L 6 R 77/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 16 RJ 994/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 R 77/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Gewährung einer Regelaltersrente.

Der am X.XXXXXXX in B. (Bedzin, Bendsburg) in Polen geborene Kläger lebt seit September 1950 in den USA und hat die amerikanische Staatsbürgerschaft.

In einem beim Bezirksamt für Wiedergutmachung in Trier gestellten Antrag auf Entschädigung für Schaden an Freiheit vom 16. April 1954 gab er an, vom 8. Oktober 1940 bis 12. September 1942 in Bendzin Zwangsarbeit geleistet zu haben. In einer eidesstattlichen Versicherung aus dem Jahre 1956 erklärte der Kläger, er sei vom 8. Oktober 1940 bis zum 12. September 1942 zu Zwangsarbeiten in den Militärkasernen von Bendzin herangezogen worden; im September 1942 sei er nach Groß-Maslowitz bei Breslau und am 6. August 1943 nach Auschwitz gebracht worden. In seinem Antrag auf Entschädigung für Schaden an Körper und Gesundheit vom 9. Juni 1961 gab er an, von seinem 13. Lebensjahr an verfolgt und zur Verrichtung von Zwangsarbeit (Straßenarbeiten) gezwungen worden zu sein. Anschließend sei er ´von 1940-1945` in verschiedenen Konzentrationslagern gewesen.

In den im Rahmen des Entschädigungsverfahrens eingeholten medizinischen Gutachten finden sich folgende Angaben des Klägers: Im nervenärztlichen Gutachten von H. S. vom 28. Mai 1963 heißt es, der Kläger sei bis 1941, wahrscheinlich Ende des Frühjahrs, in Bendzin gewesen; von 1940 an habe er ´Zwangsarbeiten wie säubern etc.` verrichten müssen. Dann sei er für etwa ein Jahr in das Arbeitslager Moskowitz gekommen, wo er im Straßenbau gearbeitet habe. Im ärztlichen Gutachten des Internisten Dr. W. vom 24. November 1963 wird ausgeführt, der Kläger habe bald nach dem Einmarsch der deutschen Truppen das Judenzeichen tragen und von seiner Wohnung aus zwangsweise Reinigungsarbeiten in Straßen und Kasernen machen müssen. Er habe im Frühjahr 1940 mit seinen Eltern in einen für Juden bestimmten Straßenzug ziehen müssen; vom ´8.10. bis 12.9.` habe er regelmäßig in den deutschen Militärbaracken gearbeitet. Im September 1942 sei er mit einem Massentransport nach Groß-Maslowitz geschickt worden.

Frau A. B. gab in einer zu den Entschädigungsakten gereichten eidesstattlichen Erklärung vom 1. März 1954 an, dass sie sich vom 13. Juni 1940 bis zum 14. Dezember 1941 in Bedzin ´zwangsläufig` aufgehalten habe; dortselbst habe sie in den Schneiderwerkstätten ´Sammelwerkstätten R.` gearbeitet, woselbst auch Herr L. S1, wie auch sein Sohn K. S1 Zwangsarbeiten verrichtet hätten. D. F. bestätigte in einer eidesstattlichen Erklärung vom 31. Mai 1956, im Juni 1941 mit dem Kläger im Ghetto Bendzin-Kamionka zusammen gewesen zu sein; sie hätten Zwangsarbeiten ohne Bezahlung verrichten müssen.

Am 29. Dezember 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente. Dabei gab er an, von 1940 bis September 1943 im Ghetto Bendzin in einer Schneidersammelwerkstätte als Schneider (Zuschneidergehilfe) gearbeitet zu haben. Sein Vater habe dort gearbeitet und ihm einen Arbeitsplatz verschafft. Er habe jede zweite Woche eine Entlohnung in deutscher Mark erhalten.

Nach Beiziehung der Entschädigungsakte lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2001 den Antrag unter Hinweis auf dort angegebenen Zwangsarbeiten ab und wies auch den vom Kläger erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2001 zurück. Es habe sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und späterer lagermäßiger notdürftiger Versorgung gehandelt. Diese Form der Zwangsarbeit sei auf Grundlage der Verordnung über die Einführung des Arbeitszwanges für die jüdische Bevölkerung im Generalgouvernement vom 26. Oktober 1939 ausdrücklich als Arbeitszwang ohne Entlohnung geregelt worden.

Im nachfolgenden Klageverfahren hat der Kläger erklärt, dass zwischenzeitlich 60 Jahre vergangen seien und er sich nicht mehr besinnen könne, wie all die Angaben in seinem Entschädigungsverfahren zustandegekommen seien. Er wisse nur, dass er als fünfzehnjähriges Kind mit seinen Eltern in das Ghetto Bendzin verfrachtet und umgehend zu Arbeitseinsätzen herangezogen worden sei. Dies sei im Jahre 1940 gewesen. Er habe Militärkasernen aufräumen und sauberhalten müssen. Seinem Vater, der in Polen ein Schneidermeister gewesen sei und einen Arbeitsplatz in den Sammelwerkstätten R. erhalten habe, sei es gelungen, auch ihn dort unterzubringen. Es sei eine volltägige Beschäftigung gewesen, für die er auch mit Geld entlohnt worden sei. Warum dieser Arbeitsplatz in seinem Entschädigungsverfahren nicht benannt worden sei, sei ihm nicht klar. Obwohl (?) auch diese Arbeit beaufsichtigt worden sei, habe man es Zwangsarbeit benannt; die Arbeiter seien aber geldlich entlohnt worden. Das Ende seiner Beschäftigung im Ghetto Bendzin sei im Rentenverfahren versehentlich mit September 1943 – statt September 1942 - angegeben worden.

Das Sozialgericht hat Anfragen an den Kirchlichen Suchdienst sowie den polnischen Rentenversicherungsträger ZUS gerichtet. Der Kirchliche Suchdienst hat mitgeteilt, dass im O. Fernsprechbuch – Ausgabe 1942 - eine Firma ´R. & M., Treuhand des Bekleidungsgeschäftes A. G./J. G. & Co., D. und T.` verzeichnet sei. Im polnischen Fernsprechbuch – Ausgabe 1939 – sei eine Firma ´Dacygier (=D.) M. & T. H.` für Bendsburg, ul. P. 8 eingetragen; man nehme an, dass diese Firma ein Teil der Firma R. & M. gewesen sei. Aus seinen Unterlagen gehe nicht hervor, ob die Firma R. im Ghetto von Bendsburg eine Schneiderwerkstätte unterhalten habe. Der polnische Sozialversicherungsträger teilte mit, dass weder dem Archiv der Zweigstelle in Tarnowskie Gory (Tarnowitz) noch dem Staatlichen Archiv in Kattowitz Angaben über eine Beschäftigung des Klägers in den Jahren 1939 bis 1945 vorlägen. Durch Urteil vom 5. April 2005 hat das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er verweise noch einmal auf die Entschädigungsakten. Außerdem habe die Beklagte in einer Anzahl von Fällen sehr wohl Beschäftigungszeiten im Ghetto Bendzin als Beitragszeiten anerkannt. Ihr müssten daher die dortigen Verhältnisse bekannt sein.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt der Akten,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2005 zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Kläger habe in einer eidesstattlichen Versicherung aus dem Jahre 1956 selbst ausgeführt, von 1940 bis 1942 zu Zwangsarbeiten in den Militärkasernen von Bendzin herangezogen worden zu sein. Auch der Hinweis auf andere Fälle überzeuge nicht, da in jedem Einzelfall das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses glauhaft zu machen und dem Kläger dies aufgrund seiner eigenen zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren nicht gelungen sei.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Rentenakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (Az. 70409 und 55740) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig (§§ 143, 151 SGG).

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2001 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente, da er Beitragszeiten von 1940 bis September 1942 weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht hat und somit die allgemeine Wartezeit für Regelaltersrenten nicht erfüllt.

Nach § 35 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der Kläger hat zwar das 65. Lebensjahr vollendet, erfüllt jedoch nicht die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten (§ 51 Abs. 1 SGB VI) und - wenn mindestens ein Beitrag rechtswirksam entrichtet worden ist - auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 4 i.V.m. § 250 SGB VI). Beitragszeiten sind u.a. Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (Pflichtbeitragszeiten). Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Satz 2 SGB VI a.F.). Beitragszeiten sind ferner u.a. Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (§ 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI).

Nach all diesen Vorschriften liegt eine Beitragsentrichtung nicht vor. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger die Ausübung der behaupteten Tätigkeit nicht glaubhaft gemacht hat. Die vom Kläger erstmals im Rentenverfahren gemachte Angabe einer in der Zeit von 1940 bis September 1942 erfolgten Beschäftigung als Schneider bzw. Zuschneidegehilfe im Ghetto Bendzin steht im Widerspruch zu seinem Vorbringen im Entschädigungsverfahren. Dort hatte er eine derartige Beschäftigung mit keinem Wort erwähnt, sondern angegeben, er habe in der strittigen Zeit Zwangsarbeiten in den Militärkasernen von Bendzin verrichten zu müssen. Von Bedeutung ist, dass es sich dabei nicht um eine beliebige Erklärung gehandelt hat, sondern um eine eidesstattliche Versicherung mit besonderem Anspruch an Wahrhaftigkeit.

Nach Auffassung des Senats ist es unwahrscheinlich, dass der Kläger seinerzeit lediglich vergessen haben könnte, die Schneidertätigkeit anzugeben. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellte, er habe im Entschädigungsverfahren die Zwangsarbeiten im engeren Sinne in den Vordergrund stellen dürfen, erklärt dies nicht das völlige Verschweigen einer Tätigkeit, die – im Gegensatz zu den dann nur wenige Wochen oder Monate andauernden Zwangsarbeiten – immerhin zwei Jahre gedauert haben soll. Hinzu kommt, dass der Kläger im Klageverfahren erklärt hat, eine im Ghetto gegen Entgelt ausgeübte Tätigkeit ebenfalls als Zwangsarbeit angesehen zu haben, da diese beaufsichtigt worden sei. Somit wäre zu erwarten gewesen, dass er im Entschädigungsverfahrens auch diese Tätigkeit angegeben hätte.

Einer bloßen ´Erinnerungslücke` steht weiter entgegen, dass der Kläger in seiner eidesstattlichen Versicherung die Dauer der in Militärkasernen ausgeübten Zwangsarbeiten nicht lediglich vage angegeben, sondern präzise bezeichnet hat ( ´ ...vom 8. Oktober 1940 bis 12. September 1942 ...`).

Schließlich hat der Kläger auch bei nachfolgenden Gelegenheiten - den medizinischen Begutachtungen im Jahre 1963 – eine Tätigkeit im Ghetto mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr wird im Gutachten des Dr. W. vom 24. November 1963 erneut angegeben, dass der Kläger vom 8.10.(1940) bis 12.9.(1942) regelmäßig in den deutschen Militärbaracken gearbeitet habe.

Die im Rentenverfahren gemachten Angaben des Klägers werden zudem durch die am 31. Mai 1956 abgegebene eidesstattliche Versicherung des D. F. in Frage gestellt, da dieser angegeben hat, er und der Kläger hätten Zwangsarbeiten ohne Bezahlung verrichten müssen.

Die allein zugunsten des klägerischen Vortrags sprechende eidesstattliche Versicherung der A. B., abgegeben am 1. März 1954 vor dem Notar in New York ´zur Vorlage im derzeit laufenden Entschädigungsverfahren`, reicht nicht aus, um seine Beschäftigung im Ghetto Bendzin als überwiegend wahrscheinlich anzusehen. Die Angaben der Frau B. sind schon in zeitlicher Hinsicht unpräzise, da sie nur die Zeitdauer ihres Zwangsaufenthalts in Bedzin wiedergeben, nicht aber den Zeitraum ihrer Beschäftigung in der Schneiderei und schon gar nicht den Zeitraum, in dem sie mit dem Kläger dort zusammengearbeitet haben will. Davon abgesehen hat sie die Arbeit des Klägers als Zwangsarbeit charakterisiert und nicht erwähnt, ob sie und/oder der Kläger für ihre Tätigkeit ein Entgelt erhalten haben.

Die vom Kläger angeführten Vergleichsfälle sind nicht geeignet, dessen Beschäftigung im Ghetto Bendzin glaubhaft zu machen. Sie belegen lediglich,dass eine Beschäftigung im Ghetto denkbar war, nicht aber, dass auch der Kläger zur Gruppe der im Ghetto Beschäftigten gehörte.

Der geltend gemachte Rentenanspruch läßt sich schließlich auch nicht auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) stützen, da auch Art. 1 § 1 Satz 1 ZRBG den Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung einer Beschäftigung im Ghetto voraussetzt. Dies ist – wie dargelegt – jedoch nicht der Fall.

Auf die Frage, ob der Klägerin den USA Beitragszeiten zurückgelegt hat, kommt es nicht an, da nach Art. 7 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 (BGBl II S. 1358) die Anrechnung amerikanischer Versicherungszeiten auf die Wartezeit voraussetzt, dass nach deutschen Rechtsvorschriften Versicherungszeiten zurückgelegt worden sind. Dies ist, wie dargelegt, nicht der Fall.

Nach alledem war daher die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr. 2 SGG (Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved