberührt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2005 zurück. Die gesetzliche Gleichstellung der Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie mit allopathischen und jenen hinsichtlich der Standardisierung vergleichbaren phytotherapeutischen Präparaten in Nr. 16.5 AMR könne keine Besserstellung im Anwendungsgebiet zur Folge haben. Auch für anthroposophische Misteltherapeutika gelte deshalb Einschränkung des Anwendungsbereichs phytotherapeutischer Mistelpräparate auf die palliative Tumortherapie gemäß Nr. 16.4.27 AMR.

Hiergegen richtet sich die am 26.09.2005 beim Sozialgericht eingegangene Klage vom 22.09.2005. Die Klägerin begehrt weiterhin die Erstattung der während ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten für die Selbstbeschaffung des Medikaments aufgewandten 281,04 EUR. Die Verordnung von Helixor® A sei nach den Arzneimittelrichtlinien sowohl additiv als auch zur Rezidivprophylaxe zulässig. Dem Anspruch auf Erstattung stehe nicht entgegen, dass ein Arzt zur Regressvermeidung nur Privatrezepte ausstellt. Die einschränkende Auslegung der Arzneimittelrichtlinien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss überschreite dessen auf medizinische Aufgaben beschränkte Kompetenzen. Die Verordnungsfähigkeit ergebe sich im vorliegenden Fall zudem aus Nr. 16.7 AMR, weil das Medikament zur Behandlung schwerer unerwünschter Nebenwirkungen der Chemotherapie eingesetzt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide vom 10.06.2005 und vom 13.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für das Arzneimittel Helixor A® in Höhe von 281,04 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt weiter die Auffassung, die vom Gesetz gebotene Gleichstellung anthroposophischer Mistelpräparate mit standardisierten phytotherapeutischen Misteltherapeutika könne keine Besserstellung im Anwendungsgebiet zur Folge haben. Vorliegend sei die Anwendung des Arzneimittels auch nicht der palliativen Therapie zuzurechnen, wie sich aus einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Fachservice Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden/Arzneimittel beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg vom 26.04.2006 ergebe.

Das Gericht hat bei der behandelnden Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dipl.-Med. M. einen Befundbericht eingeholt. Diese teilte am 25.11.2005 mit, sie habe bei der Klägerin nach der Chemotherapie im Mai 2005 eine Lungenentzündung mit Rippenfellentzündung und anschließend eine Anämie diagnostiziert. Sie habe der Klägerin deshalb zur Verringerung sowohl der Nebenwirkungen der Standardtherapie als auch des Rezidivrisikos zunächst Helixor®-Musterampullen aus der Praxis abgegeben. Die Anwendung des Mittels habe eine deutliche Verbesserung des Allgemeinbefindens hinsichtlich Belastbarkeit und Ermüdbarkeit bewirkt. In den Behandlungspausen ginge es der Klägerin schlechter als während der Therapie. Sie habe die Verordnung auf Privatrezept ausgestellt, weil die Klägerin ihr am 16.06.2005 die schriftliche Ablehnung der Beklagten vorgelegt und weil eine Prüfärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ihr die Auskunft erteilt habe, dass eine Verordnung auf Kassenrezept als unwirtschaftlich abgelehnt werde.

Darüber hinaus hat das Gericht eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses eingeholt, hinsichtlich derer auf das Antwortschreiben vom 10.04.2006 (Blatt 68 f. der Gerichtsakte) und die mit Schreiben vom 02.06.2006 nachgereichten Unterlagen (Blatt 98 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen wird. Hinsichtlich der Abgrenzung der Anwendungsgebiete von Mistelpräparaten in Nr. 16.4.27 AMR sei die Überlegung maßgeblich gewesen, dass kurative und palliative Therapiestrategien unterschiedlich zu beurteilen seien.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29.06.2006 und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide vom 10.06.2005 und vom 13.07.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 07.09.2005 sind rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der für die Beschaffung des Arzneimittels Helixor® A aufgewandten 281,04 EUR auf Grundlage von § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung -. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden die Versorgung der Klägerin mit dem anthroposophischen Mistelpräparat zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin stand ursprünglich ein Primäranspruch auf Verschaffung des Arzneimittels durch die Beklagte als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage von § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit Nr. 16.5 AMR zu. Die Beklagte hätte der Klägerin das Medikament als Kassenleistung zur Verfügung stellen müssen, obwohl es nicht verschreibungspflichtig ist.

1. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst insbesondere die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Arzneimittelversorgung ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen.

In Umsetzung dieses gesetzlichen Auftrags hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Nr. 16.2 AMR eine Krankheit dann als schwerwiegend definiert, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Als Therapiestandard erkennt er gemäß Nr. 16.3 AMR ein Arzneimittel dann an, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Auf dieser Grundlage hat der Bundesausschuss in Nr. 16.4 AMR schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung aufgeführt, wobei die Aufzählung allein die Arzneimittel der allopathischen Medizin und die jenen hinsichtlich ihrer Standardisierung vergleichbaren Phytotherapeutika umfasst. Nach dieser Aufzählung sind unter anderem gemäß Nr. 16.4.27 AMR Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität zu Lasten der Krankenkassen verordnungsfähig. Ergänzend hat der Bundesausschuss in Nr. 16.5 AMR geregelt, dass für die in Abschnitt F (umfasst die Nr. 16 ff. AMR) aufgeführten Indikationsgebiete der Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen kann, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist; der Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen. Darüber hinaus sind gemäß der - allerdings erst am 31.12.2005 in Kraft getretenen (vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss, Beschluss vom 18.10.2005, Nr. VIII, BAnz. 2005 Nr. 247 S. 17236) - Nr. 16.7 AMR nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zur Behandlung der beim bestimmungsgemäßen Gebrauch eines zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen (unerwünschte Arzneimittelwirkungen) eingesetzt werden, verordnungsfähig, wenn die unerwünschten Arzneimittelwirkungen schwerwiegend im Sinne der Nr. 16.2 AMR sind.

2. Dem Anspruch auf Arzneimittelversorgung steht nicht entgegen, dass eine Genehmigung ärztlicher Arzneimittelverordnungen gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 des Bundesmantelvertrags Ärzte (BMV-Ä) ausgeschlossen ist und die behandelnde Ärztin der Klägerin lediglich ein Privatrezept ausgestellt hat, anstatt jener das Arzneimittel auf Grund der ihr durch § 3 Abs. 6 und Abs. 9 des Sächsischen Arzneiliefervertrages für den Primärkassenbereich eingeräumten vertragsärztlichen Befugnis durch Ausstellung eines vertragsärztlichen Verordnungsvordruckes als Kassenleistung zu verschaffen.

§ 29 Abs. 1 Satz 2 BMV-Ä bewirkt, dass die vertragsärztliche Verordnung eines bestimmten Arzneimittels keinem Genehmigungsvorbehalt der Krankenkasse unterliegt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Krankenkassen daraus allgemein die Befugnis herleiten können, Ersuchen ihrer Versicherten um eine verbindliche Klärung der Verordnungsfähigkeit bestimmter Pharmakotherapien als nicht statthaft abzulehnen und damit deren behandelnde Ärzte implizit auf eine nachträgliche Klärung im Wege der Einzelfallprüfung nach § 106 Abs. 3 Satz 3 SGB V und das damit verbundene Risiko eines Regresses zu verweisen. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall war die Klägerin berechtigt, durch die Beklagte vorab klären zu lassen, ob eine bestimmte Arzneimitteltherapie dem Grunde nach vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist. Hat die Krankenkasse - wie hier durch den Bescheid vom 10.06.2005 - auf eine entsprechende Anfrage des Versicherten hin diesem gegenüber durch Verwaltungsakt entschieden, dass ein bestimmtes Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist, so kann sie dem Versicherten das Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung nicht als Grund für einen Ausschluss des Erstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V entgegen halten. Denn auch im Falle einer rechtswidrigen Ablehnung des Leistungsantrags des Versicherten hat die Krankenkasse durch ihre Ablehnung nach außen hin erklärt, dass sie eine Verpflichtung zur Abgabe des Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Falle nicht anerkennt. Damit ist zugleich die dem Arzt durch den Bundesmantelvertrag und den Arzneiliefervertrag nach Außen hin allgemein eingeräumte Befugnis, die Krankenkasse gegenüber dem pharmazeutischen Leistungserbinger mittels Verwendung eines vertragsärztlichen Verordnungsvordrucks verpflichten zu dürfen, im konkreten leistungsrechtlichen Innenverhältnis eingeschränkt. Durch eine in Kenntnis des Ablehnungsbescheides gleichwohl erteilte kassenärztliche Arzneimittelverordnung würde der Arzt diese im Innenverhältnis eingeschränkte Verfügungsbefugnis nach Außen hin rechtswidrig überschreiten. Das schließt die Verschreibung auf einem kassenärztlichen Verordnungsfomular automatisch aus. Andererseits setzt aber § 13 Abs. 3 SGB V in dieser Situation sowohl die Übernahme der Verantwortung für die Arzneimitteltherapie durch Ausstellung einer ärztlichen Verordnung als auch die private Beschaffung des Arzneimittels auf eigene Kosten durch den Versicherten für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs gerade voraus. Daraus ergibt sich zwangsläufig im Umkehrschluss, dass die Beschaffung des Medikaments, dessen Erbringung als Sachleistung die Krankenkasse zuvor abgelehnt hat, auf Privatrezept vom Gesetz gedeckt ist.

3. Als Grundlage für den Primäranspruch auf Versorgung mit dem beantragten Arzneimittel kommt allein § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit Nr. 16.5 AMR in Betracht. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht einschlägig.

a) Die Klägerin kann einen Primäranspruch auf Versorgung mit Helixor® A nicht aus § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V allein herleiten. Es handelt sich bei Helixor® um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das deshalb dem grundsätzlichen Leistungsausschluss nach § 31 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V unterliegt. Seine Abgabe zu Lasten der Krankenkasse bedarf einer gesonderten Ausnahmeregelung auf Grundlage des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V.

An der Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung auch der nicht verschreibungspflichtigen anthroposophischen Arzneimittel in den allgemeinen Leistungsausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bestehen für die Kammer keine Zweifel (eingehend hierzu Sozialgericht Reutlingen, Urteil vom 09.02.2006, Az. S 3 KR 977/05). Weder wird das vom Schutz des Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) umfasste Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinsichtlich der Wahl bestimmter Therapierichtungen dadurch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, noch verletzt die Gleichstellung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit allopathischen Arzneimitteln bei der Einbeziehung in den Regelungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V den allgemeinen Gleichheitssatz, zumal dieser nur die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bzw. Gleichbehandlung von Personen, nicht aber von Arzneimitteln regelt, die als solche nicht Grundrechtsträger sein können.

b) Die in Nr. 16.4.27 AMR in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V geregelte Ausnahme vom Verordnungsausschluss ist für Helixor® nicht einschlägig. Sie betrifft ausschließlich parenteral applizierbare Mistelpräparate, die auf Mistellektin normiert sind, nicht aber Misteltherapeutika, die nach anthroposophischen Gewinnungsverfahren ohne Standardisierung des Wirkstoffgehalts hergestellt werden.

Helixor® A stellt ein Mistelpräparat dar, dass parenteral, nämlich subkutan, appliziert wird. Das Arzneimittel ist jedoch nicht auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt an Mistellektinen standardisiert. Es unterschiedet sich in dieser Hinsicht von den unter Nr. 16.4.27 AMR fallenden Phytotherapeutika (Lektinol®: standardisiert auf 15 ng Mistellektin I je Ampulle; Eurixor®: standardisiert auf einen definierten Mistelgehalt für die optimale Dosierung bei einem normalgewichtigen Menschen von 50 bis 70 kg Körpergewicht; vgl. Fachinformation der Madaus AG zu Lektinol®, Stand Februar 2001, Abschnitt 3.2; Fachinformation der biosyn Arzneimittel GmbH zu Eurixor®, Stand Mai 2002, Abschnitt 13).

Darüber hinaus wird das Arzneimittel nicht, wie von Nr. 16.4.27 AMR vorausgesetzt, in der palliativen Therapie eingesetzt. Die Einschränkung "in der palliativen Therapie ... zur Verbesserung der Lebensqualität" erstreckt die Verordnungsfähigkeit nicht auf alle im weitesten Sinne nichtkurativen, symptomatischen Behandlungen unabhängig vom Krankheitsstadium. Sie schließt vielmehr auch das Stadium der Grunderkrankung, in dem die Therapie angewandt wird, und das daraus resultierende Therapieziel in die Definition der Leistungsvoraussetzungen mit ein. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut "in der palliativen Therapie" statt lediglich des Adverbs "palliativ", das so viel wie "symptomatisch lindernd" bedeutet. Weil sich "palliative Therapie" wegen der Präposition "in" nicht auf die Misteltherapie selbst beziehen kann, muss damit die Behandlung der Krebserkrankung - nicht etwaiger Begleit- oder Folgeerkrankungen - in einem ursächlich unumkehrbarem Stadium gemeint sein. Anderenfalls käme der Betonung der palliativen Behandlung neben dem Zusatz "zur Verbesserung der Lebensqualität" wegen des insoweit wesensgleichen Therapieziels keine weitergehende Bedeutung zu. Dies deckt sich mit der Bedeutung der Begriffe "Palliativbehandlung" und "Palliativmedizin", die - im Gegensatz zum bloßen Begriff "palliativ" - zugleich das Stadium der Erkrankung mit beschreiben, in dem eine konkrete Behandlungsmaßnahme ergriffen wird (vgl. Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage: Palliativbehandlung - Therapie mit palliativer Zielsetzung, d.h. z.B. bei nicht heilbarem Tumorleiden die Linderung oder Prophylaxe tumorbedingter Symptome ...; Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage: Palliativmedizin - aktive, ganzheitliche Behandlung einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung, die auf kurative Behandlung nicht mehr anspricht ...)

Nachdem bei der Klägerin der Primärtumor und eine Mikrometastase operativ beseitigt wurden und weiter keine Metastasen festgestellt sind, richtet sich das Hauptmerkmal der Behandlung auf die Verhinderung von Rezidiven. Diese sog. adjuvante Krebstherapie ist Teil der kurativen Behandlung der schweren Grunderkrankung. Angesichts des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlaufs scheidet deshalb eine palliative Therapie vorliegend schon begrifflich aus.

c) Die Verordnung zu Lasten der Krankenkasse lässt sich auch nicht auf Nr. 16.7 AMR in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V stützen. Hierfür würde allerdings sprechen, dass die behandelnde Ärztin das Medikament ursprünglich zur Linderung der mit der adjuvanten Chemo- und Radiotherapie einhergehenden Schwächung des Immunsystems verordnet hat. Bei der Schwächung des Immunsystems auf Grund des bestimmungsgemäßen Gebrauchs zugelassener Zytostatika handelt es sich um typische unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Nr. 16.7 AMR ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar.

Zum Zeitpunkt der Beschaffung der Präparate durch die Klägerin galt Nr. 16.7 AMR noch nicht. Die Regelung beruht auf einer Ergänzung der Arzneimittelrichtlinien auf Grund eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18.10.2005 (BAnz. 2005 Nr. 247 S. 17236), die erst am Tag nach ihrer Verkündung, das heißt am 31.12.2005, in Kraft getreten ist.

Zudem ist von Nr. 16.7 AMR nicht die von der behandelnden Ärztin angeordnete dauerhafte Medikation zur Rezidivprophylaxe in der adjuvanten Krebstherapie gedeckt.

Die eher unspezifischen und sich mit den Auswirkungen der Grunderkrankung überschneidenden Nebenwirkungen der hier eingesetzten adjuvanten Chemotherapie erfüllen darüber hinaus - anders als bei einer Hochdosis-Chemotherapie oder einer Immunsuppression zur Vorbereitung einer Stammzellentransplantation - nicht die in Nr. 16.2 AMR genannten Voraussetzungen hinsichtlich der Schwere der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Soweit die Klägerin hiergegen eingewandt hat, dass die bei ihr aufgetretene akute Lungenentzündung angesichts der allgemeinen Schwächung in Folge der Krebserkrankung und deren Behandlung durchaus lebensbedrohlich sei, ist darauf hinzuweisen, dass akute entzündliche und fieberhafte Erkrankungen eine Gegenanzeige für die Anwendung von Helixor® A darstellen (vgl. Fachinformationen der HELIXOR Heilmittel GmbH & Co. KG zu Helixor® A/-M/-P, Stand März 2003, Abschnitt 5, 1. Spiegelstrich, sowie die Bekanntmachung über die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln - Aufbereitungsmonographien für Arzneimittel der Anthroposophischen Therapierichtung - vom 17.02.1986, Monografie Viscum album, BAnz. Jg. 38 [1986] Nr. 99a S. 54 am Ende). Speziell für die gezielte Behandlung akuter entzündlicher Begleit- und Folgeerkrankungen ist das Präparat gerade nicht geeignet.

Darüber hinaus erstreckt sich nach den Fachinformationen der HELIXOR Heilmittel GmbH & Co. KG zu Helixor® A/-M/-P, Stand März 2003, Abschnitt 4, die Anwendung des Arzneimittels entsprechend der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis insbesondere auf "die Anregung von Form- und Integrationskräften zur Auflösung und Wiedereingliederung verselbständigter Wachstumsprozesse, zum Beispiel bösartige und gutartige Geschwulsterkrankungen, bösartige Erkrankungen der blutbildenden Organe, definierte Präkanzerosen, Rezidivprophylaxe nach Geschwulstoperationen, Anregung der Knochenmarktätigkeit". Es handelt sich mithin nicht um ein spezifisches Medikament zur sekundären Behandlung konkreter Nebenwirkungen der bestimmungsgemäß angewandten Arzneimitteltherapie, sondern um ein komplementäres Element der Krebsbehandlung, dessen immunmodulatorische Wirkungen sich nach den Erkenntnissen der anthroposophischen Therapierichtung direkt in die Überwindung der verselbständigten Wachstumsprozesse einordnen.

Diese Bewertung wird bei einem Vergleich mit den wirkstoffstandardisierten phytotherapeutischen Mistelpräparaten durch das Nebeneinader von Nr. 16.4.27 und 16.7 AMR bestätigt. Denn auch die pharmakologische Wirkung der nach Nr. 16.4.27 AMR als Standardtherapeutikum in der palliativen Krebstherapie anerkannten Phytotherapeutika Lektinol® und Eurixor® - die hinsichtlich des hohen Gehalts an Mistellektinen gewisse Ähnlichkeit mit Helixor® aufweisen - beruht auf immunmodulatorischen Effekten, wie sie insbesondere den durch eine (ggf. palliative) Chemotherapie immunologisch geschwächten Patienten zu Gute kommen. Gleichwohl hat der Gemeinsame Bundesausschuss sie als Standardtherapeutikum in der palliativen Krebstherapie in die Liste der ausnahmsweise verschreibungspflichtigen Arzneimittel aufgenommen. Würde der Einsatz dieser Arzneimittel zur Kräftigung des Immunsystems bereits die Voraussetzungen der Nr. 16.7 in Verbindung mit Nr. 16.2 AMR erfüllen, hätte es der gesonderten Aufzählung dieser Mittel im Ausnahmekatalog nach Nr. 16.4 AMR nicht bedurft. Für die insoweit vergleichbaren anthroposophischen Mistelpräparate gilt nichts Anderes.

Schließlich sind Mistelpräparate auch nicht in Abschnitt C.3 der Veröffentlichung der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland vom 15.01.2006 "Therapiestandard in der anthroposophischen Therapierichtung zu den im Abschnitt F 16.4. aufgeführten Indikationsgebieten der neugefassten Arzneimittelrichtlinien - AMR - vom 16. März 2004 - ergänzte Fassung 15.1.2006 einschließlich des neuen Abschnitts 16.7 AMR (rechtskräftig seit 31.12.2005)" (http://www.anthroposophische-aerzte.de) aufgeführt. Dort sind beispielhaft wichtige Indikationen schwerwiegender unerwünschter Arzneimittelwirkungen gemäß Ziffer 16.7 AMR mit möglichen anthroposophisch-medikamentösen Therapieoptionen aufgelistet. Als schwerwiegende Nebenwirkungen sind zwar unter Anderem die vermehrte Infektanfälligkeit in Folge von Beeinträchtigungen des Immunsystems und der Hämatopoese sowie Erkrankungen der Atemwege und der Lunge genannt. Jedoch sind Viscum-Präparate diesen nicht als wichtige, im allgemeinen vorrangig in Betracht kommende Arzneimittel zugeordnet (a.a.O. Seite 14, 16 f.).

4. Im Ergebnis zu Recht macht die Klägerin geltend, dass ihr auf Grund der in Nr. 16.5 AMR in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V angeordneten Gleichstellung der anthroposophischen und homöopathischen mit den allopathischen und phytotherapeutischen Standardtherapeutika ein Primäranspruch auf Versorgung mit Helixor® A als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zustand.

Die Kammer schließt sich der Auffassung der Klägerin mit der Maßgabe an, dass Nr. 16.5 AMR, aus dem die Klägerin ihren Anspruch herleitet, nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, jedoch wegen des darin liegenden normativen Systemversagens vorläufig in der Auslegung anzuwenden ist, welche die Klägerin der Norm beimisst.

Sowohl in der von der Klägerin im Anschluss an die Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vertretenen Auslegung als auch in der Auslegung, welche die Beklagte im Anschluss an die Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses vertritt, ist Nr. 16.5 AMR nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die ihm durch § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V übertragene Aufgabe, in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel unter Beachtung der therapeutischen Vielfalt als Therapiestandard bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen ausnahmsweise verordnet werden können, für den Bereich der anthroposophischen und homöopathischen Arzneimittel durch Erlass der Nr. 16.5 AMR nicht wie gesetzlich geboten erfüllt.

Die untergesetzliche Regelungslücke ist unter Heranziehung der von der Rechtsprechung zum Systemversagen bei Erlass von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses entwickelten Grundsätze (vgl. exemplarisch Bundessozialgericht, Urteil vom 03.04.2001, Az. B 1 KR 40/00 R) direkt an Hand der Grundentscheidungen des Gesetzgebers für eine therapeutische Vielfalt bei der Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (§ 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und unter Beachtung der Grundrechte der Klägerin aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98) zu Gunsten der Versicherten zu schließen.

a) Entscheidend für die Versorgung der Klägerin mit dem nicht verschreibungspflichtigen anthroposophischen Arzneimittel soll nach dem Wortlaut von Nr. 16.5 AMR sein, ob ihr die behandelnde Ärztin das Medikament bei einer schwerwiegenden Erkrankung zur Anwendung in einem der in Abschnitt F der Arzneimittelrichtlinien aufgeführten Indikationsgebiete verordnet hat und ob seine Anwendung für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.

Die erste Voraussetzung der Nr. 16.5 AMR, dass das Arzneimittel zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung anzuwenden ist, ergibt sich unmittelbar aus § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V und gilt nach dem gesetzlichen Normsetzungsauftrag auch für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen. Das folgt aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach "dabei" - also bei der Bestimmung der zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard geltenden Arzneimittel - der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist.

Bei der Klägerin lag, als sie sich die Leistung auf eigene Kosten beschafft hat, eine schwerwiegende Erkrankung in Gestalt einer lebensbedrohlichen Krankheit vor. Das im Januar 2005 diagnostizierte Mammakarzinom erfüllt die vom Gemeinsame Bundesausschuss in Nr. 16.2 AMR zutreffend herausgearbeiteten Kriterien zur Konkretisierung dieses vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorgegebenen Begriffs.

Das gilt auch für die Zeit nach der operativen Entfernung des Primärtumors aus der Brust und einer Mikrometastase aus einem axillären Lymphknoten. Die Klägerin konnte, als sie sich die streitgegenständlichen Arzneimittel beschaffte, trotz des fehlenden Nachweises von Metastasen nicht als geheilt bezeichnet werden. Der sichere Ausschluss von Metastasen auf dem Boden der einmal festgestellten Grunderkrankung ist nach dem derzeitigen Stand der Diagnostik ebenso wenig möglich wie eine verlässliche Vorhersage der Freiheit von Rezidiven. Dem entsprechend richtet sich die nach § 27 Abs. 1 SGB V von der Krankenkasse zu tragende Krankenbehandlung neben der Beseitigung bereits festgestellter Tumore und der Linderung der von ihnen verursachten Beschwerden auch bei günstiger Prognose maßgeblich auf die Verringerung des Rezidivrisikos, was den hohen Stellenwert adjuvanter Behandlungsansätze im Rahmen der kurativen Krebstherapie bedingt.

b) Ob die Verordnung des anthroposophischen Mistelpräparats sich, wie Nr. 16.5 AMR weiter voraussetzt, auf eines der in Abschnitt F der Arzneimittelrichtlinien aufgeführten Indikationsgebiete erstreckt hat, lässt sich an Hand des Wortlauts der Arzneimittelrichtlinien nicht eindeutig feststellen. Ursache für die Unbestimmtheit der Verweisung auf die übrigen Ausnahmetatbestände des Abschnitts F - namentlich auf Nr. 16.4 AMR - ist, dass der Bundesausschuss bei der Verwendung des Wortes "Indikationsgebiete" begrifflich nicht klar zwischen den schwerwiegenden Erkrankungen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V und den Indikationsvoraussetzungen, welche den Therapiestandard zu deren Behandlung beschreiben, differenziert hat. Dies resultiert wiederum daraus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss darauf verzichtet hat, für die Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie den schwerwiegenden Erkrankungen die jeweilige Standardmedikation zuzuordnen und sich statt dessen darauf beschränkt hat, summarisch auf die "Indikationsgebiete" der in Nr. 16.4 AMR aufgeführten allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimittel zu verweisen.

Nach Auffassung der Klägerin, bezeichnet das Wort "Indikationsgebiete" in Nr. 16.5 AMR allein die im Ausnahmekatalog nach Nr. 16.4 AMR genannten schwerwiegenden Erkrankungen.

Diese Auslegung deckt sich mit der Begründung eines wörtlich in die jetzige Fassung der Nr. 16.5 AMR übernommenen Formulierungsvorschlags des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 08.03.2004. Darin wird festgestellt, dass auf Grund der besonderen Wirkungsweise der Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie eine standardisierte Zuordnung von Arzneimitteln zu bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen in der Regel nicht möglich sei; da andererseits der Gesetzgeber eine genaue Umschreibung der Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit fordere, werde durch die Formulierung zum Einen erreicht, dass der gesetzlichen Vorgabe entsprechend der therapeutischen Vielfalt Rechnung getragen werde, andererseits aber die Verordnungsfähigkeit auf die gleichen Krankheitsarten festgelegt. Dieser Begründung zufolge bezieht sich das Wort "Indikationsgebiete" also auf die als schwerwiegende Erkrankung anerkannten Krankheitsarten, ohne dass die Verordnungsfähigkeit an Hand der Anwendungsmodalitäten, die den jeweiligen Therapiestandard der zu ihrer Behandlung eingesetzten Allopathika und Phytotherapeutika definieren, weiter eingeschränkt wäre.

Nach dieser Auffassung wäre die Verordnung des Mistelextrakts als Kassenleistung von den Arzneimittelrichtlinien gedeckt. Dabei kommt es nicht einmal ausschließlich auf die in Nr. 16.4.27 AMR beschriebene Indikation für die Verordnung phytotherapeutischer Mistelpräparate an. Denn Nr. 16.5 AMR beschränkt sich hinsichtlich des Verweises auf die in Abschnitt F genannten Indikationsgebiete nicht auf die in Nr. 16.4 AMR genannten Medikamente, die jeweils vergleichbare Wirkstoffe wie die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen aufweisen oder aus den selben Grundsubstanzen gewonnen werden, zumal die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen häufig auf Wirkstoffe und Grundsubstanzen zurückgreifen, die in die allopathische Standardmedikation keinen Eingang gefunden haben. Da in Nr. 16.4 AMR mehrfach kanzerogene Erkrankungen als schwerwiegende Krankheit im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V und Nr. 16.3 AMR Erwähnung finden - namentlich: Tumorleiden (Nr. 16.4.1 AMR), maligne Tumore (Nr. 16.4.1 AMR), onkologische Erkrankungen (Nr. 16.4.35 AMR) -, wären nach der Auffassung der Klägerin die Voraussetzungen für eine Kassenversorgung der Versicherten mit allen Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen zu deren Behandlung erfüllt, sofern es sich dabei nur um Standardtherapeutika handelt, ohne dass es auch insoweit auf die den Therapiestandard widerspiegelnden Anwendungsvoraussetzungen der in Nr. 16.4 AMR aufgeführten Arzneimittel ankäme.

c) Nach Meinung der Beklagten, die sich insoweit der Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses angeschlossen hat, verweist dagegen der Begriff "Indikationsgebiet" in Nr. 16.5 AMR nicht nur auf die in Nr. 16.4 AMR genannten schwerwiegenden Erkrankungen, sondern er nimmt zugleich Bezug auf die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen bzw. -modalitäten der dort aufgeführten allopathischen und phytotherapeutischen Standardtherapeutika. Das bedeutet, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie nur dann zu Lasten der Krankenkassen abgegeben werden dürften, wenn und soweit sie sich ihr Anwendungsgebiet jeweils mit dem Therapiestandard der in Nr. 16.4 AMR aufgeführten Arzneimittel deckt.

Dieser Auslegung zufolge beschränkt sich der Anwendungsbereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie im Bereich der gesetzlichen Versicherungsleistungen ausschließlich auf die Substitution allopathischer bzw. diesen vergleichbarer phytotherapeutischer Arzneimittel unter den in Nr. 16.4 AMR beschriebenen indikationsspezifischen Anwendungsvoraussetzungen. Dies ist die Konsequenz aus der Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses, das aus § 2 Abs. 1 Satz 2 und § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V hergeleitete Gebot einer Gleichstellung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen mit den allopathischen Arzneimitteln dürfe keine Besserstellung hinsichtlich des Anwendungsgebiets zur Folge haben.

Danach wären anthroposophische Arzneimittel in der Krebstherapie - ebenso wie die hierfür als Standardmedikation anerkannten rezeptfreien allopathischen und phytotherapeutischen Medikamente - nur als Abführmittel (Nr. 16.4.1 AMR), zur Behandlung krankheitsbedingter Mundtrockenheit (Nr. 16.4.35 AMR) oder in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität (Nr. 16.4.27 AMR) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Die Abgabe von Mistelpräparaten als Kassenleistung wäre in der adjuvanten Behandlung maligner Tumore somit ausgeschlossen.

d) Hinsichtlich der daran anknüpfenden Frage, ob ein verordnetes anthroposophisches oder homöopathisches Arzneimittel als Therapiestandard für das als einschlägig erachtete "Indikationsgebiet" im Sinne von Nr. 16.5 AMR angezeigt ist, stellt Nr. 16.5 AMR auf den Erkenntnisstand in der jeweiligen Therapierichtung ab.

Wörtlich muss nach Nr. 16.5 Satz 1 AMR die Anwendung von anthroposophischen und homöopathischen Arzneimitteln "nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt" sein. Die Syntax ist offensichtlich falsch, weil das Wort "Erkenntnisstand", wenn "in der jeweiligen Therapierichtung" dem nachfolgenden Wort "Therapiestandard" beigefügt wird, ohne Bezug dastünde und ihm daher kein Sinn zukäme. Die Formulierung muss deshalb richtigerweise gelesen werden als "nach dem Erkenntnisstand in der jeweiligen Therapierichtung als Therapiestandard angezeigt".

Als spezielle Regelung für anthroposophische und homöopathische Medikamente geht damit das in Nr. 16.5 AMR insoweit aufgegriffene Prinzip einer eingeschränkten Binnenanerkennung der in Nr. 16.3 AMR enthaltenen Definition des Therapiestandards als dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse vor.

Nr. 16.5 AMR lässt damit ausdrücklich eine auf die Beurteilung eines Medikaments als Therapiestandard beschränkte Binnenanerkennung innerhalb der jeweiligen Therapierichtung genügen. Mit dieser Formulierung hat der Gemeinsame Bundesausschuss wiederum den ihm im Richtlinienverfahren nach § 92 Abs. 2 SGB V unterbreiteten Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 08.03.2004 aufgegriffen. In dem Formulierungsvorschlag wird als Grund dafür, dass die nunmehr in Nr. 16.5 AMR enthaltene Sonderregelung sich nur auf die Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie erstreckt und die Phytotherapeutika ausklammert, angegeben, der Gemeinsame Bundesausschuss entscheide über die Aufnahme pflanzlicher Arzneimittel nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin und sei nicht gezwungen, diese Mittel im Sinne einer Binnenanerkennung summarisch aufzunehmen. Dem liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass die Feststellung des Therapiestandards durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sich auf den nach evidenzbasierten Kriterien allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (Nr. 16.3 AMR) beschränkt, während diese Feststellung hinsichtlich der Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie der Regelungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses entzogen sei.

Sowohl nach der Auffassung der Klägerin als auch der Beklagten muss deshalb zur Beantwortung der Frage, ob die Anwendung eines anthroposophischen oder homöopathischen Arzneimittels den Therapiestandard zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung darstellt, mangels abschließender verbindlicher Feststellungen hierzu in Nr. 16.5 AMR auf die Erkenntnisse der jeweiligen Therapierichtung außerhalb der Arzneimittelrichtlinien zurück gegriffen werden. Der Unterschied zwischen beiden Auffassungen liegt im Ergebnis darin, dass es nach der Auffassung der Beklagten auf die Frage, ob und nach welchen Maßstäben anthroposophische Mistelpräparate den Therapiestandard zur Behandlung maligner Tumore darstellen, in Bezug auf ihre Anwendung in der adjuvanten Krebstherapie vorliegend nicht ankäme. Denn der Anwendungsbereich dieses Kriteriums würde sich allein auf die Frage reduzieren, ob ein bestimmtes Präparat als Substitut für die allopathische oder phytotherapeutische Standardmedikation in Frage kommt. Ein nicht verschreibungspflichtiges Standardtherapeutikum zur adjuvanten Krebstherapie ist in der Ausnahmeliste nach Nr. 16.4 AMR jedoch nicht enthalten.

e) In welchem Sinne der in Nr. 16.5 AMR verwendete Begriff "Indikationsgebiet" zu verstehen ist, ob allein als Verweis auf die in Nr. 16.4 AMR genannten schwerwiegenden Erkrankungen oder auch auf die den jeweiligen arzneimittelbezogenen Therapiestandard definierenden Anwendungsvoraussetzungen, lässt sich weder unmittelbar dem Gesetz noch den Arzneimittelrichtlinien selbst entnehmen.

Der Begriff "Indikationsgebiet" ist weder im Gesetz noch in den Arzneimittelrichtlinien definiert. Das Sozialgesetzbuch greift ihn mehrfach auf (§ 73 Abs. 8 Satz 3, § 92 Abs. 2 Satz 2 bis 4 und Abs. 3 Satz 4, § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB V), insbesondere in § 92 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB V als Ordnungsmerkmal für die Preisvergleichslisten gemäß Anlage 1 der Arzneimittelrichtlinien. Die Ordnungskriterien weisen hinsichtlich ihres gesetzlichen Zwecks, dem Arzt einen Preisvergleich und eine Auswahl therapiegerechter Verordnungsmengen zu ermöglichen, jedoch keinen normativen Bezug zum Regelungszweck der Ausnahmeliste nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V auf, der als Anknüpfungspunkt für die Auslegung und Handhabung der zur Umsetzung dieser Norm verwendeten Rechtsbegriffe dienen könnte. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verwendet in § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 den Begriff "Anwendungsgebiet", der in der Kommentarliteratur als gleichbedeutend mit dem Begriff der "Indikation" angesehen wird, also der einem Arzneimittel gegebenen Zweckbestimmung, insbesondere die körperlichen und seelischen Zustände, die durch das Arzneimittel beeinflusst werden (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand 01.08.2005, A 1.0 AMG § 11 Rn. 27). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der dort verwendete Begriff auf die Pflichtangaben zu konkreten Einzelpräparaten bezieht und gerade nicht, wie der Begriff "Indikationsgebiete" in Nr. 16.5 AMR, ganze Gruppen von Medikamenten jeweils in Bezug auf die Behandlung bestimmter schwerwiegender Erkrankungen umfasst. Der Begriff des Indikationsgebietes kann mithin eine Vielzahl von Indikationen im Sinne konkreter Heilanzeigen, das heißt spezifischer Gründe oder Voraussetzungen für eine konkrete Behandlungsmaßnahme, umfassen. Der Begriff des Indikationsgebiets ist vor diesem Hintergrund zu unbestimmt, als dass sich ihm aus sich heraus entnehmen ließe, ob er im konkreten Kontext nur die zu behandelnden Krankheiten bezeichnet oder auch die Anwendungsvoraussetzungen der zu deren Behandlung eingesetzten Therapeutika mit beinhaltet. Beide Lesarten sind vom Wortlaut des Begriffes gedeckt.

Die Begründung des Gesetzentwurfs zur Neufassung des § 34 SGB V geht davon aus, dass in den Arzneimittelrichtlinien das Nähere zur Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel "insbesondere bezogen auf bestimmte Indikationen und Indikationsgebiete festzulegen" sei (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1525 S. 86). Dies legt nahe, dass die "Indikationen und Indikationsgebiete" nur den Bezugspunkt für die Regelung des "Näheren zur Verordnungsfähigkeit" darstellen und nicht damit identisch sind. Andererseits beinhaltet jedoch zumindest der Begriff "Indikation" nach dem üblichen Sprachgebrauch auch die Anwendungsvoraussetzungen eines Arzneimittels, so dass die Gesetzesmaterialen für das Wortverständnis wenig aussagekräftig sind.

Die Schwierigkeit, den sachlichen Bezug des Begriffes "Indikationsgebiete" allein nach der inneren Regelungssystematik der Arzneimittelrichtlinien festzustellen, ergibt sich daraus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in Nr. 16.4 AMR bei der Umsetzung des gesetzlichen Auftrags aus § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht nur die schwerwiegenden Erkrankungen benannt hat, zu deren Behandlung nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel ausnahmsweise verordnet werden können, sondern dass er zugleich der vom Gesetzgeber außerdem vorgegebenen Maßgabe, wonach diese Arzneimittel bei der Behandlung als Therapiestandard zu gelten haben, dadurch Rechnung getragen hat, dass er in bestimmten Fällen die Standardindikationen zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen in Form näherer Anwendungsvoraussetzungen umschrieben hat. Unklar bleibt dabei, worauf genau sich die in dem Wort "Indikationsgebiete" enthaltene Verweisung in Nr. 16.5 AMR bezieht.

Ein eindeutiger Rückschluss lässt sich nicht aus dem begrifflichen Nebeneinander der "in Abschnitt F aufgeführten Indikationsgebiete" einerseits und der "schwerwiegenden Erkrankungen" andererseits in Nr. 16.5 ziehen. Zwar spricht die begriffliche Unterscheidung dafür, dass für die Kassenversorgung mit den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtung beide Voraussetzungen - eines der genannten Indikationsgebiete und eine schwerwiegende Erkrankung - kumulativ vorliegen müssen, was eine über die Benennung der Erkrankung hinaus weitergehende einschränkende Bedeutung der aufgeführten Indikationsgebiete nahe legt. Dagegen legt die Reihenfolge der Formulierung "Für die ... Indikationsgebiete kann der Arzt ... bei schwerwiegenden Erkrankungen" nahe, dass die in Abschnitt F benannten Indikationsgebiete ein weiteres Begriffsfeld abdecken, das erst durch das Kriterium der "schwerwiegenden Erkrankung" eingeschränkt wird. Da sich jedoch die Ausnahmeliste gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur auf schwerwiegende Erkrankungen beziehen kann, kommt deren gesonderter Erwähnung - außer zur Klarstellung, dass nicht auf den Ausschlusskatalog gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie Abs. 3 SGB V in Nr. 17 bis 19 AMR Bezug genommen wird - kein Regelungsgehalt in Bezug auf die Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Medikamente zu. Wäre die begriffliche Unterscheidung eingefügt worden, um eindeutig im Wege des Gegenschlusses zwischen Indikationsgebieten und schwerwiegenden Erkrankungen als jeweils selbständige Tatbestandsvoraussetzungen zu differenzieren, hätten die "schwerwiegenden Erkrankungen" bereits am Satzanfang, spätestens aber vor dem Prädikat ("kann der Arzt") erwähnt werden müssen.

Dass "Indikationsgebiet" im Sinne von Nr. 16.5 AMR nur die im Abschnitt F aufgeführten schwerwiegenden Erkrankungen bezeichnen könne, wie die Klägerin meint, lässt sich nicht daraus schließen, dass die Einschränkung auf schwerwiegende Erkrankungen in Nr. 16.5 AMR überflüssig wäre, wenn auch anthroposophische Mistelpräparate nur in der palliativen Therapie zu Lasten der Krankenkassen verordnungsfähig wären (so aber Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 01.03.2006, Az. S 8 KR 321/04). Denn Nr. 16.5 AMR regelt nicht speziell die Vorausetzungen, unter denen ausschließlich anthroposophische Mistelpräparate als Kassenleistung abgegeben werden können. Die Regelung gilt vielmehr allgemein für die Anwendung aller einschlägigen Medikamente der anthroposophischen und der homöopathischen Therapierichtung in sämtlichen in Abschnitt F der Arzneimittelrichtlinien genannten Indikationsgebieten. Bei der Auslegung der Nr. 16.5 AMR können deshalb aus Besonderheiten, die sich aus dem Zusammenspiel mit der speziellen Einzelregelung in Nr. 16.4.27 AMR ergeben, keine allgemeinen Rückschlüsse auf die Auslegung der Nr. 16.5 AMR gezogen werden.

Eine deduktive Ableitung des Regelungsgehalts von Nr. 16.5 AMR allein aus Wortlaut und Systematik der Arzneimittelrichtlinien ist mithin nicht möglich. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass die Arzneimittelrichtlinien insoweit eine verdeckte Lücke aufweisen, als ein die normative Verweisung in Nr. 16.5 AMR auf "die in Abschnitt F aufgeführten aufgeführten Indikationsgebiete" konkretisierender Zusatz fehlt, der den Wortlaut im Sinne einer der beiden zwischen den Beteiligten umstrittenen Auslegungsarten einschränkt. Eine solchen Zusatz, der Nr. 16.5 AMR ausdrücklich im Sinne der vom Gemeinsamen Bundesausschuss vertretenen Substitutionslösung einschränkt, enthält erst der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.12.2004, mit dem in Nr. 16.5 AMR nach dem Wort "Indikationsgebiete" noch die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen" eingefügt werden sollten. Dieser Beschluss ist jedoch durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mit Verfügung vom 18.02.2006, Az. 224-44746, beanstandet worden und deshalb noch nicht in Kraft getreten (Klageverfahren anhängig beim Sozialgericht Köln unter dem Az. S 19 KA 29/05).

Ob und nach welcher Auslegung der Nr. 16.5 AMR sich die Verordnung anthroposophischer Mistelpräparate bemisst, muss deshalb an Hand ihrer jeweiligen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, namentlich mit den Vorgaben des § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V, bestimmt werden.

f) Aus Sicht der Kammer bestehen grundsätzlich keine Bedenken dagegen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss sich in den Arzneimittelrichtlinien nicht nur darauf beschränkt hat, schwerwiegende Erkrankungen und die zu deren Behandlung als Therapiestandard anerkannten nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aufzulisten, sondern dass er, soweit das Anwendungsgebiet der Medikamente über die Standardmedikation dieser Erkrankungen hinausgeht, zusätzlich die näheren Voraussetzungen konkretisiert hat, unter denen die Anwendung dieser Medikamente als Therapiestandard gilt.

Um den Zweck des § 34 Abs. 1 SGB V zu verwirklichen, reicht es nicht aus, diejenigen Medikamente generell vom allgemeinen Verordnungsausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V auszunehmen, die lediglich (auch) als Standardmedikation schwerwiegender Erkrankungen eingesetzt werden können. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V setzt deshalb, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch dem Regelungsgegenstand nach voraus, dass die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Verordnung dieser Medikamente indikationsbezogen so weit konkretisiert werden, dass ihre Abgabe zu Lasten der Krankenkasse sich tatsächlich auf die standardmäßige Anwendung bei schwerwiegenden Erkrankungen beschränkt. In Bezug auf Medikamente, deren arzneimittelrechtlicher Anwendungsbereich bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen nicht nur die standardmäßige Behandlung umfasst, ist es mithin sogar gesetzlich geboten, dass in den Arzneimittelrichtlinien außer der Benennung der schwerwiegenden Erkrankung auch die Anwendungsmodalitäten (wie Therapieziel, Applikationsweise oder Krankheits- bzw. Behandlungsstadium und so weiter) bestimmt werden, die den Therapiestandard beschreiben.

Dies wird bestätigt durch die Begründung des Gesetzentwurfs zur Neufassung des § 34 SGB V, wo davon ausgegangen wird, dass in den Arzneimittelrichtlinien das Nähere zur Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel "insbesondere bezogen auf bestimmte Indikationen und Indikationsgebiete festzulegen" sei (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1525 S. 86). Der Bezug auf die - von den Indikationsgebieten begrifflich unterschiedenen - Indikationen im Sinne konkreter Heilanzeigen beinhaltet hier auch die zur Indikation gehörenden Anwendungsvoraussetzungen der Standardtherapie.

Zu Recht hat deshalb der Gemeinsame Bundesausschuss beispielsweise die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger phytotherapeutischer Mistelpräparate in der Therapie maligner Tumore ausschließlich auf den Einsatz in der palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität beschränkt (Nr. 16.4.27 AMR) oder die Verordnung synthetischen Speichels zur Behandlung krankheitsbedingter Mundtrockenheit nur bei onkologischen oder Autoimmun-Erkrankungen zugelassen (Nr. 16.4.35 AMR).

Da die Konkretisierung des Therapiestandards sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V jeweils auf bestimmte Arzneimittel und Erkrankungen beziehen muss, beziehen sich die im Ausnahmekatalog der Nr. 16.4 AMR näher beschriebenen Indikationsvoraussetzungen indessen primär auf die Arzneimittel der jeweiligen Indikationsgruppen.

Im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden ist damit auch die Einschränkung der Verordnung anthroposophischer und homöopathischer Arzneimittel, die in ihrer Therapierichtung als Therapiestandard zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen gelten, auf die Anwendungsvoraussetzungen der Standardtherapie, sofern sich für diese Arzneimittel ein solcher Indikationsbezug normativ feststellen lässt.

g) Nicht mit § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V vereinbar ist dagegen die Auslegung der Nr. 16.5 AMR dahingehend, dass neben der Binnenanerkennung als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung kumulativ auch die für den Therapiestandard der allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimittel maßgeblichen Anwendungsvoraussetzungen für die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erfüllt sein müssen, damit Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie zur Behandlung dieser Krankheit als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen.

Die Kammer hält die Auffassung, wonach nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der anthroposophischen und der homöopathischen Therapierichtung in Anwendung der Nr. 16.5 AMR nur zur Substitution von als Therapiestandard anerkannten allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimitteln als Kassenleistung verordnet werden dürfen, für unvereinbar mit den Vorgaben des Gesetzes.

Der Gesetzgeber hat in § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V angeordnet, dass bei der Bestimmung der Ausnahmen vom grundsätzlichen Verordnungsausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass auch Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, namentlich der Anthroposophie, Homöopathie und Phytotherapie, zu berücksichtigen sind (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1525 S. 86). Im Einklang damit sieht § 92 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 und Satz 6 SGB V vor, dass bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen auch Stellungnahmen von Sachverständigen dieser Therapierichtungen einzuholen und die Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen sind.

Mit diesen Regelungen ist die Annahme unvereinbar, dass die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln der Anthroposophie und der Homöopathie im Sinne einer strengen Akzessorietät dem Therapiestandard der allopathischen und phytotherapeutischen Medikation schwerwiegender Erkrankungen folgen soll. Nach dem Regelungsgehalt des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V kann und muss vielmehr der jeweilige Therapiestandard stets bezogen auf bestimmte Arzneimittel unter Bewertung der jeweiligen Indikationen festgestellt werden. Dies schließt es aus, die Anwendung einer kompletten Arzneimittelgruppe den Anwendungsvoraussetzungen anderer Arzneimittel, erst recht solcher einer anderen Therapierichtung, zu unterwerfen. Dies würde das Gebot der therapeutischen Vielfalt ins Gegenteil verkehren.

h) Eine summarische Verweisung auf die Anwendungsvoraussetzungen der allopathischen und phytotherapeutischen Standardtherapeutika ist weder geeignet noch erforderlich, um die unterbliebene Feststellung der Standardindikationen nach dem anthroposophischen und homöopathischen Erkenntnisstand regelungstechnisch zu kompensieren.

Die Beklagte verkennt das Ziel der von § 34 Abs. 1 Satz 3 und § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V intendierten Gleichstellung zwischen allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimitteln einerseits und den Arzneimitteln der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtung andererseits. Aus dem gesetzlichen Verbot, Arzneimittel allein wegen ihrer Zuordnung zu einer besonderen Therapierichtung von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen, folgt nicht, dass die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen auf die Anwendungsgebiete und -voraussetzungen der allopathischen Medikamente zu beschränken sei. Eine Akzessorietät im Anwendungsgebiet wäre ein sachwidriges Kriterium für eine Gleichstellung.

Das Gesetz verlangt vielmehr eine Gleichstellung bei der Anwendung der Maßstäbe, nach denen sich die Verordnungsfähigkeit anthroposophischer und homöopathischer Arzneimittel unter Beachtung der Besonderheiten der jeweiligen Therapierichtung richtet. Das bedeutet, dass die Voraussetzungen, unter denen Anthroposophika und Homöopathika als Therapiestandard zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen verordnet werden dürfen, nach den gleichen Maßstäben an Hand des Erkenntnisstandes ihrer Therapierichtung in den Arzneimittelrichtlinien zu regeln sind wie die Voraussetzungen, unter denen Allopathika und Phytotherapeutika nach den Kriterien der evidenbasierten Medizin als Therapiestandard zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen allgemein anerkannt sind.

Es wäre deshalb Aufgabe des Bundesausschusses gewesen, in den Arzneimittelrichtlinien zu definieren, was er als Therapiestandard bei der Anwendung von Arzneimitteln der Anthroposophie und der Homöopathie bei schwerwiegenden Erkrankungen bestimmt.

Die pauschale Einbeziehung der in der jeweiligen Therapierichtung als Standardmedikation anerkannten Anthroposophika und Homöopathika missachtet den Regelungsauftrag des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Der Gesetzgeber hat gerade dem Gemeinsamen Bundesausschuss als sachverständig besetztem Gremium eine Konkretisierung der gesetzlichen Ausnahmen durch eine arzneimittelbezogene Feststellung des konkreten Therapiestandards aufgegeben. Dies muss in einer Weise erfolgen, dass das Verordnungsverhalten des Arztes ohne größeren Aufwand auch für außerhalb der jeweiligen Therapierichtung Stehende - insbesondere Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V - direkt an Hand der Arzneimittelrichtlinien nachprüfbar ist.

Der auf konkrete Arzneimittel bezogene Regelungsauftrag des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V erstreckt sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V - wie sich aus dem Wort "Dabei" ergibt - auch auf die Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie. Die Einbeziehung von Sachverständigen der besonderen Therapierichtungen in das Richtlinienverfahren gemäß § 92 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 und Satz 6 SGB V wäre überflüssig, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Arzneimittelrichtlinien nicht die diesen Therapierichtungen zugehörenden Arzneimittel angeben müsste oder ihre Verordnungsfähigkeit nicht durch einen Indikationsbezug auf den Therapiestandard der jeweiligen Therapierichtung zu beschränken bräuchte.

Der Regelungsauftrag, die Standardmedikation zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen unter Wahrung der therapeutischen Vielfalt vom Verordnungsausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auszunehmen, lässt sich nicht umsetzen, indem hinsichtlich der Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie lediglich summarisch auf den auf den in Nr. 16.4 AMR anerkannten Therapiestandard und die dafür maßgeblichen Anwendungsvoraussetzungen verwiesen wird. Denn an Hand der summarischen Verweisung in Nr. 16.5 AMR auf die "Indikationsgebiete" des Abschnittes F der Arzneimittelrichtlinien zum Einen und auf die Binnenanerkennung des Therapiestandards in der jeweiligen Therapierichtung zum Anderen lässt sich nicht bestimmen, ob ein bestimmte Arzneimittel der anthroposophischen oder homöopathischen Therapierichtungen als Therapiestandard zur Behandlung schwerwiegender Erkankungen anzusehen ist. Nr. 16.5 AMR nimmt auch nicht hinreichend bestimmt auf konkrete Quellen (Anwendungsmonografien oder Verlautbarungen der Fachgesellschaften u.s.w.) Bezug, denen der Gemeinsame Bundesausschuss verbindlich die Rolle eines anerkannten Kompendiums zum Therapiestandard in den jeweiligen Therapierichtungen bemessen würde. Der Regelungsauftrag des § 34 Abs. 1 SGB V beinhaltet indessen nicht die Befugnis, die verbindliche Feststellung des Therapiestandards durch eine pauschale Bezugnahme auf fachlichen Konsens zu delegieren, zu dessen verbindlicher Feststellung jegliche Regelung fehlt.

Die derzeit bestehende partielle Regelungslücke trägt allerdings der These Rechnung, dass sich die Verschreibung von Medikamenten der besonderen Therapierichtungen nicht nach vom Hersteller festgelegten Indikationen, sondern nach "dem Erkenntnisstand und dem Menschenbild" der entsprechenden Therapierichtung (so die Beanstandungsverfügung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 18.02.2006, Az. 224-44746, Seite 3) bzw. in der Homöopathie patientenindividuell nach dem jeweiligen Arzneimittelbild richte (vgl. zu dieser Problematik bei der Neufassung der Arzneimittelrichtlinien: Kaesbach/Nahnhauer, Die BKK 2004 S. 150 [154]). In dem Nr. 16.5 AMR zu Grunde liegenden Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 08.03.2004 wird die Aufnahme einer summarischen Verweisung auf den Erkenntnisstand in den besonderen Therapierichtungen mit der Unmöglichkeit einer standardisierten Zuordnung von Arzneimitteln zu bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen "auf Grund der besonderen Wirkungsweise der Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie" begründet. Hilfsweise wird dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Bezugnahme auf die Anhänge 2 und 3 zur Bundestagsdrucksache 15/800 anheim gestellt; ohne dass jener diesen Vorschlag aufgegriffen hätte. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschuss hat in einer Presseerklärung vom 16.03.2004 verlautbaren lassen, dass die Berücksichtigung der Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie nicht nach den fachlichen Kriterien des wissenschaftlichen Wirkungsnachweises erfolgt sei, sondern allein vor dem Hintergrund der im Gesetz geforderten Berücksichtigung der besonderen Therapierichtungen.

Der unbestimmte Wortlaut der Nr. 16.5 AMR lässt letztlich den Widerspruch zwischen den Anforderungen des Gesetzes und diesen Erklärungen über die Realisierbarkeit des gesetzlichen Regelungsauftrags ungelöst, indem er einerseits auf die Binnenanerkennung der Anthroposophika und Homöopathika als Therapiestandard verweist, andererseits ihre Verordnung einschränkend davon abhängig macht, dass jener sich im Sinne einer Substitution (zufällig) mit den Anwendungsvoraussetzungen der zur Behandlung der selben Erkrankungen als Behandlungstandard anerkannten rezeptfreien Allopathika und Phytotherapeutika deckt. Dies ist unzureichend.

Wenn sich ein arzneimittel- und indikationsbezogener Therapiestandard tatsächlich nicht feststellen ließe, wäre auch eine summarische Bezugnahme auf die Binnenanerkennung innerhalb der jeweiligen Therapierichtung nicht geeignet, einen Unmögliches fordernden Auftrag des Gesetzgebers (Kaesbach/Nahnhauer, a.a.O. S. 155: "Quadratur des Kreises") umzusetzen. Die Formulierung der Nr. 16.5 AMR geht jedoch gerade davon aus, dass sich durchaus bestimmen lässt, ob - wie von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V gefordert - die Anwendung eines Arzneimittels bei einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard einer Therapierichtung angezeigt ist oder nicht.

Jedenfalls hinsichtlich der hier entscheidungserheblichen Anthroposophika ist, wie sich aus dem Rundschreiben der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland vom 15.01.2006 ergibt, zumindest eine Zuordnung von Wirkstoffen, zum Teil sogar von bestimmten Präparaten zur Anwendung bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen durchaus möglich.

Der Aufgabe, den Therapiestandard zumindest hinsichtlich der anthroposophischen Arzneimittel in vergleichbarer Weise festzustellen, hätte sich der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Arzneimittelrichtlinien stellen müssen. Hierbei hätte er gemäß § 92 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 und Satz 6 SGB V auf die Zuarbeit der Sachverständigen der besonderen Therapierichtungen zurückgreifen können. Die entscheidende Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt dabei gerade darin, als objektives Sachverständigengremium die Aussagen der besonderen Therapierichtungen über den Therapiestandard einer kritischen Würdigung hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den das gesamte Leistungsrecht durchziehenden Grundprinzipien der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 4 SGB V) zu unterziehen.

Dabei ist zwar der besonderen Wirkungsweise der Arzneimittel in den einzelnen Therapierichtungen Rechnung zu tragen. Dies enthebt den Gemeinsamen Bundesausschuss jedoch nicht nach einer an wissenschaftlichen Kriterien orientierten Prüfung und Bewertung. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich die besonderen Therapierichtungen der Homöopathie und Anthroposophie von der sog. Schul- oder evidenzbasierten Medizin in methodischer Hinsicht unterscheiden, ohne dass einer der Therapierichtungen per se ein höherer Stellenwert zukäme (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 11/3480 Seite 34 und 49, Drucksache 7/5091 Seite 6 f.; Bundessozialgericht, Urteil vom 16.07.1996, Az. 1 RS 1/94).

Aus diesem Grunde kann es für die Beurteilung des Therapiestandards nicht verschreibungspflichtiger anthroposophischer und homöopathischer Arzneimittel auch nicht auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ankommen, wie ihn Nr. 16.3 AMR grundsätzlich zum Maßstab für die Standardmedikation schwerwiegender Erkrankungen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung erhebt.

Die Aufnahme in den gesetzlichen Leistungskatalog setzt jedoch in jedem Fall eine Anerkennung der Qualität und Wirksamkeit voraus. Die Sonderregelungen für Leistungen der besonderen Therapierichtungen in § 2 Abs. 1 Satz 2 und § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V besagen in diesem Zusammenhang lediglich, dass jene nicht schon wegen des Ansatzes der Therapierichtung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Eine Sonderstellung wird den besonderen Therapierichtungen indessen nicht eingeräumt (Deutscher Bundestag, Drucksache 11/3480 Seite 49). Das Bundessozialgericht sieht die besondere Legitimation der besonderen Therapierichtungen als Bestandteil des Leistungskatalogs im Erfordernis der Akzeptanz eines umfassenden therapeutischen Konzepts unter größeren Teilen der Ärzteschaft und der Bevölkerung, wobei die medizinisch-wissenschaftliche Tragfähigkeit des Denkansatzes der Therapierichtung der Kontrolle durch die Gerichte entzogen sei; entscheidend sei vielmehr neben der Verbreitung in der Praxis, dass der jeweilige Denkansatz über nachprüfbare Kriterien verfügt, um eine kunstgerechte Anwendung von einem Behandlungsfehler zu unterscheiden (Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95).

Auch in diesem eingeschränkten Rahmen bedarf die Heranziehung der Beitragszahler zur Finanzierung der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung insoweit einer inneren Rechtfertigung auch auf der Leistungsseite, als die Verwendung der aus Zwangsbeiträgen erhobenen Mittel sich am Maßstab der Wissenschaftlichkeit - im Sinne eines planmäßig-methodischen Erkennens und Bewertens und der empirischen Überprüfbarkeit sowie Zuverlässigkeit der Ergebnisse - als eines grundlegenden Kriteriums der Rationalität messen lassen und sich von bloßen Wirksamkeitsbehauptungen esoterischer oder parawissenschaftlicher Art, die einer empirischen Prüfung nicht zugänglich sind, abgrenzen lassen muss. Jenseits dieser Grenze ist für einen "Wissenschaftspluralismus" (so der Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages, Drucksache 7/5091 S. 6 f.) von Verfassung wegen kein Raum.

Vor diesem Hintergrund obliegt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss, durch eine objektive Bewertung der Binnenanerkennung von Arzneimitteln innerhalb der besonderen Therapierichtungen die effektive und wirtschaftliche Versorgung der an schwerwiegenden Erkrankungen leidenden Versicherten mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der Homöopathie und Anthroposophie zu gewährleisten. Dazu hat er diese nach den vorstehenden Maßstäben an Hand des im Einzelnen festzustellenden Therapiestandards in der jeweiligen Therapierichtung so bestimmt zu regeln, dass sich jede konkrete Verordnung im Einzelfall an Hand der Arzneimittelrichtlinien auf ihre Vereinbarkeit mit den in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V genannten Anforderungen überprüfen lässt.

Bei Beachtung dieser Maßgaben ist die Gleichstellung zwischen allopathischen, phytotherapeutischen, anthroposophischen und homöopathischen Arzneimitteln gewahrt, ohne dass es der sachwidrigen Erstreckung konkreter Indikationsvoraussetzungen auf Arzneimittel anderer Therapierichtungen bedarf.

5. Das Gericht ist bis zu einer den gesetzlichen Vorgaben genügenden Regelung der Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Medikamente gehalten, über die Versorgung der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Mistelpräparat eine unmittelbar an den Vorgaben des Gesetzes orientierte Entscheidung zu treffen, die mit Rücksicht auf die schwerwiegende Erkrankung der Klägerin zugleich dem Schutzgehalt des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG Rechnung trägt (dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98).

a) Hat der Gemeinsame Bundesausschuss seinen Normsetzungsauftrag in dem hier maßgeblichen Regelungsbereich nicht erfüllt, so ist das Gericht gehindert, die vom Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesene Überprüfung der Binnenanerkennung in der besonderen Therapierichtung mit normativer Wirkung zu ersetzen. Dies würde die fachlichen und verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Gerichts übersteigen. Statt dessen ist die Kammer gehalten, über den Anspruch der Klägerin an Hand der verfügbaren Anhaltspunkte eine Entscheidung zu treffen, die sich darauf beschränkt, das Versagen des gesetzlichen Leistungssystems auf der Richtlinienebene unmittelbar an Hand der Vorgaben des Gesetzes zu überbrücken, ohne dass das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung eine evtl. spätere Regelung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss inhaltlich präjudizieren würde.

Die Prüfung des Gerichts beschränkt sich deshalb darauf, festzustellen, ob anthroposophische Mistelpräparate innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung als Therapiestandard zur adjuvanten Behandlung maligner Tumore anerkannt sind. Im Ergebnis deckt sich der Prüfungsumfang also - unbeschadet des dargestellten normativen Systemfehlers - mit der jetzigen Fassung der Nr. 16.5 AMR in der Auslegung, welche die Klägerin dieser Vorschrift beimisst.

b) Nach den gesetzlichen Kriterien geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin einen Primäranspruch auf Versorgung mit Helixor® hatte, weil sie an einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss als schwerwiegend beurteilten Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V leidet, die Anwendung von Mistelpräparaten dem Therapiestandard zu deren Behandlung nach dem maßgeblichen Erkenntnisstand in der anthroposophischen Therapierichtung entspricht und der Therapiestandard in dieser Therapierichtung keine Einschränkung auf bestimmte Erkrankungs- oder Behandlungsstadien kennt.

Die Kammer geht mangels entgegen stehender Feststellungen des Gemeinsamen Bundesausschusses in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V davon aus, dass anthroposophische Mistelpräparate wie das streitgegenständliche Helixor® A den Therapiestandard bei der Behandlung bösartiger Tumore in jedem Stadium der Erkrankung, also auch in der adjuvanten Krebstherapie, darstellen. Unter Betrachtung und Abwägung der hierfür sprechenden Indizien erachtet die Kammer als ausschlaggebend:

- die Aufnahme anthroposophischer Mistelpräparate in die Aufbereitungsmonographien für Arzneimittel der Anthroposophischen Therapierichtung der Kommission C beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Monografie Viscum album, BAnz. 38 [1986] Nr. 99a S. 54 am Ende)

Abweichend von der Begründung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.03.2005, Az. S 8 KR 321/04, reicht allein die Aufnahme in die Monografien der Kommission C allerdings noch nicht als Nachweis des Therapiestandards aus. Denn die positive Aufnahme in diese Monografien hat nur Bedeutung für das Votum der nach § 25 Abs. 7 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) zu bildenden Kommissionen als Bewertungsgrundlage bei der Prüfung der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der dort berücksichtigten Arzneimittel. Sie betrifft damit den arzneimittelrechtlichen Zulassungsstatus, sagt jedoch noch nichts über die Anerkennung als indikationsbezogener Therapiestandard im Sinne der Arzneimittelrichtlinien aus.

- die Benennung der Indikationen "bösartige und gutartige Geschwulsterkrankungen" sowie "Rezidivprophylaxe nach Geschwulstoperationen" als Anwendungsgebiete des streitgegenständlichen Präparats in den Fachinformationen der HELIXOR Heilmittel GmbH & Co. KG zu Helixor® A/-M/-P, Stand März 2003, Abschnitt 4

Auch insoweit gilt die Maßgabe, dass aus der Indikation allein noch nicht auf den Therapiestandard geschlossen werden darf.

- die Aufzählung unter Anderem von Viscum album (incl. alle Wirtsbäume und alle Metallzusätze) in Anhang 3 - Arzneimittel der besonderen Therapierichtung Anthroposophie - der Anlage zu Artikel 1 - Arzneimittel-Positivlistengesetz (AMPolLG) - des Entwurfs für ein "Gesetz über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der Vertragsärztlichen Versorgung" (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/800 S. 244)

Dem Gesetzentwurf, der letztlich aus dem am 01.01.2004 mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Kraft getretenen Reformpaket wieder ausgeklammert und deshalb nie verabschiedet wurde, war als Anlage eine Arzneimittel-Positivliste mit drei Anhängen für die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen beigefügt. Darin hatte das inzwischen aufgelöste Institut für Arzneimittelverordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (§ 33a Abs. 2 SGB V) als Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen die Arzneimittel aufgeführt, die für eine zweckmäßige, ausreichende und notwendige Behandlung, Prävention oder Diagnostik von Krankheiten oder erheblichen Gesundheitsstörungen geeignet sind. Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophische Medizin waren in den Hauptteil der Vorschlagslisten aufzunehmen, soweit sie den für diesen geltenden Urteilsstandards - mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen, gemessen am Ausmaß des erzielbaren therapeutischen Effekts unter Beachtung der Qualität und Aussagekraft der Belege, der therapeutischen Relevanz der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Erfolgswahrscheinlichkeit der therapeutischen, präventiven oder diagnostischen Maßnahme - entsprechen. Darüber hinaus sollte für die Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen in den Anhang der Vorschlagslisten bei der Anwendung dieser Urteilsstandards den Besonderheiten der jeweiligen Therapierichtung Rechnung getragen werden (vgl. Artikel 1 § 2 Abs. 1 und 6 des Entwurfs).

Die Aufnahme in den Anhang 3 richtet sich mithin nach ähnlichen Kriterien wie die Beurteilung als Therapiestandard unter Beachtung der therapeutischen Vielfalt nach § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Arzneimittel der Anthroposophie und der Homöopathie ohne Bezug auf bestimmte Indikationen in die Anhänge 2 und 3 der Positivliste aufgenommen worden sind.

- die positive Bewertung in Klinischen Studien und Fachveröffentlichungen von Ärzten der Therapierichtung (z.B. Bock et al., Wirksamkeit und Sicherheit der komplementären Langzeitbehandlung mit einem standardisierten Extrakt aus europäischer Mistel [Viscum album L.] zusätzlich zur konventionellen adjuvanten onkologischen Therapie bei primärem, nicht metastasierendem Mammakarzinom, in: Arzneim.-Forsch./Drug Res. 54 [2004] Nr. 8 S. 456 ff., veröffentlicht auch unter www.hiscia.ch/forschung/klinik/dokumentation.htm, sowie Kienle et al., Mistletoe in cancer - a systematic review on controlled clinical trials, in: Eur J Med Res 8 [2003] S. 109 ff.; Kienle et al., HTA-Bericht Anthroposophische Medizin - Programm Evaluation Komplementärmedizin des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit, 2. Version Januar 2005, Zusammenfassung S. 6 f. vorab veröffentlicht unter www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/00305/02363/index.html?lang=de; eine nach Qualitätskriterien geordnete Übersicht über randomisierte klinische Studien zur Misteltherapie bei Krebserkrankungen hat Kienle außerdem auf der Internetseite der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland - http://wissenschaft.mistel-therapie.de/Downloads/Tabellen/ProspektivRCT.pdf - eingestellt)

Der Nachweis der klinischen Effekte nach evidenzbasierten Kriterien ist allerdings umstritten. Eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung über den Kreis der anthroposophischen Therapierichtung hinaus ist der adjuvanten Misteltherapie in der Fachliteratur nach wie vor versagt geblieben (vgl. Edler, DÄBl. 101 [2004] Nr. 1-2 S. A-44 ff. und Nr. 30 S. A-2126 f.; National Cancer Institute, Mistletoe Extracts [PDQ®] - Health Professional Version - http://cancernet.nci. nih.gov/cancertopics/pdq/cam/mistletoe/HealthProfessional/allpages).

Eine wissenschaftliche Bewertung der Ergebnisse unter Berücksichtigung des Erkenntnisstandes der besonderen Therapierichtung braucht das Gericht an dieser Stelle nicht vorzunehmen. Im Hinblick auf die Besonderheiten bei der Anerkennung des Wirksamkeitsnachweises von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen und auf die insoweit eingeschränkte Beurteilungskompetenz der Gerichte, ist es ausreichend, wenn das Gericht die positiven Veröffentlichungen, namentlich von Kienle (Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie e.V. Freiburg/Bad Krozingen), als Indiz dafür bewertet, dass die Misteltherapie unter den Vertretern der anthroposophischen Therapierichtung auch nach evidenzbasierten Kriterien akzeptiert ist.

- die ausdrückliche Benennung der "Mistel-Präparate, parenteral: ABNOBA Viscum, HELIXOR, ISCADOR, ISCUCIN, alle Sorten, alle Wirtsbäume, mit und ohne Metalle" als Standardmedikation bei der Indikation "Maligne Tumore" im Rundschreiben der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland "Therapiestandard in der anthroposophischen Therapierichtung zu den im Abschnitt F 16.4. aufgeführten Indikationsgebieten der neugefassten Arzneimittelrichtlinien - AMR - vom 16.März 2004 – ergänzte Fassung 15.1.2006 einschließlich des neuen Abschnitts 16.7 AMR (rechtskräftig seit 31.12.2005)" vom 15.01.2006 (http://www.anthroposophische-aerzte.de)

Als offizielle Verlautbarung einer für die Therapierichtung repräsentativen Fachgesellschaft kommt dieser Liste besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Binnenanerkennung zu. Zugleich widerlegt der Katalog die Behauptung, dass die besondere Wirkungsweise der anthroposophischen Arzneimittel einer indikationsbezogenen Zuordnung von Arzneimitteln zu bestimmten Erkrankungen entgegen stünde.

c) In seiner Beanstandungsverfügung vom 18.02.2005 vertritt das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung die Auffassung, dass ein Arzt, der nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der anthroposophischen Therapierichtung zu Lasten der Krankenkasse verordnet, über entsprechende Fachkenntnisse auf dem Gebiet der jeweiligen Therapierichtung verfügen müsse; diese seien regelmäßig anzunehmen, wenn der Arzt eine entsprechend anerkannte Fortbildung nachweisen könne.

Ob das Bundesministerium einen solchen Qualitätsnachweis als zwingende Voraussetzung dafür erachtet, um Arzneimitteltherapien der besonderen Therapierichtungen verordnen zu dürfen, lässt sich der Verfügung nicht mit letzter Klarheit entnehmen. Wenn ja, wäre dieser Auffassung nicht zu folgen. Im Sinne einer an die Person des Arztes anknüpfenden Einschränkung der im Rahmen der Berufsausübung geschützten Therapiefreiheit würde diese Regelung einer Rechtsgrundlage entbehren. Eine § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB V vergleichbare gesetzliche Grundlage für besondere Qualifikationsanforderungen als Voraussetzung für die Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden kennen § 34 Abs. 1 und § 92 Abs. 2 SGB V in Bezug auf die Verordnung bestimmter Pharmakotherapien der besonderen Therapierichtungen nicht. Für die indikationsgerechte Verordnung des von der Klägerin beantragten Arzneimittels ist es nicht erforderlich, dass der Arzt sich durch eine besondere Ausbildung den fachlichen Ansatz der besonderen Therapierichtungen zu eigen macht. Die Qualifikation zur indikationsgerechten Verordnung der für das jeweilige Fachgebiet einschlägigen Arzneimittel einschließlich der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ist durch die Approbation als Arzt und den evtl. Abschluss einer Facharztausbildung grundsätzlich nachgewiesen. Die streitgegenständlichen Medikamente hat der Klägerin eine Frauenärztin verordnet. Die Grenzen des Fachgebiets sind damit gewahrt, denn die Weiterbildung zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe umfasst nach der Weiterbildungsordnung der Sächsischen Landesärztekammer (Weiterbildungsordnung - WBO) sowohl die Grundlagen der gebietsbezogenen Diagnostik, Therapie und Nachsorge gynäkologischer Tumorerkrankungen und der Betreuung gynäkologischer Tumorpatientinnen als auch die gebietsbezogene Arzneimitteltherapie (Anlage 1 Nr. 9 WBO in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung, Abschnitt B Nr. 7 WBO in der seit dem 01.01.2006 geltenden Fassung). Dies schließt die Qualifikation zur Verordnung anthroposophischer Mistelpräparate in der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms mit ein.

d) Die Kammer ist sich bewusst, dass die Anerkennung eines Anspruchs auf Versorgung mit anthroposophischen Mistelpräparaten im Rahmen der adjuvanten Krebstherapie im Kontrast dazu steht, dass die Verordnungsfähigkeit der auf Mistellektine standardisierten phytotherapeutischen Mistelpräparate auf die palliative Therapie eingeschränkt ist. Dieser Widerspruch darf indessen nicht in sachfremder Weise dadurch ausgeräumt werden, dass die Arzneimittel der anthroposophischen Therapierichtung summarisch den Anwendungsmodalitäten von allopathischen oder phytotherapeutischen Arzneimitteln unterworfen werden. Die Ursache der unterschiedlichen Behandlung der einander durchaus ähnlichen Arzneimittel liegt darin, dass die anerkannte Standardmedikation zur Behandlung maligner Tumore mit den auf Mistellektin standardisierten Mistelpräparaten in der phytotherapeutischen Therapierichtung sich hinsichtlich des Therapieziels und des Krankheits- bzw. Behandlungsstadiums der Anwendung vom Therapiestandard bei der Anwendung anthroposophischer Mistelpräparate in der anthroposophischen Therapierichtung unterscheidet. Ob der unterschiedliche Therapiestandard tatsächlich durch solche Unterschiede zwischen den auf verschiedene Weise hergestellten Arzneimitteln oder durch solche Besonderheiten der Therapierichtungen bedingt ist, dass es gerechtfertigt ist, hinsichtlich ihrer Verordnungsfähigkeit als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu differenzieren, kann an dieser Stelle dahin gestellt bleiben. Dies zu bewerten hat der Gemeinsame Bundesausschuss auf Grund eines normativen Systemversagens unterlassen. Das Gericht ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht dazu berufen, den nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss obliegenden Prüfungsauftrag in das gerichtliche Verfahren zu verlagern. Das Gericht kann deshalb zur Überwindung des Systemversagens nur auf den Therapiestandard abstellen, wie er sich innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung darstellt. Die möglicherweise unterschiedliche Strenge der parallelen Beurteilung vergleichbarer Arzneimittel in verschiedenen Therapierichtungen muss dabei hingenommen werden.

Mit Rücksicht auf den hohen Stellenwert des Rechts der Klägerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 GG) sowie angesichts ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung sieht sich das Gericht auch gehindert, einen Anspruch solange als ausgeschlossen anzusehen, bis der Gemeinsame Bundesausschuss dem Normsetzungsauftrag des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise nachgekommen ist. Denn das würde bedeuten, das gesetzwidrige Versagen des Leistungssystems zu Lasten der Versicherten gehen zu lassen.

Der Klage war deshalb in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Kammer hat die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved